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Sibirien
Si|bi|ri|en; -s:
Teil Russlands im nördlichen Asien.

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Sibiri|en,
 
1) Föderaler Kreis S.Sibirien, Sibirischer Föderaler Kreis, russisch Sibịrskij federạlnyj ọkrug, Sibịrskij federạl'nyj ọkrug, seit Mai 2000 in Russland bestehende, im östlichen Bereich Westsibiriens sowie im größten Teil Ostsibiriens gelegene, übergeordnete Verwaltungseinheit für die Teilrepubliken Altai, Burjatien, Chakassien und Tuwinien (Tywa) sowie für die Regionen Altai und Krasnojarsk (mit dem Autonomen Kreis Taimyr und dem Autonomen Kreis der Ewenken) und für die Gebiete Irkutsk (mit dem Burjatischen Autonomen Kreis Ust-Ordynskij), Kemerowo, Nowosibirsk, Omsk, Tomsk und Tschita (mit dem Burjatischen Autonomen Kreis Aginskoje); 5 114 800 km2, 20,9 Mio. Einwohner; Verwaltungszentrum ist Nowosibirsk.
 
 2) russ.russisch Sibịr, Sibịr', Großlandschaft in Nordasien, umfasst den größten Teil des asiatischen Territoriums von Russland, reicht im Südwesten bis in den Norden von Kasachstan, etwa 10 Mio. km2, (1996) 24,3 Mio. Einwohner (1961: 17,8 Mio. Einwohner); erstreckt sich vom Ural im Westen bis zu den Gebirgen der pazifischen Wasserscheide im Osten (7 000 km), von der Küste des Nordpolarmeers im Norden zur Kasachischen Schwelle und den Südhängen der südsibirischen Gebirge an den Grenzen zur Mongolei und zu China im Süden (3 500 km). Neben der Untergliederung in Westsibirien (vom Ural bis zum Jenissej) und Ostsibirien (vom Jenissej bis zur pazifischen Wasserscheide) ist auch eine Dreiteilung mit Mittelsibirien (vom Jenissej bis zur Lena) üblich.
 
 Landesnatur
 
Sibirien gliedert sich in mehrere natürliche Großräume. Zwischen Ural und Jenissej breitet sich als eines der größten Tiefländer der Erde das Westsibirische Tiefland aus, dem sich nach Osten zwischen Jenissej und Lena das Mittelsibirische Bergland anschließt. Zwischen ihm und dem Byrrangagebirge auf der Halbinsel Taimyr liegt das Nordsibirische Tiefland. Östlich der mittleren und unteren Lena erstreckt sich bis zur pazifischen Wasserscheide das bis 3 147 m über dem Meeresspiegel aufragende Nordostsibirische Gebirgsland. Es umfasst den mächtigen Bogen des Werchojansker und Kolymagebirges. Das Innere des Gebirgsbogens wird v. a. von Hoch- (besonders Tscherskijgebirge) und Mittelgebirgen (Jana-Ojmjakon-Bergland u. a.) eingenommen, die aus mesozoischen Gesteinen aufgebaut sind und von Erz führenden Granit- und Diabasintrusionen durchzogen werden. Im Norden schließen vermoorte, von Seen durchsetzte Aufschüttungsebenen (Jana-Indigirka-Tiefebene, Kolymatiefebene) an. Die Gebirge Südsibiriens bilden mit Altai, Sajangebirge, Tannu-Ola, Tuwabergland und den Bergländern Baikaliens und Transbaikaliens eine hohe Barriere, die Sibirien von Zentralasien trennt. An die Sibirische Tafel bogenförmig angefaltet, später abgetragen und erneut gehoben, besteht dieser Raum aus Mittelgebirgen, alten Denudationsebenen (1 500-2 500 m über dem Meeresspiegel) und Hochgebirgen mit alpinen Formen (3 000-4 500 m über dem Meeresspiegel). Ein- und vorgelagerte Senken (Kusnezker und Minussinsker Becken, Tuwabecken) bergen Kohle und Erze.
 
