Soulmusik
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Soul 〈[ soʊl] m.; - od. -s; unz.〉 gefühlsbetonte, ausdrucksstarke afroamerikan. Jazzmusik [engl., „Seele“]
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a) expressiver afroamerikanischer Musikstil als bestimmte Variante des Rhythm and Blues:
die Band spielt Blues und S.;
er begeistert das Publikum mit sanftem S.;
b) auf Soul (a) getanzter Paartanz:
sie tanzten Beat und S.
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I Soul
[səʊl; englisch, eigentlich »Seele«] der, -s, afroamerikanischer vokaler Musikstil der 1960er-Jahre. Im Soul kamen Momente des Spirituals und Gospels (Expressivität), des Blues (Ruf-Antwort-Modelle) und des Jazz in einer v. a. dem Rhythm and Blues verpflichteten Musik zusammen. Der Soul hatte großen Einfluss auf die Entwicklung der amerikanischen Popmusik. Zu den wichtigsten Sängern des Souls gehören u. a. James Brown, Aretha Franklin, Ray Charles, Ike (* 1931) und Tina Turner (* 1935), Stevie Wonder. Stilphasen der Soul-Entwicklung waren Memphis-Sound, Motown-Sound (nach dem Musikkonzern Motown Recording Corp., v. a. während der 1960er-Jahre erfolgreich) und Philly-Sound (nach den Philly Sigma Sound Studios in Philadelphia, Pa., ab etwa 1972). - Im Jazz bezeichnet der Begriff ein stark expressives, inspiriertes, im wörtlichen Sinne »beseeltes« Spiel (to play with soul).
A. Shaw: S. (a. d. Engl., 1980);
F. Ertl: Rap, Funk, S. Ein Nachschlagewerk (1992).
II
Soul
[englisch/amerikanisch, səʊl; wörtlich »Seele«, auch »Triebkraft, Kern«], in den Sechzigerjahren aufgekommene Bezeichnung für die populäre Musik der Afroamerikaner, die mit Veränderungen im Musikverständnis der schwarzen Bevölkerungsminderheit in den USA wie auch mit musikalisch-stilistischen Entwicklungen verbunden war. Ab 1969 wurde durch diesen Begriff in dem führenden amerikanischen Musikmagazin Billboard die Bezeichnung Rhythm and Blues für die entsprechende Rubrik der Charts ersetzt und aus Soul damit ein allgemeines Verkaufsetikett für schwarze Popmusik. In den Siebzigerjahren wurde der Begriff dann wieder von der früheren Bezeichnung Rhythm and Blues verdrängt.
Die Anfang der Sechzigerjahre einsetzenden Wandlungen im Musikverständnis der Afroamerikaner standen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verschärfung des Rassenkonflikts in den USA und dem sich vor diesem Hintergrund herauskristallisierenden neuen gesellschaftlichen Selbstverständnis der Schwarzen. Sichtbarstes Anzeichen dafür, dass die Afroamerikaner ihren Status in der amerikanischen Gesellschaft neu zu definieren begannen, war am 28. August 1963 anlässlich des 100. Jahrestages der Proklamation der Sklavenbefreiung durch Lincoln der große Marsch auf Washington, der nicht nur als Demonstration für die immer noch nicht verwirklichte Gleichstellung der schwarzen Bevölkerungsminderheit in den USA gedacht war, sondern zugleich dem erwachten politischen Selbstbewusstsein der Black Liberation einen machtvollen Ausdruck verlieh. Blutige Aufstände in den Gettos und schwere Rassenkrawalle in verschiedenen amerikanischen Großstädten mündeten in eine schwarze Separatistenbewegung, die unter der Losung »Black Power« dem Kampf der Farbigen um ihre Gleichberechtigung eine politische Basis zu geben versuchte und 1966 mit der Gründung der Black Panther Party dafür auch eine organisatorische Plattform schuf. Mit dem Schlagwort »Black is beautiful« war dabei nicht nur den Minderwertigkeitsgefühlen der Schwarzen selbst der Kampf angesagt, sondern auch, statt des verhängnisvollen Weges möglichst unauffälliger Integration in die Gesellschaft der Weißen, das Recht auf die eigene soziale und kulturelle Identität artikuliert. Die Rückbesinnung auf die eigenständigen Traditionen der afroamerikanischen Kultur wurde so zum politischen Symbol, zum Katalysator für das erwachende Selbstbewusstsein der Farbigen. Der Begriff