Akademik

Philologie
Sprach- und Literaturwissenschaft

* * *

Phi|lo|lo|gie 〈f. 19; unz.〉 Sprach- u. Literaturwissenschaft [<grch. philein „lieben“ + logos „Lehre, Rede“]

* * *

Phi|lo|lo|gie, die; -, -n [lat. philologia < griech. philologi̓a]:
Wissenschaft, die sich mit der Erforschung von Texten in einer bestimmten Sprache beschäftigt; Sprach- u. Literaturwissenschaft:
klassische P. (Griechisch u. Latein).

* * *

Philologie
 
[griechisch] die, -/...'gi |en, im engeren Sinn die Wissenschaft der Deutung von Texten, im weiteren Sinn die wissenschaftliche Erforschung der geistigen Entwicklung und Eigenart eines Volkes oder einer Kultur aufgrund seiner Sprache und Literatur. Ausgebildet hat sich die Philologie als Wissenschaft in Griechenland im Zeitalter des Hellenismus. In der Neuzeit ging die klassische oder Altphilologie in der Entwicklung einer strengen Methodik und deren sicherer Handhabung den übrigen Philologien voran. Als Neuphilologie fasst man die Philologie der neueren Sprachen (einschließlich ihrer überlieferten Texte) zusammen, darunter Germanistik, Anglistik, Romanistik, Slawistik. Aus der Philologie haben sich Sprachwissenschaft und Literaturwissenschaft entwickelt, da sich spätestens seit den 1960er-Jahren die Einheit von Sprach- und Literaturwissenschaft innerhalb einer Philologie aufzulösen begann. Darüber hinaus ist die Philologie eine Grundlage aller neuzeitlichen geschichtlichen Wissenschaften.
 
Ziele
 
und Methoden: Vordringliche Aufgabe jeder philologischen Disziplin ist die Herstellung möglichst authentischer Texte. Der handschriftliche Text des Verfassers (Autograph), seine verschiedenen Fassungen, ferner Korrekturen, Druckfahnen, voneinander abweichende Auflagen sind wichtiges Grundmaterial. Vor der Erfindung des Buchdrucks wurden die Texte in handgeschriebenen Exemplaren verbreitet (Handschrift). Die Texte der verschiedenen Handschriften eines Werkes werden miteinander verglichen und die Textabweichungen (Varianten) festgestellt. Neben der »direkten«, handschriftlichen Überlieferung liegt eine »indirekte« durch Zitate bei anderen Autoren und in der die Texte kommentierenden Literatur vor. Mit den Methoden der Textkritik wird zunächst der Bestand des Überlieferten ermittelt (»recensio«), dann diese Überlieferung kritisch auf ihre Originalität hin geprüft (»examinatio«); dabei müssen Textschäden (Korruptelen) festgestellt und nach Möglichkeit durch Vermutung (»divinatio«) behoben (Emendation) oder gebessert (Konjektur) werden. Der so gewonnene Text wird auf seine Echtheit befragt, d. h. darauf, ob er von dem vorgeblichen Verfasser stammt oder ob er Einschübe (Interpolationen) von anderer Hand enthält. Weiterhin ist zu klären, ob der Text einheitlich ist; durch entsprechende Analyse können gegebenenfalls verschiedene Schichten des Textes voneinander abgehoben werden. Die gesamte Arbeit am Text schlägt sich nieder in der kritischen Ausgabe, die ein genaues Bild der gesamten direkten wie indirekten Überlieferung zu geben hat.
 
Grundlage für die in der Praxis mit der Textkritik Hand in Hand gehende Textinterpretation (Interpretation) ist die sorgfältige Analyse der sprachlichen Form des Textes. Während die Grammatik typische Elemente herausarbeitet, richtet sich die Stilbetrachtung auf die individuellen und zeitgeschichtlichen sprachlichen Besonderheiten (Stil). Darüber hinaus wird eine Analyse des Gehalts angestrebt, der sich bei Texten von Rang von der Form nicht ablösen lässt. Die Verbindung formaler, stilistischer und inhaltlicher Gesichtspunkte ermöglicht eine literaturgeschichtliche Einordnung des Textes.
 
