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Rationalisierung
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Ra|ti|o|na|li|sie|rung, die; -, -en:
das Rationalisieren.

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I
Rationalisierung
 
[zu lateinisch ratio »Vernunft«] die, -/-en,  
 1) allgemein: vernünftige, zweckmäßige Gestaltung (z. B. von Arbeitsabläufen).
 
 2) Psychoanalyse: verstandesmäßige (moralische, religiöse, ideologische usw.) Rechtfertigung von Gefühlen, Gedanken oder Handlungen, deren tatsächlichen Motive nicht bewusst sind oder (in der Funktion eines psychischen Abwehrmechanismus) nicht eingestanden werden.
II
Rationalisierung,
 
ein in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit verschiedenartigen Bedeutungen verwendeter Sammelbegriff, der allgemein die Ersetzung traditioneller, zufälliger Verfahren und Handlungsweisen durch geplante, klarer strukturierte und wiederholbare Methoden nach Kriterien der Zweckmäßigkeit, Effektivität, Berechenbarkeit und Beherrschbarkeit bezeichnet. Rationalisierung ist ein kontinuierlicher Prozess ohne Abschluss im Sinne einer Steigerung des Wirkungsgrades der genannten Kriterien sowie ihrer Anwendung auf völlig neue Sachverhalte. Rationalisierungsprozesse beschränken sich nicht auf den Kernbereich technischer und wirtschaftliche Vorgänge. Sie durchdringen alle gesellschaftlichen Teilsysteme und Lebenswelten.
 
 Begriff und Formen der Rationalisierung
 
Es ist zu unterscheiden zwischen dem technisch-wirtschaftlichen und dem gesellschaftlichen Sinnzusammenhang des Rationalisierungsbegriffs. Mit dem technisch-wirtschaftlichen Kontext befassen sich Industrie- und Organisationssoziologie, Arbeitswissenschaft und Betriebswirtschaftslehre. Während früher das kapitalistische Unternehmen im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses an Rationalisierung stand, ist es heute allgemeiner die betriebliche Leistungserstellung in privaten wie öffentlichen Unternehmen und Behörden. In diesem Bereich umfasst Rationalisierung alle Bemühungen um eine planvolle, auf technische Effektivität und wirtschaftliche Rentabilität zielende Koordination des Einsatzes von Produktionsfaktoren in allen Funktionsbereichen betrieblich organisierter Arbeitsprozesse (von Industriearbeit bis Management). Analytisch sind zwei Teilprozesse zu unterscheiden: 1) Rationalisierung mit technischen Mitteln (technische Rationalisierung); 2) Rationalisierung mit administrativen und sozialtechnischen Mitteln (organisatorische Rationalisierung, zum Teil auch betriebswirtschaftliche Rationalisierung). In der Realität sind beide Teilprozesse eng miteinander verknüpft, sodass von technisch-organisatorischer Rationalisierung gesprochen wird. Die technische Rationalisierung erstrebt u. a. Steigerung der quantitativen Ergiebigkeit und der Erzeugnisqualität, Verringerung des Aufwandes an Hilfsstoffen, Zeit, Rohstoffen und Energie sowie Kosten allgemein. Sie führt vielfach zur Mechanisierung und Automatisierung. Neben der Rationalisierung des Produktionsprozesses sind Mittel der technischen Rationalisierung die Normung und Standardisierung industrieller Erzeugnisse sowie Einsparung an Werkstoffen und Fertigungsaufwand. Die organisatorische Rationalisierung zielt auf die Umgestaltung von Arbeits- und Verwaltungsprozessen in allen betrieblichen Funktionsbereichen (neben der Produktion u. a. Beschaffung und Materialwirtschaft, Marketing, Rechnungswesen, Forschung und Entwicklung, Management und Personalwesen). Die Ergebnisse führen v. a. zu Veränderungen in der Ablauforganisation. Die technisch-organisatorische Rationalisierung ist verbunden mit Prozessen der Arbeitsteilung und Spezialisierung, der Bürokratisierung und Hierarchisierung.
 
