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Re|for|ma|ti|on 〈f. 20〉
I 〈unz.; i. e. S.〉 die durch Luther, Zwingli u. Calvin ausgelöste Bewegung zur Erneuerung der Kirche, wodurch die abendländ. Kircheneinheit gesprengt wurde u. neue, vom Papst unabhängige, evangelische Kirchen (protestantische, reformierte Kirche) entstanden; Ggs Gegenreformation
II 〈zählb.; i. w. S.〉 Erneuerung, Neugestaltung
[<lat. reformatio „Umgestaltung, Erneuerung“; zu reformare; → reformieren]
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Re|for|ma|ti|on, die; -, -en [lat. reformatio = Umgestaltung, Erneuerung, zu: reformare, ↑ reformieren]:
1. <o. Pl.> religiöse Erneuerungsbewegung des 16. Jahrhunderts, die zur Bildung der evangelischen Kirchen führte.
2. (bildungsspr. veraltend) Erneuerung, geistige Umgestaltung, Verbesserung.
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I Reformation
[von lateinisch reformatio »Umgestaltung«, »Erneuerung«] die, -/-en, im weiteren Sinn jeder Versuch, eine Gemeinschaft, Institution oder Ähnliches durch Rückgriff auf ihre Ursprünge in ihrem Wesen zu erneuern, wie z. B. die spätmittelalterlichen Bemühungen um eine »Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern« (Reformkonzile) oder um eine »Reformation des Reiches« (Reformatio Sigismundi). Im engeren Sinn die durch M. Luther ausgelöste Bewegung, die als zunächst innerkirchliche Bestreben um geistliche Erneuerung die Wiederherstellung einer dem Evangelium gemäßen Kirche anstrebte, in der nachfolgenden Entwicklung jedoch zur Auflösung der kirchlichen Einheit der lateinischen (abendländischen) Kirche, zur Herausbildung eigenständiger »evangelischer« Kirchen und Gemeinschaften (lutherische Kirchen; reformierte Kirchen) und zur Formierung des Protestantismus als christliche Konfession führte. Als Bezeichnung dieser historischen Entwicklung ist der Begriff Reformation erstmals 1688 bei V. L. von Seckendorff nachweisbar, der den »Lutheranismus« der »reformatio religionis D. Martini Lutheri« gleichsetzte.
Ursachen
Voraussetzungen der Reformation waren die Krisen des Spätmittelalters und der beginnenden Renaissance: das Abendländische Schisma, die Überspannung des päpstlichen Herrschaftsanspruchs und die Vernachlässigung des geistlichen Amtes durch die Renaissancepäpste, die Finanzpraktiken der Kirche, hier Anfang des 16. Jahrhunderts besonders der Ablasshandel (Ablass), eine von der Bibel entfernte und zum Teil dogmatisch erstarrte spätscholastische Theologie (Scholastik) und die mangelnde theologische Bildung großer Teile des Klerus. Die Klage über die kirchlichen Missstände (Gravamen) hatte zwar zu vielfältigen Reformversuchen, doch nicht zu deren Beseitigung geführt. Neu setzte die Kritik des Humanismus an der Lebensführung des geistlichen Standes ein; diese führte, ebenso wie der Individualismus der Mystik, zu einer schleichenden Erosion der kirchlichen Autorität und verstärkte die Neigung, an die Ursprünge des Christentums anzuknüpfen, was durch die philologischen Studien der Humanisten gefördert wurde. Die breite Wirkung der Reformation ergab sich auch aus der Reibung zwischen den aufstrebenden Städten und der Kirche sowie aus dem Erstarken des Landesfürstentums, das seinen Einfluss auf die Kirche zu steigern suchte. Kam in vielen volkstümlichen Flugschriften gegen Papst und Klerus die soziale Unzufriedenheit der Laien, die Priester und Mönche als Nichtstuer ansahen, zum Ausdruck, so förderte die Erfindung des Buchdrucks die Verbreitung dieser Gedanken.
Als Beginn der Reformation wird traditionell die Veröffentlichung der 95 Thesen M. Luthers über den Ablass (31. 10. 1517) angesehen. Diese von Luther als Aufruf zu einer akademischen Disputation gedachten Thesen fanden ein für ihn völlig überraschendes gewaltiges Echo in der Öffentlichkeit.