Gewässer:
 
Sibirien wird von den großen Strömen Ob (mit Irtysch), Jenissej (mit Angara), Lena, Aldan, Kolyma und Indigirka durchflossen, die in das Nordpolarmeer münden. Sie sind im Süden fünf, im Norden acht Monate zugefroren; ihr Abfluss erfolgt zu 80-90 % in den Sommermonaten. Zahlreiche Seen prägen das Gebiet. In der Tundra liegen viele meist kleinere, flache Seen, in den breiten Flussauen des Westsibirischen Tieflands sind Altwässer, im Vorland der Gebirge Gebirgsrandseen, in den Gebirgen Karseen und im Süden Steppenseen (Tschanysee) typisch; größter See ist der Baikalsee.
 
Klima:
 
Sibirien gehört zur gemäßigten und zur subpolaren Klimazone. Charakteristisch ist eine extreme Kontinentalität, die sich von Westen nach Osten verstärkt. Die mittlere Jahrestemperatur liegt nahezu in ganz Sibirien unter 0 ºC, im Nordosten sogar bei —18 ºC, wobei sich die Temperaturmittel der wärmsten und kältesten Monate um 35-68 Grade unterscheiden. Die Juliisothermen verlaufen breitenparallel (23 ºC im Süden, 5 ºC im Norden), die Januarisothermen umschließen dagegen den Kern des Hochs in Nordostsibirien (—16 bis —20 ºC im Süden, —40 bis —48 ºC im Nordosten), wo in Werchojansk und Ojmjakon die Temperaturen bis —67,8 ºC beziehungsweise bis —70 ºC fallen (Kältepole). An Niederschlägen erhält der Norden im Jahr 100-250 mm, die westliche Waldzone 500-600 mm, die Gebirge im Süden 1 000-2 000 mm, überwiegend als Sommerregen, weshalb die 170-300 Tage bestehende Schneedecke nur 40-60 cm, lediglich am mittleren Jenissej bis 90 cm mächtig ist. Dauerfrostböden (etwa 200-500 m mächtig) sind in ganz Ostsibirien sowie in Westsibirien nördlich des 62. Breitengrades verbreitet (etwa 6 Mio. km2).
 
Die Vegetationszonen verlaufen entsprechend den sich von Norden nach Süden ändernden klimatischen Gegebenheiten annähernd breitenparallel. Die Abfolge Tundra, Taiga, Waldsteppe, Steppe ist besonders im Westsibirischen Tiefland gut ausgeprägt. Östlich des Altai grenzen Taiga und Gebirgswälder dicht aneinander, sodass Waldsteppe und Steppe im Osten nur noch inselhaft auftreten (z. B. das Minussinsker Becken, das Tuwinische Becken, das Gebiet um Ulan-Ude, Tschita). Die Taiga Mittel- und Ostsibiriens ist das größte flächenhaft zusammenhängende Waldgebiet der Erde (heute schon zum Teil durch wilden Kahlschlag abgeholzt); die boreale Nadelwaldzone erstreckt sich hier von der nördlichen Waldgrenze (am Jenissej bei etwa 70º nördliche Breite, an der Chatanga bei 72º nördliche Breite, östlich der Lena im Mittel bei etwa 70º nördliche Breite, im Gebiet des Anadyr bei etwa 65º nördliche Breite) über 20-25 Breitengrade; vorherrschende Baumart ist die Dahurische Lärche. Am Amur und am Ussuri kommen infolge des Monsuneinflusses Mischwälder vor.
 
Die Tierwelt umfasst viele Arten mit paläarktischer Verbreitung, die auch in Europa vorkommen. Unter den Großsäugern der Taiga sind am zahlreichsten der Braunbär und der Elch vertreten. Zu den Raubtieren gehören begehrte Pelztiere wie Zobel und Sibirische Feuerwiesel. Eine einzigartige, zu drei Vierteln endemische Fauna (z. B. Ölfische, Baikalgroppen und die Baikalrobbe) weist der Baikalsee auf. Zur Fauna der nördlichen Regionen Tundra.
 
