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Schichtung
Schịch|tung 〈f. 20
1. das Schichten
2. Aufbau in Schichten, das Geschichtetsein

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Schịch|tung, die; -, -en:
Gestaltung, Aufbau, Anlage in Schichten (1, 2).

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I
Schichtung,
 
1) Geologie: die schichtenförmige Ablagerung (Sedimentation) beziehungsweise Lagerung von Gesteinen, besonders von Sedimentgesteinen, von Tuffen u. a. pyroklastischen Gesteinen. Schichtung zeigt sich durch Änderung der Ablagerungsbedingungen, v. a. durch Wechsel des sich absetzenden Gesteinsmaterials oder durch Verfestigung einer Schicht vor Bildung der nächstjüngeren während einer Ablagerungspause. Die sehr häufige Parallelschichtung leitet über die Flaserschichtung (Flasertextur) zur Schrägschichtung über, die für Ablagerung in bewegtem Wasser (Flussbänke, Deltas) oder bewegter Luft (Dünen) spricht. Diagonal- und Kreuzschichtung, bei denen die Schichten unter spitzem Winkel aufeinander treffen, bilden sich bei häufigem Schüttungswechsel. Gezeitenschichtung entsteht durch Sedimentationsunterschiede von Ebbe und Flut, Jahresschichtung durch klimatisch bedingten Sedimentationswechsel (Bänderton). Repetitionsschichtung nennt man die vielfache Wiederholung bestimmter Schichtenkomplexe. (Diskordanz)
 
 2) Meteorologie: vertikale Verteilung meteorologischer Elemente in der Atmosphäre, besonders die von Temperatur, Feuchtigkeit und Wind. Die Schichtung kann stabil (Stabilität), labil (Labilität) oder indifferent sein (wenn die Temperaturabnahme mit der Höhe gleich dem trockenadiabatischen Gradienten ist, also gleich 1 ºC/100 m).
 
 3) Pflanzensoziologie: vertikaler Aufbau einer Pflanzengemeinschaft in verschiedenen Schichten. In mitteleuropäischen Wäldern unterscheidet man im Allgemeinen Baum-, Strauch-, Krautschicht und Bodenschicht.
 
 4) Soziologie: im Rahmen der Analyse des Gesamtaufbaus einer Gesellschaft verwendeter Begriff. Der Schichtungsbegriff beschreibt die gesellschaftliche Lage von Menschen und Gruppen im Rahmen von vertikalen (Ordnungs-)Modellen, die davon ausgehen, dass sich Gesellschaften in soziale Schichten gliedern lassen, die durch gemeinsame Merkmale bezüglich sozialer (Chancen-)Gleichheit beziehungsweise Ungleichheit miteinander verbunden sind.
 
Für die Bestimmung der jeweiligen Schichtzugehörigkeit spielen neben objektiven Faktoren wie etwa Besitz, Einkommenshöhe, Bildungsgrad und Berufsposition, die v. a. in der älteren Schichtungsforschung und Sozialstrukturanalyse den Ausschlag gegeben haben, heute auch subjektive Faktoren (z. B. Selbsteinschätzung, Sozialprestige [Prestige], Zugehörigkeitsgefühl) eine wichtige Rolle.
 
Den bisherigen Schichtungsmodellen liegt das Gesellschaftsmodell einer Arbeitsgesellschaft zugrunde. Damit wird die Schichtzugehörigkeit wesentlich durch die Berufsposition bestimmt (K. M. Bolte), wobei heute allerdings auch anderen Aspekten wie den Lebenschancen, der Wohnlage, der Freizeit, den Konsummöglichkeiten, der Medienausstattung und den realen politischen Partizipationsmöglichkeiten eine große Bedeutung bei der Schichtenbestimmung zugemessen wird; auch wird die Modellvorstellung sozialer Schichtung in vertikaler Ausrichtung durch die Orientierung an Milieus und sozialen Lagen ergänzt, zum Teil auch ersetzt. Dies hat innerhalb der Soziologie zu einer Diskussion um die Tragfähigkeit unterschiedlicher Konzepte von Schichtung und Sozialstruktur (Stefan Hradil [* 1946], U. Beck, Michael Vester [* 1939], Rainer Geißler [* 1939]) geführt, die auch in einer breiteren Öffentlichkeit Aufmerksamkeit gefunden hat, da mit dieser Frage nicht zuletzt das Selbstverständnis und die historische Legitimation moderner Gesellschaften berührt werden. Denn im Unterschied zu Kasten-, Stände- oder Klassengesellschaften geht die Vorstellung einer sozial geschichteten Gesellschaft zum einen davon aus, dass es - anders als in der marxistischen Gesellschaftsanalyse - nicht nur zwei, sondern mehrere, durch unterschiedliche soziale Stellung und Interessen bestimmte soziale Schichten gibt (also nicht nur Arbeiterklasse und Kapitalbesitzer, sondern etwa Arbeiter, Angestellte, Selbstständige und Beamte) und dass sich der soziale Ort einer Person und ihre Mobilitätschancen zum anderen nicht aus einem einzigen Merkmal (bei Klasse zum Beispiel die Frage des Besitzes von Produktionsmitteln, in einer Ständegesellschaft die natur- oder gottgegebene »Höhe« der Geburt) her bestimmen. Infolgedessen gehört zur Schichtungsstruktur moderner Gesellschaften wesentlich die Vorstellung, dass ein Wechsel von einer Schicht zu einer anderen wahrscheinlich, zumindest aber möglich ist (Mobilität).
 