Soul stand für die Quelle, für den Ursprung dieser Traditionen in der durch jahrhundertelange Unterdrückung geformten Mentalität der Afroamerikaner. Ihre Solidarisierung zur Black Power, zur machtvollen Bewegung um gleiche Rechte, verstand sich im Sinne einer Brüderschaft aller Schwarzen, die sie zu »Soulbrothers« und »Soulsisters« werden ließ. So bekamen auch die Konzerte schwarzer Musiker mehr und mehr den Charakter von Manifestationen, die die Gemeinschaft der Farbigen im Musikerlebnis, in seiner emotionalen Intensität mit einer fast kathartischen Wirkung, zusammenschweißen sollten. Eine ausgeprägte Emotionalität, in der sich Kraft und Verzweiflung auf eigentümliche Weise mischten, war dafür ebenso kennzeichnend wie der bewusste Rückgriff auf spezifisch afroamerikanische musikalische Ausdrucksformen, die am unmittelbarsten noch die Gospeltradition (Gospel) bewahrt hatte. Der melismatische Interpretationsstil des Gospel Singing, der unermüdlich, aber in wachsender Erregung sich wiederholende Begleitrhythmus, die nach dem alten Ruf-Antwort-Prinzip (Call and Response) agierenden schreienden Background-Chöre und die interpunktierend eingefügten Bläser Riffs (Riff) wurden zu stilbildenden Merkmalen der Soulmusik.
Herauszubilden begonnen hatte sich die Stilistik dieser Musik bereits in der Mitte der Fünfzigerjahre innerhalb des Rhythm and Blues, vor allem unter dem Einfluss des Sängers und Pianisten Ray Charles (* 1930). Seinem »I Got a Women« (1955) lag das Gospel »My Jesus is All the World to Me« zugrunde, und »This Little Girl of Mine« (1955) entstand aus dem Gospel »This Little Light of Mine«. Beides waren reine Übertragungen von Gospelsongs in den Rhythm-and-Blues-Sound der Fünfzigerjahre, die nur die religiösen Textinhalte durch minimale Textveränderungen aus der Liebe zu Gott in die weltliche Liebe zu einer Frau umwandelten. In das 1959 erschienene »What'd I Say« von Ray Charles war die Gospelstilistik dann schon ohne direkte Übernahme eines Gospelsongs integriert und damit der Grundstein für eine musikalische Weiterentwicklung des Rhythm and Blues gelegt, die schließlich den Namen Soul erhielt.
Nach dem Vorbild von Ray Charles produzierten in der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre auch James Brown (* 1928) und Sam Cooke (1935-1964), der seine Karriere ursprünglich sogar als Gospelsänger begonnen hatte, eine solche Verbindung von Rhythm and Blues und Gospel. Waren das jedoch noch mehr oder weniger individuelle Stilkonzepte, so gilt als Beginn der eigentlichen Soulphase die Herausbildung übergreifender stilistischer Gemeinsamkeiten bei einer ganzen Reihe von Musikern, die wie schon Ray Charles ausnahmslos von der New Yorker Plattenfirma Atlantic Records betreut wurden und den neuen gospelbeeinflussten Stil konsolidieren halfen. Die hauptsächlichen Repräsentanten dessen waren Solomon Burke (* 1936), der mit »Just Out of Reach« (1961) das Atlantic-Konzept eröffnete, Wilson Pickett (* 1941), Joe Tex (* 1933) und ab 1967 dann Aretha Franklin (* 1942). Die unmittelbare Nähe zur Gospeltradition blieb für das stilistische Profil der Atlantic-Produktionen kennzeichnend. Die inbrünstige Leidenschaftlichkeit der Sänger erinnerte an die Prediger in den schwarzen Kirchen, ebenso wie die Machart ihrer Lieder musikalisch dem Aufbau der Gospelsongs folgte. Das Fundament aus dröhnenden Bässen und einem harten, treibenden Begleitrhythmus kam dagegen — wie auch die effektvollen Bläserriffs — aus dem Rhythm and Blues. Typisch dafür und zugleich einer der größten Soulerfolge der Sechzigerjahre war Wilson Picketts »In the Midnight Hour« (1965). Zur gleichen Zeit begann die ausschließlich für Schwarze arbeitende Radiostation WOL in Washington D.C. als Soul Radio zu senden und die Atlantic-Produktionen zu ihrem Programminhalt zu machen, was den Begriff Soul als verbindliche Bezeichnung für diese Musik allgemein durchsetzen half.
