Ste|reo|pho|nie 〈f. 19; unz.〉 = Stereofonie
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I Stereophonie,
Stereofonie [zu griechisch phone̅́ »Ton«, »Stimme«] die, -, die Übertragung von Sprache und Musik, bei der durch Verwendung von mehreren, meist zwei Übertragungskanälen ein plastischer Eindruck von der räumlichen Verteilung mehrerer Schallquellen (z. B. der Instrumente eines Orchesters) und der akustischen Wirkung des Aufnahmeraumes vermittelt wird.
Höchste Originaltreue wird mit kopfbezogener Stereophonie erreicht. Am Aufnahmeort werden zwei Mikrofone an die Stellen der Ohren einer Kopfnachbildung (Kunstkopfstereophonie) gesetzt. Werden die so aufgenommenen Schallsignale über zwei Kanäle mit den Muscheln eines Kopfhörers verbunden, entsteht für den Zuhörer der Eindruck, sich im Aufnahmeraum (z. B. Konzertsaal) zu befinden.
Bei raumbezogener Stereophonie versucht man, das Schallfeld des Aufnahmeraumes über Lautsprecher in den Wiedergaberaum zu vermitteln. Zu diesem Zweck werden so viele Mikrofone im Aufnahmeraum verteilt aufgestellt, wie Übertragungskanäle vorhanden sind (AB-Verfahren). Die Laufzeitunterschiede des Schalls, die zwischen den Mikrofonen entstehen, werden übertragen (Laufzeitstereophonie). Die Anordnung der Lautsprecher muss der der ihnen zugeordneten Mikrofone entsprechen. Diese Art der Stereophonie ist besonders für stereophone Wiedergabe bei Breitwandfilmen geeignet (drei bis neun Kanäle). Bei Einschränkung auf zwei Kanäle werden zwei Mikrofone links und rechts vor dem Orchester aufgestellt (Ambiophonie, Quadrophonie).
Bei der Rundfunkübertragung, die auch einkanalige Wiedergabe (mit Monogeräten) erlauben muss, wird über den Hauptkanal (Mittenkanal M, Summenkanal) die gesamte Information für monophone Wiedergabe und über den Seitenkanal Süden (Richtungs-, Differenzkanal) die zusätzliche, den Richtungseindruck vermittelnde Information für stereophone Wiedergabe übertragen.
Zur Gewinnung des Mittensignals M und des Seitensignals S werden bestimmte Mikrofonarten und -anordnungen verwendet. Beim MS-System wird das M-Signal von einem Mikrofon mit Kugelcharakteristik und das S-Signal von einem Mikrofon mit Achtercharakteristik, die beide übereinander angeordnet sind, geliefert (Intensitätsstereophonie). Beim XY-System liefern zwei entgegengesetzt ausgerichtete, übereinander angeordnete Mikrofone mit nierenförmiger (kardioidenförmiger) Charakteristik ein Linkssignal X und ein Rechtssignal Y, aus denen durch elektronische Summen- und Differenzbildung das M- und S-Signal gewonnen werden. In der Rundfunk- und Phonotechnik werden beide Systeme angewendet.
Auf der Empfangsseite wird für Monowiedergabe nur das M-Signal ausgewertet, während für Stereowiedergabe nach den Gleichungen L = M + S und R = M — S das linke Signal L und das rechte Signal R für die Lautsprecher zurückgewonnen werden.
Zur Rundfunkübertragung der beiden Kanäle M und S mittels derselben Trägerfrequenz (wegen des großen Frequenzbedarfs nur im UKW-Bereich möglich) wird ein Multiplexsystem, das Pilottonverfahren, verwendet. Ein Hilfsträger von 38 kHz wird mit dem S-Signal bei unterdrücktem Träger amplitudenmoduliert, mit diesem wird dann der Hauptträger zugleich mit dem M-Signal und einer Pilotfrequenz von 19 kHz frequenzmoduliert, aus der empfängerseitig der Hilfsträger von 38 kHz zurückgewonnen wird. Ein Decoder bildet aus dem M- und S-Signal das L- und das R-Signal. - Hörfunkstereophonie ist auch auf die Tonübertragung beim Fernsehen (Stereofernsehempfänger) ausgedehnt worden. Auf Schallplatten wird das M-Signal in Seitenschrift, das S-Signal in Tiefenschrift aufgezeichnet, was gleichbedeutend mit der Aufzeichnung des L- und R-Signals auf den beiden um 45º gegen die Vertikale geneigten Rillenflanken ist. Auf Ton- und Videobändern werden L- und R-Signal in zwei Spuren aufgezeichnet, auf Compactdiscs digital abgespeichert.