Als betriebliche Auswirkungen der Rationalisierung werden v. a. genannt: 1) höherer technischer Wirkungsgrad (Technizität, Effektivität), z. B. durch besser ausgebildete Arbeitskräfte, universell verwendbares Material oder reibungslosere Arbeitsorganisation, 2) höherer ökonomischer Wirkungsgrad (Wirtschaftlichkeit, Effizienz), der zu geringeren Kosten und/oder höheren Umsätzen oder Gewinnen führen kann. Vielfach werden durch Rationalisierung Arbeitsbedingungen verändert, wobei die Annahmen über die Entwicklung der Qualifikationsanforderungen kontrovers sind (Erhöhung, Verringerung oder Polarisierung der Qualifikationen). Unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten fördert die technisch-organisatorische Rationalisierung den technischen Fortschritt, die gesamtwirtschaftliche Produktivität und damit das wirtschaftliche Wachstum. Rationalisierung ist ein wichtiges Motiv für Investitionen, häufig allerdings verknüpft mit Arbeitsplatzverlusten. Inwieweit Rationalisierung gesamtwirtschaftlich zu erhöhter Arbeitslosigkeit führt, ist umstritten, da neben den unmittelbaren Freisetzungseffekt ein arbeitsplatzschaffender Wachstumseffekt tritt, der jedoch zunehmend an Grenzen stößt (Freisetzungstheorie, Kompensationstheorie).
 
Mit dem gesellschaftlichen Kontext der Rationalisierung befassen sich die Sozialwissenschaften (v. a. Soziologie, Volkswirtschaftslehre, Politologie, Psychologie). Anknüpfend an grundlegende Arbeiten Max Webers über Rationalisierung als gesellschaftliche Triebkraft der Herausbildung von Kapitalismus und abendländischen Zivilisation gelten die Durchsetzung von Rationalität als (berechenbare) Zweck-Mittel-Optimierung in allen gesellschaftlichen Teilsystemen (Wirtschaft, Politik, Recht, Verwaltung, Wissenschaft und Bildung) sowie die Ausbreitung methodisch-rationaler Lebensführung als konstitutive Merkmale der Modernisierung kapitalistischer Industriegesellschaften. Auf Ambivalenzen der Rationalisierung hat schon Weber hingewiesen. Heute finden neben der positiven Bewertung der Leistungssteigerung und Niveauerhöhung im Hinblick auf materielle Versorgung (Wohlstand), wirtschaftliche Rentabilität, politische Steuerungskapazität und technische Verfügbarkeit zunehmend die negativen sozialen Konsequenzen Beachtung unter Stichworten wie »Dysfunktionalität der Bürokratie«, »Grenzen des Wachstums« und »Kolonialisierung der Lebenswelt«.
 
 Entwicklung der technisch-organisatorischen Rationalisierung
 
Das kapitalistische Unternehmen bildet für Weber und W. Sombart den rationalen, organisatorischen Kern der kapitalistischen Wirtschaft. Sie ist nach Sombart eine »Veranstaltung zum Zweck der Gewinnerzielung«; in ihr »haust der ökonomische Rationalismus ganz losgelöst von der Person des Inhabers und des Personals«. Nur der okzidentale Kapitalismus hat nach Weber den kontinuierlichen »Erwerbsbetrieb« mit »rationaler Buchführung«, »rationaler Arbeitsorganisation« und »rationaler Technik« hervorgebracht.
 
