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Seide
Sei|de ['zai̮də], die; -, -n:
1. aus dem Gespinst des Seidenspinners (dem Kokon) gewonnene Faser:
chinesische Seide.
2. Stoff aus Seide (1):
ein Kleid aus [echter, reiner, blauer] Seide.
Syn.: Taft.
Zus.: Ballonseide, Fallschirmseide, Kunstseide, Naturseide.

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Sei|de 〈f. 19
1. sehr feiner, dünner Faden vom Kokon der Seidenspinner (Natur\Seide) od. aus Zellstoff künstlich hergestellt (Kunst\Seide)
2. glänzendes, feines Gewebe aus diesem Faden
3. Schmarotzerpflanze aus der Familie der Windengewächse mit chlorophyllfreiem, blattlosem, windendem Stängel: Cuscuta; Sy Hexenzwirn
● echte, reine \Seide; wilde \Seide = Eichenseide; mit \Seide handeln; sie hat Haar wie \Seide; eine Haut weich wie \Seide [<mhd. side <ahd. sida <mlat. seta, frz. soie]

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Sei|de; DIN-Kurzzeichen: SE; Syn.: Maulbeerseide: eine natürliche Proteinfaser aus 70–80 % Fibroin u. 20–30 % hartem, rauem Sericin; Letzteres (Seidenbast, -gummi, -leim) kann durch Entbasten beseitigt werden.

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Sei|de , die; -, -n [mhd. sīde, ahd. sīda < mlat. seta, H. u.]:
a) sehr feine, dünne Fäden vom Kokon des Seidenspinners:
chinesische S.;
Garne, Stoffe aus [echter, reiner] S.;
b) feines Gewebe aus Seide (a):
schillernde, schwere, bedruckte S.;
S. sollte man nur von Hand waschen.

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I
Seide
 
[althochdeutsch sīda, von mittellateinisch seta, vielleicht von lateinisch saeta Serica »serisches Haar« (nach den Serern, die von den Römern und Griechen mit den Chinesen identifiziert wurden)], im weiteren Sinn aus Spinndrüsen von Gliederfüßern austretendes, proteinhaltiges Sekret, das an der Luft sofort erhärtet und sich zu einem hauchdünnen Faden ausziehen lässt. Bei vielen Schmetterlingsraupen sind die paarigen Speicheldrüsen zu solchen Spinndrüsen umgewandelt, die unpaar auf einem Zapfen der Unterlippe (Labium) einmünden. Im engeren Sinn die Maulbeerseide oder echte Seide, die von den Raupen des Maulbeerseidenspinners (Seidenspinner) beim Verpuppen erzeugt wird.
 
 Gewinnung
 
Von den länglichen, zum Teil etwas eingeschnürten Kokons (30-40 mm lang, 15-20 mm Durchmesser) des Maulbeerseidenspinners wird der Seidenfaden abgehaspelt. Ein Kokon ist aus etwa 3 000-4 000 m Faden aufgebaut; davon sind etwa 700-1 000 m der Mittelschicht abhaspelbar, da die äußere wirre Fadenschicht (Flockseide) sowie die innere Schicht keinen regelmäßigen Faden liefern. Für 1 kg Rohseide benötigt man ungefähr 7-9 kg getrocknete Kokons. Vor dem Abhaspeln wird die Puppe im Kokon durch heiße Luft (etwa 60 ºC) getötet, um ein Schlüpfen des Schmetterlings und damit die Zerstörung des Kokonfadens zu vermeiden. Die Kokons werden in heißem Wasser eingeweicht und durch Schlagen mit Reisigbesen oder, mechanisiert, mit rotierenden Bürsten von der äußeren wirren Faserschicht befreit. Die gebürsteten Kokons kommen in die Seidenhaspel, wo drei bis acht Kokonfäden zusammengefasst, über Glaswalzen (Torta) gekreuzt und auf einem Haspelrahmen aufgehaspelt werden. Die gehaspelte Seide ist die Roh- oder Bastseide (weil noch mit dem Seidenleim behaftet). Die Rohseide sieht je nach Rasse der Seidenraupe weißlich, hell- oder dunkelgelb, orange oder grünlich aus. Sie kommt als Strang in Zopfform in den Handel.
 
