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Novelle
Erzählung in Prosaform; Änderungsgesetz

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No|vel|le1 〈[-vɛ̣l-] f. 19; Pol.〉 ergänzender od. ändernder Nachtrag zu einem Gesetz [<lat. novella „neu(erlassenes Gesetz)“]
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No|vel|le2 〈[-vɛ̣l-] f. 19; Lit.〉 von einem einzelnen, ungewöhnl. Ereignis handelnde, geradlinig sich steigernde, gedrängt berichtende Erzählung [<ital. novella „kleine Neuigkeit“ <lat.]

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No|vẹl|le, die; -, -n:
1. [ital. novella, zu lat. novellus, Vkl. von: novus, Novum] Erzählung kürzeren od. mittleren Umfangs, die von einem einzelnen Ereignis handelt u. deren geradliniger Handlungsablauf auf ein Ziel hinführt.
2. [lat. novella (lex) = neues (Gesetz)] (Politik, Rechtsspr.) Gesetz, das in einem ergänzenden od. abändernden Nachtrag zu einem bereits geltenden Gesetz besteht:
eine N. zum Bundesbaugesetz;
eine N. einbringen, verabschieden.

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I
Novẹlle
 
[italienisch novella, eigentlich »kleine Neuigkeit«, zu lateinisch novellus, Verkleinerung von novus »neu«], die, -/-n, Literatur: Erzählung meist in Prosa, seltener in Versform (Verserzählung), die eine »unerhörte Begebenheit« (Goethe) beziehungsweise »Neuigkeit« gestaltet. Im Gegensatz zu Märchen und Legende erzählt die Novelle ein real vorstellbares Ereignis mit einem zentralen Konflikt. Formal erfordert dies eine straffe, meist einsträngige und zielgerichtete Handlungsführung. Dabei rückt der Aufbau mit geraffter Exposition und klar herausgearbeiteter Wendung zum Unerwarteten die Novelle in die Nähe des Dramas, dessen »epische Schwester« sie nach T. Storm ist. Von der jüngeren Kurzgeschichte unterscheidet sich die Novelle v. a. durch ihre geschlossene Form, von Anekdote, Schwank und Kalendergeschichte durch kunstvollen Aufbau und Durchgestaltung, vom Roman durch die Konzentration auf ein Ereignis und den Einzelkonflikt bei Verzicht auf epische Breite und Ausgestaltung der Charaktere. Weitere typische Merkmale sind bestimmte Vorausdeutungstechniken wie Leitmotiv und Dingsymbolik. Häufig sind Novellen zu einem Zyklus vereint (Novellenkranz), der auch den gesellschaftlichen und geschichtlichen Bezugsrahmen für die Einzeltexte bilden kann (Rahmenerzählung). Diese aus der normativen Gattungspoetik des 18. und 19. Jahrhunderts stammenden Abgrenzungen werden allerdings im 20. Jahrhundert durch die literarische Praxis (v. a. seit dem Expressionismus) vielfach infrage gestellt.
 
 Geschichte
 
Die abendländische Novelle entstand im 13. Jahrhundert in der Toskana als Kunstform einer diese pointierte Erzählweise besonders schätzenden Gesellschaftsschicht. Die älteste volkssprachliche Novellensammlung »Il novellino« entstand Ende des 13. Jahrhunderts im Umkreis von Florenz; ihr folgte G. Boccaccio mit seinem Novellenzyklus »Il Decamerone« (entstanden 1348-53), der die Zyklenform für lange Zeit zum verbindliche Muster machte: in England für G. Chaucers »Canterbury tales« (entstanden um 1387 bis um 1400), in Frankreich für die »Cent nouvelles nouvelles« (entstanden 1456-67) und das »Heptameron« (herausgegeben 1559) der Margarete von Navarra. Etwas später wurden in Italien (M. Bandello) und Spanien (M. de Cervantes, »Novelas ejemplares«, 1613) eigenständige Varianten der Novellen ohne Rahmenform entwickelt. Von Boccaccio bis Cervantes haben sich in den romanischen Literaturen die Hauptarten der europäischen Novellen herausgebildet. Diese Vorbilder wurden von den anderen Literaturen übernommen, zum Teil abgewandelt. In Deutschland begann ihre Entwicklung mit Goethes »Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter« (1795). Der Zyklus lehnt sich mit der Rahmenerzählung noch an Boccaccio an, auch bei C. M. Wieland (»Das Hexameron von Rosenhayn«, 1805) wird das romanische Vorbild sichtbar. Modellhaft setzte Goethe seine Definition (die Novelle als »unerhörte Begebenheit«, so zu Eckermann 1827) in den Novellen literarisch um, die er in seine Romane »Die Wahlverwandtschaften« (1809) beziehungsweise »Wilhelm Meisters Wanderjahre« (1821-29) einflocht sowie in der »Novelle« (1828). Bereits bei H. von Kleist (u. a. »Das Erdbeben von Chili«, 1810) hatte die deutsche Novelle dramatische Spannung und sprachliche Präzision gewonnen. Für die Romantiker war sie die adäquate Form, um Außerordentliches und Fantastisches zu gestalten (so E. T. A. Hoffmann, »Die Serapionsbrüder«, 4 Bände, 1819-21). Aus dieser Tradition erwuchs die Blüte deutschsprachiger Novellistik im 19. Jahrhundert (u. a. bei J. von Eichendorff, Annette von Droste-Hülshoff, G. Keller, E. Mörike, A. Stifter, T. Storm, P. Heyse, C. F. Meyer), die sich bei aller Vielfalt an der goetheschen Definition orientierte. In den anderen europäischen Literaturen und in den USA kann die Grenze der Gattung schon im 19. Jahrhundert nicht so klar gezogen werden. Der Bogen novellistischen Erzählens spannt sich von den exotischen und historischen Novellen P. Mérimées und A. de Mussets zu den abenteuerlichen und unheimlichen Geschichten R. L. Stevensons und E. A. Poes, von den streng komponierten, schlicht-anrührenden Novellen A. S. Puschkins zu den psychologisch hellsichtigen G. de Maupassants und A. P. Tschechows. Auch erwies sich die Novelle als geeignet, eine in sich geschlossene Problematik in konzentrierter Form darzustellen (Künstlernovelle, Kriminalnovelle).
 