Rationalisierung als Inbegriff für technische und organisatorische Rationalisierungsprozesse mit wirtschaftlicher Zielsetzung taucht zwar erst in den 1920er-Jahren bei Friedrich von Gottl-Ottlilienfeld (* 1868, ✝ 1958) auf, der Sachverhalt selbst ist jedoch wesentlich älter. Ein früher Ausdruck ist die Erkenntnis von A. Smith, dass bewusste Arbeitsteilung ein Mittel zur Steigerung der Arbeitsproduktivität ist. Smith demonstriert dies am Beispiel einer spezifischen Form der Arbeitsteilung, der Arbeitszerlegung. Diese bezeichnete K. Marx als manufakturmäßige im Gegensatz zur gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Marx sah in der Arbeitszerlegung »eine ganz spezifische Schöpfung der kapitalistischen Produktionsweise«. Durch sie würden die individuellen Arbeiter zu »bloßen Gliedern eines Gesamtmechanismus«, der zwar die Produktivität des »Gesamtarbeiters« steigere, aber die Fähigkeit der »Teilarbeiter« verkrüppele (Entfremdung). Während Smith die fortschreitende Arbeitsteilung auf die menschliche »Neigung zum Tausch« zurückführt, identifiziert Marx darin das Bestreben des Kapitals nach Steigerung des relativen Mehrwerts. Dass die Arbeitszerlegung günstige Voraussetzungen für die Erfindung und Anwendung von Maschinen schafft, hatte bereits Smith erkannt, bevor die Mechanisierung der Handarbeit während der industriellen Revolution in größerem Ausmaß einsetzte. In dieser Epoche konzentrierten sich die Rationalisierungsbemühungen auf die Arbeitsmittel. Die technischen Innovationen umfassten: 1) Maschinen, die an die Stelle menschlicher Geschicklichkeit und Kraft traten; 2) mechanische Energieerzeugung (Dampfmaschine); 3) neue, anorganische Rohstoffe, die pflanzliche und tierische Substanzen ersetzten. Die Rationalisierung fand im organisatorischen Rahmen des entstehenden Fabriksystems statt und hatte neben der sprunghaften Steigerung der Arbeitsproduktivität auch gravierende soziale Konsequenzen (soziale Frage).
 
Ein neuer industrieller Rationalisierungsschub setzte um die Jahrhundertwende ein. Infolge der Veröffentlichungen und praktischen Versuche F. W. Taylors kam es in den USA zu einer großen Rationalisierungsbewegung, die auch die europäischen Länder erfasste. Das von Taylor entwickelte und propagierte Scientific Management zielte - u. a. mit Zeitstudien, später ergänzt durch Bewegungsstudien seines Schülers F. B. Gilbreth - auf die konsequente »Budgetierung der menschlichen Arbeitskraft«. Unökonomische Arbeitsvollzüge, individuelle oder kollektive Leistungszurückhaltung (»systematische Bummelei«) sollten ausgeschlossen werden.
 
Das von H. Ford in den Jahren 1908-14 eingeführte und weiterentwickelte Fließband (Fließfertigung) bildete die konsequente Fortsetzung der tayloristischen Rationalisierungsmethode. Fords Leitprinzipien waren: Energie, Genauigkeit, Wirtschaftlichkeit, Systematik, Kontinuität und Geschwindigkeit. Schuf der Taylorismus die personalwirtschaftliche, so der Fordismus die technisch-organisatorische Grundlage der modernen, auf Massenproduktion beruhenden Industriearbeit. Weit über die Massenfertigung (im strengen Sinn) hinaus war das tayloristische Rationalisierungsparadigma bis in die 1970er-Jahre in den Industriegesellschaften vorherrschend. Nach seinem Muster wurden auch Büro- und Verwaltungsarbeiten sukzessive rationalisiert.
 
 Der Faktor Mensch in der technisch-organisatorischen Rationalisierung
 
Ergänzt um die industrielle Psychotechnik fand der Taylorismus auch in Deutschland Verbreitung, vornehmlich nach dem Ersten Weltkrieg. Diese frühe Form der Arbeitswissenschaft trug durch Berücksichtigung von Ermüdungserscheinungen, Anpassungsproblemen und Monotonieanfälligkeit dem »Faktor Mensch« in der Produktion stärker Rechnung. Höhepunkt der Rationalisierung war in Deutschland die 2. Hälfte der 1920er-Jahre. Nach der Reintegration der deutschen Wirtschaft in den Weltmarkt wurde v. a. in den jüngeren Branchen der Automobil-, Chemie- und Elektroindustrie rationalisiert, oft im Zusammenhang mit der Einführung neuer produktionstechnischer Verfahren (z. B. Mechanisierung des Materialtransports, Fließbandfertigung). Der eigentliche Durchbruch des Taylorismus zeigte sich in der wachsenden Verbreitung eines arbeitswissenschaftlichen begründeten Lohnfindungsverfahrens (REFA-Verfahren, REFA).
 