Für die weitere Verarbeitung wird die Rohseide in einer heißen Seifenlösung vom Sericin befreit (degummiert, entbastet). Dadurch verliert sie etwa 25-30 % ihres Gewichts, erhält eine rein weiße Farbe, einen weichen Griff und einen schönen Glanz. Ganz entbastete Rohseide heißt Cuiteseide, unvollständig entbastete, nur weich gemachte Rohseide Soupleseide.
 
Zum Zwirnen werden die Rohseidenfäden vom Strang auf Spulen (Bobinen) gespult und gleichzeitig durch Fadenreiniger geführt, dann einzeln auf der Filiermaschine vorgedreht (filiert), zu mehreren Fäden zusammen auf eine Spule aufgewickelt (doubliert) und schließlich unter mehr oder weniger starker Drehung auf der Seidenmühle gezwirnt (mouliniert). Nach der Höhe der Drehung oder Zwirnung unterscheidet man Schussseide oder Trame (zwei bis vier Grègefäden ohne Filierung doubliert und mit 80-150 Drehungen/m mouliniert) und Kettseide oder Organsin (filierter Grègefaden zwei- bis dreifach dubliert und mit 450-1 000 Drehungen/m mouliniert).
 
Die Beschwerung (Erschwerung) der entbasteten Rohseide soll durch Einlagerung schwer löslicher Salze und Komplexverbindungen in den Faden den durch das Entbasten entstandenen Gewichtsverlust ausgleichen, um die Seide billiger und griffiger zu machen. Beim Beschweren wird die Seide (meist in Strangform, seltener als Gewebe) mehrmals mit Lösungen von Zinnsalzen (Zinntetrachlorid) und Phosphaten behandelt. Das in der Faser gebildete Zinnphosphat wird anschließend in komplexe Silikate übergeführt (Zinnphosphatsilikat-Erschwerung). Je nach Anzahl der Einzelbehandlungen erreicht man verschiedene Chargen (Menge der Beschwerungsmittel), die in Prozent auf das Gewicht der nicht entbasteten Seide (Parigewicht) bezogen werden. Die Werte liegen zwischen 20 und 100 % über Pari.
 
 Eigenschaften
 
Der Kokonfaden besteht aus zwei elliptischen oder dreieckig abgerundeten Fibroinfäden, die von einer scheinbar gemeinsamen weißen, gelblichen bis goldgelben oder auch grünliche Hülle aus Sericin umgeben sind. Die Dicke des Kokonfadens beträgt 18-30 μm, die des Fibroinfadens 8-15 μm; Feuchtigkeitsaufnahme bei 65 % relativer Luftfeuchte rd. 10 %; Dichte 1,35-1,37 g/cm3. Die Zugfestigkeit beträgt 400-700 N/mm2 (z. B. kann ein 18 μm dicker Faden mit 10-15 g belastet werden). Die relative Nassfestigkeit liegt bei etwa 85 % der Festigkeit im normalfeuchten Zustand. Die Reißdehnung beträgt normalfeucht 13-25 %. Wie alle Eiweißfasern ist die Seide empfindlich gegen die Einwirkung von Alkalien (besonders gegen heiße Lösungen), nicht aber gegen kalte, verdünnte Säuren.
 
Prüfung:
 
Beim Handel mit Rohseide wird das Handelsgewicht wegen des oft unterschiedlichen Wassergehaltes der Seide in Seidentrocknungs- oder Konditionieranstalten festgestellt; aus den Seidenballen werden mehrere Proben entnommen und in Trocknungsapparaten bei bis zu 140 ºC 20 Minuten lang getrocknet. Man erhält so das absolute Trockengewicht der Seide. Durch einen Zuschlag von 11 % (Handelszuschlag, Reprise) ergibt sich das Handelsgewicht der Rohseide. Eine andere wichtige Untersuchung ist die Titrierung, d. h. die Feststellung der Faserfeinheit der Seide.
 
