Wer heutzutage verhaftet wird, muss spätestens nach zwei Tagen wieder freigelassen werden, es sei denn, ein Richter entscheidet, dass Anklage wegen einer Straftat erhoben wird. Was uns heute im Rechtsstaat wie selbstverständlich vorkommt, ist allerdings nicht immer eine Selbstverständlichkeit gewesen. Vor gut 200 Jahren, am 14. Juli 1789, stürmte die Pariser Bevölkerung die verhasste Bastille, in der Missliebige auf Befehl des Königs hin ohne Gerichtsverfahren unbegrenzt in Haft gehalten werden konnten. Erst 110 Jahre zuvor, genau im Mai 1679, ist der Grundsatz »Keine Haft über eine bestimmte Frist hinaus ohne richterliche Anordnung« in einem europäischen Land verfassungsmäßig verbrieftes Recht geworden. Damals stimmte das englische Parlament der »Habeas Corpus Amendment Act« zu, der Habeas-Corpus-Akte, die dann von König Karl II. unterzeichnet wurde und somit in England Gesetzeskraft erhielt.
Die Vorgeschichte des Gesetzes. ..
Die lateinischen Worte »Habeas Corpus«, auf Deutsch etwa: »Du mögest des Körpers von. .. habhaft werden«, bilden den Anfang einer Haftbefehlsformel, die in England seit dem Mittelalter in Gebrauch war. Das entsprechende Schreiben mit königlichem Siegel verfügte neben der Verhaftung, dass die betreffende Person dem für den Haftanlass zuständigen Gericht vorgeführt wurde. Diese Regelung erhielt im frühen 17. Jahrhundert besonderes Gewicht. Damals zog König Karl I. von seinen reicheren Untertanen mit Gewalt Gelder ein und ließ sie, wenn sie sich weigerten, durch Sonderanweisung und ohne Angabe von Gründen ins Gefängnis werfen. Dagegen verwahrte sich das Parlament, unter anderem mit Bezug auf die berühmte Magna Charta von 1215, bereits 1628 in der »Petition of Right«. Karl I. akzeptierte sie in der Hoffnung, dass man ihm dafür Steuern bewilligen würde. Er überwarf sich jedoch rasch mit der Versammlung, regierte über ein Jahrzehnt ohne sie und erpresste weiterhin Abgaben. 1640 brauchte er größere Summen, um einen Aufstand seiner schottischen Untertanen niederwerfen zu können. Er musste daher wieder ein Parlament einberufen, das nun ein Druckmittel gegen ihn besaß. 1641 verbot es seine willkürliche Gerichtsbarkeit und verfügte, dass Verhaftungen nur noch unter Angabe eines ausreichenden Haftgrunds vorgenommen werden dürften. Nachdem sich Parlament und König in einem Bürgerkrieg bekämpft hatten und Karl 1649 hingerichtet worden war, herrschte unter der Militärdiktatur Oliver Cromwells Kriegsrecht. 1660, nach der Wiederherstellung der Monarchie, kehrte man zu den Regelungen von 1640 zurück. Allerdings flammten die alten Konflikte um die Rechte des Königs bald wieder auf. Karl II. musste sich 1667 auch deswegen von seinem leitenden Minister trennen, weil diesem willkürliche Verhaftungen ohne Befristung vorgeworfen wurden. Die Missbräuche hielten jedoch an, vor allem gegenüber politischen Gegnern des Königs. Oft wurden zum Beispiel gerade freigelassene Häftlinge gleich wieder in Haft genommen oder nach Schottland, Irland oder auf die Inseln Jersey und Guernsey im Ärmelkanal verbracht, wo das englische Recht nicht galt.
... und seine Entstehung
Seit 1668 gab es im Parlament angesichts der sich häufenden Verstöße gegen das Habeas Corpus mehrere Versuche, eine strengere Regelung zu finden. Sie blieben aber entweder in den Ausschüssen des Unterhauses hängen oder gelangten im Oberhaus nicht zur Entscheidung, weil man sich über die Einzelheiten nicht einigen konnte.
