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Leibeigenschaft
Unfreiheit; Knechtschaft; Sklaverei

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Leib|ei|gen|schaft ['lai̮p|ai̮gn̩ʃaft], die; - (Geschichte):
persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Herrn (2):
die Leibeigenschaft aufheben.
Syn.: Sklaverei.

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Leib|ei|gen|schaft 〈f. 20; unz.; bis zum 18. Jh., in Russland bis zum 19. Jh.〉 persönliche Abhängigkeit des Bauern vom Grundherrn [<mhd. mit dem libe eigen „mit dem Leben zugehörig“; → Leib]

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Leib|ei|gen|schaft, die <Pl. selten> (früher):
persönliche u. wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Grundherrn.

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Leib|eigenschaft,
 
im 13. Jahrhundert entstandene Bezeichnung für eine von der Sklaverei grundsätzlich unterschiedene unfreiheitliche, v. a. bäuerliche Abhängigkeit seit dem Mittelalter. Aufgrund unterschiedlicher wissenschaftlicher Ansätze ist eine einheitliche Begriffsdefinition schwierig vorzunehmen.
 
Als besondere mittelalterliche Form der bäuerlichen Unfreiheit entsprang die Leibeigenschaft germanischer Rechtsanschauung. Sie fiel im Gegensatz zum spätrömischen Kolonat nicht mit dem Sachenrecht zusammen, sondern erachtete die später als Leibeigene Bezeichneten als Personen, die durch ein persönliches Band mit dem Herrn (Leibherrn) verbunden waren, deren Abgabe- und Dienstpflicht nicht an dinglicher Abhängigkeit (an Grund- oder Schollengebundenheit) haftete und die Rechtsfähigkeit oder relative Eigentumsfähigkeit besaßen. In der mittelalterlichen Werteordnung mit ihrem abgestuften Freiheitsbegriff war die Rechtsinstitution der Leibeigenschaft, unterste Stufe landrechtliche Ständeordnung, entsprechend den Herrschafts- und Wirtschaftsstrukturen höchst unterschiedlich ausgestaltet. Bereits in der ersten Entwicklungsphase der Leibeigenschaft (bis ins 12. Jahrhundert) vollzog sich das Zusammenfließen von Leib- und Grundherrschaft, wobei die Leibeigenen in der Regel innerhalb der von einem Herrn abhängigen Gemeinschaft beziehungsweise im Kreis der Servi (Abhängigen) nicht von den Grundholden (Hörigen) unterschieden wurden, denn die persönliche Leistungspflicht war in abgestufter Form gemeinsames Kennzeichen. Im Rahmen dieses Abhängigkeitsverhältnisses wurden unterschieden: »servi casati«, behauste Eigenleute mit einem Bauerngut zu Leihe im Fronhofsverband gegen Zahlung eines Kopfzinses und gegen Dienstleistungen; daneben die eigentlichen Eigenleute im Herrenhaus (Fronhof); »servi in domo«, auch »in perpetuo servitio«, in ungemessener Dienstleistung und engster persönlicher Abhängigkeit vom Leibherrn stehend oder als Tagelöhner und Handwerker arbeitend; »servi quotidiani«, mit kleinem Haus- und Landbesitz ohne Kopfsteuerzahlung und weitgehend gemessener Dienstleistung. - Die sozialen Aufstiegsbewegungen des Mittelalters schöpften aus diesem Reservoir. Insbesondere den nicht mit bäuerlicher Leihe ausgestatteten Eigenleuten gelang mitunter sozialer Aufstieg über die Rechtsinstitution der Freilassung, im deutschen Bereich v. a. durch den persönlichen Sonderdienst der Aufstieg zu Ministerialen und zum Niederadel. Doch auch der umgekehrte Weg war möglich. Noch im 10./11. Jahrhundert entstand Leibeigenschaft durch eine Heirat zwischen Freien und Unfreien, wobei die Kinder (der »ärgeren Hand« folgend) in Leibeigenschaft gerieten, sowie durch das Absinken Freier in die Leibeigenschaft durch den Eintritt in die Schutzherrschaft eines mächtigeren Herrn. - Die zweite Entwicklungsphase der Leibeigenschaft (13.-16. Jahrhundert) war strukturell und in der gesellschaftlichen Dynamik entscheidend verändert. In weiten Teilen Frankreichs verschmolzen im 13. Jahrhundert die schollengebundenen, zu gemessenen Diensten und Abgaben verpflichteten Serfs mit der ländlichen Hauptmasse der Vilains (freien Landbewohner), die in überwiegender Zahl persönlich frei und nur mit an ihrem Leihegut haftenden Abgaben belastet waren. Im normannischen England entsprach der Status bäuerlicher Unfreiheit (»serfdom«) des Villein weitgehend dem des französischen Serf, aber die teils persönliche, teils an das Leihegut gebundene Leibeigenschaft führte im 14. Jahrhundert hier durch die Wandlung, vorwiegend auch Auflösung der Grundherrschaft durch Geldwirtschaft, Hundertjährigen Krieg und die Pestwellen des 14. Jahrhunderts fast schlagartig zur Änderung der ländlichen Abhängigkeits- und Arbeitsverhältnisse, sodass die Leibeigenschaft genannte Unfreiheit durch den Status des Copyholders (Copyhold) abgelöst wurde.
 
