Marlene Dietrich
Marlene Dietrich ist international die bei weitem bekannteste Schauspielerin Deutschlands. Ihre sechzigjährige Karriere, während der sich das Gesicht und die Stimme kaum verändert haben, machte sie zur Legende. Ihr Bild ist zur Ikone geworden, von vielen angebetet, als Werbeträger vermarktet, als Thema jeder Travestieshow liebevoll kopiert. Sie war Vorbild für Schauspielerinnen wie Hildegard Knef und Kim Novak bis hin zu Madonna. Marlene ist nicht nur wegen ihrer Beine zur Legende geworden, sie hat aktiv daran mitgebastelt, getüftelt, gefeilt, bis die Legende zur Wahrheit wurde, bis das Imago die Realität überstrahlte. Nicht verwunderlich, dass sie sich in den letzten 15 Jahren ihres Lebens, als das Image nicht mehr zur Realität des Altwerdens passte, in ihrer Pariser Wohnung in der Avenue Montaigne 12 verschanzte. Nur das Bild auf der Leinwand hatte noch seine Berechtigung auf Ewigkeit.
Die familiären Verhältnisse
Geboren wurde Maria Magdalena Dietrich am 27. Dezember 1901 in Berlin-Schöneberg. Ihr Vater Louis Erich Otto Dietrich war Leutnant bei der örtlichen Polizei, nachdem er fünf Jahre bei den kaiserlichen Ulanen gedient hatte. Ihre Mutter, Wilhelmine Elisabeth Josephine, geborene Felsing, stammte aus einer wohlhabenden Familie Berliner Uhrenmanufakturisten. Trotz des Widerstands ihrer Eltern fand die Heirat 1898 statt, die ältere Tochter Ottilie Josephine Elisabeth, genannt Liesl, kam am 5. Februar 1900 zur Welt. Die jüngere Tochter gab sich selbst mit dreizehn Jahren den Namen Marlene.
Der Vater starb im Jahre 1911, doch zu diesem Zeitpunkt lebten Mutter und Töchter schon vom Vater getrennt. Dietrich schrieb später, sie hätte ihren Vater nur als schattenhafte Silhouette in Erinnerung. Währenddessen nahm Frau Dietrich eine Stellung als Haushälterin bei Eduard von Losch an, der als Leutnant bei den Kaiserlichen Grenadieren diente. In ihrem Ostern 1912 begonnenen Tagebuch nennt Marlene ihn »Vati«. Die Mutter heiratete ihn im Felde an der Ostfront im Jahre 1916, als er schon im Sterben lag. In ihrer Autobiografie erwähnt Marlene den Stiefvater nicht, vielmehr werden beide Väter zu einer Person verschmolzen. Alles dreht sich um die Mutter, die als »guter General« ein Vorbild bleiben sollte, die ihren Töchtern eine streng preußisch-autoritäre Erziehung angedeihen ließ.
Dietrich lernte Violine, Klavier und Laute spielen. Sie nahm Tanzunterricht. Doch ihre große Liebe galt Henny Porten, der ungekrönten Königin des deutschen Filmmelodramas, der »Mary Pickford« Deutschlands. In ihrem Tagebuch schreibt sie: »Meine Seele ist von Henny Porten erfüllt«. Im Juni 1917 hatte sie ihren ersten öffentlichen Auftritt: Sie spielte auf der Violine »La Paloma« bei einer Veranstaltung des Roten Kreuzes zum 50. Todestag von Kaiser Maximilian.