Eine zweite wichtige Linie der Soulentwicklung war durch ein Vertriebsabkommen bis 1968 ebenfalls mit der New Yorker Atlantic Records verbunden, das Konzept des Stax/Volt-Labels aus Memphis. Mit Otis Redding (1941-1967), Rufus Thomas (* 1917) und Carla Thomas (* 1947), Johnny Taylor (* 1938), Sam & Dave und Booker T & The MGs entstand hier eine Version dieser Musik, die auch als Memphis-Sound bezeichnet wurde. Für das unverwechselbare Profil der Stax-Produktionen sorgte eine hauseigene Studioband, in der sowohl schwarze als auch weiße Musiker mit einem für den amerikanischen Süden typischen Countrybackground vereinigt waren. Das führte zu einer Kombination von Countryblues-Einflüssen (Countryblues) mit weißen Country-and-Western-Elementen (Country and Western) im Rhythmus und in den Begleitarrangements, während die orgelähnlichen Akkorde der Bläser, die Pianoarpeggios und die vokale Interpretationstechnik in der schwarzen Gospeltradition standen. Die Arrangements waren einfach und schlicht, dafür aber von beeindruckender Durchsichtigkeit und Geschlossenheit, eine Folge auch des weitgehenden Verzichts auf ein nachträgliches Abmischen der Aufnahmen und stattdessen der unmittelbaren Aufzeichnung der Studio-Sessions. Großen Anteil an diesem Konzept, für das Aufnahmen von Otis Redding wie »Respect« (1965) und »I've Been Loving You Too Long« (1965) charakteristisch sind, hatte das Autorenteam Isaac Hayes (* 1938) und David Porter (* 1937), das die meisten der Stax-Produktionen auch als Produzenten betreute.
Mit dem Motown-Sound lieferte die Motown Corporation in Detroit die dritte Komponente der Soulmusik. Ausgangspunkt für diese Entwicklungslinie war der gospelorientierte Vokalstil der Rhythm-and-Blues-Gesangsgruppen aus den Fünfzigerjahren (Rhythm and Blues), der bei Motown durch die Marvelettes, die Supremes, die Miracles und die Temptations eine Fortsetzung fand. Die Grundlagen der Motown-Stilistik entwickelte ab 1963 das Autoren- und Produzententeam Brian Holland (* 1941), Lamont Dozier (* 1941) und Eddie Holland (* 1939), die ihr Konzept erstmals mit dem Titel »Heat Wave« (1963) für Martha and the Vandellas vorstellten. Ihre Songs waren nach einem zyklischen Muster aufgebaut (ABABAC), das eine unaufhörliche, ins Ohr gehende Wiederholung der Schlüsselmelodien und Refrains brachte. Die komplexe Rhythmik entstand aus einem nonstop durchlaufenden, von den Bläsern interpunktierten Perkussionsgeflecht, für das die schnellen Bassläufe und die rasselnden Tamburins den Rahmen lieferten. Die raffinierte Nutzung der Aufnahme- und Mischtechnik hatte ein äußerst vielschichtiges Klangbild voller Effekte zur Folge, das von einem Perfektionismus zeugte, der zum Kennzeichen des Motown-Sound wurde. Mit der Soul-Gemeinschaft der Farbigen hatte das freilich nur wenig zu tun, obwohl die Motown Corporation der erste und damals noch einzige von Schwarzen geführte Medienkonzern der USA gewesen ist. Die Motown-Produktionen waren vielmehr auf den weißen Markt für Popmusik ausgerichtet, wo sie einen immensen Erfolg zu verzeichnen hatten und die Motown Corporation zu einem regelrechten Musikimperium machten. Die immer häufigere Einbeziehung von Streichern in die Arrangements markierten diesen Prozess der Verbindung von afroamerikanischer Gospelstilistik und weißer Pop-Ästhetik zu einem gefälligen musikalischen Unterhaltungsprodukt wohl am deutlichsten. Trotzdem verstand es das Motown-Team, das eine Reihe hoch qualifizierter Fachleute sowohl im technischen als auch im künstlerischen Bereich aufzuweisen hatte, das Konzept des Konzerns sehr vielseitig auszubauen. So reichte das Spektrum dann auch von der romantischen Linie der Miracles, deren Leadsänger Smokey Robinson (* 1940) zugleich zu den erfolgreichsten Motown-Autoren gehörte, über den Gospelstil der Four Tops, den Soul-Gruppengesang der Temptations bis zum Popsound der Supremes und einer eher rockigen Soul-Variante wie bei den Jackson Five.