Psychotechnik und REFA-Verfahren erleichterten den deutschen Gewerkschaften die Zustimmung zur Rationalisierung nach (modifizierten) tayloristischen und fordistischen Prinzipien; ihre ambivalente Haltung zur Rationalisierung blieb indessen bestehen. Einerseits sahen sie darin das ökonomische Potenzial für die Erhöhung des Lebensstandards und Verkürzung der Arbeitszeit, andererseits die Gefahr der Dequalifizierung, Arbeitslosigkeit, Intensivierung und Sinnentleerung der Arbeit. Auch in anderen Ländern rief das Taylorsystem den Widerstand der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften hervor. Als Reaktion auf exzessive Arbeitszerlegung und ausschließlich finanzielle Leistungsanreize entstand in den USA während der 1930er-Jahre die Human-Relations-Bewegung, nach der die Berücksichtigung der (nichtmonetären) Bedürfnisse der Arbeiter in der Produktion auch im Interesse der wirtschaftlichen Ziele (zufriedene Arbeiter erbringen höhere Leistungen als unzufriedene) erforderlich ist.
 
Unter dem Einfluss der Globalisierung des Wettbewerbs und der mikroelektronischen Revolution gewinnt die technisch-organisatorische Rationalisierung seit Ende der 1970er-Jahre eine neue Qualität. Veränderte Nachfragestrukturen stellen die standardisierte Massenproduktion, der verstärkte Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie der kulturelle Wertewandel das tayloristisch-fordistische Produktionskonzept infrage. Verlangen Dynamik und Turbulenzen der Märkte größere Flexibilität in der Produktion und Variabilität im Angebot, so erfordern steigender Kapital- und Technikeinsatz die effektivere Ausnutzung der Produktionsanlagen. Bewältigt werden diese Herausforderungen v. a. durch zwei Rationalisierungsstrategien: Aus der Perspektive der arbeitszentrierten Rationalisierung kommt den Leistungspotenzialen der Arbeitnehmer (Human Resources) eine strategische Bedeutung für Produktionsflexibilität und optimale Techniknutzung zu. Da die Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer offenbar nicht mehr ausschließlich mit herkömmlichen Kontroll- und Anreizsystemen gesichert werden kann, werden zur Erhöhung der Arbeitszufriedenheit und zum Abbau frustrationsbedingter Fehlzeiten seit den 60er-Jahren (ausgehend von Großbritannien und den skandinavischen Ländern) neue Methoden der Arbeitsorganisation angewendet, die aus einem komplexeren Verständnis des Arbeitsprozesses resultieren und Formen sozialer Rationalisierung sind. Hierzu gehören neben der Erweiterung beziehungsweise Bereicherung des jeweiligen Arbeitsbereichs (Job-Enlargement beziehungsweise Job-Enrichment) und dem Einsatz wechselnder Arbeitsfelder (Jobrotation) v. a. Mischarbeitsplätze und teilauonome Arbeitsgruppen. Weitere Motivationsanreize bilden Modelle der Mitarbeiterbeteiligung (Qualitätszirkel, Vorgesetztenbewertung) sowie erweiterte Angebote betrieblicher Qualifizierung und Weiterbildung. Gewollter Nebeneffekt dieser Rationalisierungsstrategie ist der Abbau der unter dem tayloristischen Rationalisierungsparadigma aufgeblähten indirekten Bereiche wie Arbeitsvorbereitung, Qualitätskontrolle, Arbeitsüberwachung.
 
Eine zweite, kapital- und technikzentrierte, auch als systemische Rationalisierung bezeichnete Strategie zielt auf die Reorganisation des gesamten betrieblichen Ablaufs sowie der zwischenbetrieblichen Beziehungen. Organisationstechnische Potenziale der Informations- und Kommunikationstechnik werden genutzt für die Integration betrieblicher Teilprozesse (vom Auftragseingang bis zur Auslieferung an die Kunden) und für den Aufbau zwischenbetrieblicher Netzwerke zwischen Abnehmer und Zulieferer, Produzenten und Händler. Rationalisierungsziel ist die Ökonomisierung des Kapitaleinsatzes durch schnelleren Materialfluss und Produktdurchlauf, lagerlose Fertigung und bestandslosen Vertrieb (Leanmanagement, Leanproduction). Unter einen sehr weit gefassten Rationalisierungsbegriff lässt sich auch das Outsourcing fassen, bei dem bisher im Unternehmen selbst erbrachte Leistungen oder Funktionen an Externe ausgelagert werden. Wenn der Faktor Arbeit für die technikzentrierte Rationalisierung auch an Bedeutung zu verlieren scheint, so ist doch die »menschenleere Fabrik« als Nahziel ebenso wenig zu erwarten wie das »papierlose Büro«. Erfahrungswissen, Kreativitäts- und Innovationspotenziale der »lebendigen Arbeit« sind nicht zu ersetzen.
 
