Ve|da, der; -[s], Veden u. -s [sanskr. veda = Wissen]:
die heiligen Schriften der altindischen Religion.
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I Veda
[v- ; Sanskrit »Wissen«] der, -(s)/...den und -s, Weda, die älteste religiöse Literatur der Inder; abgefasst in einer älteren Sprachform (Altindoarisch, Altindisch) als die spätere Sanskritliteratur und aus Versen und Prosa bestehend. Der Veda ist das literarische Zeugnis der vedischen Religion und zählt zu den heiligen Schriften des Hinduismus. Er besteht aus mehreren, durch Form, Inhalt und Abfassungszeit unterschiedene Schichten. Die älteste bilden Sammlungen (Samhitas) von religiösen Hymnen und Sprüchen, die in die vier vedischen Abteilungen Rigveda, Samaveda, Yajurveda und den von der Orthodoxie erst spät anerkannten, aus Zaubersprüchen bestehenden Atharvaveda gegliedert sind. In diesen Texten werden kunstvolle Metren verwendet. Die am häufigsten vorkommenden Versmaße sind Gayatri (dreimal acht Silben), Anushtabh (viermal acht Silben), Trishtubh (viermal elf Silben) und Jagati (viermal zwölf Silben). Den Samhitas folgen umfangreiche Texte in Prosa, die Brahmanas, die Aranyakas und die Upanishaden. Jeder der vier Veden wird in mehreren Schulen (Shakhas) oder Rezensionen überliefert, die sich in den Samhitas oft nur wenig, aber in den Brahmanas zum Teil erheblich unterscheiden. Diese gesamte Literatur gilt als von Dichtern der vedischen Zeit, den Rishis, »geschaute« beziehungsweise »gehörte« Offenbarung (Shruti). Der traditionellen Vedaerklärung dienen als Hilfsmittel die zeitlich jüngeren, nicht auf Offenbarung, sondern auf Tradition (Smriti) gegründeten sechs Vedangas. Die ältesten Teile des Vedas (Teile des Rigveda) stammen aus der Zeit vor dem 1. Jahrtausend v. Chr. (Nordwestindien, Pandschab) und weisen bis in die Zeit der arischen Einwanderer zurück.
Der Rigveda umfasst wie jeder der vier Veden Samhitas, Brahmanas, Upanishaden und Sutras. In der allein erhaltenen Rezension der Shakalya enthält er 1 018, mit Nachträgen 1 028 Hymnen (10 462 Verse) an einzelne Götter (Indra, Agni, Varuna, Asura u. a.), aber auch an Dämonen, Ahnen und Könige. Diese in zehn Mandalas (»Kreise«) eingeteilten Hymnen werden vom Opferpriester, dem Hotar, rezitiert, womit er die Götter verehrt und sie zum Opfer einlädt. Die Samhita war zunächst eine Vereinigung des Hymnenbesitzes einzelner Priesterfamilien (dargestellt in den Mandalas 2 bis 7), an die sich im Laufe der Zeit Nachträge anschlossen. Der schließlich fixierte Gesamttext wurde dann mindestens 2 000 Jahre lang ohne Abweichungen mündlich weiter überliefert. Der Rigveda ist das älteste und bis heute in Indien tradierte Denkmal der indischen Literatur und eine sehr wertvolle Quelle für die Geschichte der Sprache, der Religon und Kultur im frühen Indien (die vier Kasten, Arbeitsteilung, Verhältnis der Geschlechter u. a.).
Im Samaveda (»Veda der Gesänge«) werden die Texte und Melodien gelehrt, mit denen der Udgatar, der priesterliche Sänger, das Opfer begleitet. Der Samaveda besteht aus zwei Teilen, dem Arcika (oder Purvarcika, »Strophensammlung«, zum Erlernen der Melodien) mit 585 Versen und dem Uttararcika (»Zweite Strophensammlung«, zur Anwendung beim Opfer) mit 1 225 Versen. Die Verse selbst sind großenteils dem Rigveda entnommen. Die Melodien wurden erst mündlich tradiert, später in Gesangbüchern (Ganas), ergänzend zum Arcika, festgehalten. Der Samaveda ist wertvoll für die vergleichende Musikgeschichte.
