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Schleiermacher
Schleiermacher,
 
1) Friedrich Daniel Ernst, evangelischer Theologe und Philosoph, * Breslau 21. 11. 1768, ✝ Berlin 12. 2. 1834. Aus reformiertem Elternhaus, wurde Schleiermacher in seiner Bildung intensiv von der Tradition des Pietismus der Herrnhuter Brüdergemeine geprägt. Nach dem Studium der Philosophie, Theologie und der alten Sprachen (1787-89) in Halle (Saale) zunächst als Hauslehrer (1790-93) und Hilfsprediger (1794-96) tätig, wurde er 1796 Prediger an der Berliner Charité. In engem Kontakt mit den Romantikern um K. W. F. Schlegel entstand hier 1799 anonym sein religiös-philosophisches Frühwerk »Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern«. Seit 1802 Hofprediger in Stolp und 1804 als außerordentlicher Professor für Theologie und Universitätsprediger nach Halle (Saale) berufen, arbeitete er nach der Schließung der dortigen Universität politisch engagiert in Berlin (seit 1807); dort wirkte er mit W. von Humboldt an der Vorbereitung der Universitätsgründung mit und wurde 1809 Pfarrer der Dreifaltigkeitskirche, 1810 Professor an der neuen Universität sowie 1811 Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften.
 
Die weit reichende Beachtung, die Schleiermacher bereits von seinen Zeitgenossen zuteil wurde, gründete nicht zuletzt in der Universalität seines umfangreichen Werkes: Er galt als hervorragender Prediger, war Verfasser von Predigtsammlungen und theologischen Schriften sowie Übersetzer der Schriften Platons und befasste sich mit der philosophischen Ethik, mit Fragen der Hermeneutik, der Ästhetik und Pädagogik.
 
Schleiermachers theologisches Werk markiert einen Höhepunkt und eine Wende in der Geschichte der protestantischen Theologie, v. a. durch den Versuch, zwischen Theologie und Philosophie eine Verbindung auf der Basis der je eigenen Existenz herzustellen: Schleiermacher betont den permanenten sachlichen Bezug der beiden Disziplinen als zweier Hinsichten des Denkens. Bereits in der apologetischen Schrift »Über die Religion. ..« (1799) bestimmt Schleiermacher in Auseinandersetzung mit der Theologie der Aufklärung, besonders mit ihrem Begriff der natürlichen Religion, das »Wesen der Religion« als »Anschauung und Gefühl«, als »Anschauung des Universums«, als das unmittelbare Erleben, dass alles Endliche in ein Unendliches eingebettet ist, wodurch es als Endliches überhaupt erst wahrnehmbar ist. Schleiermacher kommt es darauf an, v. a. die Ursprünglichkeit und Selbstevidenz der Religion zu sichern. In Abwehr psychologistischer Missverständnisse präzisiert Schleiermacher den Begriff »Gefühl«, später »frommes Gefühl« (»Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhang dargestellt«, 2 Bände, 1821-22) als »unmittelbares Existenzialverhältnis« und definiert Religion als »Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit«. Das Verhältnis dieses »Gefühls« (oder »höheren Selbstbewusstseins«) zum »Weltbewusstsein« (oder »sinnliches Selbstbewusstsein«) bestimmt den Aufbau von Religion. Auf dieser Grundaussage entwickelt Schleiermacher auch seine zentrale christozentrische Christologie, der er seine Lehre von der Kirche (Gemeinde) zuordnet, über die Christus durch den Heiligen Geist auf den Einzelnen wirkt. Das »Gesamtsystem der Theologie« baut auf der »philosophischen Theologie« als der »Wurzel« auf, der sich die »historische Theologie« (Dogmatik u. a.) und die »praktische Theologie« als »Stamm« und »Krone« zuordnen (»Kurze Darstellung des theologischen Studiums«, 1811). - Schleiermachers philosophisches Hauptwerk ist seine dem transzendentalen Idealismus zuzurechnende »Dialektik« (1839), mit der er das Programm einer »höchsten Wissenschaft« (Wissenschaftslehre) zur Begründung allen Wissens und so aller Wissenschaften aus der Erkenntnis des Absoluten, des höchsten Wesens als der Identität des Idealen und Realen, erfüllen will. Im Unterschied zur Dialektik G. W. F. Hegels entwickelt Schleiermacher eine Art Anleitung zum Philosophieren, ein methodisch geregeltes Kunstverfahren zur Konstruktion gesicherten Wissens durch Überwindung unterschiedlicher Gedanken und (philosophischer) Positionen. Unter Rezeption von Elementen der klassischen Philologie, von Denkansätzen J. G. Herders und der Transzendentalphilosophie I. Kants leitet Schleiermacher eine Wende in der Hermeneutik zu einer »Kunstlehre des Verstehens« ein. - Die Pädagogik Schleiermachers gilt neben der J. F. Herbarts als reflektiertester Systementwurf und Begründung einer wissenschaftlichen Pädagogik im 19. Jahrhundert, wobei auf der Grundlage seiner Ethik geschichtlich-kulturelle Zusammenhänge wie auch die konkret-individuelle Situation Berücksichtigung finden. - In »Die christliche Sitte. ..« (herausgegeben von L. Jonas, 1843) entwickelt Schleiermacher die Prinzipien der christlichen Ethik neu, und zwar nicht mehr aus der dogmatischen Frage »Was muss sein? «, sondern aus der Frage »Was muss werden? «, wobei der Glaube oder die christliche »Gesinnung« die treibende Kraft des ethischen Handelns ist. - Schleiermachers Werk hat wissenschaftsgeschichtlich bedeutende Impulse gegeben. Die von ihm gesuchte Synthese von Bildung und Religion sowie von christlichem und philosophischem Bewusstsein bestimmte die liberale Theologie des 19. Jahrhunderts. Der Einfluss seiner Sprachphilosophie, besonders seiner Hermeneutik, reicht bis in die Gegenwart (W. Dilthey, M. Heidegger, R. Bultmann, H.-G. Gadamer, G. Ebeling). Mit seiner Platon-Übersetzung wirkt Schleiermacher bis in die Platon-Interpretationen der Gegenwart nach. Schleiermachers Werk beeinflusste die geisteswissenschaftliche Pädagogik.
 
