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Freihandel
Frei|han|del 〈m.; -s; unz.〉 zwischenstaatl. Handelsverkehr ohne staatl. Beschränkungen (z. B. Zoll)

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Frei|han|del, der [ von engl. free trade]:
System eines durch keinerlei Zölle, Devisenvorschriften o. Ä. eingeschränkten zwischenstaatlichen Handelsverkehrs.

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I
Freihandel
 
Die industrielle Revolution in Europa schuf ein gewaltiges wirtschaftliches und technisches Machtzentrum, das in alle Teile der Erde ausstrahlte. Die Revolutionierung des Verkehrs durch den Eisenbahnbau begann um die Mitte des 19. Jahrhunderts das Gesicht der Welt zu verändern. Die Entwicklung der Dampfschifffahrt ermöglichte die schnelle Ausdehnung des Handels in die entferntesten Erdteile. Die dadurch verstärkte weltweite Verflechtung der Wirtschaft wurde weiter intensiviert durch den Ausbau der mündlichen und schriftlichen Drahtverbindungen (Telegrafie und Telefon).
 
Großbritannien war um die Mitte des 19. Jahrhunderts unbestritten die führende Industrienation der Welt. Sie besaß aus merkantilistischer Zeit ein Wirtschaftssystem mit vielfältigen Abriegelungsmaßnahmen wie z. B. die Navigationsakte von 1651, die die englische Schifffahrt gegenüber dem niederlän dischen Zwischenhandel begünstigen soll te. Eine von Manchester ausgehende starke liberale Bewegung, die »Anti Corn Law League«, forderte zur Förderung des Exports den freien Wettbewerb und die Abschaffung aller Zölle. Die Freihandelsbewegung erreichte schließlich 1846 die Abschaffung der Getreidezölle. Damit eröffnete das Inselreich, gestützt auf das international bedeutende britische Pfund, die Ära des Freihandels. Seine Industrie bezog den gesamten Kolonialbesitz in den weltwirtschaftlichen Verkehr mit ein.
 
Die europäischen Staaten zogen zögernd nach, zunächst die Niederlande. Der französisch-britische Vertrag von 1860 (Cobden- Vertrag) löste auch auf dem Festland die Periode des Freihandels aus. Zahlreiche Abkommen Frankreichs mit europäischen Staaten und mit dem Deutschen Zollverein folgten. Die europäische Industrialisierungswelle ab 1850 war ganz überwiegend vom Freihandel geprägt; auf dem Festland gab es stark reduzierte Schutzzölle. Die Ära des Freihandels war aber nicht nur ökonomisch von Bedeutung, in ihrem geistigen und politischen Klima vermochte sich der Aufschwung der europäischen Wirtschaft kräftig zu entfalten.
 
Doch mit Beginn des wirtschaftlichen Abschwunges nach 1873/74 zeichnete sich bereits das Ende der Freihandelsepoche in Europa ab. Zuerst forderte im neu gegründeten Deutschen Reich die Industrie in der Rezessionsphase staatlichen Schutz gegenüber der britischen Konkurrenz, auch die Großagrarier riefen nach Protektionismus, als der deutsche Markt mit billigem Getreide aus den USA und Russland überschwemmt wurde. Bismarcks Schutzzollgesetz von 1879 war die Folge.
 
Bis 1890 kehrte auch das übrige Europa zur Schutzzollpolitik zurück, nur Großbritannien, durch seinen reichen Kolonialbesitz abgesichert, sowie Belgien und die Niederlande blieben bis zum Ersten Weltkrieg beim Freihandel. Aber Großbritannien hatte seine Führungsposition an Deutschland und die USA abgegeben. Der Konkurrenzkampf zwischen den produzierenden und Handel treibenden Nationen verschlechterte im Zeitalter des Imperialismus die zwischenstaatlichen Beziehungen. Als sich die protektionistische Wirtschaftspolitik nun mit aggressiver Außenpolitik verband, produzierte sie die explosive Hochspannung, die die letzten Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg kennzeichnete.
 
II
Freihandel,
 
Freetrade, ['friː'treɪd, englisch], Free Trade  
 1) Außenwirtschaft: außenwirtschaftliches Grundprinzip, wonach der internationale Austausch von Waren und Produktionsfaktoren von allen Hemmnissen befreit werden sollte. Im weiteren Sinn die von öffentlich-rechtlichen und institutionellen Beschränkungen unbehinderte Freiheit des Erwerbs und Verkehrs; im engeren Sinn die von Zöllen, nichttarifären Handelshemmnissen und Devisenbewirtschaftung unbeeinflussten zwischenstaatlichen Austauschbeziehungen.
 
