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Sünde
Übertretung; Bruch (göttlicher) Gesetze; Tabubruch; Verfehlung

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Sün|de ['zʏndə], die; -, -n:
a) Übertretung eines göttlichen Gebotes:
eine schwere, lässliche Sünde; eine Sünde begehen; seine Sünden beichten, bekennen, bereuen; jmdm. seine Sünden vergeben.
Syn.: Frevel (geh.), Schuld, Verfehlung, Verstoß.
b) Handlung der Unvernunft, die nicht zu verantworten ist; Verfehlung gegen bestehende [moralische] Normen:
architektonische Sünden; die Sünden der früheren Bildungspolitik; es wäre eine [wahre] Sünde (eine Dummheit), wenn …; es ist eine Sünde [und Schande] (es ist empörend), wie …; sie hat ihm seine Sünden (Fehltritte) verziehen.
Syn.: Dummheit, Fehler, Irrtum.

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Sụ̈n|de 〈f. 19
1. Verfehlung gegen Gott od. sein Gebot
2. 〈allg.〉 Handlung, deren man sich schämt, Verstoß, Unrecht
3. Schuld
● die \Sünden des Fleisches; ein Kind der \Sünde 〈veraltet〉 uneheliches K.; es ist eine \Sünde und Schande ● eine \Sünde begehen, tun; seine \Sünden beichten, bekennen, bereuen; sein: es ist eine \Sünde, das Brot wegzuwerfen; es ist eine (wahre) \Sünde, dass du deine Fähigkeiten nicht besser nutzt ● in \Sünde fallen, geraten; er hasst mich wie die \Sünde; sie ist faul, hässlich wie die \Sünde 〈umg.〉 sehr faul, sehr hässlich [<ahd. sunt(e)a; Herkunft ungeklärt; vielleicht zu lat. sons, sontis „schuldig“]

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Sụ̈n|de, die; -, -n [mhd. sünde, sunde, ahd. sunt(e)a, H. u.]:
a) Übertretung eines göttlichen Gebots:
eine schwere, lässliche S.;
eine S. begehen;
seine -n beichten, bekennen, bereuen;
jmdm. seine Sünden vergeben;
faul wie die S. (emotional; sehr faul);
etw. wie die S. fliehen/meiden (emotional; sich ängstlich von etw. zurückhalten);
eine S. wert sein (scherzh.; äußerst begehrenswert sein, sodass die Sünde, sich dadurch verführen zu lassen, als gerechtfertigt gilt);
b) <o. Pl.> Zustand, in dem sich jmd. durch eine Sünde (a) od. durch die Erbsünde befindet:
die Menschheit ist in S. geraten;
die beiden leben in S. (veraltet; leben unverheiratet zusammen);
c) Handlung der Unvernunft, die nicht zu verantworten ist; Verfehlung gegen bestehende [moralische] Normen:
architektonische -n;
es wäre eine [wahre] S. (eine Dummheit), wenn …;
sie hat ihm seine Sünden (Fehltritte) verziehen.

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Sünde,
 
in der christlichen Theologie geprägte und von dort auch auf die allgemeine Religionsgeschichte übertragene Bezeichnung für ein das Gott-Mensch-Verhältnis störendes Handeln des Menschen ohne beziehungsweise gegen Gott. Etwa seit dem 16. Jahrhundert bedeutet Sünde im Deutschen auch allgemeine »Übertretung eines Sittengesetzes«; seit dem 18. Jahrhundert steht der Begriff auch ohne besondere Wertung im Sinne von »Fehler, Irrtum, Torheit« oder wird synonym zu Schuld 1) gebraucht.
 
