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Wohl|stand ['vo:lʃtant], der; -[e]s:hoher Lebensstandard:
die Familie lebt im Wohlstand.
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Wohl|stand 〈m.; -(e)s; unz.〉 Begütertsein, gute Vermögenslage, hoher Lebensstandard ● im \Wohlstand leben; zu \Wohlstand kommen
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Wohl|stand , der <o. Pl.>:
Maß an Wohlhabenheit, die jmdm. wirtschaftliche Sicherheit gibt; hoher Lebensstandard:
ein bescheidener W.;
im W. leben;
R bei dir, euch usw. ist wohl der W. ausgebrochen! (scherzh. od. spött. Kommentar, mit dem eine [bescheidene] Anschaffung o. Ä. zur Kenntnis genommen wird).
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Wohlstand,
die Verfügungsmöglichkeit einer Person, einer Gruppe oder einer Gesellschaft über wirtschaftliche Güter. Während sich im Rahmen der Sozialwissenschaften der Begriff wirtschaftlicher Wohlstand durchgesetzt hat, ist im allgemeinen Sprachgebrauch nach wie vor der ältere Begriff Lebensstandard verbreitet und wird unter Wohlstand - als Gegensatz zur Armut - in der Regel weniger eine Mindestversorgung mit Waren und Dienstleistungen (etwa zur Befriedigung der Grundbedürfnisse) verstanden, sondern vielmehr ein vergleichsweise hohes Versorgungsniveau (relativer Reichtum). Die traditionelle Messung des wirtschaftlichen Wohlstands erfolgt anhand von Sozialprodukt- oder Einkommensgrößen, da sich in Sozialprodukt oder Einkommen das in Geld bewertete Ergebnis des Wirtschaftens einer Volkswirtschaft oder eines Wirtschaftssubjekts niederschlägt. Neben diesem messbaren, als Summe der verfügbaren Güter oder Einkommen und Vermögen »objektivierbaren« physisch-materiellen Begriffsinhalt betonen Sozialwissenschaftler auch die subjektive, utilitaristisch-individuelle Komponente des Wohlstandsbegriffs, die als subjektives Wohlbefinden und/oder möglichst hohes subjektives Nutzenniveau beschrieben wird. Das Einbeziehen der allgemeinen Lebensbedingungen und der subjektiven Zufriedenheit mit diesen Bedingungen hat zu einem, die Grenzen rein materieller Fixiertheit überschreitenden Wohlstandsbegriff geführt, der heute oft auch im Sinne von Wohlfahrt und Lebensqualität gebraucht wird.
In Wirtschaftstheorie und -politik herrscht ein rein ökonomisches Verständnis des Wohlstandsbegriffs vor. So wird z. B. in der theoretischen Wirtschaftspolitik Wohlstand als gesellschaftlicher Grundwert und die Erhöhung des Wohlstands als ein wirtschaftspolitisches Hauptziel angesehen. In der klassischen Nationalökonomie wird Wohlstand als »Wealth« (Reichtum) und als physische Größe (»Güterberg«) aufgefasst. In Modellen der Wohlfahrtsökonomik wird dieser produktionsorientierte Ansatz mit nutzentheoretischen Überlegungen verknüpft.
Wirtschaftswissenschaftliche Auffassungen über die Quellen des Wohlstands
Nach Auffassung der klassischen Nationalökonomie wird der höchstmögliche Wohlstand einer Volkswirtschaft und ihrer Mitglieder durch weitgehende Arbeitsteilung und Tausch an von staatlichen Eingriffen weitgehend unbeeinträchtigten Märkten erreicht. Besonders A. Smith hat die Bedeutung von Arbeitsteilung und Spezialisierung für die Entwicklung von Produktivität und Wohlstand einer Gesellschaft herausgestellt. Im Gegensatz zur Position der Physiokraten, für die allein die Natur beziehungsweise das Leistungspotenzial des Bodens ökonomisch produktiv waren, bildete für die Vertreter der klassischen Nationalökonomie der Produktionsfaktor Arbeit die entscheidende wohlstandsschaffende Größe. Der Naturwerttheorie der Physiokraten setzten die klassischen Nationalökonomen die Arbeitswerttheorie entgegen, die bis zur Entwicklung der Grenznutzenschule, nach der sich der Wert von Gütern in Abhängigkeit von dem durch sie gestifteten Nutzen bestimmt, als dominierende Lehrmeinung galt.
