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Wiedergutmachung
Belohnung; Entschädigung; Abfindung; Nachzahlung; Schmerzensgeld; Schmerzengeld (österr.); Genugtuung (schweiz.)

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Wie|der|gut|ma|chung 〈f. 20das Gutmachen (bes. einer einem anderen Staat zugefügten Rechtsverletzung)

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Wie|der|gut|ma|chung, die; -, -en:
1. das Wiedergutmachen.
2. zur Wiedergutmachung von etw. gezahlte Geldsumme, erbrachte Leistung:
W. zahlen.

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I
Wiedergutmachung,
 
1) Recht: 1) allgemein Entschädigung oder Ersatz für absichtlich herbeigeführte oder billigend in Kauf genommene Schäden beziehungsweise für erlittenes Unrecht; 2) in der rechtlichen Praxis und im Sprachgebrauch der Bundesrepublik Deutschland übliche Bezeichnung für die Bemühungen, durch finanzielle Leistungen an die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft oder deren Hinterbliebene die materiellen Folgen geschehenen Unrechts zu lindern, zugleich in der Erkenntnis, dass die begangenen Verbrechen angesichts des individuellen Schicksals des Betroffenen nicht wieder gutzumachen sind. Diese Bemühungen unterscheiden sich durch ihre Freiwilligkeit von den Reparationen, die nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg den besiegten Staaten von den Siegermächten zur Wiedergutmachung materieller Kriegsschäden auferlegt wurden.
 
Jeder, der aus politischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen Schaden erlitt, hat Anspruch auf Wiedergutmachung der Schäden: Entzogene Vermögensgegenstände sind, soweit individualisierbar, durch Restitution zurückzuerstatten (Rückerstattung); sonstige Schäden an anderen Rechts- und Lebensgütern (z. B. durch Amtsenthebung, Berufsverbot, Inhaftierung, Gesundheitsschädigung, Tötung) sind, soweit möglich, durch finanzielle Entschädigung, im Übrigen durch rechtliche oder andere Wiedergutmachung (z. B. Anerkennung freier Ehen rassisch Verfolgter; Anrechnung von Haftzeiten in der Sozialversicherung) auszugleichen. In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Wiedergutmachung zunächst durch Landes-Gesetz über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts geregelt. Von seiner Gesetzgebungskompetenz für die Wiedergutmachung (Art. 74 Nummer 9 GG) machte der Bund beim Vertrag mit Israel (Wiedergutmachungsabkommen) sowie u. a. bei folgenden Wiedergutmachungsgesetzen Gebrauch: 1) dem Gesammelten zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes in der Fassung vom 15. 12. 1965; 2) dem Gesammelten zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für die im Ausland lebenden Angehörigen des öffentlichen Dienstes in der Fassung vom 15. 12. 1965; 3) dem Gesammelten über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Kriegsopferversorgung für Berechtigte im Ausland in der Fassung vom 25. 6. 1958; 4) dem Gesammelten zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung in der Fassung vom 22. 12. 1970; 5) dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) in der Fassung vom 29. 6. 1956 und dem BEG-Schlussgesetz vom 14. 9. 1965. (Kriegsfolgelasten)
 
Darüber hinaus hat die Bundesregierung Fonds mit besonderer Zweckbestimmung gebildet und an andere, durch die gesetzlichen Regelungen nicht erfasste Geschädigte Entschädigungsleistungen erbracht. Keine Wiedergutmachung erhält, wer Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Untergliederungen war (außer bei bloß nomineller Mitgliedschaft und wenn der Verfolgte den Nationalsozialismus aus politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen bekämpft hat und deshalb verfolgt wurde), wer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Vorschub geleistet hat, wer nach dem 23. 5. 1949 die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpft hat, schließlich, wem nach dem 8. 5. 1945 die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt worden sind oder wer nach dem 8. 5. 1945 zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt worden ist.
 
International leistete die Bundesrepublik Deutschland Wiedergutmachung aufgrund von bilateralen Verträgen mit zahlreichen Staaten, die von nationalsozialistischer Gewaltpolitik betroffen waren.
 