Geschichtliches:
 
Von historischer Bedeutung für die philologische Analyse war die Lehre vom mehrfachen Schriftsinn. Schon im 6. Jahrhundert v. Chr. nahm man an manchen Darstellungen Homers Anstoß und suchte sie daher allegorisch zu erklären. Diese Art der allegorischen Deutung (Allegorese) wurde dann in hellenistischer Zeit von den Stoikern systematisch ausgebaut; Philon von Alexandria wandte sie auf das Alte Testament an; besonders intensiv wurde sie von den Neuplatonikern geübt.
 
Aus der Tätigkeit der frühgriechischen Rhapsoden, die das alte Epos nicht nur rezitierten, sondern auch erklärten, erwuchsen seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. die Anfänge der Philologie. Die Sophisten schufen die ersten systematischen Grundlagen für die Philologie; Aristoteles und seine Schule entwickelten eine alle Wissensgebiete umfassende Sammlertätigkeit. Aristoteles gab auch systematische Zusammenfassungen des philologischen Wissensstandes in der »Rhetorik« und v. a. in seiner »Poetik«.
 
Eine neue Epoche der Philologie begann im Zeitalter des Hellenismus. In Alexandria entstanden die Alexandrinische Bibliothek u. a. Forschungsstätten (z. B. Museion). Diese wissenschaftliche Hilfsmittel führten die Philologie zu höchster Blüte. Die alexandrinische Philologenschule (Zenodot, Eratosthenes von Kyrene, der sich als Erster als Philologe bezeichnete, Aristophanes von Byzanz, Aristarchos von Samos, Apollodor u. a.) widmete sich v. a. der textkritischen Bearbeitung und umfassenden Interpretation der Werke bedeutender Schriftsteller. Neben der alexandrinischen behauptete sich seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. die stoisch beeinflusste pergamen. Schule (Krates Mallotes u. a.).
 
In Rom stand die Philologie ganz unter griechischen Einfluss. Der erste bedeutende römische Philologe, Aelius Stilo (um 100 v. Chr.), war noch stark von der pergamen. Schule geleitet; mit M. Terentius Varro wurde die strenge textkritische Methode der alexandrinischen Philologenschule in Rom geprägt. Hervorragende römische Philologen waren u. a. Verrius Flaccus, Remmius Palaemon, Quintilian, Valerius Probus und Sueton. Mit dem 2. Jahrhundert begann die Zeit der Kompilatoren, v. a. in der Grammatik und in der Interpretation dichterischer Werke. Philologen dieser Epoche waren u. a. Gellius, der Vergilkommentator Servius, Martianus Capella, Macrobius, Boethius, Cassiodor, der Grammatiker Priscianus sowie der Kirchenlehrer Isidor von Sevilla. Das Mittelalter bewahrte durch Abschriften zahlreiche lateinische Werke für die Nachwelt, u. a. aus dem didaktischen Bedürfnis, die lateinische Sprache nach als unübertroffen geltenden stilistischen Vorbildern zu vermitteln und damit erlernbar zu machen (mittellateinische Literatur). Hierzu trug im Spanien des 11.-13. Jahrhunderts eine reiche Übersetzungstätigkeit aus dem Arabischen ins Lateinische bei, u. a. von griechischen Werken (z. B. Aristoteles), die nur auf diesem Wege erhalten geblieben sind (arabische Wissenschaft).
 
