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Motown-Sound
Motown-Sound
 
[amerikanisch, 'məʊtaʊnsaʊnd], auch Tamla Motown oder Detroit-Sound, in der ersten Hälfte der Sechzigerjahre in den USA durch den Musikkonzern Motown Recording Corporation entwickeltes stilistisches Konzept der Soulmusik (Soul), dessen Erfolg das 1960 von dem Afroamerikaner Berry Gordy (* 1929) gegründete Unternehmen zum bisher größten schwarzen Medienkonzern werden ließ. Gordy, der zuvor unter anderem auch kurzzeitig als Komponist im Rhythm-and-Blues-Bereich tätig war, gründete die Firma 1960 als Motown Records in Detroit, abgeleitet von der Bezeichnung Motortown für dieses amerikanische Zentrum der Automobilindustrie. Einen Monat später eröffnete er mit Tamla noch ein zweites Label. Erste Erfolge brachten 1960 die Miracles mit »Way Over There« und »Shop Around«, deren Leadsänger und Komponist Smokey Robinson (* 1940) seitdem zu den profiliertesten Motown-Autoren gehört und inzwischen zum Vizepräsidenten des Unternehmens avanciert ist. 1961 folgten die Marvelettes mit »Please Mr. Postman«, das später von dem Beatles außerordentlich erfolgreich gecovert wurde (Cover Version ). Marvelettes und Miracles standen ebenso wie die Temptations, Martha and the Vandellas und die Supremes, die alle schon ab Anfang der Sechzigerjahre für Motown produzierten, in der Tradition der gospelbeeinflussten Rhythm-and-Blues-Vocalgroups (Rhythm and Blues) aus den Fünfzigerjahren. Als Autoren arbeiteten für Motown zunächst nur Robinson und Gordy selbst. Ende 1961 kam Lamont Dozier (* 1941) dazu, der sich ab 1963 mit Brian Holland (* 1941) und Eddie Holland (* 1939) zusammentat. Aus dem Trio Holland-Dozier-Holland wurde ein geradezu legendäres Autoren- und Produzententeam, das nicht nur die stilistischen Grundlagen des Motown-Sound ausarbeitete, sondern auch den Motown-Produktionen binnen dreier Jahre zu einem Anteil von etwa 75 % an den in den amerikanischen Hitlisten (Charts) des Jahres 1966 verzeichneten Schallplatten verhalf. Als ersten Titel in dem von ihnen entwickelten Sound produzierten sie 1963 mit Martha and the Vandellas »Heat Wave«. Das Kennzeichen des Holland-Dozier-Holland-Konzepts bestand in der komplexen Rhythmik im 8/8-Metrum, die durch Betonung der ungeraden Achtel einen ausgesprochenen swingenden Charakter hatte und sich aus dem mit viel Becken gespielten Schlagzeug, darüber gelegtem Tamburin sowie einem starken, aber beweglichen Bass zusammensetzte. Dieser swingende Tanzrhythmus war dem in der Gospelstilistik verankerten Gesangspart mit seinen nach dem traditionellen Ruf-Antwort-Prinzip (Call and Response) ablaufenden Wechseln von Leadsänger und Vokalgruppe unterlegt, woraus sich eine nahezu perfekte Mischung aus Gospel und Pop ergab, die durch ebenso raffinierte wie effektvolle Nutzung der Mischtechnik bei der Aufnahme in ein äußerst vielschichtiges Klangbild eingeschmolzen wurde. Eine große Rolle spielte dafür die hauseigene Studioband um den Keyboarder Earl Van Dyke (* 1929), die unter Earl Van Dyke ' the Funk Brothers firmierte. Insbesondere Bassist James Jamerson (* 1932) und Schlagzeuger Benny Benjamin (* 1936) hatten einen entscheidenden Anteil an der Unverwechselbarkeit des Motown-Sound. Später wurden die Arrangements, die zunächst nur auf Schlagzeug, Perkussion, Bass, Gitarre, Piano und Orgel basierten, noch mit Streichern aufgefüllt, auf diese Weise klanglich abgerundet und erheblich geglättet. Im Aufbau vermieden die Songs die musikalischen Standardformen und folgten stattdessen einem zyklischen Ablauf, in dem sich die Schlüsselmelodien und Refrains unablässig wiederholten. Mit »Back In My Arms« (1965) für die Supremes und »I Can't Help Myself« (1965) für die Four Tops hatte das Trio Holland-Dozier-Holland dieses Soundkonzept dann zu einer kommerziellen Durchschlagskraft entwickelt, die den Motown-Konzern zur Hit-Fabrik ohnegleichen werden ließ. Jeder Verkaufserfolg der Motown-Künstler zog nun eine Kette von genau kalkulierten Folgetiteln gleicher Machart nach sich, bis schließlich das kommerzielle Potenzial des Grundeinfalls erschöpft war. Seinen Autorenstab ergänzte Gordy 1963 durch Norman Whitfield (* 1943), der vor allem für die Temptations schrieb, und 1966 durch das Team Nikolas Ashford (* 1943) und Valerie Simpson (* 1948), die die Duette von Tammi Terrell (1946-1970)/Marvin Gaye (1939-1984) und die Soloaufnahmen von Diana Ross (* 1944), Leadsängerin der Supremes, produzierten. Als weitere Label wurden 1963 noch Gordy sowie 1964 VIP und Soul eingerichtet. Der hauseigene Verlag Jobete verwertete die Urheberrechte, für die Schulung der Stars und die Überwachung ihres Images war die International Talent Management Incorporated zuständig, und produziert wurde in einem firmeneigenen Studiokomplex namens Hitsville USA, für den eine ganze Reihe versierter Studiomusiker arbeiteten. Gordy gab so mit seinem autoritär geführten Unternehmen den Autoren und Musikern einen straff durchorganisierten kommerziellen Rahmen, als dessen Warenzeichen das Soundkonzept der Firma fungierte. Trotzdem hatte die Konzentration künstlerisch und technisch hoch qualifizierter Fachleute im Motown-Stab eine bemerkenswerte stilistische Vielfalt in den vorgegebenen Grenzen zur Folge. Zu den Klassikern des Motown-Sound gehörten Titel wie »My Girl« (Temptations, 1965), »You Can't Hurry Love« (Supremes, 1966), »Reach Out I'll Be There«, (Four Tops, 1966), »I Heard It Through the Grapevine« (Marvin Gaye, 1968), »I Want You Back« (Jackson Five, 1969) und »The Tears of a Clown« (Smokey Robinson and the Miracles, 1970).
 