Auch wenn die allgemeine Notwendigkeit von Rationalisierung zur Sicherung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit im Wesentlichen unbestritten ist, sind Folgen und Begleiterscheinungen von Rationalisierungsmaßnahmen für die Arbeitnehmer immer wieder Gegenstand politischer Kontroversen. Im Mittelpunkt steht dabei die Kompensation der mit Rationalisierungsmaßnahmen häufig verbundenen Arbeitsplatzverluste, die besonders in wirtschaftlichen Krisenzeiten nicht durch neue Arbeitsplatzangebote ausgeglichen werden, sowie die Obsoleszenz von Qualifikationen und Fertigkeiten. Mit Abkommen zum Rationalisierungsschutz, zur Technikgestaltung, Arbeitsstrukturierung und Arbeitszeitregelung versuchen die Tarifvertragsparteien, Rationalisierung sozialverträglich zu gestalten. Zunehmend kritisch diskutiert werden neuerdings auch die ökologischen Folgen von Rationalisierungsmaßnahmen, sofern sie zu einem erhöhten Aufkommen an Gütertransporten führen.
 
 Gesellschaftliche Rationalisierung
 
Rationalisierung ist der theoretische Schlüsselbegriff in Webers universalhistorischen Erklärung der Modernisierung alteuropäischer Gesellschaften. Deren Übergang in kapitalistischen Gesellschaften ist durch einen gesellschaftlichen Rationalisierungsprozess mit folgender Kernstruktur gekennzeichnet: kontinuierlicher, rationaler Erwerbsbetrieb mit freien Arbeitskräften und Kapitalrechnung; rationale Staatsanstalt mit bürokratischer Verwaltung; formales Recht als rationales Organisationsmittel; rationale Wissenschaft und Technik; eine nach ethischen Maximen geleitete, methodische Lebensführung. Allen Elementen ist als regulatives Prinzip die Zweckrationalität gemeinsam, d. h. die Angemessenheit der Mittel für die jeweils gewählten Zwecke. Der Prozess umfasst auch den Anspruch des Einzelnen, seine Rationalität zur Geltung zu bringen und gleichberechtigt in der Gesellschaft mitzuwirken.
 
Der gesellschaftlichen Rationalisierung ging eine religiöse Rationalisierung voraus. In der christlich-jüdischen Religion identifiziert Weber Rationalitätspotenziale, die der Herausbildung rationaler Weltbilder und moderner Bewusstseinsstrukturen förderlich waren. Zu Ende geführt, bewirkte die Rationalisierung der religiös-metaphysischen Weltbilder eine »Entzauberung der Welt« und schuf die Grundlagen für eine protestantische Ethik, die nach Weber gleichsam als die geistig-moralische Grundlage der modernen, auf dem Rationalitäts- und dem Leistungsprinzip beruhenden Gesellschaft anzusehen ist.
 
Rationalisierung, wie Weber sie begriff, war für Marx gleichbedeutend mit Entfremdung. Aus der Sicht der Frankfurter Schule (T. W. Adorno, M. Horkheimer, H. Marcuse) war sie identisch mit der unheilvollen, fortschreitenden Herrschaft der instrumentellen Vernunft. Auch Weber erkannte Widersprüche und Fehlentwicklungen der gesellschaftlichen Rationalisierung, z. B. die Verkehrung von Mitteln zu Zwecken, hielt sie aber letztlich für unausweichlich.
 