Die Frühphase der Reformation (1517-21) war gekennzeichnet durch das öffentliche Auftreten Luthers, die Herausbildung und Formulierung seiner reformatorischen Lehren, den eskalierenden Konflikt zwischen ihm und dem Papsttum sowie die schnelle Ausbreitung der lutherischen Ideen und endete mit dem Kirchenbann gegen Luther und seine Anhänger (1520) sowie der Verhängung der Reichsacht durch das Wormser Edikt (1521). Zugleich wurden in dieser Phase viele der später wichtigsten Reformatoren für das Anliegen einer grundlegenden Reformation der Kirche gewonnen.
Ungeachtet der Reichsacht breitete sich die reformatorische Bewegung in den folgenden Jahren (1521-25) aus. Geistige Unterstützung erhielt die Reformation durch die Humanisten (Erasmus); politisch verbanden zeitweilig antirömisch-nationale (die Reichsritterschaft) und sozialrevolutionäre Kräfte (die aufständischen Bauern; Bauernkrieg) ihre Anliegen mit dieser Bewegung. Unterstützung fand die Reformation durch das Stadtbürgertum und verschiedene Reichsfürsten (v. a. durch Kurfürst Friedrich III., den Weisen, von Sachsen), ihre Ausbreitung als eine Bewegung »von unten« erfolgte jedoch v. a. durch das Wirken von zahlreichen umherziehenden Predigern. In diese Phase fallen auch die ersten theologischen Auseinandersetzungen innerhalb der reformatorischen Bewegung. So entwickelte sich v. a. in der Schweiz, von U. Zwingli ausgehend, eine besonders im Abendmahlsverständnis von den Wittenberger Theologen um Luther (P. Melanchthon, N. von Amsdorf, J. Bugenhagen, J. Jonas) sich unterscheidende reformatorische Gruppierung. Diese stand unter der Bezeichnung »Reformierte« nach dem Scheitern vielfältiger Ausgleichsbemühungen (u. a. vonseiten der Straßburger Reformatoren M. Bucer, W. Capito und C. Hedio) seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zusammen mit dem von J. Calvin geprägten Kalvinismus in Deutschland dem Luthertum gegenüber. Daneben entstanden auf dem Boden der Reformation auch spiritualistische Bewegungen, deren Frömmigkeit und Theologie im Allgemeinen stark mystisch und durch ein prophetisches Sendungsbewusstsein gekennzeichnet war. Von Luther abgelehnt und als Schwärmer verurteilt, verbanden sie die theologischen Anliegen der Reformation mit sozialen und politischen Anliegen (z. B. T. Müntzer), aber auch mit noch radikaleren Forderungen nach der Wiederherstellung des ursprünglichen Christentums (besonders Täufer und Schwenckfelder). Gegenüber den spiritualistisch-reformatorischen Bewegungen, die von der neueren Kirchengeschichtsschreibung auch als »linker Flügel der Reformation« bezeichnet werden, grenzte sich Luther 1525 entschieden ab, was in besonderer Weise in seiner Haltung gegenüber Müntzer und den aufständischen Bauern zum Ausdruck kam.
Nach 1525 war die Reformation ausschließlicher als zuvor eine Sache der Landesherren (»Fürsten-R.«). Sie wurde jetzt in den Territorien durch von der Obrigkeit geleitete Kirchen- und Schulvisitationen durchgeführt, erstmals 1526 in Kursachsen. Es entstanden die evangelischen Landeskirchen, wobei der Landesherr im Rahmen des von ihm ausgeübten landesherrlichen Kirchenregiments als so genannter »Notbischof« an die Spitze der Kirche seines Landes trat (Summepiskopat). Infolge des zunehmenden Einflusses der Landesherren auf die Kirchenangelegenheiten und durch die materiellen Gewinne aus der Säkularisation erfuhren die deutschen Territorien einen erheblichen Machtzuwachs. Kirchlich führte allerdings der Abendmahlsstreit zwischen Luther auf der einen und Zwingli und Calvin auf der anderen Seite zu einer inneren Spaltung des Protestantismus, die im Grundsatz erst im 20. Jahrhundert mit dem Abschluss der Leuenberger Konkordie für deren Mitgliedskirchen beigelegt werden konnte.
Die theologischen Grundlagen der Reformation wurden erstmals 1530 in dem auf dem Augsburger Reichstag vorgelegten Augsburgischen Bekenntnis und, in Anlehnung daran, für den reformierten Zweig der Reformation im Vierstädtebekenntnis der Städte Konstanz, Lindau (Bodensee), Memmingen und Straßburg niedergelegt, nachdem die sich zur Reformation bekennenden Reichsstände 1529 auf dem Reichstag in Speyer gegen eine Majorisierung in Glaubensdingen protestiert hatten (Protestation). Da sich Karl V. auf dem Augsburger Reichstag der Reformation versagte, ihr aber aus außenpolitischen Gründen (Kampf gegen Frankreich und das Osmanische Reich) und wegen der mangelnden Unterstützung durch die katholischen Reichsstände, die einen zu mächtigen Kaiser ebenso fürchteten wie die evangelischen, nicht entgegentreten konnte, kam es zur konfessionellen Spaltung des Reichs. Die Protestanten schlossen sich 1531 im Schmalkaldischen Bund zusammen, und Karl V. musste die Reformation de facto anerkennen.