 Andere Seiden
 
Als Wildseide oder wilde Seide werden die Gespinste wild lebender, nur selten gezüchteter Schmetterlingsarten Asiens und Afrikas bezeichnet. Deren Kokons sind meist schlecht abhaspelbar, die Einzelfäden sind stets breiter als die von Maulbeerseide (zwischen 40 und 100 μm; Querschnittsform meist flach keilartig) und von bräunlicher, schwer ausbleichbarer Farbe. Die wichtigste wilde Seide ist die Tussahseide von dem in Indien vorkommenden Tussahspinner Antheraea mylitta, dem in China lebenden Schmetterling Antheraea pernyi und dem in Japan heimischen Eichenspinner Antheraea yamamai; Verwendung als Florgarn für Plüsche, Velours und als Nähseide. Die Eriaseide stammt vom Rizinusspinner (Attacus ricini) aus Assam und anderen Landschaften Südasiens. Sie wird, da nicht abhaspelbar, in der Schappespinnerei verarbeitet. Der Eriaseide sehr ähnlich ist Ailanthusseide vom Ailanthusspinner (Philosamia cynthia) aus Indien und dem tropischen Ostasien. Die Fagaraseide stammt vom größten aller Schmetterlinge, dem in ganz Ostasien vorkommenden Atlasspinner (Attacus atlas). Seine Kokons sind nicht abhaspelbar.
 
 Wirtschaft
 
Größte Seidenproduzenten sind traditionell die ostasiatischen Staaten China, Indien und Japan. Ein weiterer Großproduzent ist Brasilien. Wegen der kulturellen Bedeutung von Seide (Kimonos) übersteigt deren Import in Japan den Export. In Europa weist Österreich mit 93 g Seide pro Einwohner den höchsten Verbrauch auf, gefolgt von der Schweiz mit 75 g, während Deutschland mit 47 g an siebter Stelle rangiert.
 
 Kulturgeschichte
 
Die Gewinnung und Verarbeitung von Seide ist in China seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. nachzuweisen. Die Legende schreibt die Idee, das Gespinst der Seidenraupe zu verweben, der chinesischen Kaiserin Xi Longshi, der Frau des Kaisers Huangdi (um 2640 v. Chr.), zu. In der Zhoudynastie wurde Seide als Zahlungsmittel verwendet.
 
Von China aus verbreitete sich die Seide über Korea nach Japan; um 300 v. Chr. gab es Seidenkulturen auch in Indien. Bereits in der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. ist, wie Funde belegen, chinesische Seide bis nach Mitteleuropa gelangt. Spätestens seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. und besonders in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten wurde chinesische Seide durch Zentral- und Mittelasien auf Handelswegen (Seidenstraßen) bis zum Mittelmeer und Schwarzen Meer exportiert. Im Westen war schon früher die gröbere Wildseide (Tussahseide) bekannt. Eine Beschreibung der Seidengewinnung vom Maulbeerseidenspinner gibt Aristoteles. Die Herkunftsgebiete lagen v. a. in Kleinasien (Kos) und Persien, das bereits unter den Sassaniden (224-651 n. Chr.) auch in der Verarbeitung von Kulturseide eine wichtige Rolle spielte. Handelsverbindungen führten nach Syrien und Ägypten, so ist die oberägyptische Stadt Antinoe (Antinupolis) ein bedeutender Fundort von Seidengeweben des 3.-7. Jahrhunderts. In Byzanz ist die Seidenweberei seit dem 4. Jahrhundert nachweisbar. Die Herstellung der kostbaren Stoffe war unter Kaiser Justinian I. streng reglementiert, doch stellten Versorgungsprobleme mit chinesischer Rohseide die kaiserlichen Werkstätte vor zunehmende Schwierigkeiten. Der von Prokopios überlieferte Bericht, nach dem im Jahr 552 von Justinian ausgesandte Mönche Eier der Seidenraupe von China nach Byzanz schmuggelten, findet hier seinen historischen Rückhalt, doch konnten neuere Forschungen darauf verweisen, dass die Mönche nicht erst in China, sondern wohl in Mittelasien, im Gebiet von Samarkand, fündig wurden, wo bereits im 5. Jahrhundert Rohseide gewonnen wurde. Auch in Zentralasien, in der Oase Hotan, war damals die Seidenraupenzucht bekannt.
 
