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Potsdamer Abkommen
I
Pọtsdamer Abkommen,
 
ungenaue, aber im Sprachgebrauch etablierte Bezeichnung für das am 2. 8. 1945 zwischen H. S. Truman, Stalin und C. Attlee, der ab 28. 7. als britischer Premier an die Stelle W. Churchills getreten war, zum Abschluss der Potsdamer Konferenz verabschiedete Kommuniqué, das einen Minimalkonsens über Deutschlands Stellung im Nachkriegseuropa fand. Es wurde kurz nach der Konferenz im »Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland« veröffentlicht, wichtige Punkte wurden jedoch erst in der amerikanischen Publikation 1947 bekannt. - Das nicht eingeladene Frankreich stimmte der Deklaration am 7. 8. unter Vorbehalten (u. a. bezüglich der Errichtung gesamtdeutscher Zentralverwaltungen, die dadurch nicht zustande kamen) zu.
 
Inhalt:
 
Das wesentliche Interesse der Alliierten galt der Errichtung eines Provisoriums, das die Frage der deutschen Einheit noch offen hielt, jedoch die Verantwortung der Deutschen als Gesamtheit für die nationalsozialistischen Verbrechen betonte. Das Potsdamer Abkommen präzisierte so in seinem Artikel III (Deutschland) die Übereinkünfte der Jalta-Konferenz: gänzliche Entmilitarisierung Deutschlands sowie dessen militärische Besetzung, Errichtung eines Alliierten Kontrollrats in Berlin, der aber den einzelnen Militärgouverneuren die faktische politische Macht gab (entsprechend der »Berliner Viermächteerklärung« vom 5. 6.), Vernichtung des Nationalsozialismus. In folgenden politischen und wirtschaftlichen Grundsätzen konnte diesbezüglich Einigung erzielt werden: Ent- beziehungsweise Denazifizierung (Auflösung der NSDAP und Aufhebung aller nationalsozialistischen Gesetze, Verhaftung der NSDAP-Führung und Entlassung aller Parteimitglieder, die mehr als nominell aktiv gewesen waren, aus öffentlichen und halböffentlichen Ämtern; Bestrafung der Kriegsverbrecher), Demokratisierung (Gewährleistung von Rede-, Presse- und Religionsfreiheit sowie Bildung freier Gewerkschaften und demokratischen Parteien; Erneuerung des Erziehungs- und Gerichtswesens), Dezentralisierung der deutschen Wirtschaft (v. a. Dekartellisierung der Großindustrie und Banken; Entflechtung) und Verwaltung (Neugliederung von oben nach unten nach dem Prinzip der Selbstverwaltung; Errichtung einiger gesamtzonaler Zentralverwaltungen).
 
Als eine der wichtigsten besatzungspolitischen Bestimmungen wurde festgelegt, die alliierter Kontrolle unterworfene deutsche Wirtschaft als Einheit zu betrachten und zu fördern (Artikel III, 14 und 15). Dem stand allerdings das im Artikel IV vereinbarte Prinzip der Reparationsentnahme aus der jeweiligen Besatzungszone entgegen. Die - im Gegensatz zu Jalta - nicht fixierte Reparationssumme ging zu 50 % an die UdSSR und wurde lediglich auf industrielle Ausrüstung und das deutsche Auslandsguthaben (durch den Allierten Kontrollrat übernommen) beschränkt. Neben das Verbot deutscher Kriegsproduktion trat die Demontage der für Reparationszwecke entbehrliche Produktionskapazität der »deutschen Friedenswirtschaft«.
 
Zwar wurden - vorbehaltlich einer endgültigen friedensvertraglichen Regelung - im Artikel VI und IX die Stadt Königsberg und der Nordteil Ostpreußens unter sowjetische, die übrigen deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie unter polnische »Verwaltung« gestellt, was für Deutschland den Verlust von einem Viertel der gesamtwirtschaftlichen Nutzfläche zur Folge hatte, die Festlegung der West- und Nordgrenze Polens wurde aber insofern präjudiziert, als unter Druck der UdSSR die ehemaligen deutschen Ostgebiete als Basis für polnische Reparationsentnahmen bestimmt wurden. Im Artikel XIII war die »geordnete Überführung« der zurückgebliebenen deutschen Bevölkerung im nunmehrigen Polen, in der Tschechoslowakei und in Ungarn nach Deutschland verfügt worden (Vertreibung).
 
Bedeutung:
 
Da sich die USA wegen des noch andauernden Pazifikkrieges auf Stalin angewiesen glaubten, konnte wegen der unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Interessen nur ein unpräziser Kompromiss erzielt werden; die meisten strittigen Fragen wurden an den Rat der Außenminister verwiesen (Einrichtung in Artikel II beschlossen). Der Wert des Abkommens liegt wesentlich darin, eine gemeinsame Verantwortung der Alliierten für Deutschland als Ganzes festgestellt und damit das Fortbestehen der Antihitlerkoalition über das Kriegsende hinaus bestätigt zu haben. Das Potsdamer Abkommen bestimmte die alliierte Deutschlandspolitik nach 1945 zunächst entscheidend; einige der kodifizierten Kompromissformeln wurden ab 1947 zu den wichtigsten Konfliktlinien des Kalten Krieges.
 
