Tẹchnikgeschichte,
einerseits das technische Geschehen selbst, andererseits die Beschreibung der historischen Entwicklung der Technik in ihren soziokulturellen Entstehungs- und Verwendungszusammenhängen, einschließlich Technikgenese und Technikfolgen. Technikgeschichte bezieht sich sowohl auf die Entstehung einzelner Techniken als auch auf die Entwicklung der Technik in ihrer Gesamtheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand in verschiedenen Ländern eine moderne wissenschaftliche Technikgeschichtsschreibung als historische Teildisziplin. Neben der eigentlichen Technikgeschichte behandelt sie auch die Geschichte des Ingenieurberufes, der technischen Bildung und der Technikwissenschaften, neuerdings ergänzt durch ökologische und soziale Fragestellungen.
Für die Technikgeschichte ist der Umstand zu berücksichtigen, dass die Technik zu einer gesamtgesellschaftlich sehr wirkungsvollen Kraft geworden ist. Die Form der Technik prägt den Lebens- und Arbeitsprozess, formt die Sprache und das Denken mit und greift gestaltend in Lebensbezüge ein, die keineswegs einen primär technischen Charakter haben oder ursprünglich hatten.
Das Interesse an einer Geschichtsschreibung der Technik reicht bis in die Antike zurück. Ausführlichere Darstellungen liefern die Autoren dieser Zeit sowohl in Reisebeschreibungen als auch in Lehrbüchern und Kompendien, die in methodischer Hinsicht der historischen Entwicklung Rechnung trugen. Im 19. Jahrhundert nahm mit dem beschleunigten technischen Wandel und der anwachsenden Anteilnahme an technischen Innovationen auch das Interesse an einer systematischen Technikgeschichte sprunghaft zu. Zunächst wurde diese Technikgeschichtsschreibung v. a. von Ingenieuren als Nebenbeschäftigung betrieben.
Sieht man ein gemeinsames Artmerkmal des Menschen darin, dass er in einer selbst gestalteten kulturellen Umwelt lebt, dann ist die Technik so alt wie die Menschheit und beginnt mit dem erstmaligen Gebrauch von Werkzeugen vor einigen Mio. Jahren. Im Laufe der Geschichte dehnte sich die technische Entwicklung in immer differenzierterer Weise auf fast alle Lebensbereiche aus. Es erfolgte eine wechselseitige Befruchtung der einzelnen Technikbereiche, seit dem Ausgang des Mittelalters eine weltweite Verbreitung und Angleichung der Technik und im 20. Jahrhundert eine zunehmende Verwissenschaftlichung.
Ein Teil der älteren Technikgeschichtsschreibung hat sich bemüht, die gesamte Technikgeschichte unter einheitlichen, einem engeren Technikbegriff verhafteten Kriterien in Perioden einzuteilen. Hierzu zählen Einteilungen nach Innovationen (Rad und Wagen, Wassermühle, Dampfmaschine, Eisenbahn, Elektrizität, Automobil, Computer), nach den verwendeten Materialien (Stein, Bronze, Eisen, Kunststoffe), nach der Energienutzung (menschliche und tierische Muskelkraft, Wasser-, Dampf- und Kernkraft) oder nach der Art der Stoffformung (Hand-Werkzeugtechnik, Maschinen-Werkzeugtechnik). Inzwischen setzt sich die Auffassung durch, dass bei der Einteilung in Perioden unterschiedlicher, für die jeweilige Epoche typischen Charakteristika der technischen Entwicklungen einschließlich ihrer Entstehungs- und Verwendungszusammenhänge erfasst werden sollten (z. B. Techniken der industriellen Massenproduktion und technikorientierte Verbrauchsgewohnheiten der Konsumgesellschaft zur Kennzeichnung des 20. Jahrhunderts). Allgemein anerkannt ist die Interpretation der großen menschheitsgeschichtlichen Umbrüche, der neolithischen Revolution und der industriellen Revolution als entscheidende technikgeschichtliche Zäsuren.
Für die theoretischen Voraussetzungen einer wissenschaftlichen Technikgeschichte werden bis heute unterschiedliche Denkmodelle gegenübergestellt. Einig sind sich die Verfechter nur über den Stand der Verwertungsmöglichkeiten und -bedingungen von Technik, die Gesamtheit der politischen und weltanschaulichen Faktoren einer Gesellschaft und den Einfluss des allgemeinen geistigen und kulturellen Bildungsniveaus. Während die Theoretiker mit dem externalistischen Denkansatz die Technikgeschichte v. a. als eine von der soziokulturellen und politischen Geschichtsschreibung dominierte Darstellungsweise begreifen, ist für die internalistischen Historiographen die innere Logik der technischen Entwicklung und die Denkweise der Techniker in einer bestimmten Epoche für die Technikgeschichte wesentlich.