1678 kam es zu einer innenpolitischen Krise. Gerüchte über ein vom Papst gesteuertes Komplott zur Wiedereinführung des katholischen Bekenntnisses in England führten zu Unruhen und Anfang Februar 1679 zur Auflösung des Parlaments, in dem der König eine starke Anhängerschaft besaß. Im Unterhaus des neuen Parlaments konnte Karl II. nur noch auf wenige Gefolgsleute zählen. Der Bruder und Thronfolger des Königs, Herzog Jakob von York, der zum katholischen Glauben übergetreten war, sollte von der Thronfolge ausgeschlossen werden. Hierfür wurde im Mai 1679 ein Gesetzentwurf, die »Exclusion Bill«, eingebracht. Zugleich hatte man sich auf eine strengere Handhabung des Habeas-Corpus-Verfahrens geeinigt. Um der Verabschiedung der »Exclusion Bill« zuvorzukommen, löste Karl im Juli 1679 das Parlament auf, zugleich aber unterzeichnete er, um in der Öffentlichkeit nicht als Tyrann dazustehen, die »Zusatzregelung« zur Habeas-Corpus-Akte: die »Habeas Corpus Amendment Act«.
Bei dem Gesetz handelt es sich also nicht um eine Neuregelung, sondern um Zusatzbestimmungen zu einem offiziell längst gültigen, wenn auch nicht immer eingehaltenen Verfahren. Der insgesamt aus 20 Abschnitten bestehende Text enthält eine Fülle von Einzelvorschriften und ist daher relativ unübersichtlich.
Das Grundsätzliche wird in Abschnitt I festgehalten. Dort steht: »Wann immer eine oder mehrere Personen einen an einen Sheriff, Kerkermeister, Beamten oder an eine sonstige Person, in deren Gewahrsam sie sich befinden, gerichteten Habeas-Corpus-Erlass vorweisen und dieser dem besagten Beamten überreicht oder im Kerker oder Gefängnis bei irgendeinem Unterbeamten oder Unterkerkermeister oder bei den Stellvertretern. .. hinterlassen wird, so sollen diese innerhalb von drei Tagen nach. .. Überreichung des Erlasses. .. diesen sowie den Verhafteten oder Eingesperrten leibhaftig zu dem. .. Gerichtshof, von dem der besagte Erlass ergangen ist,. .. bringen oder bringen lassen.« Bei sehr großen Entfernungen zum nächsten Gerichtsort konnte die Dreitagesfrist auf bis zu 20 Tage verlängert werden. Dem Häftling durften die Transportkosten berechnet werden, und er musste versprechen, keinen Fluchtversuch zu unternehmen. Die Verbringung von Häftlingen in Gebiete außerhalb des englischen Rechtsbereichs wurde ausdrücklich untersagt. Bei Zuwiderhandeln gegen die neuen Regelungen hatten die betreffenden Amtsträger oder Richter laut Abschnitt IV eine Geldbuße in Höhe von 100, im Wiederholungsfall sogar von 200 Pfund zu zahlen, eine gewaltige Summe, wenn man bedenkt, dass man Ende des 17. Jahrhunderts das jährliche Durchschnittseinkommen eines wohlhabenden Kaufmanns auf 200-400 und das eines Landrichters auf höchstens 60 Pfund schätzte. Die weiteren Vorschriften regelten unter anderem die Freilassung von Untersuchungsgefangenen gegen Bürgschaft und bestimmten, dass Personen, die wegen ihrer Schulden in Haft waren, von der Habeas-Corpus-Akte nicht profitieren sollten.
Bis heute gültig: Die Wirkungen der Habeas-Corpus-Akte
Diese Bestimmungen waren eigentlich weder nach dem Geschmack Karls II. noch nach dem seines Nachfolgers Jakob II. Dessen Sturz und der Übergang der Krone an Wilhelm III. von Oranien und seine Frau Maria II. im Zuge der »Glorreichen Revolution« von 1688/89 bestätigten neben der allgemeinen Regelung der englischen Verfassungsverhältnisse im Sinne des künftigen Zusammenwirkens von Königtum und Parlament auch das Habeas-Corpus-Grundrecht. 1816 wurde es auf Minderjährige und Geisteskranke ausgedehnt. Allerdings war man sich stets darüber einig, dass die Habeas-Corpus-Akte in Krisenzeiten durch Parlamentsbeschluss ausgesetzt werden könne. Dies geschah zum Beispiel in den Kriegen mit Frankreich um 1800 sowie während des Ersten und Zweiten Weltkriegs.
Die mit der Habeas-Corpus-Akte verbundenen Grundrechtsideen haben seit dem späten 18. Jahrhundert weithin Eingang in das Verfassungsleben gefunden, so in die französische Menschenrechtserklärung von 1789, in den Grundrechtskatalog der amerikanischen Verfassung von 1791, in die Verfassung Belgiens von 1831, in die deutschen Reichsverfassungen von 1849 und 1919 sowie in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949.
Prof. Dr. Michael Erbe
Universal-Lexikon. 2012.