Beginn einer Karriere
Mit 16 Jahren verließ sie die Schule, besuchte aber zwischen 1919 und 1921 die Musikhochschule in Dresden. Doch Dietrichs Ambitionen, sich als Musikerin zu profilieren, schlugen wegen einer Armverletzung fehl, und so begann sie ab 1922 kleinste Rollen in Berliner Theatern und beim Film zu übernehmen. Der Legende nach spielte sie jahrelang ohne Erfolg, bis Josef von Sternberg ihr zum Weltruhm verhalf. Sie schreibt: »Wenn ich überhaupt in den Programmen erwähnt wurde, dann war es so klein gedruckt, dass man ein Vergrößerungsglas brauchte, um meinen Namen zu entziffern.« Tatsächlich aber trat sie pausenlos im Theater und beim Film auf - mit einer kurzen Unterbrechung im Jahre 1925, während der sie den Regieassistenten Rudolf Sieber heiratete und eine Tochter Maria zur Welt brachte. So arbeitete sie sich von Statistenrollen zu Nebenrollen hoch, bis sie ab 1926 Hauptrollen bekam.
Der Durchbruch im Theater kam spätestens im September 1926 mit »Von Mund zu Mund«, einer musikalischen Revue von Eric Charell im Großen Schauspielhaus zu Berlin, in der Dietrich die Rolle des weiblichen Conférenciers übernahm und mit langen Beinen und mondänem Blick ganz Berlin eroberte. Es folgte »Es liegt in der Luft«, eine musikalische Revue von Mischa Spolinansky, die im Mai 1928 in der Komödie Premiere hatte und ein sensationeller Erfolg für die zwei Hauptdarstellerinnen Marlene Dietrich und Margo Lion wurde, vor allem wegen des lesbisch angehauchten Duetts »Meine beste Freundin«. Neben Hans Albers spielte sie 1929 die Hauptrolle in der Revue »Zwei Krawatten« von Georg Kaiser. Im Kino sah man die Dietrich in Hauptrollen, unter anderem in »Cafe Electric« (1927), »Ich küsse Ihre Hand, Madame« (1928) und »Die Frau, nach der man sich sehnt« (1929) - Filme, in denen die Dietrich, wie sie sich nach 1930 entfalten wird, bereits in Ansätzen zu erkennen ist.
Geburt eines Stars
Die Geschichte ihrer »Entdeckung« durch den amerikanischen Regisseur Josef von Sternberg, der im Jahre 1929 nach Berlin gereist war, um Heinrich Manns Roman »Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen« (1905) unter dem Titel »Der blaue Engel« zu verfilmen, ist, wie Marlene Dietrichs Tochter Maria Riva konstatierte, von ihrer Mutter über 60 Jahre hinweg »bei jedem Erzählen« neu formuliert worden: »Noch am Ende ihres Lebens redigierte sie die ersten beiden Begegnungen, sodass die Szene besser lief.« Tatsächlich hatte von Sternberg sie bei einer »Zwei Krawatten«-Vorstellung gesehen und wusste, er hatte seine Lola gefunden. Gedreht wurde der Film in zwei Sprachen, in einer englischen und einer deutschen Fassung, wobei Dietrich und der Star Emil Jannings in beiden Versionen zu sehen waren. Noch bevor »Der blaue Engel« seine Premiere im Berliner Gloria-Palast erlebte, unterschrieb Dietrich einen Vertrag mit der amerikanischen Filmgesellschaft Paramount. In der Nacht zum 2. April 1930, wenige Minuten nachdem das Premierenpublikum den Film stürmisch begrüßt hatte, fuhr Dietrich per Bahn nach Bremerhaven, von wo aus sie mit der S. S. Bremen in See stach - nach Amerika.
