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Föderalismus
Fö|de|ra|lis|mus [fødera'lɪsmʊs], der; -:
Organisation eines Bundesstaates, in der die Einzelstaaten relativ eigenständig sind:
eine Reform des Föderalismus fordern.

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Fö|de|ra|lịs|mus 〈m.; -; unz.〉 Streben nach einem Staatenbund od. Bundesstaat mit weitgehender Selbstständigkeit der Einzelstaaten; Ggs Unitarismus, Zentralismus [<lat. foedus „Treubund, Bündnis, Vertrag“]

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Fö|de|ra|lịs|mus , der; - [frz. fédéralisme]:
a) Streben nach Errichtung od. Erhaltung eines Bundesstaates mit weitgehender Eigenständigkeit der Einzelstaaten;
b) politisches Gestaltungsprinzip, das den Föderalismus (a) verwirklicht.

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Föderalịsmus
 
[französisch, zu lateinisch foedus, foederis »Bündnis«, »Staatsvertrag«] der, -, verfassungspolitische Bemühungen, die historisch-politische, weltanschaulich-kulturelle, sozioökonomische und ethnische Vielfalt eines Gemeinwesens im Einzelnen und seinen Anspruch als Staatsganzes auszubalancieren und gegenseitig zu sichern (»Einheit in der Vielfalt«, »Vielheit in der Einheit«). Es entstehen dabei v. a. zwei Grundformen des Staates: der Bundesstaat und der Staatenbund (Bundesstaat).
 
Vom theoretischen Ansatz her lassen sich verschiedene definitorische Aspekte des Föderalismus hervorheben: 1) Die entscheidenden Aufbauelemente des Staates (Gesetzgebungs-, Regierungs- und Rechtsprechungsorgane) sind sowohl im Gesamtstaat als auch jeweils in Gliedstaaten (Bundesländern, Kantonen) vorhanden. 2) Bei der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und Hoheitsrechte sind die Funktionen zwischen Gesamtstaat und Teilstaaten so verteilt, dass jede staatliche Ebene in bestimmten ihr verfassungsmäßig zugewiesenen Aufgabenbereichen endgültige Entscheidungen treffen kann. 3) Über die Föderalisierung der Staatsorganisation hinaus besteht eine weitgehende Autonomie kleiner gesellschaftlicher Gruppen oder Einheiten. - Die territoriale Aufgliederung der Gesellschaft - unabhängig von ihrem politischen Aufbau - nach ethnischen, soziokulturellen und historischen Gesichtspunkten mit entsprechenden Sonderrechten für einzelne Gruppen zeigt stärker Erscheinungsformen des Regionalismus. Darüber hinaus ist der Föderalismus auch vom Partikularismus zu unterscheiden. Gesellschaftspolitisch gesehen ist der Föderalismus ein starkes Element des Pluralismus.
 
Das Ziel des Föderalismus kann zum einen die Integration der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen eines Staates, zum anderen (besonders in größeren Staaten) die Auffächerung der Machtbefugnisse durch eine vertikale (d. h. von »oben« nach »unten« gerichtete) Gewaltenteilung im Staat sein. Der Integrationsgedanke ist der historisch ältere Aspekt des Föderalismus und wurzelt in der Föderalismustheorie der Aufklärungszeit und des 19. Jahrhunderts; er geht von der geschichtlich gewachsenen Eigenart ursprünglich selbstständiger, nun in einem größeren Staatsganzen eingegliederter Gebiete aus und möchte einen Ausgleich schaffen zwischen der Gleichheit der Lebensbedingungen aller Bürger des Gesamtstaates einerseits und dem Recht der Regionen und seiner Bewohner auf ihre geschichtliche Identität andererseits.
 
Im 20. Jahrhundert gewann der Föderalismus einen zusätzlichen Aspekt: die Stärkung des parlamentarisch-demokratischen Regierungssystems durch Ausstattung regionaler Untergliederungen des Staates mit Machtbefugnissen eigenen Rechts. Die Einbeziehung föderativer Elemente in den parlamentarisch-demokratischen Staat soll der Opposition (im Gesamtstaatsrahmen) die Regierungsgewalt auf Gliedstaatsebene ermöglichen und so ihrem Gestaltungswillen eine Gelegenheit zu seiner Verwirklichung geben. Föderalismus in diesem Sinne will die politische Mitgestaltung (»Partizipation«) des Bürgers ganz allgemein erhöhen und vervielfältigen und die Möglichkeiten zur Durchsetzung unterschiedlicher politischer Ziele und gesellschaftlicher Interessen (wie sie in Parteien, Gewerkschaften und Verbänden zum Ausdruck kommen) verbessern. Mit der Verteilung der Machtausübung und Entscheidungsfindung auf verschiedenen Ebenen verteilen sich Erwartungen, gegebenenfalls auch Unmutspositionen in der Bevölkerung auf verschiedene Adressaten.
 
