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Hebbel
Hẹbbel,
 
Christian Friedrich, Dichter, * Wesselburen 18. 3. 1813, ✝ Wien 13. 12. 1863; Sohn eines Tagelöhners; ab 1827 Botenjunge und Schreiber bei dem Kirchspielvogt Johann Jacob Mohr (* 1798,✝ 1872
 
) in Wesselburen, in dessen Bibliothek er sich den Grundstock seines Wissens aneignete. In Hamburg, wo er vergeblich versuchte, das Abitur nachzuholen, Bekanntschaft mit der Schriftstellerin Amalie Schoppe, die ihn unterstützte und ihm Mäzene verschaffte. 1836-39 studierte er in Heidelberg und München, zunächst Jura, später Geschichte, Literatur und Philosophie, 1839 Fußmarsch zurück nach Hamburg; hier hatte er finanzielle Unterstützung durch die Putzmacherin und Näherin Elise Lensing (* 1804, ✝ 1854), zu der er jahrelang enge Beziehungen unterhielt und mit der er zwei (früh verstorbene) Söhne hatte. Er begann mit der Arbeit an seinen ersten Dramen und unternahm viele Reisen; 1842/43 Aufenthalt in Kopenhagen, wo ihm König Christian VIII. ein zweijähriges Reisestipendium gewährte; 1843/44 in Paris, 1844/45 Italienreise. In Wien lernte er die Burgschauspielerin Christine Enghaus kennen und heiratete sie 1845; lebte von da an in Wien, ab 1855 auch am Traunsee; Reisen u. a. nach Weimar, Paris und London. In seinen letzten Jahren wuchsen Ruhm und Ehrungen; seine Dramen wurden an bedeutenden Bühnen aufgeführt.
 
Hebbel war in erster Linie Dramatiker. Die Tragödie »Judith« (1841) brachte ihm den ersten Erfolg. Das am häufigsten gespielte Drama wurde das bürgerliche Trauerspiel »Maria Magdalene« (1844), das für den Durchbruch des neueren tragischen Realismus von großer Bedeutung ist. In seiner vorwiegend gegen Schillers »Kabale und Liebe« gerichteten Kritik (Vorwort zu »Maria Magdalene«) versuchte Hebbel, den Typus des bürgerlichen Trauerspiels als dramatische Gattung neu zu bestimmen und der »Epoche machenden« Tragödie im Rang gleichzustellen: Das bürgerliche Trauerspiel wird tragisch nicht durch den Zusammenstoß der bürgerlichen Welt mit einer sozial höheren Sphäre, sondern durch das starre Beharren dieser bürgerlichen Welt, die tödliche Verfestigung ihrer Denkgewohnheiten. Hebbels Hauptthema ist das tragische Verhältnis zwischen Ich und Welt, das besonders in Übergangszeiten und an großen Persönlichkeiten deutlich wird. Im Sinne von Hegels Geschichtsphilosophie wird die Persönlichkeit zum Werkzeug einer höheren Macht und der Vernichtung preisgegeben, wenn sie ihren Auftrag erfüllt hat, der Kampf der Geschlechter ist in alle Konflikte einbezogen (»Judith«, 1841; »Herodes und Mariamne«, 1850; »Gyges und sein Ring«, 1856); die Grundwidersprüche des Seienden treffen auch die Gottheit. Von 1850 an war Hebbel bemüht, seinen »pantragischen« Ansatz, der von der Unauflöslichkeit des Konflikts ausgeht, in die Versöhnung der Gegensätze münden zu lassen, die jedoch erst jenseits der Vernichtung des Protagonisten sichtbar werden kann. - Hebbels Dramen weisen zum Teil auf Züge des modernen Dramas (A. Strindberg, F. Wedekind) voraus.
 
Die Stoffe - häufig aus Zeiten des Übergangs - sind vielfältig: neben jüdisch-orientalischen Überlieferungen solche aus der germanischen Sagenwelt (»Die Nibelungen«, 2 Bände, 1862, Tragödientrilogie) und dem Mittelalter (»Genoveva«, 1843; »Agnes Bernauer«, 1852), aber auch aus seiner Zeit (»Maria Magdalene«). Trotz großräumiger Anlage der Dramen überlagern Ideen häufig die dichterischen Komponenten. Auch die Lyrik ist gedankenbeladen und steht der Prosa nahe; die »Gedichte« (1857) sind L. Uhland gewidmet; der Band enthält Balladen, Sonette und Epigramme; bekannt sind v. a. »Heideknabe«, »Sommerbild« und »Nachtlied«. In den an E. T. A. Hoffmann, H. von Kleist, Jean Paul und L. Tieck geschulten Novellen (u. a. »Anna«, »Matteo«, »Die Kuh«) herrscht das Groteske und Grausige vor, das Hexameterepos »Mutter und Kind« (1859) trägt dagegen idyllische Züge. Die Epigramme und Kritiken weisen Hebbel als scharfsinnigen und eigenwilligen Denker aus. Seine »Tagebücher« (entstanden 1835-63; herausgegeben 1885-87, 2 Bände) sind voller Selbstkritik und spiegeln die geistigen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts wider.
 
Weitere Werke: Dramen: Der Diamant (1847); Julia (1851); Der Rubin (1851); Ein Trauerspiel in Sicilien (1851); Michel Angelo (1855); Demetrius (1864).
 
Lyrik: Gedichte (1842); Neue Gedichte (1848).
 
Erzählungen: Schnock. Ein niederländisches Gemälde (1850); Erzählungen und Novellen (1855).
 
Sonstige Schriften: Mein Wort über das Drama (1843).
 
Ausgaben: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe (Säkularausgabe), herausgegeben von R. M. Werner, 27 Bände (1911-17, Nachdruck 1970); Werke, herausgegeben von G. Fricke und anderen, 5 Bände (1963-67); Tagebücher, herausgegeben von K. Pörnbacher, 3 Bände (1984); Das erzählerische Werk, herausgegeben von W. Keller u. a. (1986).
 
Literatur:
 
O. Walzel: H.-Probleme (1909, Nachdr. 1973);
 E. Kuh: Biogr. F. H.s, 2 Bde. (Wien 31912);
 
H.-Jb. (1939 ff.);
 P. Michelsen: F. H.s Tagebücher. Eine Analyse (1966);
 
H. in neuer Sicht, hg. v. H. Kreuzer (21969);
 A. Meetz: F. H. (31973);
 M. Schaub: F. H. (21976);
 H. Stolte: F. H. (Neuausg. 1977);
 B. Fenner: F. H. zw. Hegel u. Freud (1979);
 H. Kaiser: F. H. Geschichtl. Interpretationen des dramat. Werks (1983);
 
F. H., hg. v. H. Kreuzer (1989);
 H. Matthiesen: F. H. (27.-29.Tsd. 1992);
 
Studien zu H.s Tagebüchern, hg. v. G. Häntzschel (1994).
 

Universal-Lexikon. 2012.