In Amerika kam »The Blue Angel« erst im Dezember 1930 in die Kinos, nach der Uraufführung ihres ersten amerikanischen Films »Morocco«, ebenfalls unter der Regie von Sternbergs entstanden. Über Nacht wurde Dietrich durch »Morocco« ein amerikanischer Star, der mit Greta Garbo und anderen Größen Hollywoods verglichen wurde. Sehr viel schlanker als in »Der Blaue Engel« - der Regisseur hatte ihr eine strenge Diät befohlen - spielt sie eine Rolle, die ihre Karriere für die nächsten Jahre prägen sollte, nämlich eine lebensmüde Frau, die durch eine aufflammende Liebe zu neuem Lebensmut kommt. In ihrer ersten Szene im Film erscheint sie im Nachtklub im weißen Frack und Zylinder, sie singt, sie küsst eine weibliche Zuschauerin auf den Mund, nimmt ihr eine Blume weg und wirft sie einem Soldaten aus der französischen Legion zu, gespielt von Gary Cooper. Alles das, was Dietrichs neuen Frauentyp auf der Leinwand ausmachte, war hier zu sehen: ihre Schlafzimmeraugen, ihre rauchige Stimme, ihre mondäne Art, ihre »european sophistication«, die langen Beine (verhüllt in Hosen versprachen sie noch mehr), ihre fast selbstverständliche Bisexualität, die Männer wie Frauen entflammte und sie zu einem Publikumsliebling beider Geschlechter machte. Ihre Hosen kreierten eine ganz neue Mode, da Frauen bis dato es nicht gewagt hatten, sie zu tragen.
Obwohl sie schon fast ein Star in Deutschland war, hatte von Sternberg ihr in einer Hinsicht doch ein ganz neues Image gegeben, und zwar durch die Lichtgestaltung ihres Gesichts. Die übliche Methode der Ausleuchtung bestand aus drei Lampen: links (Hauptquelle), rechts (zur Ausfüllung der Schatten) und von hinten (um dem Kopf Konturen zu geben). Von Sternberg fokussierte eine einzige Lampe auf Dietrichs Stirn, um dadurch die Backenknochen und das ansonsten nicht stark ausgeprägte Kinn durch die entstehenden Schatten hervorzuheben. Das eher flache Gesicht der Dietrich wurde dadurch zu einer Seelenlandschaft des Eros transformiert. Als in den 40er-Jahren die Falten in Dietrichs Gesicht durch diese Art der Ausleuchtung stärker in Erscheinung traten, erfand der Fotograf Horst P. Horst eine neue Methode: Mit Filtern machte er das Licht weicher und reflektierte es mit Spiegeln von unten auf ihr Gesicht. Der Dietrich-Look blieb, die Alterserscheinungen verschwanden. Die Diva war so begeistert, dass sie Horst bat, die Methode ihrem Kameramann, der gerade »Kismet« (1944) in Hollywood vorbereitete, beizubringen.
Mit Josef von Sternberg drehte Dietrich insgesamt sieben Filme, unter anderen »Entehrt« (1931), »Shanghai Express« (1932) und »Die blonde Venus« (1934). Doch Paramount wollte diese Verbindung trennen, nicht nur weil von Sternberg lästige Forderungen an die Firma stellte, sondern auch weil seine letzten Filme an der Kinokasse nicht mehr erfolgreich waren. Schon »Die scharlachrote Kaiserin« war ein Desaster gewesen, weil der Film den konventionellen Erwartungen der Zuschauer zuwider lief: Er verzichtet großenteils auf eine Liebesgeschichte, während seine Handlung nur schwer durchschaubar ist. Heute gilt der Film als Klassiker wegen seiner expressionistischen Ausstattung, der exzessiven Lichtgestaltung und des manierierten Schauspiels.
Von Sternberg ist nicht nur Dietrichs Mentor gewesen, sondern auch ihr Liebhaber. Während sie mit Wissen und Billigung ihres Ehemannes über Jahre hinweg eine Beziehung zu dem Regisseur unterhielt, lebte sie weiterhin mit ihrem Mann, dessen Freundin (der russischen Schauspielerin Tamara Matul) und der gemeinsamen Tochter Maria. Die freundschaftliche Ehe blieb bis zum Tode Siebers im Jahre 1976 bestehen, obwohl sie seit der Geburt der Tochter keine Ehe im vollgültigen Sinn mehr geführt hatten. Die sexuellen Beziehungen und Liebschaften der Dietrich mit berühmten und weniger berühmten Männern und Frauen dagegen könnten Bände füllen. Die wichtigsten Namen: Willi Forst, Margo Lion, Maurice Chevalier, Hans Jaray, Claudette Colbert, Douglas Fairbanks jr., Erich Maria Remarque, Jean Gabin, Edith Piaf, Yul Brynner und Burt Bacharach.