Die wachsende Bedeutung des materiellen Kapitals (Sachkapitals) im Industrialisierungsprozess, der geschichtlich mit der industriellen Revolution einsetzte, schlug sich im Rahmen der Produktionstheorie in der Erweiterung der gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion um den Faktor Kapital nieder. Damit wurde die Schaffung wirtschaftlichen Wohlstands als Ergebnis der Kombination von Arbeit und Kapital betrachtet. Der Produktionsfaktor Boden wurde unter den Faktor Kapital eingeordnet oder ganz weggelassen. Da technische Neuerungen als Quelle von Produktions- und Produktivitätssteigerungen im Laufe des 20. Jahrhunderts immer wichtiger geworden sind, wurde in der neueren Produktions- und Wachstumstheorie die Produktionsfunktion um den Produktionsfaktor technischer Fortschritt erweitert.
Wohlstand als dynamisch zu verstehendes Ziel wirtschaftlichen Handelns sowie als wirtschaftspolitisches Ziel hat drei Dimensionen: 1) vollständige Ausschöpfung der vorhandenen Produktionsfaktoren durch deren optimale Kombination im Produktionsprozess (optimale Allokation, optimale Faktorkombination); 2) Steigerung der Verfügbarkeit an Produktionsfaktoren (Sachkapital, Humankapital, technisches Wissen) und ihrer Produktivität beim Faktoreinsatz; 3) Güterproduktion entsprechend der Nachfrage.
Effizienter Einsatz der Produktionsfaktoren und Erhöhung des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzials bilden Grundvoraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum und eine Erhöhung des wirtschaftlichen Wohlstands. Dabei gilt die Einschränkung, dass die Ausschöpfung des Produktionspotenzials und die Produktivitätserhöhung der Produktionsfaktoren dort ihre Grenzen finden, wo die Erhaltung der Produktionsgrundlagen (z. B. Gesundheit der Erwerbstätigen, Funktionsfähigkeit des Sachkapitals, Dauerhaftigkeit der Rohstoff- und Energieversorgung, Schutz der natürlichen Umwelt) gefährdet ist.
Die Ausstattung eines Landes mit Produktionsfaktoren nach Menge und Qualität, die Auslastung des Produktionspotenzials und die Steigerung der Verfügbarkeit von Produktionsfaktoren und ihrer Produktivität werden wesentlich vom Verhalten des wirtschaftenden Menschen und von den ökonomischen Rahmenbedingungen beeinflusst. Eine besondere Rolle spielen dabei zum einen Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Menschen, ihre durch Aus- und Weiterbildung geschaffene fachliche Qualifizierung, ihre durch Erziehung geprägte menschliche Qualifizierung, das gesamte kulturelle Umfeld (Kultur), zum anderen die durch staatliches Handeln geschaffenen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Sinne von Ordnungs- und Ablaufpolitik. Neben diesen eher qualitativen Aspekten sind auch mehr quantitative Aspekte zu beachten wie Umfang und Altersstruktur der Bevölkerung sowie die Bevölkerungsentwicklung für den Produktionsfaktor Arbeit, Umfang und Struktur von Sachkapital, Infrastruktur und Rohstoffen für den Produktionsfaktor Kapital.
Wohlstand als gesellschaftspolitische Zielvorstellung
Als allgemeines und prinzipiell alle Gesellschaftsmitglieder einschließendes Postulat der Befriedigung materieller Bedürfnisse weit über das Existenzminimum hinaus ist die Ermöglichung und dauerhafte Sicherung von Wohlstand in den meisten Industriegesellschaften zu einer der prägenden gesellschaftspolitischen Leitvorstellungen geworden. Im globalen Rahmen blieb ihre umfassende Umsetzung allerdings auf vergleichsweise wenige, überwiegend westliche Wohlstandsgesellschaften beschränkt. Bis weit in die 80er-Jahre bestand dabei quasi der »Mehrheitskonsens«, Wohlstand vor allem mit vielfältigen und stetig wachsenden Möglichkeiten des Konsums materieller Güter gleichzusetzen. Vor dem Hintergrund des im Zweiten Weltkrieg und in der unmittelbaren Nachkriegszeit von vielen erfahrenen und nicht selten existenzbedrohenden Mangels erlangte dieser Wohlstandsbegriff auch in der Bundesrepublik Deutschland eine dominierende Stellung, was in den 50er-Jahren u. a. darin seinen Ausdruck fand, dass die Mehrheit der Bevölkerung die von L. Erhard geprägte Formulierung »Wohlstand für alle« in diesem Sinne »auslegte«.