In der Religionswissenschaft steht der Begriff Sünde im Allgemeinen für die Schuld, die in einem bestimmten religiösen Kontext die Verbindung zum Numinosen, zu Göttern oder Gott stört. Ursprünglich handelt es sich dabei v. a. um die Verletzung von Tabus, die durch die Erfahrung von numinosen Kräften aufgerichtet worden sind. In diesen Vorstellungskreis gehören Frevel (Hochmut gegenüber Göttern [in den monotheistischen Weltreligionen besonders die Lästerung des Gottesnamens], Verletzung beziehungsweise Profanierung heiliger Orte, Zeiten, Gegenstände oder Personen), kultischen Vergehen oder Versagen (Unterlassung oder fehlerhafte Verrichtung gebotener Kultformen), Unreinheit oder Verunreinigung durch Unterlassung von kultischen oder anderen religiösen Pflichten (Waschungen, asketische Vorschriften, Meidungsgebote u. a.), aber auch soziale Vergehen und antisoziales Verhalten wie Rechtsbruch und Verstöße gegen die vorgegebenen und als von Gott gesetzt angesehenen natürlichen und sozialen Ordnungen. Diesen Vorstellungen komplementär sind die - rituell vielfältig ausgestalteten - »Mechanismen« der Vergeltung und Abgeltung (Buße), die als religiöse »Wiedergutmachung« auf die Wiederherstellung des im religiösen Verständnis lebensnotwendigen Gott-Mensch-Verhältnisses abzielen. In den polytheistischen Religionen verstärkte sich im Laufe ihrer Geschichte die Tendenz, Sünde als Verletzung des Willens von personalen Gottheiten zu begreifen (Polytheismus). Die Universalreligionen verstehen Sünde mehr im existenziellen Sinn, als Schuld des Individuums und Verfehlen des eigenen Lebenssinns. Monistische Religionen fassen Sünde aufgrund ihres apersonalen Gottesverständnisses dabei eher als eine durch Unwissenheit oder Verblendung bewirkte Selbstschädigung auf, die im fehlenden Wissen um die wahren Zusammenhänge und den rechten Weg zum Heil begründet und daher vor niemandem zu verantworten ist (Monismus). In den monotheistischen Weltreligionen (Judentum, Christentum, Islam) tritt die Absolutheit des persönlichen Gottes in den Vordergrund, der allein Normen setzt und vor dessen Gericht es zu bestehen gilt. Sünde wird dabei grundsätzlich als Ungehorsam oder Untreue gegenüber dem Willen Gottes beschrieben.
 
Für die jüdische und die christliche Theologie liegt die Sünde in der »Ursünde« des Menschen (seinem so genannten Sündenfall) begründet. Im jüdischen wie im christlichen Verständnis ist daher kein Mensch ohne Sünde. Im Anschluss an das Alte Testament betont die jüdische Tradition allerdings ausdrücklich die dem Menschen von Gott gegebene Freiheit, die Gottesgebote (Thora) einzuhalten oder kraft eigener (Willens-)Entscheidungen zu übertreten, womit jeder Einzelne vor Gott für seine Taten verantwortlich ist, für die Gott von ihm Rechenschaft verlangen wird.
 
Die Predigt Jesu im Neuen Testament geht ebenfalls davon aus, dass alle Menschen Sünder sind, der Vergebung Gottes bedürfen und allein durch seine Liebe gerettet werden können. Dieser Gedanke wird zugespitzt bei Paulus in seiner auf der Antithese von Gesetz und Evangelium beruhenden Lehre von der Rechtfertigung des Sünders. Voraussetzung für die Vergebung der Sünde ist der Glaube, der im Neuen Testament besonders als »Umkehr«, das bedingungslose und vollständige Sicheinlassen auf die Botschaft Jesu, beschrieben wird (Metanoia).
 