Im deutschen Bereich setzte seit dem 12. Jahrhundert zunächst eine Lockerung der früheren (»ersten«) Leibeigenschaft im Rahmen der Grundherrschaft ein. Dies war bedingt durch die Veränderung der Agrarverfassung und die damit einhergehende Auflösung der Fronverfassung mit der Umsetzung der Fronen in bemessene und beschränkte Zinsabgaben. Als fördernde Kraft wirkten das bessere Recht der deutschen Ostsiedlung und der Sog der Abwanderung in die Stadt, in die Bereiche neuer städtischen Freiheiten (Stadtrecht, Bürgertum). Erst jetzt, seit dem 13. Jahrhundert, begann man, die bisherige Form der persönlichen Abhängigkeit Leibeigenschaft zu nennen. V. a. im deutschen Südwesten vollzog sich freilich infolge der wirtschaftlichen und sozialen Krisenmomente des 14. und 15. Jahrhunderts, aber auch aus landesherrschaftliche Interessen wieder eine Intensivierung der Leibeigenschaft. Antriebe waren das Auseinanderfallen und Sichüberschneiden von Grund- und Gerichtsherrschaft und die den Leibeigenen nicht mehr zu verweigernde Möglichkeit des Abzugs in den Bereich fremder Grund- und Gerichtsherrschaft. Das diente in Ausdehnung der Leibeigenschaft durch den Aufkauf der inmitten eigener Gebietsherrschaft sitzenden Eigenleute anderer Herrschaft wie auch in Anpassung an die auch von Freien angenommene kirchliche Schutzhörigkeit verstärkter, arrondierender landesherrschaftlicher Territorienbildung. Kauf oder Veräußerung eines Leibeigenen bezog sich aber nicht auf dessen leibliche Person, sondern auf das Recht, von der Person des Leibeigenen fixierte Abgaben zu beziehen. Dies führte zur Angleichung von leibeigenen und nichtleibeigenen Bauern, zur Konsolidierung der Rechtsstellung der Leibeigenen. Die keineswegs drückenden Geld- oder Naturalleistungen der Leibeigenen sind in Weistümern oder ähnlichen Rechtsquellen festgehalten. Obgleich die in der südwestdeutschen bäuerlichen Verfassung neu gebildete Leibeigenschaft ein (weitgehend moralisches) Element des Aufbegehrens im Bauernkrieg wurde, bestand Leibeigenschaft in den einzelnen Typen deutscher Grundherrschaft im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit keineswegs durchgehend. Differenziert in personale, lokale und vererbte Leibeigenschaft dauerte sie nur im Südwesten Deutschlands als reine Reallast fort. Im Südosten (einschließlich der österreichischen Länder) war Leibeigenschaft selten, nur in Bayern gleichfalls als Reallast nachweisbar. Leibeigenschaft fehlte im westelbischen Mitteldeutschland und in Franken völlig, und nur im Westen, teils Nordwesten führte eine weitere Neubildung im 14./15. Jahrhundert nochmals zu verschärfter Ausprägung der persönlichen Leibeigenschaft. Ansonsten waren die Grenzen zwischen Freien und Unfreien in den Gebieten der Grundherrschaften fließend. Die Aufstände des westeuropäischen Bauerntums seit dem 14. Jahrhundert basierten nicht auf dem Widerstand gegen solche Leibeigenschaft, wenn diese auch erst mit der Bauernbefreiung endete. Durch Ernennung zum landesherrlichen Amtsträger erlosch Leibeigenschaft meist von selbst; nur in Württemberg gab es bis weit in die Neuzeit leibeigene Amtsträger und Ständevertreter.
 