Die Krise
Mitte der 30er-Jahre erlebte Dietrich eine tiefe Krise in ihrer Karriere. Schon im Jahre 1933 hatte sie mit von Sternberg versucht, einen Film bei der Ufa unterzubringen, doch der gebürtige Wiener Jude war unerwünscht. Goebbels und Hitler hätten zwar liebend gerne die weltbekannte Dietrich »heim ins Reich« geholt - noch im Dezember 1936 schickten sie Rudolf Hess nach London, um ein letztes Mal zu versuchen, Dietrich zu überreden -, doch sie - im Gegensatz zu fast 95 % aller nicht jüdischen Filmschaffenden aus Deutschland - lehnte es ab, die antisemitische Politik der NSDAP zu unterstützen. Vielmehr bemühte sie sich, ihren Mann und ihr Kind aus Deutschland zu holen und mit ihren jüdischen Kollegen ins Exil zu gehen. Der Gegenschlag kam schnell. Im März 1934 hieß es in der gleichgeschalteten Zeitschrift »Lichtbild-Bühne«: »Frau Dietrich ist eine deutsche Schauspielerin, die in Amerika eine Vorliebe für Hurenrollen gezeigt hat, die weltweit als Deutsche bekannt ist und dadurch der Welt ein völlig falsches und unrealistisches Bild von Deutschland gibt.« Im März 1937 beantragte sie die amerikanische Staatsbürgerschaft. Aber auch Hollywood und die amerikanische Presse zeigten sich kaum noch wohlwollend. Obwohl Dietrich einen beachtlichen Erfolg mit »Perlen zum Glück« (1936) verbuchen konnte, warf man ihr vor, dass sie für drei Flops mitverantwortlich gewesen sei, dabei konnte »Der Garten Allahs« (1937) nur wegen seiner extrem hohen Produktionskosten - gedreht wurde im neuen Technicolorverfahren - seine Investitionen nicht wieder einspielen. Hinzu kam, dass man ihre ständigen Reisen nach Europa, wo sie zwischen Paris, Cannes und Salzburg pendelte, als eine gewisse Treulosigkeit ihrer neuen Heimat gegenüber auffasste. Durch eine Pressekampagne des Verbandes der Kinobesitzer wurde sie als »box office poison« abgestempelt. Ihr Vertrag mit Paramount wurde gekündigt, sodass sie mehr als zwei Jahre arbeitslos blieb. Auch in Europa wurde keines ihrer Filmprojekte realisiert.