In der christlichen Theologiegeschichte sind Sünde und Schuld eng verknüpft mit der Interpretation der Erlösung durch Jesus Christus und des Verhältnisses von (göttlicher) Gnade und menschlichem freiem Willen. Die Vorstellung von der grundsätzlichen Sündhaftigkeit jedes Menschen hat ihren Niederschlag in der Lehre von der Erbsünde gefunden. Das Bekenntnis der Sünde (Beichte) ist in allen Konfessionen ein zentraler religiöser Akt. Die katholische Theologie schließt dabei an die scholastische Unterscheidung zwischen lässlicher Sünde und schwerer Sünde (Todsünde) an und konzentriert sich auf das individuelle Verhältnis des Einzelnen zu Gott und auf den Grad seiner Schuld. Auf dem 2. Vatikanischen Konzil wurde darüber hinaus jedoch auch die soziale Dimension von Sünde und Schuld betont. Grundlegend für die evangelische Theologie ist die Vorstellung, dass die Rechtfertigung des sündigen Menschen allein in der Gnade Gottes gründet und allein durch den Glauben (sola fide) erfolgen kann. Die bleibende Sündhaftigkeit des Menschen wird damit nicht aufgehoben (simul iustus et peccator). Für die orthodoxe Theologie ist Sünde v. a. die Verdunkelung, jedoch nicht völlige Zerstörung der Gottebenbildlichkeit (Imago Dei) des Menschen. - Die neuere Theologie bezieht zunehmend auch Erkenntnisse der Sozialforschung und Tiefenpsychologie ein. Sie verweist auf die psychosozialen Bedingungen von Sünde und Schuld und die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen individueller und (in überindividuellen Strukturen verobjektivierter) struktureller Sünde.
 
Literatur:
 
R. Hermann: Zu Luthers Lehre von S. u. Rechtfertigung (1952);
 F. Scholz: Schuld, S., Fehlhaltung (1971);
 J. Ringleben in: Taschenlex. Religion u. Theologie, hg. v. E. Fahlbusch, Bd. 5 (41983);
 E. Drewermann: Strukturen des Bösen, 3 Bde. (7-91992-95);
 P. Lapide: Von Kain bis Judas. Ungewohnte Einsichten zu S. u. Schuld (1994);
 R. Dziewas: Die S. der Menschen u. die Sündhaftigkeit sozialer Systeme (1995);
 C. Gestrich: Die Wiederkehr des Glanzes in der Welt. Die christl. Lehre von der S. u. ihrer Vergebung in gegenwärtiger Verantwortung (21995);
 S. Kierkegaard: Die Krankheit zum Tode (a. d. Dän., Neuausg. 1997).
 

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Sụ̈n|de, die; -, -n [mhd. sünde, sunde, ahd. sunt(e)a, H. u.]: a) Übertretung eines göttlichen Gebots: eine schwere, lässliche S.; eine S. begehen; seine -n beichten, bekennen, bereuen; jmdm. seine -n vergeben; Aber die ärgeren -n des Hochmuts, des Zorns, des Unglaubens ... hat er auf sich geladen (Bergengruen, Rittmeisterin 136); R die[se] S. vergibt der Küster (landsch. scherzh.; das ist keine schwere Verfehlung); *eine S. wider den [Heiligen] Geist (ein gravierender Verstoß gegen elementare inhaltliche Grundsätze; nach Mark. 3, 29); faul wie die S. (emotional; sehr faul); etw. wie die S. fliehen/meiden (emotional; sich ängstlich von etw. zurückhalten); eine S. wert sein (scherzh.; äußerst begehrenswert sein, sodass die Sünde, sich dadurch verführen zu lassen, als gerechtfertigt gilt); b) <o. Pl.> Zustand, in dem sich jmd. durch eine ↑Sünde (a) od. durch die Erbsünde befindet: es gebe ein Prinzip bei Gott, das ... die Welt in S. geraten lässt (Buber, Gog 37); die beiden leben in S. (veraltet; leben unverheiratet zusammen); c) Handlung der Unvernunft, die nicht zu verantworten ist; Verfehlung gegen bestehende [moralische] Normen: architektonische -n; ... zeigen sich derzeit die -n einer lange Zeit einseitig auf eine akademische Laufbahn ausgerichteten Bildungspolitik (Saarbr. Zeitung 4. 10. 79, 4); es wäre eine [wahre] S. (eine Dummheit), wenn ...; es ist eine S. [und Schande] (es ist empörend), wie ...; es ist doch keine S. (es ist doch nicht so schlimm), dass ...; sie hat ihm seine -n (Fehltritte) verziehen.

Universal-Lexikon. 2012.