Unter sinnesphysiologischem und -psychologischem Aspekt wird das akustische Raumerleben auf der Voraussetzung des binauralen Hörens durch das Richtungshören und das Entfernungshören bewirkt.
II
Stereophonie,
ursprünglich mehrkanalige Tonsignalübertragung zur Vermittlung eines plastischen und räumlich verteilten Klangbildes. Da aber eine räumliche Wiedergabe bereits mit nur zwei Lautsprechern simuliert werden kann, wurde Stereophonie die Bezeichnung für ein zweikanaliges Aufnahme, Übertragungs- und Wiedergabeverfahren, bei dem beide Kanäle gleiche Signale, aber mit Intensitäts- und Laufzeitunterschieden enthalten. Darin besteht zugleich der Unterschied zu dem anderen zweikanaligen Verfahren, bei dem jeder Kanal unterschiedliche Tonsignale überträgt.
Wenn zwei in üblicher Weise aufgestellte Lautsprecher zur selben Zeit dieselben Signale abstrahlen, scheint sich die Schallquelle in der Mitte zwischen beiden Lautsprechern zu befinden. Diese fiktive Schallquelle (Phantomschallquelle) lässt sich in Richtung jenes Lautsprechers verschieben, der das Tonsignal etwas eher oder mit größerer Lautstärke wiedergibt. Auf diese Weise kann die gesamte Basis ausgefüllt werden. Sind Laufzeitunterschiede des auf beide Ohren treffenden Schalls für das Richtungsempfinden maßgebend, spricht man von Laufzeitstereophonie, im Gegensatz zur Intensitätsstereophonie, wo Pegelunterschiede den stereophonen Eindruck bestimmen. Stereophone Aufnahmen lassen sich mit einem Stereomikrofon, mit einem distanzierten Mikrofonpaar oder mit richtungsgeregelten Einzelmikrofonen durchführen (Mikrofon). Diese Möglichkeiten werden in der Praxis häufig kombiniert. Ein Stereomikrofon, auch Koinzidenzmikrofon genannt, hat zwei gegeneinander verdrehbare Kapseln mit umschaltbarer Richtcharakteristik. Jede Kapsel speist einen Kanal. Die Richtungsinformationen ergeben sich aus den Intensitätsunterschieden der beiden Kanäle. Sie entstehen, weil der Hauptempfangsbereich der beiden Mikrofonsysteme (Nierencharakteristik) wegen des eingestellten Winkels zueinander in verschiedene Richtungen zeigt.
Das erste System bevorzugt den von der linken, das andere den von der rechten Seite eintreffenden Schall. Die Bezeichnung für diese Art der stereophonen Übertragung ist XY-Stereophonie. Wenn dagegen eine Kapsel mit Kugel- oder Nierencharakteristik ein Mittensignal (M-Signal) und die um 90 Grad gedrehte zweite Kapsel mit Achtercharakteristik ein Seitensignal (S-Signal) liefert, handelt es sich um MS-Stereophonie.
Es ist möglich, mit Stereoumsetzern (z. B. Differenzialübertrager) auf elektrischem Wege XY-Signale in MS-Signale und umgekehrt MS-Signale in XY-Signale umzuwandeln. Werden statt eines Stereomikrofons zwei gleiche Mikrofone in einem gewissen gegenseitigen Abstand für Stereoaufnahmen verwendet, entstehen hauptsächlich Laufzeitdifferenzen. So erreicht der Schall von der linken Seite eines Klangkörpers das linke Mikrofon eher als das rechte. Da ihn der linke Lautsprecher auch eher wiedergibt, wird die Schallquelle an entsprechender Stelle links geortet. Bei diesem auch AB-Technik genannten Verfahren ist die Mittenabbildung problematisch; oft erscheint klanglich ein »Loch« in der Mitte. Als Kombination von Intensitäts- und Laufzeitstereophonie kann die OSS-Technik angesehen werden (OSS = optimales Stereosignal). Zwei Mikrofone mit Kugelcharakteristik sind im Ohrabstand von 16 cm angeordnet, zwischen ihnen befindet sich eine mit Dämmaterial versehene Scheibe mit einem Durchmesser von 30 cm. Aufnahmen mit der »Scheibe« vermitteln einen sehr natürlichen Raumeindruck. Sie haben außerdem im Gegensatz zu Kunstkopfaufnahmen den Vorzug, für Kopfhörer und für Lautsprecherwiedergabe geeignet zu sein.