In der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands trat am 14. 9. 1945 auf Anordnung der SMAD ein Wiedergutmachungsgesetz im Land Thüringen in Kraft (Rückerstattung der vom nationalsozialistischen Regime widerrechtlich enteigneten Vermögenswerte), das jedoch nach Aufhebung der Länder in der DDR durch das Gesetz vom 25. 7. 1952 wieder aufgehoben wurde. In der DDR erhielten die Opfer von nationalsozialistischen Verbrechen keine direkt auf die betroffene Person bezogenen finanziellen Wiedergutmachungsleistungen; sie genossen jedoch bestimmte Vorteile (Gesundheitshilfen, bevorzugte Zuteilung von Wohnraum, Ausbildungsbeihilfen für ihre Kinder); anerkannte »Kämpfer gegen den Faschismus« erhielten Ehren-, ihre Witwen und Kinder Hinterbliebenenpensionen. Wiedergutmachungsleistungen an Israel lehnte die DDR ab.
 
Eine neue Dimension gewann die Wiedergutmachungsproblematik durch die nach der deutschen Vereinigung (1990) notwendig gewordene Wiedergutmachung von SED-Unrecht. Der erste Schritt hierzu wurde bereits in der alten Bundesrepublik Deutschland mit dem Häftlingshilfegesetz (HHG, Häftlingshilfe) getan. Mit dem Einigungsvertrag (31. 8. 1990) wurde der Geltungsbereich des HHG auf die DDR ausgeweitet. Nach weiteren inhaltlichen Änderungen gilt das HHG heute in der Fassung vom 2. 6. 1993. - Kurz vor der deutschen Vereinigung verabschiedete die Volkskammer das Rehabilitierungsgestz (RehaG) vom 6. 9. 1990, das eine politisch-moralische Genugtuung und eine finanzielle Wiedergutmachung für politisch Verfolgte in der DDR bezweckte. Vorgesehen war eine strafrechtliche, eine verwaltungsrechtliche und eine berufliche Rehabilitierung. Der Einigungsvertrag hat das RehaG nur im strafrechtlichen Teil aufrechterhalten. Die Rehabilitierten erwarben Ansprüche auf soziale Ausgleichsleistungen nach dem HHG. - Mit dem Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz (1. SED-UnBerG) vom 29. 10. 1992 ist das RehaG der DDR vollständig aufgehoben und durch das Strafrechtliche Rehabilitierungsgestz (StrRehaG) ersetzt worden. Das Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz (2. SED-UnBerG), das mit dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgestz (VwRehaG) und dem Beruflichen Rehabilitierungsgestz (BerRehaG) eine Regelung dieser zuvor noch offenen Formen einer Wiedergutmachung mit sich bringt, ist am 23. 6. 1994 erlassen worden (Rehabilitierungsgesetze). Nach dem HHG geleistete Eingliederungshilfen beziehungsweise umgekehrt auch nach dem StrRehaG geleistete Kapitalentschädigungen sind auf die jeweils andere Leistung anzurechnen.
 
Bedingt durch den Wandel in den mittel- und osteuropäischen Staaten und mit Unterstützung der amerikanischen Öffentlichkeit wurde nach Verhandlungen der Bundesregierung mit den USA (Sammelklagen anhängig) u. a. Teilnehmern Ende 1999 eine Einigung über die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern erreicht. Diese bezweckt neben der Wiedergutmachung die Freistellung deutscher Unternehmen von individuellen Schadensersatzklagen vor Gerichten der USA und Deutschlands. Insgesamt sollen v. a. für Entschädigungszahlungen von der deutschen Wirtschaft und dem deutschen Staat zehn Mrd. DM in die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung, Zukunft« eingebracht werden (Gesetz vom 2. 8. 2000, Zwangsarbeit).
 