Dem ideologischen Anspruch der kontinuierlichen Mehrung und Sicherung des Wohlstands der Bevölkerung verpflichtet sah sich auch die Zentralverwaltungswirtschaft in den kommunistischen Staaten Europas. So war in der DDR - nicht unwesentlich »mitbestimmt« durch das Beispiel der wirtschaftlich prosperierenden Bundesrepublik - unter E. Honecker die »planmäßige Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes« in den Rang einer zentralen Staatsdoktrin erhoben worden, nachdem W. Ulbricht bereits zuvor in Bezug auf das Wirtschafts- und Wohlstandsniveau »des Westens« das (später oft karikierend kolportierte) ideologische Postulat des »Überholens ohne Einzuholen« formuliert hatte. Die mit der sozialistischen Planwirtschaft verbundenen Ineffizienzen verhinderten allerdings die von den Staats- und Parteiführungen postulierte »planmäßige« Wohlstandsentwicklung. Ungeachtet vielfältiger staatlicher Bemühungen gelang es in keinem Land des Ostblocks, die den westlichen Konsumwünschen vergleichbaren Erwartungen der Bevölkerung zu erfüllen. Dies ließ (besonders in den 80er-Jahren) in den Augen vieler Menschen die für sie unerreichbare westliche Konsumwelt immer faszinierender erscheinen, was schließlich als ein Faktor zum Zusammenbruch der sozialistischen Staats- und Wirtschaftsordnung beigetragen hat.
Wohlstand, Wachstum und Sozialprodukt
Das Ziel »Wohlstand für alle« sollte in der Bundesrepublik Deutschland durch eine v. a. auf wirtschaftliches Wachstum ausgerichtete Wirtschaftspolitik verwirklicht werden. Demnach galten das dauerhafte Erreichen eines angemessenen und stetigen Wachstums des Bruttosozialprodukts und des Volkseinkommens je Einwohner als Garantie für einen kontinuierlich wachsenden Wohlstand. Entsprechend war das (reale) Bruttosozialprodukt je Einwohner der wichtigste Indikator für wirtschaftlichen Wohlstand, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (Wettbewerbsfähigkeit) und wirtschaftlicher Fortschritt.
Anhand dieses Indikators wird seit den 50er-Jahren von den nationalen Regierungen und internationalen Organisationen die Entwicklung des wirtschaftlichen Wohlstands ausgewiesen. Daran hat sich bis heute prinzipiell nichts geändert, obwohl seit über 20 Jahren die Verwendung des Sozialprodukts als wichtigster Wohlstandsindikator kritisiert wird. Im Sozialprodukt nicht oder unzureichend erfasst werden z. B. die regionale oder personelle Verteilung des wirtschaftlichen Wohlstands, die Beeinträchtigung des Wohlstandspotenzials künftiger Generationen (z. B. durch Rohstoffverbrauch), Aspekte wie Arbeitsintensität (Arbeitszeit/Freizeit), Effizienz der Produktion, Auslastungsgrad der Produktionsfaktoren (z. B. Arbeitslosigkeit), Qualität und Eignung der Produkte und Dienstleistungen zur Bedürfnisbefriedigung. Problematisch ist weiterhin die Bewertung öffentlicher Leistungen zu Herstellungskosten und die ausschließliche Erfassung von Marktleistungen, wodurch alle ökonomischen Aktivitäten jenseits offizieller Märkte wie Eigenleistungen privater Haushalte (z. B. Haus-, Erziehungsarbeit, Heimwerkertätigkeiten) und andere Aktivitäten in der Schattenwirtschaft sowie (besonders in Entwicklungsländern) der informelle Sektor und der Bereich der Subsistenzwirtschaft unberücksichtigt bleiben. Notwendig sind auch eine Inflationsbereinigung, um reale wirtschaftliche Entwicklungen zu veranschaulichen, und eine Wechselkursbereinigung bei internationalen Vergleichen. Unzureichend berücksichtigt bleiben ebenso andere Elemente von Lebensqualität sowie wohlstandsrelevante Effekte des Wirtschaftssystems, der Gesellschaftsordnung, der politischen und wirtschaftlichen Freiheitsrechte oder der sozialen Sicherheit. Ein letzter Hauptkritikpunkt ist das Außer-Acht-Lassen der sozialen Kosten, besonders der Umweltkosten des wirtschaftlichen Wachstums und Wohlstands (externe Effekte). So werden die negativen ökologischen Auswirkungen des Wirtschaftens nicht als Produktions- oder Konsumkosten erfasst. Die ökonomischen Aktivitäten zur Reparatur, Sanierung oder Behandlung von Umweltschäden und -belastungen werden sogar als positiver Beitrag zum Sozialprodukt verbucht, obwohl dadurch höchstens ein zuvor verursachter ökologischer Verlust ausgeglichen wird. Dadurch werden Wachstum und Wohlstand doppelt überschätzt.