Weitere Werke: Monologen (1800); Vertraute Briefe über F. Schleiermachers Lucinde (1800); Die Weihnachtsfeier (1806).
 
Ausgaben: Sämmtliche Werke, 31 Bände (1834-64); Kritische Gesamtausgabe, herausgegeben von H.-J. Birkner u. a., auf zahlreiche Bände berechnet (1980 folgende).
 
Literatur:
 
J. Schurr: S.s Theorie der Erziehung (1975);
 T. H. Jørgensen: Das religionsphilosoph. Offenbarungsverständnis des späteren S. (1977);
 H.-R. Reuter: Die Einheit der Dialektik F. S.s (1979);
 M. Riemer: Bildung u. Christentum. Der Bildungsgedanke S.s (1989);
 K. Fischer: Gegenwart Christi u. Gottesbewußtsein. Drei Studien zur Theologie S.s (1992);
 H.-J. Birkner: S.-Studien (1996);
 K. Nowak: S. Leben, Werk u. Wirkung (2001).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Schleiermacher: Vorschlag, das Wesen der christlichen Religion neu zu verstehen
 
 2) Steffen, Komponist und Pianist, * Halle (Saale) 3. 5. 1960; studierte in Leipzig u. a. bei F. Schenker und war Meisterschüler von F. Goldmann an der Akademie der Künste in Berlin, weitere Studien bei A. Kontarsky in Köln. Seit 1988 Leiter des Leipziger Ensembles Avantgarde. Als Pianist tritt er v. a. als Interpret der Klavierliteratur des 20. Jahrhunderts hervor.
 
Werke: Orchesterwerke: Musik für Pauken und Orchester (1986); Puls, Farbe, Schatten (1995).
 
Kammermusik: Entgegnung (1985, für Schlagzeugensemble); Quintett (1990, für Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier); Gestalt. .. gesplittert (1997, für Klarinette, Violoncello und Klavier).
 
Vokalmusik: 2 Lieder (1988, nach Texten von W. Lehmbruck); 4 Chöre (1989, nach Gedichten von G. Trakl).
 
Oper: Die grüne Gans (1993, Kammeroper).
 
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Schleiermacher: Vorschlag, das Wesen der christlichen Religion neu zu verstehen
 

Universal-Lexikon. 2012.