Literatur:
 
Potsdam 1945. Quellen zur Konferenz der »Großen Drei«, hg. v. E. Deuerlein (1963);
 
Das P. A. u. die Europ. Sicherheit (1970);
 
Das P. A. u. die Deutschlandfrage, hg. v. F. Klein u. a., 2 Bde. (Wien 1977-87);
 
Teheran, Jalta, Potsdam. Die sowjet. Protokolle von den Kriegskonferenzen der »Großen Drei«, hg. v. A. Fischer (31985);
 W. Jaksch: Europas Weg nach Potsdam (41990);
 E. Kraus: Ministerien für das ganze Dtl.? Der Alliierte Kontrollrat u. die Frage gesamtdeutscher Zentralverwaltungen (1990);
 W. Benz: Potsdam 1945. Besatzungsherrschaft u. Neuaufbau im Vier-Zonen-Dtl. (31994);
 
Das P. A., hg. v. D. Blumenwitz u. a., Tl. 3: Rückblick nach 50 Jahren, hg. v. B. Meissner u. a. (Wien 1996).
II
Potsdamer Abkommen
 
Vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 fand in Potsdam das letzte Gipfeltreffen der »großen Drei« der Anti-Hitler-Koalition statt. Die Westmächte waren von vornherein geschwächt: Sie mussten in die Verhandlungen mit neuen, außenpolitisch unerfahrenen Repräsentanten gehen. Für den am 12. April 1945 verstorbenen Präsidenten Roosevelt vertrat sein Nachfolger Truman die USA, und der britische Premierminister Churchill wurde nach den Unterhauswahlen während der Konferenz am 28. Juli durch den Führer der siegreichen Labour Party, Attlee, abgelöst. Schwerwiegender war, dass Stalin mit seinem eigenmächtigen Vorgehen in Ostdeutschland seine Verbündeten vor vollendete Tatsachen gestellt hatte. Er hatte der kommunistisch geführten polnischen Regierung als Entschädigung für die an die Sowjetunion abzutretenden ostpolnischen Gebiete Ostdeutschland bis zur Oder-Neiße-Linie übergeben. Hierüber kam es im Lauf der Konferenz zu harten Auseinandersetzungen mit den Westmächten, die aber schließlich im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 die Oder-Neiße-Linie als Westgrenze Polens de facto anerkannten. Unter dem Vorbehalt einer endgültigen Regelung durch den Friedensvertrag stimmten sie zu, dass die ostdeutschen Gebiete bis zur Oder-Neiße-Linie aus der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands herausgenommen und unter sowjetische bzw. polnische Verwaltung gestellt wurden. Gleichzeitig stimmten die Westmächte der »Überführung« der Deutschen aus diesen Gebieten sowie aus Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei zu, womit die bereits in vollem Gang befindliche Vertreibung legalisiert wurde. Das deutsche Auslandsvermögen wurde vom Alliierten Kontrollrat übernommen, die Kriegs- und Handelsflotte aufgeteilt.
 
Hinsichtlich der Behandlung Deutschlands legte das Potsdamer Abkommen politische Grundsätze fest: »Der deutsche Militarismus und Nazismus werden ausgerottet«, und es sollen alle notwendigen Maßnahmen getroffen werden, »damit Deutschland niemals mehr seine Nachbarn oder die Erhaltung des Friedens in der ganzen Welt bedrohen kann«. Es sei nicht die Absicht der Alliierten, »das deutsche Volk zu vernichten oder zu versklaven«, ihm solle vielmehr die Möglichkeit gegeben werden, »sich darauf vorzubereiten, sein Leben auf einer demokratischen und friedlichen Grundlage wiederaufzubauen«. Als ihre Ziele formulierten die Alliierten bei der Besetzung Deutschlands: völlige Abrüstung und Entmilitarisierung, Ausschaltung der gesamten für Kriegsproduktion geeigneten Industrie, völlige und endgültige Auflösung aller bewaffneten Verbände sowie der militärischen Traditions- und Kriegervereine, Auflösung der NSDAP und ihrer angeschlossenen Gliederungen, Umgestaltung des politischen Lebens auf demokratischer Grundlage, Aufhebung nazistischer Gesetze, Verhaftung und Aburteilung der Kriegsverbrecher, Entfernung von Nationalsozialisten aus öffentlichen und halböffentlichen Ämtern sowie aus verantwortlichen Posten der Privatwirtschaft, demokratische Erneuerung des Erziehungs- und des Gerichtswesens, Dezentralisierung der Verwaltung, Wiederherstellung der lokalen Selbstverwaltung und Zulassung aller demokratischen Parteien.
 
Es wurde ausdrücklich festgelegt, dass die wirtschaftliche Einheit Deutschlands gewahrt werden sollte. Dieser Grundsatz wurde jedoch bereits mit der Vereinbarung entwertet, dass jede Besatzungsmacht ihre Ansprüche auf Reparationen vor allem aus ihrer Zone befriedigen solle (mit einer Ausnahmeregelung zugunsten der Sowjetunion).

Universal-Lexikon. 2012.