Um 1540 schien die Reformation im ganzen Heiligen Römischen Reich zu siegen. Nachdem sich schon eine große Zahl von weltlichen Reichsständen zu ihr bekannt hatte und bereits 1525 der Ordensstaat Preußen in ein weltliches Herzogtum umgewandelt worden war, standen jetzt auch andere geistliche Fürstentümer vor der Säkularisation. Selbst ins habsburgische Österreich drang die Reformation unter dem Schutz der Landstände ein; nur das straff zentralistisch verwaltete Bayern verschloss sich ihr. Für das Schicksal der Reformation im Reich wurden die Jahre bis 1555 entscheidend. Nachdem der Kaiser durch einen Friedensschluss mit Frankreich (1544) freie Hand gewonnen und die evangelischen Fürsten in Sicherheit gewiegt hatte, gelang es ihm, die protestantischen Stände 1547 im Schmalkaldischen Krieg niederzuwerfen und damit den Fortbestand der Reformation im Reich infrage zu stellen. Das auf dem Höhepunkt der kaiserlichen Machtstellung 1548 verfügte Augsburger Interim sollte einen Ausgleich in der Glaubensfrage vorbereiten. Der Triumph der kaiserlichen Politik wurde jedoch zunichte gemacht, als sich die meisten Reichsfürsten gegen die Steigerung der kaiserlichen Macht erhoben und den Passauer Vertrag (1552) erzwangen. Nach dem Verzicht Karls V. auf die Leitung der deutschen Angelegenheiten wurde 1555 im Augsburger Religionsfrieden das Augsburg. Bekenntnis von König Ferdinand I. reichsrechtlich anerkannt. Die weltlichen Reichsstände (die Landesherren) - nicht die Untertanen - erhielten das Recht der freien Religionswahl (cuius regio, eius religio). Die geistlichen Fürstentümer wurden in ihrem Besitzstand gesichert (Reservatum ecclesiasticum). Damit war die religiöse Spaltung des Reiches rechtlich anerkannt.
Nach dem Augsburger Religionsfrieden wurde die lutherische Reformation erneut durch inneren dogmatischen Streit geschwächt (Konkordienformel). Zugleich gewann der Kalvinismus, in Oberdeutschland anknüpfend an auf Zwingli zurückgehende Tendenzen der frühen Reformation, auch in Deutschland unter der Bezeichnung »reformiert« an Einfluss. Im 16. Jahrhundert breitete sich die Reformation in ganz Europa aus. Die katholische Kirche leitete in Reaktion darauf und theologische Abgrenzung zu den Positionen der Reformation mit dem Konzil von Trient (1545-63) ihrerseits die Kirchenreform (katholische Reform) ein. Versuche, die Entwicklung umzukehren, hatten im Rahmen der Gegenreformation, deren blutigen Höhepunkt der Dreißigjährige Krieg (1618-48) bildete, in Teilen Deutschlands und Europas Erfolg (gewaltsam v. a. in Böhmen), erreichten jedoch ihr Hauptziel, die vollständige Rekatholisierung Europas, nicht. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen wurden 1648 mit dem Abschluss des Westfälischen Friedens beendet, in dem der Augsburger Religionsfriede erneut anerkannt und auf die Reformierten als die dritte christliche Konfession (neben Katholiken und Lutheranern) ausgedehnt wurde.
Außerhalb des Heiligen Römischen Reichs breitete sich die Reformation v. a. in Skandinavien und im Baltikum aus. 1536 führte der dänische Reichstag die lutherische Reformation als alleinige Staatsreligion ein. In Norwegen und Island setzte sich die Reformation im Laufe des 16. Jahrhunderts allmählich durch. In Schweden bildete sich nach dem Reichstag von Västerås (1527) eine lutherische Nationalkirche. Im schwedischen Finnland führte M. Agricola Mitte des 16. Jahrhunderts die Reformation ein; in Livland wurde sie seit 1554 gesichert. Starke Verbreitung fand die Reformation auch in Ungarn und Polen. In England erhielt sie in der Kirche von England eine eigene Prägung. Ein selbstständiger Typ entstand auch in der im 16. Jahrhundert nominell noch zum Reich gehörenden Schweiz durch Zwingli. Eine Phase der Stagnation in der Schweizer Reformation nach Zwinglis Tod 1531 wurde durch Calvin überwunden, der sie seit 1536 zunehmend prägte. Die vorherrschende Form der Reformation in West- und Nordwesteuropa (v. a. Niederlande und Schottland) wurde der Kalvinismus, der, wenn es ihm auch nicht gelang, Frankreich zu gewinnen (Hugenotten), im Gefolge der englischen und niederländischen kolonialen Expansion weltweite Verbreitung fand.