Seit Anfang der 70er-Jahre wird versucht, die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung intern zu einer sozialen oder gesellschaftlichen Gesamtrechnung auszubauen oder extern zu ergänzen, um zu besseren und ehrlicheren Wohlstandsindikatoren zu gelangen. So ermitteln die Ansätze einer Nettowohlstands- oder Nettowohlfahrtsrechnung (englisch measure of economic welfare) einen Nettokonsumindikator, der neben den Konsumausgaben auch die Eigenleistungen privater Haushalte erfasst, von dem aber alle Ausgaben (»Defensivausgaben«) abgezogen werden, die erforderlich sind, um Verschlechterungen der Lebens-, Arbeits- und Umweltbedingungen auszugleichen (z. B. Pendlerkosten, Umweltschäden, Ressourcenverbrauch). Zu diesen Ansätzen ist neuerdings auch der Index dauerhafter ökonomischer Wohlstand (index of sustainable economic welfare) zu zählen.
Eine wichtige Initiative ist die Entwicklung eines Konzepts für ein (ökologisch) nachhaltiges Volkseinkommen (sustainable national income) zur Ermittlung einer Volkseinkommens- und Produktionsgröße unter Einbeziehung der ökologischen Kosten von Produktion und Konsum. Dabei wird nicht mehr ein eindimensionaler und monetärer Wohlstandsindikator angestrebt, sondern eine umfassendere und zeitgemäße volkswirtschaftliche Kostenrechnung, auf deren Basis eine ökologisch korrigierte Sozialproduktgröße (green national product) abgeleitet wird. Weitere Ergänzungen oder Erweiterungen der Sozialproduktrechnung sind Konzepte einer umweltökonomischen Gesamtrechnung, Ansätze zur Erfassung der Haushaltsproduktion sowie das System sozialer Indikatoren, mit dem neben dem wirtschaftlichen Wohlstand weitere Elemente von Lebensqualität erfasst werden. Eine Verbindung von wirtschaftlichem Wohlstand anhand des Pro-Kopf-Einkommens, das die reale Kaufkraft der nationalen Währungen berücksichtigt (purchasing power parities), und weiterer Elemente von Lebensqualität im Sinne von Sozialindikatoren (z. B. Lebenserwartung, Alphabetisierungsgrad der Erwachsenen) hat das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen UNDP mit dem Index menschlicher Entwicklung (Human Development Index, Abkürzung HDI) geschaffen. Der HDI soll bessere internationale Vergleiche der Wohlstandsniveaus sowie der sozialen Entwicklung ermöglichen.
Wohlstand als gesellschaftspolitisches Problemfeld
Die allgemeine Wohlstandsentwicklung in einer Gesellschaft war bislang stets auch mit regional ungleichen Entwicklungen verbunden. So sind die Industriegesellschaften in unterschiedlicher Ausprägung vielfach dadurch gekennzeichnet, dass den hinsichtlich wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und kultureller Ausstrahlung attraktiven Ballungszentren strukturschwache Regionen mit geringer Wirtschaftskraft und geringen kulturellen Angeboten gegenüberstehen, was oft ein deutliches Wohlstandsgefälle innerhalb eines Landes zur Folge hat. Mit Maßnahmen der Regionalpolitik und Strukturpolitik wird versucht, derartige regionale Disparitäten zu verringern und ihre sozialen Folgewirkungen zu mildern.