Der Yajurveda (»Veda der Sprüche«) enthält die Opferformeln und Mantras für den Adhvaryu-Priester (einer der vier Hauptpriester beim Opfer). Man unterscheidet den Schwarzen Yajurveda, der ein gewachsenes Gefüge aus Sprüchen und dazugehörigen Brahmanas darstellt, und den Weißen Yajurveda, der - nach Abtrennung der erklärenden Brahmanas - nur die Opferformeln überliefert. Der Yajurveda enthält religiöse sowie magische Darlegungen.
Der Atharvaveda (»Veda des Hauspriesters«, von atharvan, indoiranisch »Feuerpriester«) enthält eine Sammlung von Hymnen, die in der Hauptsache der schwarzen und weißen Magie dienen (z. B. Heilung von Krankheit, Abwehr von Dämonen, Hexern und Feinden, Schädigungszauber, Segenssprüche für das tägliche Leben, Sühne von Fehlverhalten, Sicherung brahmanischer Privilegien). Der in der Shaunaka-Rezension in 20 Bücher (730 Hymnen mit insgesamt rd. 6 000 Versen) gegliederte Text ist wertvoll für die altindische Volkskunde. Seine kunstvolle Sprachform ist merklich jünger als die des Rigveda.
Die als Geheimschriften überlieferten Aranyakas (»im Wald zu studierende Werke«) handeln ebenfalls von Opfer und Ritus, jedoch weniger im Sinne konkreter Vorschriften als vielmehr in philosophisch-spiritueller Ausdeutung. Sie gelten zum Teil als eine eigenständige Literatur, zum Teil sind sie über die anderen vedischen Schriften verteilt.
Die Veden markieren den Beginn der indischen Literatur und bildeten mit ihren mythischen, religiösen, philosophischen und sozialen Themen lange Zeit deren maßgebliche Quelle. Sie waren auch Gegenstand zahlreicher Kommentare und verschiedene neohinduistische Interpretationen (u. a. durch Vivekananda, Aurobindo Ghose und Dayananda Sarasvati, den Begründer der Aryasamaj).
Ausgaben: Rigveda: Die Hymnen des Rigveda, herausgegeben von T. Aufrecht, 2 Bände (1861-63, Nachdruck 1973); Der Rig-veda, übersetzt von K. F. Geldner, 4 Bände (1951-57); The hyms of the Rig-veda in the Samhita and Pada texts, herausgegeben von Friedrich M. Müller, 2 Bände (31965); Älteste indische Dichtung und Prosa. Vedische Hymnen, Legenden. .., herausgegeben und übersetzt von K. Mylius (1978). -Samaveda: Die Hymnen des Sâma-Veda, herausgegeben von T. Benfey (1848, Nachdruck 1978); Die Jaiminya-Samhita, herausgegeben von W. Caland (1907). - Yajurveda: Kaṭhaka. Die Saṃhitā der Kaṭha-Sākhā, herausgegeben von L. von Schroeder, 4 Bände (1900-12, Nachdruck 1970-72); Kapiṣṭhala-Kaṭha-Saṃhitā. A text of the black Yajurveda, herausgegeben von Raghuvira (1968). - Atharvaveda: Hundert Lieder des Atharva-Veda, übersetzt von J. Grill (21888, Nachdruck 1971); Atharvaveda, herausgegeben von Vishna Bandhu Shastri, 5 Teile (1960-64).