 Bevölkerung
 
Etwa 85 % der in Sibirien lebenden Menschen sind Russen sowie 5 % Ukrainer und Weißrussen (zusammen als Sibirier oder Sibirjaken bezeichnet). Außerdem leben in Sibirien viele kleine Völker unterschiedlicher Sprachzugehörigkeit (»kleine Völker des Nordens«): Paläosibirier, Samojeden, Ob-Ugrier (Chanten, Mansen), Tungusen (Ewenken, Ewenen, Negidalen, Nanai, Oltscha, Oroken, Orotschen, Udehe). Dazu kommen Völker mit Turksprache (Jakuten, Tuwinen, Tofalaren, Dolganen, Altaier, Chakassen, Schoren, Westsibirische Tataren) und mongolischer Sprache (Burjaten) sowie Sibiriendeutsche. Die Bevölkerung ist äußerst ungleichmäßig verteilt (90 % konzentrieren sich auf 10 % der Fläche): Am dichtesten ist der Süden von Westsibirien entlang der Transsibirischen Eisenbahn und ihren Zweigstrecken besiedelt. Seit 1990 ist die Bevölkerungszahl Sibiriens, v. a. des Hohen Nordens, stark rückläufig. Zwei Drittel der Bewohner leben in Städten, deren größte Nowosibirsk (1997: 1,37 Mio. Einwohner), Omsk (1,16 Mio.), Krasnojarsk (1995: 869 000), Barnaul (596 000), Irkutsk (585 000) und Nowokusnezk (572 000) sind.
 
 Wirtschaft · Verkehr
 
Die Wirtschaft Sibiriens ist einseitig auf die Rohstoffgewinnung und -verarbeitung ausgerichtet, die Konsumgüterindustrie ist ungenügend ausgebaut. Nach 1945, besonders aber nach 1971 erfolgte eine intensive Erschließung Sibiriens durch die Schaffung großer Produktionskomplexe, z. B. Bratsk/Ust-Ilimsk, im südlichen Jakutien, im Sajangebirge und an der Baikal-Amur-Magistrale. Die in großem Maßstab durchgeführte Ausbeutung der Naturschätze ohne Rücksicht auf die vorher weithin unberührte Natur führte zu großen Umweltschäden durch die Bergbau-, Energie- und Industriebetriebe. Hauptwirtschaftszweig ist die Förderung fossiler Brennstoffe (Erdgas auf der Halbinsel Jamal, bei Urengoj, Jamburg, Medweschje, Messojacha, Berjosowo, Igrim, Punga; Erdöl bei Samotlor, Ust-Balyk, Sowjetskoje u. a.; Kohle im Kusnezker Steinkohlenbecken, im Kansk-Atschinsker, Irkutsker und Südjakutischer Kohlenbecken) und ihre Verarbeitung in der petrochemischen Industrie (u. a. in Tomsk) und in Wärmekraftwerken zur Gewinnung elektrischer Energie. Diese - ergänzt durch Strom aus den Wasserkraftwerken (v. a. an Angara, Jenissej, Kolyma, Ob) - bilden zusammen mit den reichen Erzvorkommen (Eisenerz im Kusnezker Alatau und im Schorijabergland, Kupfer-, Nickel-, Bleierz, Bauxit, Gold, Silber; Förderzentren Norilsk, Salair, Transbaikalien) die Grundlage für Eisen- (Kusnezk), Bunt- (Norilsk) und Leichtmetallurgie (Schelechow südlich von Irkutsk, Bratsk, Krasnojarsk) sowie den Maschinenbau. Dazu kommen dank der ausgedehnten Wälder die Holz- sowie in den Ballungsgebieten der Bevölkerung die Nahrungsmittel- und Konsumgüterindustrie. Sibirien erzeugt etwa 15 % der Industrieproduktion Russlands. Der Anteil an der gesamtrussischen Wirtschaft beträgt bei Erdöl 66 %, Erdgas 75 %, Kohle 60 %, Eisen und Stahl 25 % und Elektroenergie 25 %; Jakutien ist wichtig für die Diamantengewinnung. Die ungünstigen natürlichen Verhältnisse lassen nur im Süden Westsibiriens (etwa auf 26,7 Mio. ha, also 2,7 % der sibirischen Gesamtfläche) in größerem Umfang Ackerbau zu. Angebaut werden Sommerweizen, Zuckerrüben, Flachs und Kartoffeln sowie Futtermittel für die Rinder- und Schweinezucht; in einigen Gebieten ist auch die Schafzucht, in Nordsibirien die Rentierhaltung sowie die Pelztierzucht und -jagd entwickelt.
 