Die ökonomische Theorie des Föderalismus hat aus den gesamtwirtschaftlichen Zielen der Wirtschafts- und Finanzpolitik Kriterien für eine zweckmäßige Verteilung der öffentlichen Aufgaben auf die verschiedenen Ebenen eines Gemeinwesens entwickelt. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz: Die Aufgaben sind so zu verteilen beziehungsweise die zuständige Körperschaft muss so groß sein, dass der Kreis der Nutznießer mit dem der Kostenträger und der Abstimmungsberechtigten identisch ist und keine Unter- oder Überversorgung einzelner Regionen entstehen kann.
 
Geschichte:
 
Der Föderalismus entwickelte sich unter höchst unterschiedlichen historischen Bedingungen zu einem wesentlichen Element der Verfassungs-Struktur der USA und (unter ihrem Einfluss) mehrerer lateinamerikanischen Staaten (z. B. Argentiniens, Brasiliens) sowie Kanadas und des Australischen Bundes. In Europa hat besonders der deutschsprachige Raum eine starke föderalistische Tradition hervorgebracht. In Deutschland bildete er im Spannungsfeld von Partikularismus und Unitarismus unterschiedliche Modelle des staatlichen Zusammenschlusses heraus, so in der Verfassung des »Deutschen Bundes« (Wiener Schlussakte, 8. 7. 1820), des Deutschen Reiches vom 16. 4. 1871, der Weimarer Republik und dem Grundgesetz. In der Weimarer Reichsverfassung vom 11. 8. 1919 traten jedoch die föderalistischen Elemente hinter den unitarischen stark zurück.
 
In Österreich entstand aufgrund der Verfassung von 1920 ein schwach ausgeprägtes bundesstaatliches Gebilde. Wirtschaftliche und soziologische Gründe führten bis zur föderalismusfreundlichen Verfassungsnovelle 1974 zu einer zunehmenden Zentralisierung. Ein v. a. in den westlichen Bundesländern wieder erwachtes Föderalismusbewusstsein hat zu weiteren Verfassungsnovellen geführt, die in einzelnen Punkten sowohl die Kompetenzen der Länder als auch die Stellung des Bundesrates stärkten. Eine für 1994 geplante Bundesstaatsreform scheiterte.
 
Die Schweiz, ursprünglich ein loser Bund von Kantonen, wurde in napoleonischer Zeit zunächst ein Einheitsstaat (Helvetische Republik, 1798), dann ein Staatenbund (1803). Nach dem »Sonderbundskrieg« (1847) entwickelte sie sich mit der Verfassung von 1848 zum Bundesstaat. Seit der Verfassung von 1874 ist eine erhebliche Zunahme der Bundeskompetenzen festzustellen. Der Verfassungsentwurf von 1977 ist u. a. wegen seiner zentralistischen Tendenzen auf Ablehnung gestoßen. Im Zuge der europäischen Integration werden aber weitere Einschränkungen der kantonalen Zuständigkeiten unerlässlich sein.
 
Literatur:
 
H.-O. Binder: Reich u. Einzelstaaten während der Kanzlerschaft Bismarcks 1871-1890. Eine Unters. zum Problem der bundesstaatl. Organisation (1971);
 F. Koja: Entwicklungstendenzen des österr. F. (Sankt Pölten 1975);
 L. Neidhart: F. in der Schweiz (Zürich 1975);
 K. Frey: Konstruktiver F. (1976);
 
F. als Partnerschaft. Interdependenz u. Autonomie im Bundesstaat, hg. v. M. Frenkel (Bern 1977);
 J. Theiler: F., Voraussetzung oder Ergebnis rationaler Politik? Zur ökonom. optimalen Struktur kollektiver Entscheidungsverfahren (ebd. 1977);
 
F., Bauprinzip einer freiheitl. Grundordnung in Europa, hg. v. K. Assmann (1978);
 M. Dreyer: F. als ordnungspolit. u. normatives Prinzip (Bern 1987).
 

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Fö|de|ra|lịs|mus, der; - [frz. fédéralisme]: a) Streben nach Errichtung od. Erhaltung eines Bundesstaates mit weitgehender Eigenständigkeit der Einzelstaaten; b) politisches Gestaltungsprinzip, das den ↑Föderalismus (a) verwirklicht.

Universal-Lexikon. 2012.