Zu neuer Blüte gelangte die Philologie während der Renaissance und des Humanismus. 1397 wurde M. Chrysoloras als erster Lehrer des Griechischen von Konstantinopel nach Florenz berufen; seine Landsleute Kardinal Bessarion und Georg von Trapezunt verbreiteten die Kenntnis griechischer Literatur. Das löste eine Fülle von Erstausgaben und Übersetzungen durch humanistischen Gelehrte aus und belebte von neuem die Beschäftigung mit der Philosophie Platons (besonders in der Akademie M. Ficinos in Florenz) und der des Aristoteles. Der Buchdruck sicherte dann endgültig Erhalt und Verbreitung des antiken Schrifttums überall in Europa. Die gelehrten Interessen waren dabei durchaus unterschiedlich: Sie galten in Deutschland vornehmlich antiken Werken zur deutschen Frühzeit (K. Celtis, Beatus Rhenanus) und dem Urtext der Bibel (J. Reuchlin, Erasmus von Rotterdam), in Frankreich der »realen« Erforschung des Altertums (G. Budaeus) und der systematischen Sammlung historischer Quellen (A. Duchesne, C. du Cange, J. Mabillon), während niederländ. (J. J. Scaliger, D. Heinsius, J. Lipsius) und englische Philologen (R. Bentley, R. Porson) durch Textkritik und umfassende Sprach- und Sacherklärung antiker Autoren die Grundlagen der klassischen Philologie schufen.
 
Die Philologie im modernen Sinne beginnt im Zeitalter der deutschen Klassik, des Neuhumanismus und der Romantik mit F. A. Wolf, der in seinen Vorlesungen und Schriften die Idee einer umfassenden Altertumswissenschaft entwickelte, die alle die Antike betreffenden Einzeldisziplinen einschloss. Unter dem Einfluss J. G. Herders, der die Individualität der Völker und ihrer Traditionen hervorhob, und der geistig-politischen Zeitströmungen nach Französischer Revolution und Befreiungskriegen setzte in Deutschland eine Rückbesinnung auf das Mittelalter als den Ausgangspunkt nationaler Sprachen und Geschichte ein. Dies führte zur Begründung der quellenorientiert arbeitenden deutschen Geschichtswissenschaft (Sammlung deutscher Geschichtsquellen, Monumenta Germaniae Historica), der germanischen Altertums- und Sprachwissenschaft (J. und W. Grimm) sowie selbstständiger philologischer Disziplinen (Germanistik, Anglistik, Romanistik, Slawistik). Entscheidend für die neue Epoche der klassischen Philologie wurden neben den Arbeiten des Textphilologen und Kritikers G. Hermann v. a. die mit A. Böckh einsetzende Einbeziehung geschichtlicher Gesichtspunkte in die Textinterpretation sowie die Hinzunahme von Inschriften u. a. Denkmälern als Dokumenten des antiken Lebens in seiner Gesamtheit. Bedeutende Beiträge zur griechischen Tragödie und griechischen Mythologie leistete F. G. Welcker. Die Latinistik stellten K. Lachmann, J. N. Madvig, F. W. Ritschl und F. Bücheler auf eine neue Grundlage. Ausgrabungen und Papyrusfunde erschlossen der Philologie neue Quellen und neue Gesichtspunkte. Die internationale Zusammenarbeit wurde durch Akademien und Institute gefördert, weit reichende Unternehmungen wurden organisiert (Inschriftensammlungen, Textserien, Thesaurus Linguae Graecae, Thesaurus Linguae Latinae). Intensiv betrieben wurden die Sammlung von Fragmenten verloren gegangener antiker Werke (Komiker: August Meineke, * 1790, ✝ 1870; Tragiker: August Nauck, * 1822, ✝ 1892), die Geschichte der antiken Religionen (H. Usener, E. Rohde), der griechischen Philosophie (E. Zeller; Usener, H. Diels, John Burnet, * 1863, ✝ 1928; Alfred Edward Taylor, * 1869, ✝ 1945) und von Einzelwissenschaften wie der antiken Medizin, Mathematik, Naturwissenschaft (M. P. É. Littré, Paul Tannery, * 1843, ✝ 1904; Johan Ludvig Heiberg, * 1854, ✝ 1928), Astronomie und Astrologie (Franz Boll, * 1867, ✝ 1927; F. Cumont, Joseph Bidez, * 1867, ✝ 1945).
 