Von den Anfängen bis zur Antike
Die Frühzeit der Menschheitsgeschichte ist gekennzeichnet durch die Herstellung von Werkzeugen aus Holz, Knochen oder Stein, die wiederum zur Herstellung weiterer technischer Gegenstände dienten, mit denen die Menschen begannen, sich eine künstliche Umwelt zu schaffen. Gebrauch und Erzeugung von Feuer lassen sich einige Hunderttausend Jahre zurückverfolgen.
Seit der Jungsteinzeit lässt sich der Übergang vom nichtsesshaften Dasein zur Sesshaftigkeit nachweisen und damit zu Ackerbau und Viehzucht in großem Stil (neolithische Revolution). Der längere Aufenthalt an einem Ort förderte die technische Entwicklung des Pfluges für die Feldbearbeitung, die Herstellung von Geweben aus verbesserten Faserpflanzen und Wollqualitäten, die an gleich bleibende Rohstoffvorkommen gebundene Fertigung von Keramikgefäßen auf der Töpferscheibe und die Verhüttung von Erzen (zuerst auf Kupfer, seit etwa 1000 v. Chr. auf Eisen), den Stein- und Ziegelbau und die Verwendung des Wagens für die steigenden Handelsbedürfnisse in zunehmend arbeitsteilig organisierten Gesellschaften.
Seit etwa dem 3. Jahrtausend v. Chr. entstanden v. a. an den großen Flüssen, an Euphrat und Tigris, am Nil, am Indus und am Hwangho Hochkulturen mit befestigten Städten. Die Aufgabe der Bewässerung in diesen Kulturen erforderte nicht nur Wasserhebetechniken und umfangreiche Kanalsysteme, sondern auch rechtliche Regelungen, die Einführung der Schrift und eine zentralistische Verwaltung. Der europäische Raum, insbesondere das die kulturelle Führung erringende Mittelmeergebiet, profitierte in großem Umfang vom Techniktransfer aus den östlichen Hochkulturen. Griechenland und Rom waren in hohem Maß von den natürlichen Bedingungen abhängige Agrargesellschaften. V. a. Verbesserungen der landwirtschaftlichen Geräte und Anbausysteme beeinflussten das alltägliche Leben. In die römische Zeit fällt die Entwicklung von mit Tieren und vereinzelt mit Wasserkraft betriebenen Rotationsgetreidemühlen. Die Römer übernahmen die in hellenistischer Zeit entwickelte Belagerungstechnik (mit Türmen und Schleudergeschützen), errichteten v. a. aus militärischen Gründen ein umfangreiches Straßennetz, Kunstbauten für die Wasserversorgung der Städte, verwendeten Beton als Baustoff und förderten Edelmetallerze im Tiefbau, was eine aufwendige Wasserhaltung bedingte. Handwerk und Manufakturen stellten bereits standardisierte Produkte in großen Mengen her.
Technik im Mittelalter
Nach der Völkerwanderung und dem Zerfall des Römischen Reiches verlagerte sich das Zentrum der Technikentwicklung in Europa nach Norden. In den nunmehr dominierenden feudalen Strukturen und bedingt durch die klimatischen Gegebenheiten verbreiteten sich im Mittelalter dort schnell schwerere Pflugformen, Wassermühlen zum Mahlen von Getreide und seit Ende des 12. Jahrhunderts auch Windmühlen. In der Landwirtschaft wie in der Waffentechnik verwendete man in zunehmendem Maße Eisen. Die Ritter besaßen eiserne Angriffs- und Verteidigungswaffen (Brünne, Kettenhemd, Panzer), ihre Pferde trugen Steigbügel und Hufeisen. Mit den zu Fuß kämpfenden Söldnerheeren, den Pulvergeschützen und dem Festungsbau gestaltete sich das Kriegswesen um. Im 15./16. Jahrhundert erlebten Bergbau und Hüttenwesen eine Blütezeit. Die Wasserhaltung in den Tiefbauten übernahmen mit Tier- oder Wasserkraft betriebene Maschinen. Das erschmolzene Silber und Kupfer wurde eine Quelle politischer und militärischer Macht. Das mittelalterliche Gewerbe entfaltete sich innerhalb (teilweise zünftig organisiert) und außerhalb der neuen Städte. Die (wahrscheinlich um 1000 eingeführte) Nockenwelle vervollkommnete die Wassermühle zur universellen Kraftmaschine. Wasserkraft trieb zahlreiche Arbeitsmaschinen an: Hämmer, Walken, Erzpocher, Blasebälge in Hochofenanlagen usw. In Europa entstanden Gewerbezentren v. a. für Metallverarbeitung und Textilherstellung. Trittwebstuhl und Spinnrad kamen wahrscheinlich aus Asien. Die technische und künstlerische Entwicklung förderten auch die Klöster, die als Auftraggeber für Kunsthandwerk und Kirchenbauten wirkten.
