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Römisches Reich
Römisches Reich,
 
lateinisch Imperium Romanum. Das Römische Reich umfasste in seiner größten Ausdehnung unter Trajan (98-117 n. Chr.) alle Länder des weiteren Mittelmeergebietes und reichte am Rhein mit Südwestdeutschland und Teilen des Rheinlandes und an der Donau mit Dakien (Rumänien) weit in den europäischen Kontinent hinein, bezog England (nicht Schottland) ein und reichte im Osten bis zum Persischen Golf und zum Kaspischen Meer. In der Römischen Republik war »Imperium« (Befehlsgewalt) v. a. der Herrschaftsbereich der Römer, der seit dem Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. mit dem Erdkreis gleichgesetzt wurde. Dieser römischen Herrschaft unterlagen neben den Latinern v. a. die mit Rom föderierten Staaten der Apenninhalbinsel, deren Bürger erst 88 v. Chr. das volle römische Bürgerrecht erhielten. Bis dahin galten sie wie die Bewohner der Provinzen als Ausländer (Peregrini). - Für die Verwaltung Roms und Italiens standen außer den beiden Konsuln Prätoren, Ädilen, Quästoren und Zensoren zur Verfügung. Bei Notständen konnte für ein halbes Jahr ein Diktator ernannt werden.
 
Verwaltung der außeritalischen Gebiete:
 
Die nach dem 1. Punischen Krieg erworbenen außeritalischen Herrschaftsgebiete wurden meist in der Form einer Provinz verwaltet: 227 v. Chr. Sizilien sowie Sardinien mit Korsika; 197 Hispania citerior und Hispania ulterior (Spanien); 146 Makedonien, Achaea (Griechenland), Africa; 133 Asia (Kleinasien); 120 Gallia Narbonensis (Provence); 88 (?) Gallia Cisalpina (Oberitalien); 74 Bithynien und Pontos, Kyrene; 67 Kreta, Kilikien; 64 Syrien; 58 Zypern. Die Provinz unterstand einem römischen Militärbefehlshaber (Prätor oder Proprätor, später auch Prokonsul), der auch die Rechtsprechung ausübte, und unterlag der Besteuerung durch Rom. Dem Prätor war ein Quästor (in Sizilien zwei) für die Rechnungsführung beigegeben. Die Einziehung der Steuern erfolgte gewöhnlich durch römische Steuerpächter, die meist wie die Händler und Bankiers in den Provinzen der Schicht der Ritter (Equites) angehörten. Die von Rom abhängigen Staaten (innerhalb wie außerhalb einer Provinz) galten rechtlich meist als Bundesgenossen (Socii). Sie konnten durch einen zweiseitigen, beschworenen Vertrag (Foedus) oder (öfter) durch eine einseitige Erklärung des Senats Bundesgenossen Roms werden. Die Autonomie der provinzialen Bündner wurde jedoch seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. durch römische Provinzialordnungen (Leges provinciae) immer mehr eingeschränkt. Gegen Übergriffe der Statthalter konnten die Bundesgenossen den Senat anrufen. 149 v. Chr. wurde ein ständiger Gerichtshof zur Untersuchung von Erpressungen (Quaestio de rebus repetundis) geschaffen, der erst mit Senatoren, seit 123 mit Rittern, seit Sulla wieder mit Senatoren und seit 70 v. Chr. gemischt mit Senatoren, Rittern und Ärartribunen (Plebejern mit dem höchsten Zensus) besetzt wurde. Wirkungsvoller war das Eintreten römischer »Patroni« für ihre nichtrömischen Klienten (Patronat).
 
Die Bedrohung des Imperiums durch die Seeräuber und durch Mithridates VI. von Pontos, später auch die Furcht vor den Galliern, führten zur Schaffung außerordentlicher Militärkommandos (74 für Marcus Antonius, 67 und 66 für Pompeius, 59 für Caesar) und zur Ausbildung eines großen militärischen Verwaltungsapparates neben der senatorischen Verwaltung. Unter Augustus erfolgte dann eine Teilung der Provinzen zwischen Senat und Princeps. Die »kaiserlichen« Provinzen wurden von senatorischen Legaten (»legati pro praetore«) prätorischen oder konsularen Ranges, Ägypten und einige kleinere Provinzen von ritterlichen Präfekten (später auch Prokuratoren) verwaltet, die senatorischen Provinzen wie in der Republik durch Promagistrate (Prokonsuln oder Proprätoren). Die Truppen unterstanden teils senatorischen Legaten, teils ritterlichen Präfekten. Das Privatvermögen des Princeps in Italien und in den Provinzen und zum Teil auch die Steuern wurden von kaiserlichen Hausbeamten, Prokuratoren (Rittern und Freigelassenen) verwaltet. Es entstand so neben der senatorischen eine ritterliche Laufbahn. Im 3. Jahrhundert n. Chr. verdrängten dann im Heer und in der Provinzialverwaltung zunehmend ritterliche die senatorischen Beamten. Die Zahl der Provinzen stieg in der Prinzipatszeit auf mehr als das Doppelte, unterlag allerdings starken Schwankungen.
 