In Spanien reicht die Herstellung von Seidengeweben zurück in die Zeit der arabischen Eroberungen. Seit dem 12. Jahrhundert gelangten spanische Seide über liturgische Gewänder in zahlreiche Kirchenschätze Mittel- und Westeuropas. Seide aus Almería wurde in der mittelalterlichen Dichtung zum Inbegriff kostbarer Gewebe und Kleider. Spanische Seiden beeinflussten auch die italienische Seidenweberei, die wohl im 12. Jahrhundert für Sizilien, seit dem 13. Jahrhundert für Lucca, Genua und Venedig nachweisbar ist. In der Folgezeit erreichten die nun führenden italienischen Seidenstoffe eine große Vielfalt an Mustern und Farbstellungen, ab der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts überwog das Granatapfelmuster. Ein neues Herstellungszentrum kam mit Florenz hinzu, ehe Italien im 16./17. Jahrhundert seine führende Stellung in der europäischen Seidenweberei allmählich an Frankreich abgab. Mit staatlicher Förderung entstanden bedeutende Manufakturen in Tours, Paris und Lyon.
 
Im 19. Jahrhundert ermöglichte der Einsatz des Jacquardwebstuhles die Maschinenweberei für die Herstellung selbst kompliziert gemusterter Seidengewebe. Weiter förderten neue Färbe- und Veredelungstechniken eine rasch zunehmende Produktion billiger Seidenstoffe, die in den Städten wie auf dem Land für Volkstrachten rege Abnahme fanden. Das ehemalige Luxusgewebe, für breiteste Schichten verfügbar geworden, war von nun an in seiner Nachfrage wie andere Modeartikel vom Zeitgeschmack abhängig.
 
Literatur:
 
Heinrich J. Schmidt: Alte S.-Stoffe (1958);
 P. Thornton: Baroque and Rococo silks (London 1965);
 
Europ. S.-Gewebe des 13.-18. Jh., bearb. v. B. Markowsky, Ausst.-Kat. (1976);
 B. Tietzel: Ital. S.-Gewebe des 13., 14. u. 15. Jh. (1984);
 M. Martiniani-Reber: Soieries sassanides, coptes et byzantines, 5.-11. siècles (Paris 1986);
 
S. Zur Gesch. eines edlen Gewebes, hg. v. E. Messerli, Ausst.-Kat. (Neuausg. 1986);
 I. Timmermann: Die S. Chinas. Eine Kulturgesch. am seidenen Faden (1986);
 L. von Wilckens: Die textilen Künste von der Spätantike bis um 1500 (1991);
 L. von Wilckens: Mittelalterl. S.-Gewebe (1992).
 
II
Seide,
 
Hexenseide, Kleeseide, Teufelszwirn, Cuscuta, Gattung der Windengewächse mit etwa 145 kosmopolitischen Arten; chlorophyllfreie, windende Vollparasiten mit oft prächtig gefärbten, fädigen Arten, die mithilfe ihrer Haustorien an anderen Pflanzen haften; verursachen v. a. auf Lein, Klee und Hopfen durch oft massenhaftes Auftreten großen Schaden. In Mitteleuropa häufig ist die Hopfenseide (Nesselseide, Cuscuta europaea), die auf Hopfen, Weide und Brennnessel schmarotzt; mit roten Stängeln und rötlichen Blüten in dichten Knäueln. Auf Flachs schmarotzt die Flachsseide (Cuscuta epilinum); Sprosse windend, gelblich, scheinbar blattlos, mit Saugorganen; Blüten klein, gelblich weiß, krugförmig, zu köpfchenartigen, sitzenden Büscheln zusammengedrängt; Flachspflanzen sterben nach Befall vorzeitig ab.
 

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Sei|de, die; -, -n [mhd. sīde, ahd. sīda < mlat. seta, H. u.]: a) sehr feiner, dünner Faden vom Kokon eines Seidenspinners: chinesische S.; ... studierte ich dann die Karte: „Emile Descendre, -n en gros“ (Seghers, Transit 197); Garne, Stoffe aus [echter, reiner] S.; der Stoff, die Bluse ist [aus] 50 % S. und 50 % Leinen; b) feines Gewebe aus ↑Seide (a): schillernde, schwere, rote, bedruckte S.; S. sollte man nur von Hand waschen; das Kleid ist aus S.; die Jacke ist auf, mit S. gefüttert; Lucile ... war, in einem lichten Nachtgewand, von weißer S. umflossen (Zuckmayer, Herr 90).

Universal-Lexikon. 2012.