Verkehr:
 
Neben der Transsibirischen Eisenbahn sind die Baikal-Amur-Magistrale (BAM) sowie die Süd-, Mittel- und Nordsibirische Eisenbahn die wichtigsten Verkehrswege. Im Bau befindet sich die Bahnstrecke Amur-Jakutsk, die Jakutsk mit der BAM und der Transsibirischen Eisenbahn verbindet. Autofernstraßen führen vom Ural über Tschita (5 000 km) an die Grenze zu China und von Jakutsk nach Magadan im Fernen Osten (1 180 km). Weite Gebiete sind aber nur auf dem Luftweg oder im Winter auf den als Autostraßen genutzten zugefrorenen Flüssen erreichbar. Die Flussschifffahrt auf Ob, Jenissej und Lena verbindet einige Wirtschaftsgebiete Südsibiriens mit dem Seeverkehr auf der Nordostpassage; Seehäfen haben Dikson, Dudinka und Igarka. Die Schifffahrt wird jedoch durch den langen Eisgang stark behindert. Von den Erdöl- und Erdgasfördergebieten führen Pipelines zu den Verarbeitungs- und Verbrauchszentren im Ural, in Kasachstan, im europäischen Teil Russlands sowie in mehreren europäischen Staaten.
 
 Vorgeschichte
 
Altsteinzeitlicher Fundstätten im Hochaltai (Kisyl-Osek) und am Amur (Komary) zeigen die frühesten Spuren menschlicher Besiedlung in Sibirien. Während Fundstätten des Jungpaläolithikums bisher auf Südsibirien beschränkt waren, haben die seit 1963 durchgeführten Untersuchungen der »Archäologischen Lena-Expedition« den Nachweis für das Auftreten eiszeitlicher Jägergruppen in ganz Nordostsibirien erbracht. Besonders aufschlussreiche Fundstellen wurden im Aldantal entdeckt. Es handelt sich dabei um Kulturreste der mittleren und jüngeren Altsteinzeit, die durch Radiokarbonmessungen auf die Zeit von 33000 bis 8000 v. Chr. datiert werden konnten. Die nördlichste Grabungsstelle liegt am Fluss Berelech bei etwa 71º nördliche Breite Hier wurden mit den Überresten eines im Bodeneis konservierten Mammuts altsteinzeitliche Geräte gefunden.
 
Die regionale Gliederung der jungsteinzeitlichen Funde lässt folgende Gruppen erkennen: 1) die Schigirkultur im Uralgebiet, 2) die Obkultur am Unterlauf des Ob und westlich des mittleren Jenissej, 3) die Baikalkultur zwischen dem oberen Jenissej und dem Amurknie, 4) die Amurkultur, die Sachalinkultur und die Primorjekultur an der Küste des Japanischen Meeres, 5) die Kultur des mittleren Lenagebiets, 6) die Kultur des unteren Lenagebiets, die sich östlich bis zur Tschuktschenhalbinsel ausgedehnt hat. Die jungsteinzeitlichen und bronzezeitlichen Jäger- und Fischerkulturen des Baikalgebiets geben durch gut erhaltene Grabbeigaben wertvolle Aufschlüsse über Wirtschaft, Kunst und Religion des 3. und 2. Jahrtausends v. Chr. in diesem Gebiet. Am deutlichsten zeichnet sich der Ablauf der sibirischen Vorgeschichte im Gebiet des oberen Jenissej ab; die hier ermittelte Kulturfolge ist die Grundlage für die Chronologie des gesamten nordasiatischen Raumes.
 
Die Afanasjewokultur bildet den Übergang zur Bronzezeit. Die Träger der Kultur gehören zur europiden Rassengruppe. In dieser Zeit (2. Jahrtausend v. Chr.) wurde Sibirien bis zu den Ufern des Nordpolarmeers besiedelt. Die bronzezeitliche Glaskowokultur des Angaratals ist durch sinnfällige Belege für das Auftreten des Schamanismus (Gräber mit Kultfiguren und Zubehör der Schamanenkleidung) bemerkenswert.
 