In völlig anderer Entwicklung ist demgegenüber seit dem 15. Jahrhundert durch Beseitigung der Sonderrechte aus der deutschen Ostsiedlung im ostelbischen Brandenburg, Mecklenburg und Pommern, in Teilen Schleswig-Holsteins, Schlesiens und Böhmens, in Polen und Ungarn auf der Basis der Gutsherrschaft die nicht aus persönlicher Abhängigkeit, sondern aus bäuerlicher Schollengebundenheit entwickelte Erbuntertänigkeit entstanden. Sie konnte im Extremfall durch Verpfändung und Handel mit Leibeigenen bis in die Nähe sklavischer Knechtschaft führen. Sie wurde bereits in der politischen Aufklärung abwertend als eigentliche Realleibeigenschaft interpretiert und von der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts zu einem Allgemeinbegriff von Leibeigenschaft als bäuerliche Unfreiheit erweitert. Diese Begriffswandlung von Leibeigenschaft auf der Erkenntnisbasis der ostelbischen Erbuntertänigkeit wurde durch die marxistisch-leninistische Interpretation fortgeführt, wobei F. Engels dieses Verständnis von Leibeigenschaft als spezifische Ausbeutungsform des Feudalismus, Lenin die russische Extremform der Leibeigenschaft (»krepostnitschestwo«) auch auf die grundsätzlich andere westliche Form der persönlichen Herrschaftsabhängigkeit übertrug beziehungsweise diese nur als gemäßigte Form nichtsdestoweniger gleicher Leibeigenschaft bezeichnete.
 
Noch im 15. Jahrhundert waren in Russland die sozial vielfach differenzierten Bauern in der Regel freie, arbeits- und leistungspflichtige, abhängige, aber selbst wirtschaftende Landleute, ehe auf Drängen der Grundbesitzer ihr Kündigungsrecht im Gesetzbuch von 1497 auf die Woche vor und nach dem Sankt-Georgs-Tag (26. 11.) eingeschränkt wurde. Seit 1581 wurde das Abzugsrecht der Bauern durch »Verbotsjahre« zunächst befristet, schließlich auf Dauer abgeschafft und zugleich dem Entlaufen der Bauern, das durch die Erschließung weiter Gebiete im Süden und Osten erleichtert worden war, mit zunehmend härteren Maßnahmen entgegengewirkt. Als Bindung des Bauern an den Herrn kam die Leibeigenschaft um die Mitte des 17. Jahrhunderts rechtlich zu einem gewissen Abschluss (Gesetzbuch von 1649); allerdings blieben - v. a. im N - auch noch freie Bauernschaften erhalten. Wiederholte große Bauernaufstände im 17. und 18. Jahrhundert konnten die Rechtsverschlechterung und Verdinglichung der Bauern nicht aufhalten. Diese Entwicklung erreichte bei den leibeigenen Privatbauern durch ihre Auslieferung an die Strafgewalt der Gutsherren unter Katharina II. (1767) ihren tiefsten Stand. Nach Teilreformen unter Alexander I., der 1803 Freilassungen mit Land gesetzlich regelte und die Leibeigenschaft 1816-19 in den Ostseeprovinzen Livland, Estland und Kurland abschaffte, und langem Zögern unter Nikolaus I. wurde die Leibeigenschaft der Gutsbauern von Alexander II. durch Gesetz vom 19. 2./3. 3. 1861 aufgehoben (1863 Domänenbauern, 1866 Staatsbauern). Den rechtlich frei gewordenen Bauern wurden allerdings - mit Beibehaltung des Mir - zu kleine Landanteile bewilligt und überhöhte Ablösungszahlungen auferlegt. Die Auflösung der Landgemeinde und die Förderung bäuerlichen Privateigentums durch die stolypinsche Agrarreform seit 1906 konnte eine Radikalisierung unzufriedener Bauern nicht mehr verhindern.
 
Literatur:
 
O. Brunner: Land u. Herrschaft (Wien 51965, Nachdr. 1984);
 R. E. F. Smith: The enserfment of the Russian peasantry (London 1968);
 R. Hellie: Enserfment and military change in Muscovy (Chicago, Ill., 1971);
 H. Kammler: Die Feudalmonarchien. Polit. u. wirtschaftlich-soziale Faktoren ihrer Entwicklung u. Funktionsweise (1974);
 H. Rabe: Das Problem L. (1977);
 P. A. Zaionchkovsky: The abolition of serfdom in Russia (a. d. Russ., Gulf Breeze 1978);
 B. Schalhorn: Lokalverwaltung u. Ständerecht unter Nikolaus I. (1979);
 C. Ulbrich: Leibherrschaft am Oberrhein im Spät-MA. (1979);
 K. Bosl: Europa im Aufbruch (1980);
 
Strukturen der Grundherrschaft im frühen MA., hg. v. W. Rösener (21993).
 

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Leib|ei|gen|schaft, die <o. Pl.> (früher): persönliche u. wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Grundherrn.

Universal-Lexikon. 2012.