Der Kunstkopf ist in seinen wichtigsten Abmessungen dem menschlichen Kopf nachgebildet. Dort, wo sich die Trommelfelle befinden würden, sind Mikrofone eingesetzt. Beim Hören von Kunstkopfaufnahmen (nur über Kopfhörer) fühlt sich der Hörer in den Aufnahmeraum versetzt: eine Illusion, zu der andere, von Lautsprechern wiedergegebene Stereoaufnahmen nicht führen.
Alle bisher beschriebenen Verfahren dienen dazu, in sich stimmige, ausgewogene Klangkörper aufzunehmen und die räumlichen Gegebenheiten des Aufnahmesaales weitgehend einfließen zu lassen. Von entscheidender Bedeutung ist der Standort der Hauptmikrofone (Stereomikrofon, distanziertes Mikrofonpaar, OSS-Anordnung, Kunstkopf). Die Möglichkeiten klanglicher Beeinflussung und technischer Manipulation sind gering. Dieser Nachteil entfällt, wenn einzelnen Instrumenten oder Instrumentengruppen Mikrofone zugeordnet werden. Die Polymikrofonie ist sogar erforderlich bei Aufnahmen von unausgeglichenen Klangkörpern oder in ungünstigen Räumen. Die von den einzelnen Mikrofonen stammenden einkanaligen Signale können beliebig bearbeitet (z. B. gefiltert, verhallt) und anschließend in einem Stereoklangbild zusammengefügt werden, indem mittels einer speziellen Spannungsteilerschaltung (Richtungsmischer bzw. Panpot am Mischpult) jedes Einzelsignal auf beide Stereokanäle verteilt wird. Das Teilungsverhältnis bestimmt die Richtung. Signale mit geringem oder ohne Übersprechanteil kann man in beliebiger Richtung abbilden und auch effektvoll nach der einen oder anderen Seite wandern lassen (Panoramaeffekt).
Die Geschichte der Stereophonie reicht bis ins vorige Jahrhundert zurück (1881 wurden im Rahmen der »Ersten Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung« in Paris Opernaufführungen mittels Telefontechnik stereophon übertragen). Die erste brauchbare stereophone Schallplattenaufnahme gelang 1935 der Bell Phone Company (Washington). Aber erst mit der Entwicklung und qualitativen Verbesserung der Langspielplatte in den Fünfzigerjahren konnte sich das bereits 1931 von dem englischen Ingenieur Alan Dower Blumlein erfundene Stereoaufzeichnungsverfahren (Flankenschrift) international durchsetzen. Die erste stereophone Langspielplatte, eine Aufnahme von Tschaikowskys »Nussknackersuite«, stammt aus dem Jahr 1956 von der amerikanischen Plattengesellschaft Mercury. Der Rundfunk begann mit der Ausstrahlung von Stereosendungen auf UKW Anfang der Sechzigerjahre. Die ständige Verbesserung der Übertragungstechnik (HiFi) stellt höhere Ansprüche an das musikalische Material. So ist vor allem im Bereich der Popmusik eine deutliche Entwicklung zu sehen — vom Spielen mit stereophonen Effekten bis hin zum Einsatz der Stereophonie als Mittel zur bewussten Ausdrucksgestaltung (z. B. Beatles, »I Am The Walrus«, 1967) und dem Experimentieren mit Quadrophonie (z. B. Livekonzerte von Pink Floyd Ende der Sechzigerjahre bis hin zu den »The Wall«-Konzerten 1980).
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Ste|reo|pho|nie, die; - [engl. stereophony, zu: stereophonic, ↑stereophon]: elektroakustische Schallübertragung über zwei od. mehr Kanäle, die einen räumlichen Klangeffekt entstehen lässt.
Universal-Lexikon. 2012.