Die Reformation ist zusammen mit Renaissance und Humanismus Bestandteil eines allgemeinen Kulturwandels, der nicht nur das geistig-religiöse, sondern auch das wirtschaftlich-soziale und das politische Leben tief greifend veränderte. Die Reformation ist daher nicht allein von kirchlicher Bedeutung. Ihr entspricht die Überwindung der Uniformität mittelalterlichen Glaubens und Denkens hin zur Pluralität der nach der Wahrheit fragenden Kräfte, die letztlich ihre Konkretisierung in der Idee der Toleranz gefunden hat. Indem die Reformation in ihrer Konsequenz so zur Gewissensfreiheit führte und den Staat zwar noch als von Gott gesetzte, aber schon als von der geistlichen geschiedene Ordnung begriff (Zweireichelehre), hat sie maßgeblich zur Entwicklung des heutigen säkularen Staatsverständnisses und (v. a. im Kalvinismus und in den Freikirchen) zur Ausprägung freiheitlicher Verfassungsnormen beigetragen.
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
Christentum · Humanismus · Kirche
E. W. Zeeden: Die Entstehung der Konfessionen. Grundl. u. Formen der Konfessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe (1965);
G. Ritter: Die Neugestaltung Dtl.s u. Europas im 16. Jh. (Neuausg. 1967);
R. Wohlfeil: Einf. in die Gesch. der dt. R. (1982);
E. Iserloh: Gesch. u. Theologie der R. im Grundr. (31985);
H. A. Oberman: Die R. Von Wittenberg nach Genf (1986);
H. A. Oberman: Werden u. Wertung der R. Vom Wegestreit zum Glaubenskampf (31989);
R. van Dülmen: R. als Revolution. Soziale Bewegung u. religiöser Radikalismus in der dt. R. (Neuausg. 1987);
H.-J. Goertz: Pfaffenhaß u. groß Geschrei. Die reformator. Bewegungen in Dtl. 1517-1529 (1987);
R. Stupperich: Die R. in Dtl. (31988);
Das Jh. der R. in Sachsen, hg. v. H. Junghans (Berlin-Ost 1989);
H. Rabe: Reich u. Glaubensspaltung. Dtl. 1500-1600 (1989);
P. Blickle: Die R. im Reich (21992);
Heinrich R. Schmidt: Konfessionalisierung im 16. Jh. (1992);
Die R. in Dtl. u. Europa. Interpretationen u. Debatten, hg. v. H. R. Guggisberg u. a. (1993);
Handbook of European History 1400-1600. Late Middle Ages, Renaissance and Reformation, hg. v. T. A. Brady jr. u. a., 2 Bde. (Leiden 1994-95);
Humanismus u. Wittenberger R. Festgabe anläßlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae Philipp Melanchthon am 16. Februar 1997, hg. v. M. Beyer u. a. (1996);
H. Lutz: R. u. Gegenreformation (41997);
Bibliographie: K. Schottenloher: Bibliogr. zur dt. Gesch. im Zeitalter der Glaubensspaltung 1517-1585, 7 Bde. (1-21956-66).
Zeitschriften: Archiv für R.-Gesch. (1903 ff.);
Luther-Jb. (1919 ff.).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Reformation und Reich bis zum Augsburger Religionsfrieden 1555: Wenn du werest in deiner tauff ersoffen
Dänemark und Schweden in der frühen Neuzeit: Verfeindete Brüder
Heiliges Römisches Reich deutscher Nation (1495 bis 1618): Ohnmächtiger Riese
Luther: Von der Reform zur Reformation
Wycliffe und Hus: Vorboten der Reformation
Zwingli und Calvin
Reformation
Nachdem die Forderungen nach einer umfassenden Kirchenreform unerfüllt geblieben waren, löste Martin Luther 1517 mit den 95 Thesen über den Ablass (siehe auch Luther: Thesenanschlag und Kampfschriften) eine Reformbewegung aus, die den Rahmen der bestehenden Kirche innerhalb weniger Jahre sprengte. Sie wurde von zahlreichen Reformatoren in alle Teile Deutschlands und darüber hinaus getragen. Allerdings zeigte die Bewegung schon früh Spaltungstendenzen.