Nach dem Grundgedanken des Liberalismus hemmt jeder von außen kommende Eingriff den Wirtschaftsablauf; nur ein völlig unbehinderter Handelsverkehr und ein freier Wettbewerb könne zu einer optimalen Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Volkswirtschaften mit optimaler Produktion und größtmöglichem Wohlstand für alle beteiligten Länder führen. Diesem Freihandelspostulat liegt die Theorie der komparativen Kosten zugrunde.
 
Die Freihandelsbewegung ging von England aus, wo die v. a. von A. Smith, D. Ricardo und J. S. Mill vertretene freinhändlerische Lehre besonders von der Industrie aufgenommen wurde. Um die Herabsetzung der Arbeitslöhne zu erreichen, wurde als Voraussetzung die Senkung der Lebenshaltungskosten durch die Abschaffung der Einfuhrzölle für Getreide angestrebt. Die nach ihrem Hauptsitz auch als Manchesterpartei bezeichneten Anhänger der Freihandelsidee erreichten den Abschluss des englisch-französischen Handelsabkommens von 1860 (Cobden-Vertrag), das alle englischen Zölle aufhob und die liberale Weltwirtschaft einleitete. Der gerade in England so ausgeprägte Freihandel entsprach den wirtschaftlichen Interessen des Landes inmitten einer sich entwickelnden und zunächst auf England ausgerichteten Weltwirtschaft. Entsprechend war die früh einsetzende Neigung der kontinentalen Staaten zum Freihandel von dem Interesse an der Eingliederung in den Weltmarkt bestimmt. Bis auf einige räumlich und zeitlich begrenzte Ausnahmen ist es allerdings nur zu einer starken Herabsetzung der Einfuhrzölle gekommen.
 
Die gegenläufige Schutzzollpolitik (Protektionismus) setzte im Deutschen Reich mit dem Zolltarif von 1879 ein. Andere Staaten hatten schon früher damit begonnen oder folgten. Die Abwendung vom Freihandel kennzeichnete eine neue Phase staatlicher Eingriffe (Interventionismus) und gehörte zur Frühphase des Imperialismus der europäischen Großmächte. Mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 verstärkten sich die staatlichen Eingriffe. Belange der Binnenwirtschaft und bilaterale Handelsverträge setzten sich durch.
 
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Idee des Freihandels wieder aufgenommen. Die Havanna-Charta sollte als »Magna Charta« des Welthandels der erste Schritt einer freiheitlichen Handelspolitik sein. Einen Fortschritt brachten allerdings nur die Bestrebungen im Rahmen des GATT, die Zölle zu senken. Das Scheitern des Versuchs einer globalen Integration der Weltwirtschaft durch die Verwirklichung des Freihandels führte zu regional begrenzten Integrationen (z. B. EG, EFTA), die für ihre Mitglieder den freien Warenaustausch weitgehend verwirklicht haben (Europäischer Binnenmarkt, Europäischer Wirtschaftsraum). Die einzelnen GATT-Runden gaben jeweils neue Impulse zu einer Annäherung an das Ziel eines weltweiten Freihandels.
 
Zum Abschluss der Uruguay-Runde (bisher letzte Verhandlungsrunde im Rahmen des GATT) im Dezember 1993 wurden wesentliche Reformen des GATT, insbesondere seine Einbindung in die neue Welthandelsorganisation (WTO), verschärfte Vorschriften bei nichttarifären Handelshemmnissen, eine Ausdehnung der GATT-Regeln auf den Dienstleistungsbereich (GATS) und auf den Schutz des geistigen Eigentums sowie handelsbezogene Investitionsmaßnahmen vereinbart. Das im April 1994 unterzeichnete Vertragswerk trat Anfang 1995 in Kraft.
 
Für zahlreiche Länder (v. a. Entwicklungsländer) stellt der Freihandel nicht die beste Form der Einbindung in die Weltwirtschaft dar, besonders beim Aufbau einer funktionsfähigen Volkswirtschaft, die in der Lage ist, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen (Entwicklungspolitik). Für die wirtschaftlich entwickelten Länder ist die Freihandelskonzeption als Leitbild der Außenwirtschaftspolitik weiterhin von großer Bedeutung.
 
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Außenwirtschaft · Handelsvertrag · Weltwirtschaft · Zoll
 
 2) Börsenwesen: der Freiverkehr.
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
 
Handelsgesellschaften erobern die Welt: Kampf um die Märkte
 
Freihandel: Freihandel gegen Schutzzollpolitik im 19. Jahrhundert
 
 

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Frei|han|del, der [LÜ von engl. free trade]: System eines durch keinerlei Zölle, Devisenvorschriften o. Ä. eingeschränkten zwischenstaatlichen Handelsverkehrs.

Universal-Lexikon. 2012.