L. Renou: Bibliographie védique (Paris 1931);
L. Renou: Études védiques et pāṇinéennes, 17 Bde. (ebd. 1956-69);
L. Renou: The destiny of the veda in India (Delhi 1965);
M. Bloomfield: A Vedic concordance (Delhi 1964);
J. Gonda: Vedic literature (1975);
K. Mylius: Gesch. der altind. Lit. (Neuausg. Bern 1988);
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Indien in vedischer Zeit
Veda
Die ältesten heiligen Schriften Indiens sind die Veden (Veda bedeutet heiliges »Wissen«.) Der Veda gilt als göttliche Offenbarung (= »shruti«), die von den großen Sehern der Vorzeit erschaut wurde. Er ist in Sanskrit abgefasst und besteht aus vier Samhitas (= Sammlungen) von Liedern und Sprüchen für den Gebrauch der Priester bei den feierlichen Opferhandlungen. Die erste Samhita, der Rigveda, enthält Preislieder, mit denen die Götter zum Opferschmaus eingeladen wurden. Die zweite Samhita, der Samaveda, dessen Gesänge die Darbringung des Opfers begleiteten, ist überwiegend mit dem Rigveda identisch, jedoch nach opfertechnischen Erfordernissen angeordnet. Der Yajurveda enthält die Sprüche, die während des Opfers rezitiert wurden. Diese Sprüche sind kurze Formeln, die mit den einzelnen Opferhandlungen einhergehen. Die vierte Samhita, der Atharvaveda, ist eine Sammlung von meist metrischen Zaubertexten, die wahrscheinlich zu sehr verschiedenen Zeiten entstanden sind. Durch diese Lieder sollen böse Dämonen, Krankheiten und Ähnliches abgewehrt oder Vorteile der verschiedensten Art, wie etwa Liebesglück oder Sieg im Kampf, erlangt werden.
Die vedischen Texte wurden lange Zeit in den Priesterfamilien nur mündlich vom Lehrer an den Schüler weitergegeben. Zu den Samhitas gehören jeweils Brahmanas, »Erklärungstexte des Opferrituals«, Aranyakas, »Waldtexte«, und Upanishaden sowie Sutras, »Leitfäden (des Rituals, des Rechts und anderer Wissenschaften)«. Man nimmt an, dass die Samhitas gegen Ende des zweiten vorchristlichen Jahrtausends abgeschlossen waren. Die Brahmanas werden um 1000 v. Chr. datiert, die älteren Upanishaden und Sutras etwa zwischen 800 und 500 v. Chr.
Die Rigveda-Samhita ist die älteste und in literarischer Hinsicht bedeutendste. Sie enthält 1028 Hymnen, in denen die verschiedensten Götter angerufen werden, um sie zum Opfer einzuladen. In anderen Hymnen werden die Taten einer bestimmten Gottheit gepriesen oder die Götter werden angefleht, ihre Verehrer zu beschützen, ihnen Reichtum, langes Leben und Glück zu gewähren. Die Opfer für die Götter scheinen in der freien Natur stattgefunden zu haben, da keine Überreste von Tempeln oder von Abbildungen der Götter aus vedischer Zeit erhalten sind. Für unsere Kenntnis des Lebens und der Religion der frühvedischen Zeit ist der Rigveda die Hauptquelle. Sozial betrachtet ist der Veda eine Literatur des Brahmanen-Standes, dem allein es erlaubt war, den Veda zu rezitieren, Opferhandlungen vorzunehmen und als Priester zu wirken. Wirtschaftlich waren die Brahmanen von den beiden anderen Ständen, den Kshatriyas, »Krieger, Adel«, und Vaishyas, »Ackerbauern und Kaufleute«, abhängig. Nur diese drei Stände durften den Veda hören. Kraft ihres Amtes wurden die Brahmanen wie Götter verehrt und mit Vieh und anderen Gütern reich beschenkt.
Im Mittelpunkt des vedischen Kultes stand das Opfer. Neben den Naturgottheiten wie Himmel und Erde, Sonne und Mond, der Morgenröte Ushas, dem Windgott Vayu oder dem Regengott Parjanya wurden Götter verehrt, die noch eng mit den Naturelementen verknüpft waren. Indra, der oberste Gott, war der Gott des Kriegerstandes, Schützer gegen Feinde und Spender von Kühen und Schätzen. Außerdem hatte er auch noch manche Züge eines Naturgottes, denn er wurde gepriesen, weil er mit seinem Donnerkeil die Berge spaltete oder weil er über die Riesenschlange siegte, die am Anfang der Welt um das Wasser lagerte. Durch das Erschlagen der Schlange befreite Indra das Wasser, aber auch das Licht, und gewann die Kühe und den Kraft spendenden Somatrank. Damit waren die Voraussetzungen allen Lebens geschaffen. Der neben Indra am häufigsten angerufene Gott ist Agni, der Gott des Herdfeuers und des heiligen Opferfeuers. Alle Formen des Feuers, auch die Sonne, der Blitz, ein Waldbrand oder die Wärme im Körper der Lebewesen, wurden als Erscheinungen des Gottes Agni angesehen.