Hinter den Motown-Aktivitäten stand als Strategie der kommerziell und durchaus auch künstlerisch erfolgreiche Versuch, die Grenzen zwischen weißer Popmusik und schwarzem Rhythm and Blues endgültig niederzureißen, so wie dies in den Fünfzigerjahren für die Jugendlichen der Rock 'n' Roll zustande gebracht hatte. Obwohl die für die Soulmusik charakteristische Wiederentdeckung und Säkularisierung der Gospeltradition auch für die Motown-Produktionen einer der wichtigsten musikalischen Bezugspunkte blieb, zielten sie doch vor allem auf den großen weißen Markt für populäre Musik in den USA, verstanden sich im Unterschied zum Memphis-Soul (Memphis-Sound) und zu den leidenschaftlichen Songs von Aretha Franklin (* 1943) oder James Brown (* 1928) vielmehr als möglichst perfekt gemachte Unterhaltung und weniger als kultureller Ausdruck der sozialen Erfahrungen der farbigen Amerikaner. Die ästhetischen Kompromisse, mit denen der Erfolg der Motown-Produktionen bei der weißen amerikanischen Bevölkerungsmehrheit erkauft war, waren dann auch recht umstritten. Zwar ist es Gordy tatsächlich gelungen, seinen Musikern ein begeistertes weißes Publikum zu verschaffen und damit dem Selbstbewusstsein der Afroamerikaner auf seine Weise neuen Auftrieb zu geben, andererseits aber war ein schwarzer Kapitalismus in der Art des Motown-Konzerns kaum der Weg, die soziale Gleichstellung der farbigen Amerikaner durchzusetzen. Die restriktive Geschäftspolitik der Konzernleitung unter Gordy stieß vielmehr zuerst bei seinen Künstlern selbst auf immer größeren Widerstand. So trennte ihn 1968 ein Zerwürfnis von Holland-Dozier-Holland, die zum erfolgreichsten Autorenteam der USA geworden waren und eine der Säulen darstellten, auf denen der Motown-Komplex geruht hatte. In den folgenden Jahren verließen auch Martha and the Vandellas, die Jackson Five und die Four Tops einer nach dem anderen den inzwischen als Motown Industries firmierenden Konzern. Neue Unternehmungen, wie 1970 der Start des Rare Earth-Label, um auf dem Rocksektor Fuß zu fassen, und ab 1971 das Engagement des Konzerns im Filmgeschäft, der mit seiner Übersiedelung nach Los Angeles und dem Aufbau des Mowest-Label verbunden war, konnten nicht mehr verhindern, dass das Motown-Konzept an Boden verlor. Stevie Wonder (* 1950), der schon seit 1963 von Gordy betreut wurde und mit Beginn der Siebzigerjahre als ästhetisch und kommerziell gewichtigster Musiker im Motown-Programm anzusehen war, hatte ebenso wie Marvin Gaye die uneingeschränkte künstlerische Kontrolle über seine Produktionen durchgesetzt und sich damit von der Soundschablone des Motown-Standards entfernt, der den Musikern inzwischen zum Korsett geworden war. Danach gelang es Gordy nicht mehr, zu einem relativ geschlossenen Konzept zurückzufinden. Das war den 1971 unter Schirmherrschaft der CBS gegründeten Philadelphia International Records von Kenny Gamble (* 1943) und Leon Huff (* 1942) vorbehalten, die mit dem Philly-Sound nicht nur die führende Stellung des Motown-Unternehmens als Produzent von schwarzer Popmusik untergruben, sondern dessen Soundkonzept aus den Sechzigerjahren aufgriffen und weiterentwickelten. Gordy versuchte, seinen Konzern 1983 durch Abgabe der Vertriebsrechte an die Uni Distrubition von MCA über Wasser zu halten, sah sich 1988 aber schließlich gezwungen, an MCA zu verkaufen, die das Label 1993 an PolyGram weitergaben.
 
Siehe auch: Soul.

Universal-Lexikon. 2012.