Das bedeutendste Zentrum der Reformation neben Wittenberg wurde zunächst Zürich, wo Ulrich Zwingli ab 1523 nicht nur die Kirchenordnung, sondern das ganze Gemeinwesen umgestaltete; nach seinem Tod wurde ab 1536 Genf unter Johannes Calvin zum protestantischen Musterstaat. Abgesehen von den Abweichungen von Luthers Lehre trug auch die unterschiedliche Kirchenentwicklung zur Entfremdung zwischen den beiden evangelischen Konfessionen bei. Diese wog umso schwerer, als sie die ohnehin schon gelockerten Bindungen der Schweiz an das Reich weiter schwächte.
Andere reformatorische Gruppen, die aber meist nur für kurze Zeit eine Rolle spielten, waren z. B. die sozialrevolutionär orientierten Zwickauer Propheten, zu denen Thomas Müntzer gehörte, und die Täufer, die die Erwachsenentaufe praktizierten. Eine vom Täufertum beeinflusste Gruppe gründete 1534 in Münster ein kurzlebiges »Königreich«, das ein gewaltsames Ende fand.
Die rasche Ausbreitung der Reformation wurde durch politische Faktoren begünstigt: Sah sich anfangs der Papst aus außenpolitischer Rücksicht auf den sächsischen Kurfürsten zur Zurückhaltung im Ketzerprozess gegen Luther genötigt, so wurde später Kaiser Karl V. immer wieder durch die politische Lage an der Bekämpfung der Reformation gehindert. Nachdem der Sieg der Landesherren im Bauernkrieg 1525 ihre Stellung erheblich gestärkt hatte, nahmen die evangelischen Reichsstände den Reichstagsbeschluss von Speyer 1526 (der die Religionsfrage bis zum erwarteten Konzil der Gewissensentscheidung der Reichsfürsten überließ) zum Anlass, in ihren Gebieten eine obrigkeitliche Kirchenordnung, das »landesherrliche Kirchenregiment«, aufzubauen. Nach kursächsischem Vorbild wurden Visitationen durchgeführt, das heißt, von den Landesherren eingesetzte Kommissionen prüften die Situation in den Gemeinden, veranlassten einheitliche Vorschriften für Gottesdienst, kirchliche Lehre, Schulunterricht und anderes und registrierten den Kirchenbesitz, den die Landesherren allerdings nicht immer für gemeinnützige Zwecke verwendeten.
Daneben setzte die politische Parteibildung der Konfessionen ein. Als Ferdinand I. auf dem Reichstag in Speyer 1529 den Beschluss von 1526 rückgängig zu machen versuchte, legten die Evangelischen eine »Protestation« vor, von der sie die Bezeichnung Protestanten erhielten. Im nächsten Jahr unterbreiteten die Lutheraner Karl V. in Augsburg eine Zusammenfassung ihrer Lehre, das Augsburger Bekenntnis, dem eine vom Kaiser akzeptierte »Confutatio« (= Widerlegung) entgegengestellt wurde. Da der Kaiser weiteren Widerstand in der Religionsfrage als Landfriedensbruch verurteilte, schlossen sich viele lutherische Reichsstände 1531 zur Verteidigung im Schmalkaldischen Bund unter Führung Hessens und Kursachsens zusammen. Nach mehrmaligem Aufschub - als Gegenleistung für protestantische Hilfe gegen die Türken - konnte Karl erst 1546 militärisch gegen die Schmalkaldener vorgehen, doch trotz deren vollständiger Niederlage war weder an eine Teilnahme der Protestanten an dem 1545 eröffneten allgemeinen Konzil noch an eine religiöse Kompromisslösung im Reich zu denken. Dem Herrschaftsanspruch des Kaisers widersetzten sich auch katholische Fürsten, sodass eine »Fürstenverschwörung« 1551/52 Karl zum Einlenken zwang. Der Augsburger Religionsfriede bestätigte 1555 die konfessionelle Spaltung Deutschlands.
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Re|for|ma|ti|on, die; -, -en [lat. reformatio = Umgestaltung, Erneuerung, zu: reformare, ↑reformieren]: 1. <o. Pl.> religiöse Erneuerungsbewegung des 16. Jahrhunderts, die zur Bildung der evangelischen Kirchen führte. 2. (bildungsspr. veraltend) Erneuerung, geistige Umgestaltung, Verbesserung: eine R. an Haupt und Gliedern.
Universal-Lexikon. 2012.