Ạr|beits|lo|sen|ver|si|che|rung 〈f. 20; unz.〉 Versicherung der Arbeitnehmer für den Fall der Arbeitslosigkeit
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Ạr|beits|lo|sen|ver|si|che|rung, die:
1. gesetzlich geregelte Pflichtversicherung gegen Nachteile durch Arbeitslosigkeit.
2. staatliche Einrichtung, Anstalt für Arbeitslosenversicherung (1).
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Arbeitslosenversicherung,
gesetzliche Pflichtversicherung von Arbeitnehmern gegen Risiken des Einkommensausfalls infolge von Arbeitslosigkeit. Rechtliche Grundlage der Arbeitslosenversicherung in Deutschland ist das dritte Buch des Sozialgesetzbuchs, SGB III (bis zum 31. 12. 1997 das Arbeitsförderungsgesetz, AFG, vom 25. 6. 1969). Träger ist die Bundesanstalt für Arbeit (BA), Durchführungsbehörden sind die Landesarbeitsämter und die Arbeitsämter. Beitragspflichtig (versicherungspflichtig) sind grundsätzlich alle gegen Entgelt beschäftigten Arbeiter und Angestellten sowie Heimarbeiter und im Rahmen betrieblicher Berufsausbildung Beschäftigte (§§ 25 ff. SGB III). Versicherungsfrei sind Beamte, Richter, Soldaten auf Zeit, Berufssoldaten, Geistliche, grundsätzlich geringfügig Beschäftigte u. a. Zur Finanzierung der Arbeitslosenversicherung erhebt die BA von Arbeitnehmern und Arbeitgebern Beiträge. Der Beitragssatz beträgt derzeit (2000) 6,5 % des Arbeitsentgelts bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten (je 3,25 % für Arbeitgeber und Arbeitnehmer).
Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung bestehen v. a. in Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Insolvenzgeld, Kurzarbeitergeld, Förderung der beruflichen Bildung und der Arbeitsaufnahme (so genannte »aktive Arbeitsmarktpolitik«), berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation, Kranken-, Pflege-, Unfall- und Rentenversicherung der Leistungsempfänger sowie Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft (Auslaufen des Schlechtwettergeldes zum 31. 12. 1995, ab 1. 1. 1996 Zahlung von Winterausfallgeld in der Schlechtwetterzeit für witterungsbedingte Arbeitsausfälle, in der Regel ab 101. Arbeitsstunde, Wintergeld).
Anspruch auf Arbeitslosengeld hat (§§ 117 ff. SGB III), wer arbeitslos ist (also vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausübt und eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht), sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat (in den letzten drei Jahren mindestens zwölf Monate beitragspflichtig beschäftigt war). Die Höhe des Arbeitslosengeldes richtet sich gemäß Lohnausfallprinzip danach, welches Arbeitsentgelt der Arbeitslose im Falle der Arbeitsaufnahme erzielen könnte. Sie ist v. a. abhängig von der Höhe des durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts in den letzten 52 Wochen vor Entstehung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld. Es errechnet sich - vereinfachend dargestellt - aus dem durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitsentgelt (ohne Mehrarbeitszuschläge und ohne Entgelt, für die Beiträge nicht zu erheben sind). Hinzu kommt die jährliche Anpassung des für die Berechnung des Arbeitslosengeldes maßgebenden Arbeitsentgelts an die Entwicklung des Bruttoarbeitsentgelts. Seit dem 1. 1. 1994 beträgt das Arbeitslosengeld 60 % des pauschalierten Nettoentgelts; für Arbeitslose, die ein steuerlich zu berücksichtigendes Kind haben (oder deren nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte ein Kind hat), 67 % (§§ 129 ff. SGB III). Die Leistungssätze des wöchentlichen Arbeitslosengeldes und anderer Lohnersatzleistungen nach dem SGB III (bis zu einem Höchstbetrag) werden jährlich durch Rechtsverordnung in einer Tabelle bekannt gemacht. Einkommen aus kurzzeitiger Beschäftigung werden auf das Arbeitslosengeld angerechnet (§ 141 SGB III). Während des Bezugs von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Kurzarbeitergeld und Winterausfallgeld übernimmt die BA die Kranken-, Pflege-, Unfall- und Rentenversicherung der Leistungsempfänger.
