Kirche von England,
anglikanische Kirche, englisch The Church of England [ȓə 'tʃəːtʃəv 'ɪȖglənd], Established Church [ɪs'tæblɪʃd-], Anglican Church ['æȖglɪkən-], die englische Staatskirche und »etablierte Nationalkirche« Englands; Mutterkirche der aus ihr hervorgegangenen Kirchen der Anglikanischen Kirchengemeinschaft. Oberhaupt (»Supreme governor«) der Kirche von England ist der regierende Monarch. In seinem Namen ernennt der Premierminister (aus den von der Kirche vorgeschlagenen Kandidaten) die Bischöfe, an deren Spitze der Erzbischof von Canterbury (seit 2002 R. Williams) als Primus inter Pares steht. Ihm folgen im Rang der Erzbischof von York, Diözesan-, Suffragan- und Hilfsbischöfe. Der Erzbischof von Canterbury ist auch Vorsitzender der Vollversammlung der anglikanischen Bischöfe (Lambeth-Konferenz). Grundlage für Gottesdienst und Bekenntnis bilden die Bibel und das Common Prayer Book. Die Kirche von England gliedert sich in die Provinzen Canterbury (31 Diözesen) und York (13 Diözesen); zur Provinz Canterbury gehört auch die Diözese Gibraltar. Die beiden Erzbischöfe sowie 24 Bischöfe haben von Amts wegen Sitz im Oberhaus. 1996 betrug die Zahl der eingetragenen (erwachsenen) Kirchenmitglieder. rd. 1,76 Mio.; rd. 25 % der in England geborenen Kinder wurden in der Kirche von England getauft.
Die Kirche von England entstand in ihrer äußeren und juristischen Gestalt, als Heinrich VIII. sich 1534 vom Papst lossagte und durch das Parlament in der Suprematsakte zum »irdischen Oberhaupt der Kirche von England, genannt Anglicana Ecclesia« erklären ließ. Dieser Bruch erfolgte zunächst aus persönlichen und politischen Gründen (Anlass war seine Scheidung von Katharina von Aragonien), an theologischen Neuerungen war der König selbst nicht interessiert. Unter der Regierung Eduards VI. erhielten Verfassung und Theologie der Kirche von England jedoch durch den Einfluss des Erzbischofs von Canterbury, T. Cranmer, schon bald eine kalvinistische Prägung. Nach einer kurzen Restauration des Katholizismus unter Maria I. wurde die Kirche von England unter Elisabeth I. im Sinne der reformatorischen Lehre endgültig gefestigt. Grundlage für Gottesdienst und Bekenntnis wurden das ursprünglich von Cranmer verfasste Common Prayer Book in seiner Gestalt von 1552 (mit wenigen Änderungen) und die Thirty-nine Articles (»39 Glaubensartikel«), die zum Teil wörtlich an das Augsburg. Bekenntnis und die Confessio Virtembergica anklingen, aber auch kalvinistische (Prädestination und Abendmahl) und episkopale (Gliederung in Erzbischöfe, Bischöfe, Priester und Diakone) Züge tragen. Ungeachtet der evangelischen Ausrichtung ihres Bekenntnisses verstand sich die Kirche von England als Teil der katholischen Kirche und behielt auch katholische Traditionen bei, so v. a. die Theologie der hierarch. Ämter und der dazu notwendigen Ordination und den Anspruch, mit dem Bischofsamt in der apostolischen Sukzession zu stehen. Die Fortführung katholischer Formen führte zu schweren Auseinandersetzungen: 1567 begann die Separation der Puritaner, die auf eine »Reinigung von den Resten des römischen Götzendienstes« drangen. Ihr Programm verband sich mit der politischen Forderung der Demokratie. Nach heftigen kirchlichen und politischen Kämpfen siegte die puritanische Richtung unter Führung O. Cromwells über die staatskirchliche (1649 Enthauptung Karls I.) und setzte eine presbyterianisch-republikanische Herrschaftsform durch. Die Kirche von England war offiziell abgeschafft. Unter der Restauration Karls II. setzte das Parlament die Kirche von England in ihre durch Elisabeth I. fixierte Stellung wieder ein; die bischöfliche Verfassung und das Common Prayer Book (in der mehr oder weniger bis heute gültigen Fassung von 1662, die trotz vieler Zusätze und Veränderungen im Wesentlichen die gleiche wie 1552/59 ist) bildeten erneut den Angelpunkt des Lebens der Kirche von England. Durch die Toleranzakte von 1689 wurde Protestanten (Presbyterianern, Baptisten, Kongregationalisten) Glaubensfreiheit gewährt. Im 18. Jahrhundert trennte sich unter J. und C. Wesley der von Luther und dem deutschen Pietismus beeinflusste Methodismus von der Staatskirche. Seit 1791 wurden auch die römischen Katholiken, seit 1813 die Unitarier toleriert. Durch Erneuerungsbewegungen im 19. Jahrhundert, die evangelikale Erweckungsbewegung und die an der katholischen Tradition orientierte Oxfordbewegung, wurden sowohl die durch ein evangelikales Selbstverständnis geprägte Low Church als auch die das katholische Erbe bewahrende High Church innerhalb der Kirche von England gestärkt. Als eine dritte Richtung entwickelte sich unter dem Einfluss der historisch-kritischen Theologie die liberale Broad Church Party, die religiöse Toleranz forderte und v. a. ethisch und sozial orientiert war. Alle drei Richtungen prägen bis heute die Kirche von England. Das Staatskirchentum besteht auch heute prinzipiell fort, wobei es jedoch in einzelnen Bereichen zunehmend formalen Charakter angenommen hat. Beschlüsse der Generalsynode zu Fragen der theologischen Lehre und der Liturgie bedürfen seit 1974 nicht mehr der Zustimmung des Parlaments. Grundlegende Entscheidungen in der jüngsten Geschichte der Kirche von England waren die Aufnahme des Dialogs mit der katholischen Kirche, der 1966 durch den Besuch des Erzbischofs von Canterbury Arthur Michael Ramsey (* 1904, ✝ 1988) bei Papst Paul VI. in Rom offiziell eingeleitet wurde, die 1980 erfolgte Einführung des »Alternative Service Book« als alternativer Gottesdienstordnung zum Common Prayer Book (vorerst bis zum 31. 12. 2000) und die von der Generalsynode der Kirche von England 1992 getroffene Entscheidung, Frauen zum Priesteramt zuzulassen. Nachdem das Unterhaus dieser Entscheidung 1993 zugestimmt hatte, wurden am 12. 3. 1994 erstmals Frauen zu Priesterinnen geweiht, was innerhalb der Kirche von England zu heftigen Spannungen führte. Die katholische Kirche und die orthodoxen Kirchen sehen in der Frauenordination eine Belastung ihrer Beziehungen zur Kirche von England und ein Hindernis für die mögliche Einheit der Kirchen.
The study of Anglicanism, hg. v. S. Sykes u. a. (Philadelphia, Pa., 1988);
H. Chadwick: K. v. E., in: TRE, Bd. 18 (1989);
C. P. Thiede: Religion in England (1994).
Universal-Lexikon. 2012.