Trat die Erforschung sozialer Schichtung in Europa vor allem in historischer Perspektive und in (kritischer) Auseinandersetzung mit den marxistischen Klasenkonzeptionen im Laufe der 1920er-Jahre in Erscheinung (S. Kracauer, K. Mannheim, T. Geiger), so erhielt sie in den USA im Anschluss an die in den 1930/40er-Jahren entwickelte strukturell-funktionale Theorie weiter gehende, auch theoretisch bedeutsame Impulse. In funktionalistischer Hinsicht wird soziale Schichtung als Ergebnis eines die modernen Gesellschaften charakterisierenden Prozesses sozialer Differenzierung und Spezialisierung (z. B. Arbeitsteilung) verstanden. Soziale Schichtung bildet in dieser Sicht die plurale Vielgestaltigkeit, die Mobilitätsmöglichkeiten und die prinzipielle Offenheit des Qualifikations- und Gratifikationsgefüges einer Gesellschaft für individuelle und gruppenspezifische Auf- und Abstiegsprozesse ab.
 
Für die Bundesrepublik Deutschland sind seit den 1950er-Jahren eine Reihe von Rangordnungs- und Schichtungsmodellen (Bolte, R. Dahrendorf, H. Schelsky, R. Mayntz, E. K. Scheuch, Hradil) entwickelt worden, auf denen die heute diskutierten Entwürfe noch immer aufbauen (z. B. Geißler, Hradil, Gerhard Schulze [* 1944]). In unterschiedlicher Weise in die Modellbildung eingegangen sind dabei seit Anfang der 1990er-Jahre die Unterschiede in der Schichtungsstruktur zwischen Ost- und Westdeutschland. Bezogen auf die westdeutsche Gesellschaft zum Ende der 1980er-Jahre kann die soziale Schichtung nach dem Sozialprestige noch immer in Form einer Zwiebel (»Bolde-Zwiebel«) dargestellt werden: 2 % Oberschicht, 77 % Mittelschicht (davon 58 % untere Mittelschicht), 17 % Unterschicht, 4 % »sozialer Bodensatz«; ein anderes Modell (Geißler, aufbauend auf Dahrendorfs Modellbildung aus den 1950er-Jahren) stellt sie so dar: 1 % Machteliten, 28 % Dienstleistungsmittelschichten, 7 % alter bürgerlicher Mittelstand, 6 % Bauern, 12 % Arbeiterelite, 42 % Arbeiter u. a. ausführende Berufe, 4 % Randschichten. Für eine Neuanordnung der Schichten zueinander und Neubestimmung der sie kennzeichnenden Merkmale spricht heute zum einen die »gespaltene« gesellschaftliche Entwicklung in West- und in Ostdeutschland: So steht der im Vergleich zwischen 1993 und 1996 nahezu unveränderten Sozialstruktur Westdeutschlands eine auffallend anders gelagerte und schnellen Veränderungen unterworfende Sozialstruktur Ostdeutschlands (Schrumpfung einer beträchtlich umfangreicheren Unterschicht, kleinere Oberschicht) gegenüber (Datenreport 1997). Zum anderen sind infolge hoher Arbeitslosigkeit, der Reduzierung wohlfahrtsstaatlicher Sicherungen, aber auch von Beeinflussungen der deutsch Sozialstruktur durch Migranten, neue Formen sozialer Desintegration und Unterversorung entstanden (z. B. bei Familien mit Kindern, Alleinerziehenden, alleinstehenden [alten] Menschen), die neue Schichten und gesellschaftlichen Belastungslagen quer zu den traditionellen an Bildung, Besitz, Prestige und Beruf gebildeten Schichtungsgrenzen hervorgebracht haben.
 