Literatur:
 
R. Theis: W. zw. Moral u. Interesse (1989);
 
W. in der Bundesrepublik Dtl., hg. v. L. Herbst u. a. (1989);
 
Die Kehrseite der »W.« - Das Leiden von NS-Verfolgten in den Entschädigungsverfahren, hg. v. H. Fischer-Hübner u. a. (1990);
 G. Geckle u. H. Lehmann: DDR-Eigentum zurück - was tun? (21991);
 C. Goschler: W. (1992);
 W. Tappert: Die W. von Staatsunrecht der SBZ-DDR durch die Bundesrep. Dtl. nach der Wiedervereinigung (1995).
 
 2) Völkerrecht: Schadensersatz für den Geschädigten (Völkerrechtssubjekt) eines völkerrechtlichen Delikts; erfolgt durch Natural- beziehungsweise Geldleistungen. Ist der Ersatz des materiellen Schadens nicht ausreichend, weil immaterielle Interessen eines Völkerrechtssubjektes verletzt worden sind, wird »Genugtuung« (z. B. durch Abgabe einer Entschuldigungserklärung) verlangt. (Reparation)
II
Wiedergutmachung
 
Schon auf der Konferenz von Jalta war grundsätzlich festgelegt worden, dass das Deutsche Reich nach der Kapitulation die während des Krieges und unter der Herrschaft der Nationalsozialisten angerichteten Zerstörungen in den von ihnen besetzten Ländern wieder gutzumachen hätte. Auf der Konferenz von Potsdam setzten die USA das Prinzip der Reparationsentnahme auf Zonenbasis durch, das heißt, jede Besatzungsmacht sollte ihre Reparationsansprüche aus der eigenen Zone abdecken. Der Sowjetunion wurden für den Wiederaufbau ihres stark zerstörten Landes zusätzliche Reparationsleistungen aus den Westzonen zugestanden, die aber schon im Mai 1946 durch den auf Betreiben des amerikanischen Militärgouverneurs verhängten Demontagestopp abgeblockt wurden. Die besonders rigoros betriebene Demontage durch die sowjetische Besatzungsmacht in ihrer Zone belastete den wirtschaftlichen Normalisierungsprozess und den Wiederaufbau dort weit stärker als die Besatzungspolitik in den Westzonen. Hier wurden mit der Einrichtung des vereinigten Wirtschaftsgebietes der Bizone Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation eingeleitet.
 
Die Rückerstattung feststellbarer Vermögensverluste an Opfer des NS-Regimes hatten schon die alliierten Militärregierungen angeordnet. Die neuentstandene Bundesrepublik Deutschland nahm den großen Komplex der Wiedergutmachung für die Personengruppen und Völker auf, die in der NS-Zeit aus rassischen, religiösen und politischen Gründen verfolgt worden waren. Am 27. September 1951 erklärte die Bundesregierung mit einhelliger Zustimmung des Deutschen Bundestages ihre Bereitschaft zur Wiedergutmachung gegenüber Israel. Am 10. September 1952 wurde das Wiedergutmachungsabkommen mit Israel unterzeichnet. Die Bundesrepublik Deutschland verpflichtete sich, innerhalb von zwölf Jahren 3 Mrd. DM zu zahlen. Weitere Abkommen wurden mit mehreren jüdischen Organisationen für Rückerstattungsansprüche der außerhalb Israels lebenden jüdischen Flüchtlinge geschlossen. Im Gegensatz zur Bundesrepublik lehnte die DDR Wiedergutmachungsleistungen ab, da sie sich nicht als Nachfolgestaat des Dritten Reiches verstand.
 
Das Bundesentschädigungsgesetz vom 29. Juni 1956 definierte den Begriff des vom NS-Regime Verfolgten und regelte alle bereits laufenden Verfahren; damit wurde die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus in die Wege geleitet. Entschädigungsleistungen waren u. a. Renten, Abfindungen, Kostenersatz für Heilverfahren, Kranken- und Hinterbliebenenversorgung, Darlehen und Ausbildungsbeihilfen.

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Wie|der|gut|ma|chung, die; -, -en: 1. das Wiedergutmachen. 2. zur Wiedergutmachung von etw. gezahlte Geldsumme, erbrachte Leistung: W. zahlen.

Universal-Lexikon. 2012.