Regionale Disparitäten bestimmen auch die Wohlstandsentwicklung in Deutschland mit, und das im Grundgesetz verankerte politische Ziel der Herstellung einheitlicher Lebensbedingungen in allen Regionen ist bisher nicht erreicht. Mit In-Kraft-Treten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am 1. 7. 1990 und der Herstellung der staatlichen Einheit am 3. 10. 1990 trat in Deutschland besonders das - in anderer Form bereits zwischen der Bundesrepublik und der DDR bestehende - West-Ost-Wohlstandsgefälle in den Vordergrund, dessen Abbau seitdem eines der zentralen gesellschaftspolitischen Anliegen des deutschen Einigungsprozesses geworden ist (deutsche Einheit). Markanter Ausdruck der in Bezug auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die Wohlstandsentwicklung und das Wohlstandsniveau in Deutschland bestehenden West-Ost-Disparitäten sind zum einen die zwischen den alten und den neuen Ländern bestehenden deutlichen Unterschiede hinsichtlich der Erwerbsmöglichkeiten (Arbeitslosigkeit), der Haushaltseinkommen (Haushalt) und des Umfangs sowie der Streuung von Geld- und Sachvermögen, zum anderen das in den neuen Bundesländern nach wie vor deutlich geringere Bruttoinlandsprodukt je Einwohner und die branchenbezogen zum Teil (noch) niedrigere Arbeitsproduktivität je Beschäftigten.
In der Rückschau stellen sich die Ursachen dieser Entwicklungen als ein Konglomerat verschiedener und miteinander verflochtener Problemlagen dar, die in der ersten Phase des Einigungsprozesses zum Zusammenbruch Hunderter Industriebetriebe in den neuen Ländern geführt hatten. Mit Blick auf das planwirtschaftliche System der DDR sind dabei als ursächlich hervorzuheben die (zum Teil jahrzehntelange) Vernachlässigung weiter Teile der Infrastruktur, die v. a. seit Anfang der 80er-Jahre in fast allen Industriezweigen sinkende Investitionsquote, das gleichzeitige Anwachsen der Belastung der Wirtschaft durch (weitgehend konsumtiv verwendete) Valutakredite, das im Vergleich zur Bundesrepublik deutlich niedrigere Lohn- und Gehaltsniveau und die für den weitaus größten Teil der Bevölkerung nicht vorhandene Möglichkeit der Vermögensbildung. Zu dieser schwierigen Ausgangslage traten nach In-Kraft-Treten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion de facto über Nacht das »ungeschützte Ausgesetztsein« der ostdeutschen Betriebe im internationalen Wettbewerb, das Wegbrechen traditioneller Absatzmärkte im Osten (geschuldet v. a. der vierhundertprozentigen Währungsaufwertung) und nicht selten auch umstrittene Privatisierungsmaßnahmen der Treuhandanstalt.
In globaler Sicht ist das zwischen den Industrieländern der nördlichen und den Entwicklungsländern der südlichen Hemisphäre bestehende Nord-Süd-Gefälle von Jahrzehnt zu Jahrzehnt größer geworden und verschärft sich seit den 80er-Jahren v. a. infolge der internationalen Schuldenkrise. Sowohl in absoluter wie in relativer Bewertung war der Wohlstandsabstand zwischen den beiden Ländergruppen noch nie so groß wie heute (Bruttosozialprodukt je Einwohner 1995 in den westlichen Industrieländern und den arabischen Ölstaaten: 24 930 US-$, in den 63 ärmsten Ländern und Territorien: 430 US-$).
Ein in seiner Kluft ebenfalls beträchtliches und hinsichtlich künftiger politischer Auswirkungen schwer einzuschätzendes Wohlstandsgefälle ist nach dem Zusammenbruch der kommunistisch-planwirtschaftlichen Staats- und Wirtschaftsordnungen und ihrer Überleitung (Transformation) in demokratisch-marktwirtschaftlichen Strukturen seit Anfang der 90er-Jahre zwischen den westlichen Wohlstandsgesellschaften und den östlichen Transformationsgesellschaften aufgebrochen.
In Bezug auf die gegenwärtige und zukünftige Wohlstandsentwicklung und Wohlstandssicherung in den westlichen Industriestaaten werden heute v. a. solche Fragen diskutiert, inwieweit beziehungsweise in welchem Umfang das erreichte und im existenzsichernden Umfang (bislang) durch den Sozialstaat garantierte Wohlstandsniveau unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Globalisierung aufrechterhalten werden kann beziehungsweise aufrechtzuerhalten ist, wie den mit dem Wohlstandsstreben im Sinne materiellen Konsums (zwangsläufig) verbundenen (Negativ-)Entwicklungen wie Wertewandel beziehungsweise -verlust, Individualisierung, Abnahme sozialer Verantwortung und Wohlstandskriminalität gesellschaftlich effektiv gegengesteuert werden kann sowie die grundsätzliche Frage, ob das auf einem enormen Ressourcen- und Energieverbrauch beruhende (bisherige) westliche Wohlstandsmodell überhaupt ein sinnvolles und sinnstiftendes Gesellschaftsmodell darstellt und seine globale Ausweitung ökologisch zu verantworten ist.
