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Goebbels
Goebbels
 
['gœ-],
 
 1) Heiner, Komponist, Hörspiel- und Theatermusiker, * Neustadt an der Weinstraße 17. 8. 1952; studierte Soziologie und Schulmusik in Freiburg im Breisgau und Frankfurt am Main. Er spielte im »Sogenannten Linksradikalen Blasorchester«, im Duo mit dem Saxophonisten Alfred Harth und in der Rockgruppe »Cassiber«. In den 1980er-Jahren entstanden zahlreiche Schauspielmusiken sowie die Hörstücke »Verkommenes Ufer« und »Prometheus« nach Texten von Heiner Müller. Seit 1988 komponierte er Kammermusik für das Ensemble Modern (»Red Run«, »Befreiung«, »La Jalousie«) und seit 1994 auch Orchesterwerke, die stets der angewandten Ästhetik des Theatermusikers gehorchen. In den massig und blockhaft instrumentierten »Surrogate Cities« (1994), einer Art musikalischer Stadtporträts, stehen improvisierende Stimmkünstler klassisch ausgebildeten Sängern gegenüber. 1999 wurde Goebbels Professor am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Universität Gießen.
 
 2) Paul Joseph, Politiker, * Rheydt (heute zu Mönchengladbach) 29. 10. 1897, ✝ (Selbstmord) Berlin 1. 5. 1945; aus katholischem Elternhaus stammend, studierte u. a. Germanistik; zunächst erfolgloser Schriftsteller, wurde er 1924 Redakteur in Elberfeld sowie Mitglied der NSDAP und gehörte dem (»sozialistischen«) Kreis um G. Strasser an, in dessen Auftrag er die »Nationalsozialistischen Briefe« (ab Oktober 1925 bis 1927) leitete. Nach dem Einschwenken auf A. Hitler wurde er von diesem 1926 zum Gauleiter der NSDAP von Berlin-Brandenburg ernannt und erhielt den Auftrag, das »rote« Berlin für die NSDAP zu »erobern«. Hier gab er 1927-35 das Kampfblatt »Der Angriff« heraus.
 
Seit 1928 Mitglied des Reichstags, seit 1929 Reichspropagandaleiter der NSDAP, entfaltete Goebbels seine demagogisch-agitatorischen Fähigkeiten (v. a. systematischer Einsatz von Rundfunk und Film). Am 13. 3. 1933 von Hitler zum Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda ernannt, gab Goebbels täglich Presseanweisungen; auch als Leiter der Reichskulturkammer (seit September 1933) beherrschte er durch Gleichschaltung aller Massenmedien und durchdringende Kontrolle weitestgehend das geistige und kulturelle Leben in Deutschland (Presse, Rundfunk, Film, Literatur, Musik und Kunst). Gestützt auf einen von ihm aufgebauten Propagandaapparat, trat Goebbels mit besonderer demagogischer Rhetorik, mit geschickten Manipulationen (z. B. Schüren des Judenhasses oder antipolnischer Ressentiments) und mit Zynismus als Einpeitscher der nationalsozialistischen Ideologie und ihres pseudoreligiösen Führerkults hervor (späterer Höhepunkt: Rede im Berliner Sportpalast, 18. 2. 1943, Aufruf zum »totalen Krieg«); er war am 9./10. 11. 1938 maßgeblich an der Inszenierung der Judenpogrome (»Reichskristallnacht«) beteiligt.
 
Wegen privater Affären vorübergehend (1938) bei Hitler in Ungnade gefallen, gewann Goebbels 1939 - nach Kriegsbeginn - seine einflussreiche Stellung zurück. Seit Mai 1940 bestimmten seine Leitartikel die Linie der von ihm herausgegebenen Zeitschrift »Das Reich«, in der er sich mit einer in ihrer Struktur raffinierten Propaganda an die gebildeten Schichten wandte (Beschwörungen des »Endsiegs«, Andeutung von »Wunderwaffen«, einer »Alpenfestung« und Ähnlichem). Während des Aufstandsversuchs vom Zwanzigsten Juli 1944 gelang es ihm, die Entwicklung der Ereignisse für das NS-Regime positiv zu wenden.
 
Ab 22. 7. 1944 »Reichsbevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz« und später auch »Stadt-Präsident« von Berlin, suchte Goebbels noch im März/April 1945 die Illusion des »Endsiegs« propagandistisch wach zu halten. Von Hitler am 29. 4. 1945 testamentarisch zum Nachfolger als Reichskanzler ernannt, ermordete er wenige Stunden nach dessen Tod seine sechs Kinder und nahm sich gemeinsam mit seiner Frau Magda Goebbels (* 1901; Ȋ 1931) das Leben. - Goebbels war neben Hitler und H. Himmler einer der Hauptverantwortlichen für die nationalsozialistischen Verbrechen. - Nach 1990 beziehungsweise 1992 (Abkommen mit der Verwaltung russischer Archive) wurden bisher unbekannte Teile seiner Tagebücher (schon 1948, 1960 und 1977 als Fragmente herausgegeben) entdeckt und durch das Institut für Zeitgeschichte sowie das Bundesarchiv als bedeutende Quellen zur Erforschung des Nationalsozialismus publiziert.
 
Schriften: Kampf um Berlin. Der Anfang (1932); Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei. Eine historische Darstellung in Tagebuchblättern (1934).
 
Ausgaben: Tagebücher 1945. Die letzten Aufzeichnungen, Einführung von R. Hochhuth (Neuausgabe 1980); Die Tagebücher. Sämtliche Fragmente. Teil 1: Aufzeichnungen 1924 bis 1941, herausgegeben von E. Fröhlich, 4 Bände und Registerband (1987); Tagebücher 1924-1945, herausgegeben von R. G. Reuth, 5 Bände (21992); Die Tagebücher, Teil 2: Diktate 1941-1945, herausgegeben von E. Fröhlich, auf 15 Bände und Registerband berechnet (1993 folgende).
 
Literatur:
 
U. Nill: Die »geniale Vereinfachung«. Anti-Intellektualismus in Ideologie u. Sprachgebrauch bei J. G. (1991);
 H. Fraenkel u. R. Manvell: G. Der Verführer (a. d. Engl., Neuausg. 21992);
 H. Michels: Ideologie u. Propaganda. Die Rolle von J. G. in der natsoz. Außenpolitik bis 1939 (1992);
 U. Höver: J. G., ein nat. Sozialist (1992);
 C.-E. Bärsch: Der junge G. Erlösung u. Vernichtung (Neuausg. 1995);
 R. G. Reuth: G. (Neuausg. 1995).

Universal-Lexikon. 2012.