Anfang des 1. Jahrtausends v. Chr. bildete die Andronowokultur einen einheitlichen Formenkreis vom Altai bis zum südrussischen Steppengebiet. In ihrem Bereich wurde neben Viehzucht auch Ackerbau (Weizen) betrieben. Die Karassukkultur am oberen Jenissej (Minussinsk) scheint auf eine Einwanderung aus Nordchina zurückzugehen, kulturelle Beziehungen weisen außerdem zur Mongolei. Seit 700 v. Chr. bestanden in Sibirien verschiedene Kulturen der Eisenzeit, von denen die Tagarkultur am oberen Jenissej als Zweig der skythischen Kultur die bedeutendste ist. Durch die Ausgrabungen der Kurgane im Pasyryk im Altaigebiet, wo viele Zeugnisse der Steppenkunst gefunden wurden, ist diese Kultur besonders bekannt. Um Christi Geburt entwickelte sich als Fortsetzung der Tagarkultur die Taschtykkultur. - Im Norden von Sibirien verblieb die Bevölkerung auf der Stufe der Jäger, Fischer und einfachen Viehzüchter.
 
 Geschichte
 
Sibirien hieß Ende des 15. Jahrhunderts ein Khanat im unteren Irtyschtal östlich des Ural; seit dem 17. Jahrhundert wird das gesamte nordasiatische Gebiet bis zum Pazifischen Ozean als Sibirien bezeichnet; der östliche Teil erhielt in sowjetischer Zeit die Bezeichnung »Fernostgebiet«.
 
Schon im 11./12. Jahrhundert geriet Nordwestsibirien (»Jugra«) in den Einflussbereich Nowgorods, das mit den dort lebenden Völkern Pelzhandel betrieb beziehungsweise von diesen Tribut einzog. Im 13. Jahrhundert wurde Sibirien mit Ausnahme des Nordens von den Mongolen unterworfen; Westsibirien gehörte zur Goldenen Horde, nach deren Zerfall sich im 15. Jahrhundert das Khanat Sibirien bildete. Im Auftrag der Kaufmannsfamilie Stroganow drang 1581 (oder schon 1579) von der Kama aus eine Kosakenabteilung unter Jermak Timofejewitsch bis zum Irtysch vor und eroberte das Khanat (Einnahme der Hauptstadt Isker 1582). 1586 wurde Tjumen als erste russische Stadt in Sibirien gegründet; 1604 entstand Tomsk. Bei der weiteren Erschließung im 17. Jahrhundert folgten Kosaken und »Dienstleute« des Zaren den großen Flusssystemen; 1639 war das Ochotsksche Meer erreicht, um 1644/45 die Amurmündung. In Ostsibirien entstanden u. a. die Stützpunkte Jenissejsk (1619), Krasnojarsk (1628), Jakutsk (1632) und Irkutsk (1652/61). Die einheimisch, kulturell und ethnisch sehr unterschiedliche Bevölkerung (Mitte des 17. Jahrhunderts rd. 200 000 Menschen) wurde zur Entrichtung von Steuern (»Jasak«, zumeist in Form von Fellen) gezwungen. Nachdem China im Vertrag von Nertschinsk (1689) den Verzicht Russlands auf das Amurgebiet erreicht hatte, musste es 1858/60 alle Ansprüche auf die Gebiete an Amur und Ussuri aufgeben. Sibirien wurde zunächst direkt von Moskau aus verwaltet; erst 1708 wurde das Gouvernement Sibirien (Zentrum Tobolsk) errichtet. 1822 entstanden die Generalgouvernements Westsibirien (Zentrum Tobolsk, seit 1839 Omsk) und Ostsibirien (Irkutsk); weitere administrativ-territoriale Neugliederungen im 19. und 20. Jahrhundert schlossen sich an (u. a. 1925/26 Bildung der Sibirischen und der Fernöstlichen Region, 1922 Gründung der Jakutischen ASSR, 1923 der Burjat-Mongolischen ASSR, 1930 Schaffung nationaler Kreise für die kleinen Völkerschaften).
 