Ethische Ideen kommen vor allem in den Hymnen an die altarischen Hüter des Rita, »der Wahrheit und sittlichen Weltordnung«, Mitra und Varuna, zum Ausdruck. Diese Götter veranlassten die Menschen, Verträge einzuhalten und ihre Verpflichtungen zu erfüllen, und sie bestraften diejenigen, die ihren Gesetzen zuwiderhandelten. Mit Varuna ist auch der Glaube an die persönliche Unsterblichkeit verbunden, an das Leben der Seele nach dem Tod. In einigen späten Hymnen des Rigveda wird nach dem einen Gott, dem Übergott gesucht, der das Universum geschaffen hat. Diesen Gott, Prajapati oder später Brahma genannt, stellte man sich als Purusha, den »(Ur)menschen«, vor. Durch die Opferung seines Körpers wurde das Universum geschaffen.
An die Veden schließt sich eine große Zahl von Erläuterungstexten an, die wie diese Offenbarungscharakter haben sollen. Die Brahmanas sind umfangreiche Handbücher der Opferwissenschaft, in denen für die Ausführung der heiligen Zeremonien genaue Anweisungen gegeben werden; außerdem wird ihre Bedeutung sowie die für ihre Ausführung zu erwartende Belohnung erläutert. Allen Riten wird ein ungeheurer Wert zugeschrieben, weil die kosmische und die kultische Ordnung einander entsprechen und durch die Riten aufrechterhalten werden. Der Priester, der die Opfer in der richtigen Weise durchführt, wird Herr der Götter, weil diese nach dem magischen Gesetz, das die Welt regiert, gezwungen sind, sich seinem Willen zu fügen. Die Brahmanas enden zum Teil in Aranyakas, den Opfermystik und priesterliche Philosophie enthaltenden »Waldtexten«, die nur in der Einsamkeit des Waldes gelehrt werden durften. In spätvedischer Zeit war, unter dem Einfluss der Brahmanen, die Religion im Ritual der Opferhandlungen erstarrt; dagegen entwickelte sich die Bewegung der Wanderasketen (»shramana«). Angehörige aller Stände entsagten der Welt und versuchten, durch ein Leben in Bedürfnislosigkeit und Meditation im Wald und auf Wanderschaft die Erlösung zu finden.
Bestandteile oder Fortsetzungen der Aranyakas sind die älteren Upanishaden, die ältesten philosophischen Abhandlungen der indischen Kultur. Sie gehen auf die verschiedensten Denker und Schulen zurück und lehren kein einheitliches philosophisches System, sondern vermitteln etwa folgende Sicht der metaphysischen Existenz: Die Einzelseele ist unsterblich. Durch das Gesetz der ewigen Tatvergeltung gezwungen, irrt sie, in die vergänglichen Körper von Göttern, Menschen, Tieren und Pflanzen gebannt, im ewigen Geburtenkreislauf herum. Einen Ausweg aus dem Kreislauf der Existenzen bietet nur die Erkenntnis, dass alles Vergängliche nicht der Seele angehört, dass diese selbst vielmehr mit dem ewigen Urgrund des Alls, dem Brahman, verwandt oder wesenseins ist. Wer diese höchste Wahrheit erfasst, der gelangt über Leben und Tod hinaus. Er wird nicht wieder geboren und geht zum Absoluten, zum Brahman ein.
Aufgrund der ungeheuren Vielfalt ihrer Lehren wurden die Upanishaden zu einer entscheidenden Grundlage der späteren indischen Philosophie. Sogar abendländische Philosophen wie Leibniz und Schopenhauer wurden von ihrer Philosophie beeinflusst.
Dr. Siglinde Dietz
Sivaramamurti, Calambur: Indien. Kunst und Kultur. Übersetzung und Bearbeitung der deutschen Ausgabe von Oskar von Hinüber. Freiburg im Breisgau u. a. 41987.
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Ve|da, der; -[s], Veden u. -s [sanskr. veda = Wissen]: die heiligen Schriften der altindischen Religion.
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Ve|da: ↑Weda.
Universal-Lexikon. 2012.