Come-back - Die Kriegsjahre
»Gerettet« wurde sie durch Joe Pasternak, einen erfolgreichen Exilproduzenten der Universal, der sie schon in Berlin gekannt hatte und ihr jetzt eine Rolle in einem billigen Western anbot. Wider alle Erwartungen feierte Dietrich in »Der große Bluff« (1939) eines der größten Come-backs der Filmgeschichte. »Lola« war als Saloonsängerin »Frenchy« in Amerika auferstanden. Mit viel Ironie singt sie Lieder von Friedrich Hollaender, ihrem Komponisten bei »Der blaue Engel«. Zwar wurde ihr Name nicht mehr an erster Stelle genannt, und immer öfter musste sie auf die Heldin zugunsten einer Jüngeren verzichten, doch ihre Filme waren fast immer kommerziell erfolgreich, ob »Haus der sieben Sünden« (1940), »The Lady Is Willing« (1942) oder »Kismet«. In der Zwischenzeit war der Krieg ausgebrochen. Dietrich setzte sich für viele deutschjüdische Filmemigranten ein, indem sie bei der Gründung des European Film Funds mitwirkte, einer Hilfsorganisation, die Einreisevisen und Jobs für gefährdete Filmleute organisierte. Privat hatte sie schon seit 1933 viele Exilanten finanziell unterstützt, oft ihre Schiffskarten nach Amerika bezahlt. Sie trat in der »Hollywood Canteen«, einem für Soldaten eingerichteten Klub, auf, verkaufte bei einer U. S. O. (United Service Organization) Konzerttournee mehr Kriegsanleihen als jede andere Schauspielerin Hollywoods. Zuletzt veräußerte sie einen großen Teil ihres Besitzes, um ab 1944 als Mitglied der amerikanischen Streitkräfte in über 500 Feldtheatern 18 Monate lang an der Front zu dienen, machte das bei den Soldaten beliebte Lied »Lili Marleen« zum Schlager, bekämpfte Lungenentzündungen, Filzläuse, Schlaflosigkeit und Kälte. Hierfür erhielt sie als erste Frau den Orden »Medal of Freedom«, von den Franzosen wurde sie zum »Chevalier de la Légion d'Honneur« ernannt. Nach Kriegsende im Juni 1945 fand sie ihre Mutter in Berlin, ihre Schwester im KZ Bergen-Belsen, nicht als Häftling, wie sie geglaubt hatte, sondern als ehemaliges Mitglied der Wachmannschaft. Später bestritt sie, jemals eine Schwester gehabt zu haben.
Die späten Erfolge des Filmstars
Nach der Befreiung lebte Marlene in Paris mit Jean Gabin zusammen, doch aus einer gemeinsamen Karriere wurde nichts, nicht nur weil ihr Film »Martin Roumagnac« im Dezember 1946 ein Flop war. Bevor die Beziehung endgültig in die Brüche ging, reiste sie im August 1946 kurz nach Hollywood, um die Hauptrolle in »Golden Earrings« zu übernehmen, einem Antinazifilm, in dem sie eine Zigeunerin spielt. Die Kritik hasste den Film, das Publikum liebte ihn. Wieder in Paris und Berlin, traf sie Billy Wilder, der die Außenaufnahmen für »Auswärtige Affäre« (1948) drehte und ihr eine wichtige Nebenrolle anbot. Erneut mit Liedern von Hollaender ausgestattet, stahl sie in der Rolle der Schwarzmarkt-Kabarettsängerin Erika von Schlettow, der ehemaligen Geliebten eines Großnazis, der Hauptdarstellerin Jean Arthur die Schau. Die Zeitschrift »Life« widmete ihr ein Titelbild. Wenig später passierte dasselbe mit dem Star Jane Wyman, als Dietrich die Femme fatale in Alfred Hitchcocks in England gedrehtem Film »Die rote Lola« (1950) spielte. Um ihre Rolle zu vergrößern, hatte Hitchcock, ähnlich wie Wilder zuvor, ihr einige Lieder gegeben, unter anderem »The Laziest Girl in Town« und »La Vie en Rose«, die beide zum festen Bestandteil ihrer späteren Bühnenschau wurden. Auch »Die Reise ins Ungewisse« (1951), Henry Kosters ebenfalls in England gedrehter Film, wurde ein Erfolg; hier spielte sie fast sich selbst: einen Hollywoodstar auf Reisen. Trotz guter Kritiken und voller Kassen wurden die Filmrollen immer seltener, immer kleiner. Wie die Presse notierte, war Marlene jetzt eine Großmutter geworden. Nur noch »Engel der Gejagten« (1952) wurde für sie als Hauptdarstellerin konzipiert, doch der Western wurde ein Kassenfiasko, auch für den Regisseur Fritz Lang. Während der nächsten 30 Jahre spielte sie wichtige Nebenrollen in nur sechs Filmen, unter anderem in »Im Zeichen des Bösen« (1958), »Zeugin der Anklage« (1958) und »Urteil von Nürnberg« (1960), wobei sie in den drei Filmen von Orson Welles, Billy Wilder und Stanley Kramer stets Aufsehen erregte.