In einer Neuinterpretation der gesellschaftlichen Rationalisierung wendet sich J. Habermas einerseits gegen die auf das Paradigma der Zweckrationalität verengte Sicht Webers, andererseits gegen die totalisierende Kritik der instrumentellen Vernunft Adornos und Horkheimers. Ohne einen vernünftigen Sinn der instrumentellen und strategischen Handlungsrationalität zu bestreiten, arbeitete er die Bedeutung der kommunikativen Rationalität heraus, die auf sprachlich-konsensuelle Verständigung der Menschen über Zwecke und Handlungsweisen zielt. Die Paradoxie des gesellschaftlichen Rationalisierungsprozesses liegt für Habermas darin, dass durch die Ausdifferenzierung von Teilsystemen (Wirtschaft und Staat) mit eigenen, handlungskoordinierenden Medien (Geld, Macht) die soziale Lebenswelt zwar entlastet, dass aber durch den Übergriff der »entsprachlichten« Kommunikationsmedien auf die Lebenswelt diese mit monetären und bürokratischen Mitteln »systemisch »kolonialisiert« werde.
 
Das Phänomen der Rationalisierung reicht heute weit über die klassischen Bereiche zweckrationalen Handelns (Wirtschaft, Gesellschaft und Politik) hinaus. In den modernen (Industrie-)Gesellschaften werden, u. a. bedingt durch die »Technisierung« der Haushalte, die möglich gewordene große Mobilität, aber auch durch die Popularisierung von Erkenntnissen der Psychologie und Physiologie, weite Bereiche der außerbetrieblichen Lebenswelt durch das Prinzip zweckrationalen Handelns bestimmt. Effizienz und Zeitökonomie bestimmen dabei besonders das Freizeitverhalten und die sportlichen Aktivitäten, aber z. B. auch bestimmte Ernährungsgewohnheiten; dies alles gerät mehr und mehr unter Mechanismen externer Verhaltensbeeinflussung (u. a. durch Werbung) und interner Verhaltenskontrolle und -konditionierung (Diätpläne, Sportcomputer, Bodybuilding). Dem entspricht die Beobachtung, dass die Zeit auch in der außerberuflichen Lebenswelt - trotz fortschreitender Arbeitszeitverkürzung - zu einem knappen Gut geworden ist und planvoll mit Freizeitaktivitäten gefüllt wird.
 
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Arbeit · Arbeitsteilung · Arbeitszeit · Automatisierung · Bürokratie · Fortschritt · Freizeit · Humanisierung der Arbeit · Innovation · Investition · Lebensqualität · Leistungsgesellschaft · technischer Fortschritt · Wachstum · Wettbewerbsfähigkeit
 
Literatur:
 
F. W. Taylor: Die Grundzüge wiss. Betriebsführung (a. d. Engl., 1913, Nachdr. 1995);
 W. Sombart: Der moderne Kapitalismus, 3 Bde. (21916-27, Nachdr. 1987);
 M. Weber: Ges. Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1 (1920, Nachdr. 1988);
 M. Weber: Wirtschaft u. Gesellschaft (51976, Nachdr. 1990);
 M. Weber: Wirtschaftsgesch. (51991);
 F. von Gottl-Ottlilienfeld: Wirtschaft u. Technik (21923, Nachdr. 1985);
 
Technikentwicklung u. Arbeitsteilung im internat. Vergleich, hg. v. K. Düll u. a. (1989);
 
System. R. als sozialer Prozeß, hg. v. J. Bergstermann u. R. Brandherm-Böhmker (1990);
 H. Kern u. M. Schumann: Das Ende der Arbeitsteilung? (41990);
 H. Homburg: R. u. Industriearbeit. Arbeitsmarkt, Management, Arbeiterschaft im Siemens-Konzern Berlin 1900-1939 (1991);
 A. Bronner: Hb. der R. (1992);
 M. Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft. Aus den Vorträgen u. Aufzeichnungen seit Kriegsende (Neuausg. 10.-11. Tsd. 1992);
 T. Neuborg u. K. J. Zemke: Strukturwandel u. Technologie (1993);
 R. Scholz: Geschäftsprozeßoptimierung. Crossfunktionale R. oder strukturelle Reorganisation (21995);
 
Betriebl. R. u. ökonom. Rationalität, hg. v. U. Widmaier (1996);
 J. Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bde. (Neuausg. 21997).

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Ra|ti|o|na|li|sie|rung, die; -, -en: das Rationalisieren.

Universal-Lexikon. 2012.