Bisher wenig erforschte Epochen wie Hellenismus und Spätantike wurden erschlossen, dann auch die lateinische Literatur des Mittelalters sowie die griechische Literatur der byzantinischen Zeit erforscht (K. Krumbacher und L. Traube, die ersten Professoren für Byzantinistik beziehungsweise mittellateinische Philologie in München, 1892 beziehungsweise 1902) und die Originalität der römischen Literatur erkannt (F. Leo, R. Heinze). Durch die Auswertung der Textgeschichte wurde die Textkritik gefördert (U. von Wilamowitz-Moellendorff, P. Maas, Giorgio Pasquali, * 1885, ✝ 1952); in den spätlateinischen und vulgärlateinischen Texten wurde die Umgangssprache wieder aufgedeckt (Einar Löfstedt, * 1880, ✝ 1955). In der Auseinandersetzung mit Wilamowitz-Moellendorff ergaben sich neue Impulse im griechischen (W. Jaeger, K. Reinhardt, Rudolf Pfeiffer, * 1889, ✝ 1979; B. Snell, A. Lesky, W. Schadewaldt) wie im lateinischen Bereich (E. Fraenkel, F. Klingner, V. Pöschl). Neuerdings finden Rezeptionsphänomene im weitesten Sinne verstärkt Interesse.
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Anglistik · Germanistik · Literaturwissenschaft · Orientalistik · Romanistik · Slawistik · Sprachwissenschaft · Textkritik
 
Literatur:
 
F. A. Wolf: Darst. der Alterthumswiss. (1807, Nachdr. 1986);
 
Friedrich August Wolf's Vorlesungen über die Alterthumswiss., hg. v. J. D. Gürtler u. a., 5 Bde. u. Suppl.-Bd. (Neuausg. 1839);
 C. Bursian: Gesch. der class. P. in Dtl. von den Anfängen bis zur Gegenwart, 2 Bde. (1883, Nachdr. New York 1965);
 A. Boeckh: Encyklopädie u. Methodologie der philolog.Wiss.en, hg. v. E. Bratuschek (21886);
 W. Dilthey: Die Entstehung der Hermeneutik, in: Philosoph. Abh. Christoph Sigwart zu seinem 70. Geburtstage. .. (1900);
 J. E. Sandys: A history of classical scholarship (Cambridge 1-21906-08, Nachdr. New York 1967);
 A. Gudeman: Imagines philologorum (1911);
 T. Birt: Kritik u. Hermeneutik (1913);
 U. von Wilamowitz-Moellendorff: Gesch. der P. (31921, Nachdr. Leipzig 1959);
 H. J. Pos: Krit. Studien über die philolog. Methode (1923, Nachdr. Nendeln 1973);
 J. Wach: Das Verstehen. Grundzüge einer Gesch. der hermeneut. Theorie im 19. Jh., 3 Bde. (1926-33, Nachdr. 1984);
 P. Maas: Textkritik (Leipzig 41960);
 R. Pfeiffer: Gesch. der klass. P. Von den Anfängen bis zum Ende des Hellenismus (a. d. Engl., 1978);
 R. Pfeiffer: Die klass. P. von Petrarca bis Mommsen (a. d. Engl., 1982);
 H.-G. Gadamer: Wahrheit u. Methode (Neuausg. 1986);
 
Classical scholarship. A biographical encyclopedia, hg. v. W. W. Briggs u. a. (New York 1990).
 

* * *

Phi|lo|lo|gie, die; -, -n [lat. philologia < griech. philología]: Wissenschaft, die sich mit der Erforschung von Texten in einer bestimmten Sprache beschäftigt; Sprach- u. Literaturwissenschaft: klassische P. (Griechisch u. Latein) studieren.

Universal-Lexikon. 2012.