Seit dem 18. Jahrhundert gewann der Bergbau an Bedeutung (ab dem 19. Jahrhundert besonders die Goldförderung). Im 19. Jahrhundert nahm die Verbannung von Verbrechern und politischen Gegnern des Zarismus nach Sibirien stark zu. 1891 begann der Bau der Transsibirischen Eisenbahn (1916 fertig gestellt); 1896-1914 wurden etwa 4 Mio. Bauern aus Zentralrussland nach Sibirien umgesiedelt. Im Bürgerkrieg beherrschte 1918/19 Admiral A. W. Koltschak Westsibirien (Regierungssitz Omsk). Als Pufferstaat zu dem 1918-22 von Japan besetzten Ostsibirien existierte 1920-22 die »Fernöstliche Republik«. Bis Dezember 1922 eroberten die Bolschewiki ganz Sibirien. In den 30er-Jahren entstand eine schwerindustrielle Basis (Kohle, Metallurgie; besonders Ural-Kusnezker Kombinat). Im Zweiten Weltkrieg verlagerte die sowjetische Regierung zahlreiche Industriebetriebe aus dem europäischen Teil Russlands nach Sibirien. - Unter der Herrschaft Stalins, insbesondere zur Zeit der Großen Tschistka, wurden zahlreiche Zwangsarbeits- und Internierungslager in Sibirien errichtet (1947 nach Angaben ehemaliger Häftlinge zwischen 4 und 6 Mio. Verbannte und Kriegsgefangene). Die nach 1945 verstärkt betriebene wirtschaftliche Entwicklung, die sich jedoch v. a. auf eine Erschließung und die Nutzung neuer Rohstofflager (z. B. Erdgas) konzentrierte, ging einher mit einer weiteren verkehrstechnischen Erschließung (u. a. Errichtung der BAM), führte jedoch auch aufgrund der rigorosen Ausnutzung der natürlichen Ressourcen zur ökologischen Schädigung großer Gebiete.
 
Literatur:
 
Istorija Sibiri s drevnejšich vremen do našich dnej, 5 Bde. (Leningrad 1968-69);
 A. P. Okladnikow: Der Hirsch mit dem goldenen Geweih. Vorgeschichtl. Felsbilder S.s (a. d. Russ., 1972);
 A. P. Okladnikow: Der Mensch kam aus S. (a. d. Russ., Wien 1974);
 J. A. Mocanov: Drevnejšie ėtapy zaselenija čelovekom Severo-Vostočnoj Azii (Nowosibirsk 1977);
 W. Faust: Rußlands goldener Boden. Der sibir. Regionalismus in der zweiten Hälfte des 19. Jh. (Wien 1980);
 L. Thomas: Gesch. S.s (Berlin-Ost 1982);
 
S., ein russ. u. sowjet. Entwicklungsproblem, hg. v. G. Leptin (1986);
 L. Dines: Soviet Asia. Economic development and national policy choices (Boulder, Colo., 1987);
 
Siberia and the Soviet Far East. Strategic dimensions in multinational perspective, hg. v. R. Swearingen (Stanford, Calif., 1987);
 
Siberia. Problems and prospects for regional development, hg. v. A. Wood (London 1987);
 
The development of Siberia. People and resources, hg. v. A. Wood: (Basingstoke 1989);
 
The history of Siberia. From Russian conquest to revolution, hg. v. A. Wood: (London 1991);
 
Die Erschließung S.s u. des Fernen Ostens, hg. v. V. V. Vorob'ëv u. a. (a. d. Russ., Gotha 1988);
 H. Klüter: Die territorialen Produktionskomplexe in S.: Ein Beitrag zur Perestrojka der regionalen Investitionspolitik in der Sowjetunion (1991).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Russland in Sibirien: Der Griff nach dem Osten
 
Imperialismus: Kulturelle Mission oder Platz an der Sonne
 

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Si|bi|ri|en; -s: Teil Russlands im nördlichen Asien.

Universal-Lexikon. 2012.