Im 20. Jahrhundert wird die Abgrenzung der Novelle von anderen Formen erzählerischer Prosa (Kurzroman, Erzählung, Kurzgeschichte, im angloamerikanischen Sprachraum Shortstory) immer schwieriger. In klassischer Form blieb sie in der deutschsprachigen Literatur erhalten. Ihr außergewöhnlich reiches Spektrum reicht hier von der traditionell gebauten Novelle W. Bergengruens und E. Wiecherts über die psychologisch vielschichtigen S. Zweigs zu den hochartifiziellen frühen Novellen T. Manns, die schon seine großen Romane vorwegnehmen. Auch in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts blieb die Gattung in der deutschsprachigen Literatur lebendig, so bei M. Walser, G. Grass, Anna Seghers, Barbara Frischmuth, F. Fühmann und C. Hein.
 
In Italien, der Heimat der Novelle, besann man sich im 20. Jahrhundert ebenfalls wieder auf die Novellenform: L. Pirandello und A. Moravia griffen in ihren Novellen auf den ursprünglichen Erzählgestus zurück.
 
Literatur:
 
W. Pabst: N.-Theorie u. N.-Dichtung (21967);
 
Theorie u. Kritik der dt. N. von Wieland bis Musil, hg. v. K. K. Polheim (1970);
 E. Auerbach: Zur Technik der Frührenaissance-N. in Italien u. Frankreich (21971);
 
N., hg. v. J. Kunz (21973);
 
Die frz. N., hg. v. W. J. Krömer (1976);
 J. Kunz: Die dt. N. im 20. Jh. (1977);
 J. Kunz: Die dt. N. im 19. Jh. (21978);
 J. Kunz: Die dt. N. zw. Klassik u. Romantik (31992);
 
Die roman. N., hg. v. W. Eitel (1977);
 J. H. Paine: Theory and criticism of the novella (Bonn 1979);
 B. von Wiese: N. (81982);
 K. A. Blüher: Die frz. N. (1985);
 H. Schlaffer: Poetik der N. (1993);
 T. Degering: Kurze Gesch. der N. Von Boccaccio bis zur Gegenwart (1994);
 H. Aust: N. (21995).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
 
Boccaccio und die Novelle
 
II
Novẹlle
 
[lateinisch novella (lex) »neues (Gesetz)«], Recht: staatsrechtlich die Änderung eines bestehenden Gesetzes in einzelnen Teilen (Gesetzesnovelle). Die Gesetzesänderung bedarf wegen des Vorranges des Gesetzes derselben Form wie das zu ändernde Gesetz. Der größte Teil der gesetzgebenden Tätigkeit der Parlamente besteht in der Novellierung bestehender Gesetze. Eine besonders umfangreiche Novellierung stellen Reformvorhaben dar, die zur vollständigen Neufassung einer Kodifikation führen. Von der Novelle ist die erstmalige Regelung eines Sachbereichs (z. B. das Multimediagesetz von 1997) zu unterscheiden.
 

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No|vẹl|le, die; -, -n [1: ital. novella, zu lat. novellus, Vkl. von: novus, ↑Novum; 2: lat. novella (lex) = neues (Gesetz)]: 1. Erzählung kürzeren od. mittleren Umfangs, die von einem einzelnen Ereignis handelt u. deren geradliniger Handlungsablauf auf ein Ziel hinführt: eine fesselnde N.; ein 2Band [mit] -n. 2. (Politik, Rechtsspr.) Gesetz, das in einem ergänzenden od. abändernden Nachtrag zu einem bereits geltenden Gesetz besteht: eine N. zum Bundesbaugesetz; eine N. einbringen, verabschieden; Derzeit bereiten bereits elf Bundesländer -n ihrer Ländergesetze vor (Handelsblatt 21. 8. 98, 4); wenn die N. erst zu Anfang des nächsten Jahres vorgelegt werden kann (Bundestag 188, 1968, 10150).

Universal-Lexikon. 2012.