Die Dauer des Anspruchs bemisst sich v. a. nach der Dauer der vorherigen beitragspflichtigen Beschäftigung und dem Lebensalter bei Entstehung des Anspruchs (§§ 127 f. SGB III). Die Anspruchsdauer beträgt z. B. nach einer Beschäftigung von mindestens 12 (20, 24) Monaten und vor Vollendung des 45. Lebensjahres 6 (10, 12) Monate; nach einer Beschäftigung von mindestens 28 Monaten und nach vollendetem 45. Lebensjahr beläuft sie sich auf 14 Monate. Die höchste Anspruchsdauer (32 Monate) wird nach einer Beschäftigung von 64 Monaten und Vollendung des 57. Lebensjahres erreicht. Das SGB III sieht unter bestimmten Voraussetzungen eine Sperrzeit als eine versicherungsrechtliche Sanktion zur Risikobegrenzung in der Arbeitslosenversicherung vor. Sie soll gemäß Versicherungsprinzip verhindern, dass Leistungen im Falle bewusster Herbeiführung des Versicherungsfalles gewährt werden. Die Sperrzeit nach § 144 SGB III sieht vor, dass u. a. derjenige für eine gewisse Zeit - bis zu 12 Wochen - kein Arbeitslosengeld erhält, der sich grundlos weigert, einen vermittelten zumutbaren Arbeitsplatz anzunehmen oder der seinen Arbeitsplatz grundlos aufgibt und dadurch seine Arbeitslosigkeit herbeiführt oder fortsetzt. Diese Sanktion greift nicht, wenn der Arbeitslose für sein Verhalten einen - im Sinne des Gesetzes - wichtigen Grund zur Seite hat.
Vom Arbeitslosengeld, einer Versicherungsleistung, auf die die Mitglieder der Arbeitslosenversicherung einen eigentumsrechtlich abgesicherten Anspruch haben, ist die Arbeitslosenhilfe zu unterscheiden, die nach dem Prinzip der Fürsorge gewährt wird. Auch Arbeitslosenhilfe setzt Arbeitslosigkeit, Arbeitslosmeldung und Antrag voraus. Ferner muss der Arbeitslose bedürftig sein, keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, weil er die Anwartschaftszeit nicht erfüllt hat, und innerhalb eines Jahres vor dem Tag, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Leistungsanspruch erfüllt sind (Vorfrist) Arbeitslosengeld bezogen haben, ohne dass der Anspruch wegen Sperrzeiten von insgesamt 24 Wochen erloschen ist. Die Arbeitslosenhilfe beträgt 57 % (bei Arbeitslosen ohne steuerlich zu berücksichtigende Kinder 53 %) des Nettoarbeitsentgelts. Die Dauer des Anspruchs beträgt ein Jahr (§ 190 Absatz 3 SGB III), jedoch besteht Verlängerungsmöglichkeit jeweils für ein weiteres Jahr. Vor der erneuten Bewilligung sind jedoch die Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe zu prüfen. Finanziert werden die Leistungen der Arbeitslosenhilfe (im Unterschied zum Arbeitslosengeld) aus dem Bundeshaushalt (§ 363 SGB III). Das Gesetz zur Reform der Arbeitslosenhilfe vom 24. 6. 1996 verfolgt das Ziel, insbesondere Langzeitarbeitslose stärker in Maßnahmen der Arbeitsförderung und Arbeitsbeschaffung einzubeziehen sowie den Bundeshaushalt zu entlasten. Die Bemessungsgrundlage der Arbeitslosenhilfe für Langzeitarbeitslose wird nunmehr jährlich gekürzt (§ 201 SGB III).