Neue Wohlstandsmodelle
Besonders die umwelt- und entwicklungspolitische Kritik am Lebens- und Konsumstil in den Industrieländern betont, dass deren Wohlstandsmodell global nicht verallgemeinerungsfähig ist. Die Ausdehnung des Ressourcen- und Energieverbrauchs in den Industrieländern auf die Entwicklungsländer würde die begrenzten Assimilations- und Regenerationsmöglichkeiten des Ökosystems Erde und die knappen Rohstoffvorräte überfordern und zu katastrophalen Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Menschen führen.
Die Suche nach einem anderen, »erdverträglichen« Wohlstandsmodell wird als zwingend angesehen, wenn im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung den Menschen in den Entwicklungsländern noch wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten eingeräumt und den zukünftigen Generationen weltweit noch einigermaßen erträglichen Lebensbedingungen ermöglicht werden sollen. Zwei Wege für ein solches Wohlstandsmodell werden zunehmend diskutiert: Durch den Einsatz neuer, sparsamer Technologien sollen die gewünschten ökonomischen Leistungen in Zukunft mit einem Minimum an Rohstoffen, Energie und Umweltbelastungen erzeugt werden (»Effizienzrevolution«). Da sich die Krise der Wohlstandsgesellschaft auch als Krise der herrschenden Werte darstellt, wird danach gefragt, ob sich wachsender wirtschaftlicher Wohlstand immer durch ein quantitatives Mehr ausdrücken muss oder ob eine befriedigende Lebensqualität und ein zufrieden stellendes individuelles Wohlbefinden auch durch einen weniger güterintensiven Lebensstil erreichbar sind (»Suffizienzrevolution«).
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
Armut · Einkommensverteilung · Fortschritt · Industrialisierung · Innovation · Konsum · Leistungsgesellschaft · Nord-Süd-Konflikt · Reichtum · Umweltpolitik · Wachstum · Weltwirtschaft · Wertewandel · Wirtschaftssystem
J. K. Galbraith: Gesellschaft in Überfluß (a. d. Amerikan., Neuausg. 39.-44. Tsd. 1973);
C. Leipert: Unzulänglichkeiten des Sozialprodukts in seiner Eigenschaft als W.-Maß (1975);
Human development report (New York 1990 ff.);
L. Kotzsch: W. u. Reichtum in den Armutsländern (1991);
Wachstum u. W., hg. v. H. Diefenbacher u. a. (1991);
D. Nohlen u. F. Nuscheler: Indikatoren von Unterentwicklung u. Entwicklung, in: Hb. der Dritten Welt, hg. v. dens., Bd. 1 (31992);
W. Stahlmann: Ursachen von W. u. Armut (1992);
E. U. von Weizsäcker: Erdpolitik (31992);
Adam Smith: Der W. der Nationen (a. d. Engl., Neuausg. 61993);
D. H. Meadows u. a.: Die neuen Grenzen des Wachstums (a. d. Amerikan., Neuausg. 20.-23. Tsd. 1995);
D. S. Landes: The wealth and poverty of nations (London 1998).
Weitere Literatur: Wohlstandsgesellschaft.
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Wohlstand: Wohlstandsmessung
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Wohl|stand, der <o. Pl.>: Maß an Wohlhabenheit, die jmdm. wirtschaftliche Sicherheit gibt; hoher Lebensstandard: ein bescheidener W.; während marktwirtschaftliche Systeme den größtmöglichen W. für alle Bürger mithilfe des Privatkapitals erstrebten (Gruhl, Planet 68); im W. leben; Die eingesessenen Herren, soweit sie wegen angeheiratetem W. nicht Familienrücksichten zu nehmen brauchten (Kühn, Zeit 175); R bei dir, euch usw. ist wohl der W. ausgebrochen! (scherzh. od. spött. Kommentar, mit dem eine [bescheidene] Anschaffung o. Ä. zur Kenntnis genommen wird).
Universal-Lexikon. 2012.