Literatur:
 
T. Geiger: Die soziale S. des dt. Volkes (1932, Nachdr. 1972);
 R. Dahrendorf: Soziale Klassen u. Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft (1957);
 T. A. Herz: Klassen, Schichten, Mobilität (1983);
 
Soziale Ungleichheiten, hg. v. R. Kreckel (1983);
 S. Hradil: Sozialstrukturanalyse in einer fortgeschrittenen Gesellschaft. Von Klassen u. Schichten zu Lagen u. Milieus (1987);
 K. M. Bolte u. S. Hradil: Soziale Ungleichheit in der Bundesrep. Dtl. (61988);
 
Lebenslagen - Lebensläufe - Lebensstile, hg. v. P. A. Berger u. S. Hradil (1990);
 
Entwicklungstendenzen der Sozialstruktur, hg. v. W. Glatzer (1992);
 
Soziale Milieus im gesellschaftl. Strukturwandel, Beitrr. v. M. Vester u. a. (1993);
 
Soziale S. u. Lebenschancen in Dtl., hg. v. R. Geißler (21994);
 R. Geißler: Die Sozialstruktur Dtl.s (21996);
 T. Müller-Schneider: Schichten u. Erlebnismilieus. Der Wandel der Milieustruktur in der Bundesrep. Dtl. (1994).
 
 5) Statistik: in der Stichprobentheorie die Aufteilung der Grundgesamtheit in Gruppen (Schichten), die in sich möglichst homogen und untereinander möglichst heterogen sind und separate Entnahme von Stichproben aus allen Schichten erlauben. Meist entsteht durch die Schichtung ein Schichtungsgewinn, z. B. eine Verringerung der Varianz. Deshalb wird die Schichtung bei fast allen Stichprobenverfahren der Praxis, häufig nach Bundesländern, Kreisen oder Wahlbezirken, vorgenommen.
 
II
Schichtung,
 
Mit der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht sind typische Verhaltens-, Entscheidungs-, Denk- und Sprechgewohnheiten der Menschen verknüpft, die in der Regel auch eine vergleichbare sozioökonomische Biografie verbindet (z. B. Bildungs- und Erziehungschance, Berufswahl und Berufskarriere, Arbeitsbedingungen, sozialer Einfluss, Macht und Herrschaft oder Abhängigkeit). Die Frage, welche sozialen Merkmale für die Schichtung besonders bedeutsam sind, ist umstritten. Unumstritten ist jedoch, dass sich die Bedeutung sozialer Merkmale für die Schichtung im Laufe des sozialen Wandels ändert. Dabei unterscheidet man zwischen objektiven und subjektiven Merkmalen, wobei die objektiven Kriterien Positionsmerkmale sind, die entweder zugewiesen (z. B. Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe), da vom Einzelnen nicht änderbar, oder erworben (z. B. Bildungsstand, Beruf, Arbeitssituation, Einfluss, Autorität, Einkommen, Vermögen) sind. Auf erworbene Positionsmerkmale kann der Einzelne zumindest teilweise Einfluss nehmen. Hierbei darf jedoch der Einfluss der zugewiesenen Positionen auf den Erwerb anderer Positionsmerkmale während der Sozialisation nicht unterschätzt werden.
 
Im Gegensatz zur Stände- und zur Kastengesellschaft, die beide überwiegend geschlossene Systeme darstellen, haben in einer Schichtungsgesellschaft die erworbenen Positionsmerkmale bei der gesellschaftlichen Wertung ein größeres Gewicht. Von daher gesehen sind die sozialen Schichten offener und die Möglichkeiten sozialer Mobilität größer. Subjektive Kriterien der Schichtzugehörigkeit des Einzelnen sind insbesondere das soziale Prestige, bei dem die Wertschätzung anderer für bestimmte Positionen zum Ausdruck kommt, sowie die Selbsteinschätzung. - Oberschicht, Unterschicht.
 

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Schịch|tung, die; -, -en: Gestaltung, Aufbau, Anlage in Schichten (1, 2).

Universal-Lexikon. 2012.