Die Dietrich als Sängerin
Der Zeitpunkt war gekommen, das Medium zu wechseln. Zunächst versuchte sie es in den Jahren 1951/52 mit Sendungen beim Hörfunk. Dann brachte sie eine Schallplatte mit deutsch gesungenen amerikanischen Schlagern heraus, die sie während des Krieges über den Äther an deutsche Soldaten gerichtet hatte. Schon im Jahre 1943 hatte das Office of Strategic Services (O. S. S.) sie gebeten, »Lili Marleen« und andere Evergreens auf Deutsch und auf Englisch aufzunehmen, damit man sie in der Funkpropagandaarbeit einsetzen könne. Die Langspielplatte wurde ein unerwarteter Hit in Amerika. Es folgten mindestens acht weitere Langspielplatten, unter anderen mehrere Platten mit Liveaufnahmen aus dem Café de Paris (1954) und dem Queen's Theatre in London (1964) sowie ein Zusammenschnitt der Deutschlandtournee (1960) und eine Platte mit Altberliner Liedern (1965).
Doch ihr wahres Metier in diesem Lebensabschnitt fand sie im Dezember 1953, als sie im »Congo Room« des Sahara Hotels in Las Vegas auftrat, um Lieder aus ihren Filmen zu singen. Sie erhielt eine Gage von 30 000 Dollar pro Woche. Der Erfolg war so groß, dass ihr Vertrag von drei auf vier Wochen verlängert wurde und man sie sofort bat wiederzukommen. Sechs Monate später, nachdem sie ein zweites Mal in Las Vegas, dann Paris und London aufgetreten war, war sie eine der höchstbezahlten Nachtklubsängerinnen der Welt. Sie entwarf ihre eigenen Kleider, die ihren Körper erotisierten, ohne die altersbedingten Schwächen zu verraten. Über die nächsten 20 Jahre trat sie auf Hunderten von Bühnen in der ganzen Welt auf, auch in Deutschland im Mai 1960, wo sie von einigen »aufrechten« Bürgern und gewissen Elementen der Presse als »Verräterin« geächtet wurde.
Alter und Tod
In den 60er-Jahren wurde ihr Körper zunehmend gebrechlich. Sie konnte zwar noch einen letzten Riesenerfolg mit ihrem vier Wochen dauernden Gastspiel auf dem Broadway in New York im Oktober 1967 verbuchen, doch die Tourneen wurden zunehmend schwieriger. Nach mehreren Operationen, unter anderem wegen eines Krebsleidens im Jahre 1965, einem Beinbruch in Washington im Jahre 1972 und einem Beinbruch an der gleichen Stelle im September 1975 in Sydney konnte sie endgültig nicht mehr auftreten. Sie schrieb ihre Memoiren, zeigte sich kurz als Puffmutter in dem deutschen Film »Schöner Gigolo, Armer Gigolo« (1978), trat als Stimme im Dunkeln in Maximilian Schells Film »Marlene« (1981) auf und verbarrikadierte sich in ihrer Pariser Wohnung. Sie starb am 6. Mai 1993 in Paris. Begraben wurde sie auf dem Friedhof Berlin-Friedenau, wo jährlich Tausende hinpilgern.
Heute ist Marlene Dietrich Legende. Schon im Frühjahr 1959 widmete ihr das Museum of Modern Art in New York eine Retrospektive, die erste Werkschau, die jemals einem Schauspieler oder einer Schauspielerin im Museum gewidmet worden war. Es folgten viele andere, unter anderem bei den Berliner Filmfestspielen (1978). Der Nachlass ist vom Berliner Senat im Jahre 1994 für sechs Millionen DM als Kern eines neuen Museums erworben worden.
Universal-Lexikon. 2012.