Auch in Österreich ist die Arbeitslosenversicherung staatliche Pflichtversicherung; Grundlage: Arbeitslosenversicherungsgesetz von 1977 (mit Änderungen). Versicherungspflichtig sind in der Regel alle Dienstnehmer, Lehrlinge, Heimarbeiter u. ä., ausgenommen sind v. a. Dienstnehmer (Beamte), die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft stehen. Leistungen: 1) Arbeitslosengeld (Voraussetzung: Arbeitsfähigkeit und -willigkeit, Erfüllung der Anwartschaft u. a.; Höhe nach Lohnklassen bemessen, bis zu 80 % des letzten Entgeltes; Dauer der Gewährung generell 20 Wochen, unter bestimmten Voraussetzungen wesentlich länger), 2) Notstandshilfe (nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes, mit Bedürftigkeitsprüfung), 3) Karenzurlaubsgeld für Arbeitnehmerinnen und zugleich Mütter beziehungsweise wahlweise für Arbeitnehmer und zugleich Väter zwei Jahre lang nach der Geburt des Kindes. Der Arbeitslosenversicherungsbeitrag beträgt (Mitte 1995) 6 % der nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz geltenden Beitragsgrundlage und wird zu je 50 % vom Versicherten und vom Dienstgeber getragen. - In der Schweiz wurde die Arbeitslosenversicherung 1976 obligatorisch; Grundlage sind das Bundesgesetz über die Arbeitslosenversicherung vom 25. 6. 1982 sowie die Arbeitslosenversicherungsverordnung vom 31. 8. 1983 (beide mehrfach geändert). Versicherungspflichtig sind besonders die Pflichtversicherten der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV); Versicherungsträger: öffentliche Kassen und Verbandskassen, die auch (neben anderen Stellen) mit der Durchführung der Versicherung betraut sind. Leistungen: Arbeitslosenentschädigungen in Form von Tagegeldern, bestehend aus Grundentschädigung (70-80 % des versicherten Tagesverdienstes) und Zulagen für Unterhalts- und Unterstützungspflichtige; ferner Kurzarbeits-, Schlechtwetter- und Insolvenzentschädigungen. Voraussetzung: vorherige beitragspflichtige Beschäftigung; Beitrag (1995): 2 % des maßgeblichen Lohns (der Bundesrat kann den Beitragssatz auf höchstens 3 % heraufsetzen; die Beitragserhöhung auf 3 % wurde mit Wirkung vom 1. 1. 1996 beschlossen); Arbeitgeber und -nehmer zahlen ihn je zur Hälfte.
Die Anfänge der Arbeitslosenversicherung gehen auf Selbsthilfe von Gesellen- und Arbeitervereinigungen zurück. Die deutschen Gewerkschaften gingen frühzeitig dazu über, ihre arbeitslosen Mitglieder zu unterstützen. Sie zahlten Arbeitslosenunterstützung aber nur, soweit ihre Mittel nicht für andere Zwecke (Streik oder ähnliche) benötigt wurden. Einen großen Fortschritt bedeutete das »Genter System«. Mit ihm wurden aus öffentlichen Mitteln Gewerkschaften oder privaten Arbeitslosenkassen Zuschüsse zur Arbeitslosenunterstützung gewährt. Dieses System der öffentlichen Zuschüsse wurde auch von deutschen Städten und einzelnen ausländischen Staaten übernommen. Das Genter System wahrte zwar den Gedanken der Selbsthilfe durch Berufsangehörige, galt aber nicht für alle Arbeitnehmer.
Die erste staatliche Pflichtversicherung gegen Arbeitslosigkeit wurde 1911 in Großbritannien eingeführt, allerdings nur für einige Gewerbe mit besonders starker saisonaler Arbeitslosigkeit wie Baugewerbe, Schiffbau..