Der Weg zur industriellen Revolution
Bis etwa um 1500 übertraf das wissenschaftliche und technische Wissen anderer Kulturen das in Europa. So ging v. a. China bei zahlreichen Innovationen voran: Armbrust, Papier, Kummetgeschirr, Eisenguss, Porzellan, Schießpulver und Kanonen, Kompass. In der Neuzeit kehrte sich das Verhältnis um, die technische Entwicklung in Europa beschleunigte sich enorm. Verantwortlich dafür dürften u. a. die Konkurrenz und der Austausch im inzwischen hoch verdichteten europäischen Wirtschaftsraum und die Entfaltung und Hochschätzung der schöpferischen Kräfte des Individuums, z. B. bei den Künstleringenieuren der Renaissance, gewesen sein. Papiermacherei und der Buchdruck mit beweglichen Lettern trugen ebenfalls zur Verbreitung von technischem Wissen bei. Mithilfe einer hoch entwickelten Schiffstechnik begannen die europäischen Seemächte seit dem 15. Jahrhundert die Welt für sich zu entdecken und durch ihre Kriegsschiffe zu erobern. Die ausgedehnten kolonialen Besitzungen einiger europäischen Seemächte wurden auch mithilfe der europäischen Technik wirtschaftlich ausgebeutet, andererseits kamen die aus den Kolonien gezogenen Gewinne der technischen Entwicklung in den Mutterländern zugute.
Wenn in den Territorialstaaten der frühen Neuzeit auch nur wenige spektakuläre Innovationen stattfanden, so wirkte sich die Entfaltung absolutistischer Macht und Pracht doch in der Militär- und Bautechnik sowie der Produktion von Luxuswaren (z. B. Uhren) aus.
Die eigentlich, bis zur Gegenwart andauernde Dynamisierung der Technikentwicklung setzte um 1760 mit der industriellen Revolution in Großbritannien ein. Zu Heimgewerbe und Manufakturen hinzutretend, entstanden in der Textilindustrie mit Kraft- und Arbeitsmaschinen ausgerüstete Fabriken. Trieben zunächst noch v. a. Wasserräder die Spinn- und Webmaschinen an, so sorgte im 19. Jahrhundert die Dampfmaschine dafür, dass der Industrialisierungsprozess an Kraft und Dauer gewann. Die Textilindustrie wirkte anregend auf den Maschinenbau, die Herstellung chemischer Grundstoffe und später synthetischer Farben. Maschinen wurden jetzt mithilfe von Werkzeugmaschinen und nicht mehr rein handwerklich gefertigt. Die in der Eisenindustrie durch den Umstieg von Holzkohle auf Steinkohle erzielte Verbilligung von Eisen und Stahl machte es möglich, dass die metallischen Bau- und Werkstoffe zunehmend Holz und Stein ersetzten. Die Ausweitung der Produktion und der Märkte erforderte verkehrstechnische Innovationen, Straßen- und Kanalbau, Eisen- und Dampfschiff sowie Eisenbahn.
19. und 20. Jahrhundert
Eisenbahn- und Schifffahrtslinien sowie Nachrichtenverbindungen mithilfe der elektrischen Telegraphie, die erstmals eine zeitgleiche Kommunikation über große Entfernungen ermöglichte, wuchsen im 19. Jahrhundert zu nationalen und schließlich weltweiten Netzen zusammen. Im 20. Jahrhundert kamen Luftverkehrsnetze, Energieversorgungssysteme und die integrierte Nachrichtentechnik mit Satellitenbetrieb hinzu. Diese großen technischen Systeme erfordern einen enormen politischen und technischen Regelungsaufwand. Auf lokaler Ebene gingen ihnen im 19. und frühen 20. Jahrhundert zahlreiche weitere Netze voraus. Nur mit ihrer Hilfe konnten die rapide wachsenden Industrie- und Verwaltungsstädte lebensfähig bleiben. Die städtischen Netze dienten der Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, Müllabfuhr, der Energieversorgung (Gas, Elektrizität) und dem Verkehr (Straßenbahnen, Hoch- und Untergrundbahnen). Rationalisierung, Massenproduktion mit austauschbaren Teilen, Normierung, Typisierung und Automatisierung verbilligten Güter und Dienstleistungen und machten sie damit für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich. Sie ermöglichten eine weitgehende Technisierung des Alltags durch Produkte wie Nähmaschine, Fahrrad, Automobil und Produktgruppen wie Haushaltsgeräte und Unterhaltungselektronik sowie die Entstehung der Konsum- und Wohlstandsgesellschaft. Einen Beitrag hierzu leisteten auch die Bau- und Werkstoffe, insbesondere die Kunststoffe, sowie die Röhren- und Halbleiterelektronik.
Im 19. und 20. Jahrhundert nahm die Bedeutung des Staates für die Technikentwicklung zu. Der Staat unterhält technische Bildungseinrichtungen und finanziert technische Entwicklungen oder führt sie in Großforschungseinrichtungen selbst durch. Die militärische Forschungsfinanzierung und Kriege haben einzelne technischen Entwicklungen vorangetrieben (Flugzeug, Raumfahrt, Kernkraft), andere eher stagnieren lassen.
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Universal-Lexikon. 2012.