Repräsentierten die Programme von Atlantic Records, Stax Records und Motown mit ihrem jeweiligen Musiker- und Autorenstamm die drei großen zentralen Trends der Soulentwicklung, so gab es darüber hinaus auch in den Katalogen anderer Firmen immer wieder profilierte Vertreter der Soulmusik. Der wichtigste und erfolgreichste unter ihnen war zweifellos James Brown (* 1928), dessen aggressive Soul-Stilistik der archaischen Unmittelbarkeit schwarzer Gospelmusik verpflichtet blieb. Sein »Say It Loud I'm Black and I'm Proud« (1968) wurde auf dem Höhepunkt der Black Liberation zum klassischen Ausdruck des schwarzen Selbstbewusstseins. Danach ließ die Soulbewegung als soziale, politische und musikalische Artikulation der Farbigen in den USA auffallend nach. Die Ermordung Martin Luther Kings im April 1968 führte zu Desillusionierung und Resignation. Die Musik freilich blieb, nur dass sie ihren ursprünglichen sozialen Hintergrund in dieser Form verlor und wieder in individuelle Stilkonzepte aufsplitterte. Stevie Wonder (* 1950), ebenfalls aus der Motown-Mannschaft, hat der Soulmusik dann in den Siebzigerjahren mit unangefochtener Konsequenz den Stempel seiner außerordentlich kreativen Persönlichkeit aufgedrückt und mit seinen Alben »Music of My Mind« (1972), »Talking Book« (1972), »Innervisions« (1973) und »Songs in the Key of Life« (1976) den ästhetisch gewichtigsten Beitrag zur schwarzen Musik vorgelegt.
Inzwischen war der Soul-Begriff zu einem allgemeinen Verkaufsetikett für schwarze Popmusik geworden, und eine zweite Welle der Soul-Entwicklung, die ab 1972 in Philadelphia ihren Ausgangspunkt nahm und danach als Philly-Sound bezeichnet wurde, ist dann auch vor allem eine nach dem Fließbandverfahren gefertigte kommerzielle Tanzmusik gewesen, die mit den Werten der afroamerikanischen Kultur nur noch sehr bedingt zu tun hatte. Sie wurde ihrerseits zum Grundstein für den Discosound der Siebzigerjahre. Zu einer Rückbesinnung auf die eigentlichen Grundlagen dieser Musik ist es Anfang der Achtzigerjahre gekommen. Neben Stevie Wonder waren es dann vor allem Lionel Richie (* 1949) und Whitney Houston (* 1961), die mit ihren Produktionen für die ungebrochene Wirksamkeit dieser Musik einstehen, auch wenn die afroamerikanische Popmusik nun inzwischen durch Neuentwicklungen wie Rap, Electrofunk oder Housemusic dominiert ist.
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Soul [soʊl], der; -s [engl. soul, eigtl. = Inbrunst, Seele, verw. mit ↑Seele]: a) expressiver afroamerikanischer Musikstil als bestimmte Variante des Rhythm and Blues: die Band spielt Blues und S.; er begeistert das Publikum mit sanftem S.; b) auf ↑Soul (a) getanzter Paartanz: sie tanzten Beat und S.
Universal-Lexikon. 2012.