Vereinheitlichung des Reiches:
 
Die Anwesenheit römischer Truppen und römischer Geschäftsleute, die römische Rechtsprechung, Bürgerrechtsverleihungen an einzelne Provinziale und die Anlage von Kolonien bewirkten schon in der Republik in den westlichen Provinzen eine allmähliche Romanisierung, die durch die Bürgerrechtspolitik von Caesar und Augustus, später auch von Claudius stark gefördert wurde. Im Osten blieb dagegen das Griechische bestimmend. Die »Hellenen« waren eine privilegierte Schicht. Das Reich blieb zweisprachig. Unter Augustus wurde das Imperium zu einer geographischen Einheit, die in dem göttlich verehrten Kaiser eine monarch. Spitze erhielt. Römer und Provinziale galten bald gleichermaßen als Untertanen des Kaisers (der Begriff ist der Republik fremd). Das Zusammenwachsen des Reiches wurde durch die Rechtspolitik der Kaiser noch gefördert. Das Kaiserrecht galt im ganzen Reich. Das gewohnheitsmäßige Edikt des Statthalters wurde 130 n. Chr. in abschließender Form kodifiziert. Das Gefühl der Reichszugehörigkeit wurde durch die Befriedungspolitik der Kaiser und durch die von ihnen sehr favorisierte Urbanisierung weiter verstärkt. Während sie im Osten griechische Städte neu gründeten, trat im Westen neben die Anlage von Kolonien römischen oder latinischen Rechts die Erhebung peregriner Gemeinden zu römischen oder latinischen Munizipien mit umfangreichen, von Rom erlassenen Stadtrechtsordnungen (z. B. der Lex Irnitana, einer Stadtrechtsinschrift aus flavischer Zeit). Einen gewissen Abschluss erfuhr die Vereinheitlichung des Reiches aber erst durch die Verleihung des römischen Bürgerrechts an alle Reichsangehörigen durch die Constitutio Antoniniana des Kaisers Caracalla (212 n. Chr.).
 
Spätantike:
 
Unter Diokletian wurde die Trennung in kaiserlichen und senatorischen Provinzen aufgehoben und die Sonderstellung Italiens (zu dem seit 42 v. Chr. auch Oberitalien gehörte) beseitigt. Die Zahl der Provinzen erhöhte sich durch Einbeziehung Italiens und durch Teilungen auf etwa 100. Sie unterstanden meist ritterlichen Statthaltern (Praesides), in Italien jedoch senatorische Beamten (für Asia, Africa und Achaea wurden weiter Prokonsuln bestellt), und waren in 12 (später 15) Diözesen zusammengefasst, die den Vicarii (den weitgehend selbstständigen Stellvertretern der Prätorianerpräfekten) unterstanden. Die Diözesen wiederum wurden in vier (zeitweise drei) Präfekturen zusammengefasst: Oriens, Illyricum, Italia (et Africa), Galliae. Die Zivilverwaltung wurde von der Militärverwaltung strikt getrennt. Die etwa 60 Legionen des Grenzheeres (Limetanei) unterstanden nicht den Provinzstatthaltern, sondern ritterlichen Duces. Daneben schuf Diokletian ein mobiles Feldheer (Comitatenses) und Konstantin der Große eine Palastgarde (Palatini). Die Prätorianerpräfekten wurden unter Konstantin reine Zivilbeamte, ihre militärischen Funktionen übernahmen die Heermeister (Magistri Militum), die sich im 5. Jahrhundert oft als Kaisermacher betätigten. Die Präfekturengliederung und die Gründung Konstantinopels begünstigten die Reichsteilungen und das Auseinanderfallen des Römischen Reichs (römische Geschichte). An die Tradition Westroms knüpften Karl der Große und die deutschen Könige seit Otto I. an (Heiliges Römisches Reich, Kaiser).
 
Literatur:
 
J. Marquardt: Röm. Staatsverwaltung, 3 Bde. (21881-85, Nachdr. New York 1975);
 T. Mommsen: Röm. Staatsrecht, 5 Tle. (31887-88, Nachdr. 1971);
 O. Hirschfeld: Die kaiserl. Verwaltungsbeamten bis auf Diocletian (21905, Nachdr. 1975);
 F. F. Abbot u. A. C. Johnson: Municipal administration in the Roman Empire (Princeton, N. J.,1926, Nachdr. New York 1968);
 A. Heuss: Die völkerrechtl. Grundlagen der röm. Außenpolitik in republikan. Zeit (1933, Nachdr. 1968);
 F. Vittinghoff: Röm. Kolonisation u. Bürgerrechtspolitik unter Caesar u. Augustus (1952);
 W. Dahlheim: Struktur u. Entwicklung des röm. Völkerrechts im 3. u. 2. Jh. v. Chr. (1968);
 W. Dahlheim: Gewalt u. Herrschaft. Das provinziale Herrschaftssystem der röm. Rep. (1977);
 D. Nörr: Imperium u. Polis in der hohen Prinzipatszeit (21969);
 H. Galsterer: Herrschaft u. Verwaltung im republikan. Italien (1976);
 H. Wolff: Die Constitutio Antoniniana u. der Papyrus Gissensis 40, 2 Tle. (Diss. Köln 1976);
 W. Eck: Die staatl. Organisation Italiens in der hohen Kaiserzeit (1979);
 T. D. Barnes: The new empire of Diocletian and Constantine (Cambridge, Mass., 1982);
 T. Hantos: Das röm. Bundesgenossensystem in Italien (1983);
 G. Webster: The Roman imperial army of the first and second centuries A. D. (London 31985, Nachdr. ebd. 1987);
 J. Gonzales: The lex Irnitana, in: Journal of Roman Studies, Jg. 76 (London 1986); A. D'Ors: La Ley Flavia municipal. Texto y commentario (Rom 1986);
 
Die röm. Reichsgrenze von der Mosel bis zur Nordseeküste, hg. v. T. Bechert u. W. J. H. Willems (1995);
 R. Schulz: Herrschaft u. Regierung. Roms Regiment in den Provinzen in der Zeit der Rep. (1997).
 

Universal-Lexikon. 2012.