In Deutschland wurde 1918 die Arbeitslosenunterstützung durch eine VO des Reichs den Gemeinden übertragen. 1923 wurden Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Beitragsleistung herangezogen. Staat und Gemeinden mussten aber weiterhin erhebliche Zuschüsse leisten. Die Einführung der staatlichen Pflichtversicherung erfolgte durch das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vom 16. 7. 1927. Träger der Versicherung war die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Die Wirtschaftskrise 1929-33 überlastete die Arbeitslosenversicherung. Staat und Gemeinden mussten in Form der »Krisenunterstützung« helfend eingreifen. Im nationalsozialistischen Deutschland (1933-45) wurde auf den Versicherungsgedanken wenig Wert gelegt, und 1939 wurde in der Arbeitslosenversicherung die Bedürftigkeitsprüfung eingeführt. Die nach 1949 geschaffenen Gesetze über Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge haben Versicherung und Fürsorge wieder gegeneinander abgegrenzt. 1952 entstand die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung mit Sitz in Nürnberg. 1969 wurde sie in Bundesanstalt für Arbeit umbenannt. - In der DDR, wo die Arbeitslosenversicherung ursprünglich durch VO vom 28. 1. 1947 geregelt war, gab es seit 1978 keine Arbeitslosenunterstützung mehr. Am 22. 6. 1990 wurde das Arbeitsförderungsgesetz der DDR erlassen, das aufgrund der Festlegungen des Einigungsvertrages mit dem Wirksamwerden des Beitritts durch das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) vom 25. 6. 1969 (der Bundesrepublik) abgelöst wurde.
Die beträchtlichen Leistungsverbesserungen der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitsförderung nach dem AFG seit den 70er-Jahren und die zunehmende Arbeitslosigkeit - v. a. 1975, zu Beginn der 80er-Jahre und in den 90er-Jahren - stellten die Finanzierung der Arbeitslosenversicherung vor große Herausforderungen. (Gesamtausgaben der Bundesanstalt für Arbeit 1989: 39,8 Mrd. DM, 1993: 109,5 Mrd. DM, 1999: 101,1 Mrd. DM). Der zunehmenden Belastung begegnete die Sozialpolitik v. a. mit beträchtlichen Erhöhungen des Beitragssatzes (z. B. ab 1. 4. 1991 von 4,3 % auf 6,8 %, 1992 auf 6,3 % und ab 1993 auf 6,5 %). Flankierend wurden Einsparungen an einzelnen Leistungen der Arbeitslosenversicherung vorgenommen und die missbräuchliche Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen verstärkt bekämpft. Überdies wurden v. a. in Zeiten wirtschaftlicher Rezession die Leistungen für die so genannte aktive Arbeitsmarktpolitik (z. B. Umschulung und Weiterbildung) relativ zur Gesamtheit der Leistungen der Arbeitslosenversicherung spürbar abgesenkt. Kritiker führen den hierdurch hervorgerufenen prozyklischen Effekt der Arbeitsmarktpolitik auf Konstruktionsprobleme der Finanzierung der Arbeitslosenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland zurück und plädieren dafür, die Finanzierung der Lohnersatzleistungen der Arbeitslosenversicherung von der Finanzierung der »aktiven Arbeitsmarktpolitik« zu trennen und letztere aus dem allgemeinen Steueraufkommen zu unterstützen.
K. Spühler: Grundr. des A.-Rechts (Bern 1985);
J. Alber: Vom Armenhaus zum Wohlfahrtsstaat. Analysen zur Entwicklung der Sozialversicherung in Westeuropa (21987);
K. Dirschmied: A.-Recht (Wien 21990);
Günther Schmid u. a.: Unemployment insurance and active labor market policy (a. d. Dt., Detroit, Mich., 1992; dt. 1987);
Organisation for Economic Co-Operation and Development: OECD - Beschäftigungsstudie (a. d. Engl., 1994).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Arbeitslosenversicherung: Grundlagen
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Ạr|beits|lo|sen|ver|si|che|rung, die <o. Pl.>: 1. gesetzlich geregelte Pflichtversicherung gegen Nachteile durch Arbeitslosigkeit. 2. staatliche Einrichtung, Anstalt für ↑Arbeitslosenversicherung (1).
Universal-Lexikon. 2012.