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Nervensystem
Nẹr|ven|sys|tem 〈n. 11; Biol.; Med.〉 Gesamtheit der Nervenzellen des menschlichen Körpers od. eines Tierkörpers

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Nẹr|ven|sys|tem, das (Anat., Physiol.):
Nerven[gewebe] als funktionelle Einheit.

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Nervensystem,
 
Gesamtheit der Nervengewebe eines Organismus als anatomische und funktionelle Einheit mit der Fähigkeit zur Reizaufnahme, Erregungsleitung, Signalverarbeitung und motorischen Beantwortung.
 
Nervensysteme sind die kompliziertesten organischen Strukturen, die jemals entstanden sind. Die Komplexität eines Nervensystems beruht zum einen auf der großen Anzahl grundsätzlich verschiedener elektrischer Signale, zum anderen auf der Kompliziertheit der Verbindungen zwischen den Neuronen (Synapse). Es ist zudem das empfindlichste Gewebe beziehungsweise Organ tierischer Organismen. Bereits kurzfristiger Sauerstoff- oder Substratmangel führt sehr schnell - v. a. bei höher entwickelten Tieren - zu Funktionsbeeinträchtigungen beziehungsweise Funktionsverlust.
 
Bau des Nervensystems im Tierreich:
 
Die einfachsten Nervensysteme besitzen die Hohltiere. Sie bestehen aus Nervenzellen, deren kreuz und quer verlaufende Fasern ein diffuses Netz bilden und an den Schnittpunkten synaptische Kontakte haben (Nervennetze). Bei den Wirbellosen kommt es zu einer Konzentration des Nervengewebes zu Nervensträngen. Bei einigen primitiven Würmern und Weichtieren enthalten diese Stränge Nervenzellkörper und Nervenfasern gemischt (Markstränge). Eine entscheidende Weiterentwicklung war die Zusammenlegung mehrerer Nervenzellkörper um einen Knäuel von Nervenfasern (Neuropil) zu einem Ganglion. Bei den gegliederten Wirbellosen sind je Segment zwei Ganglien ausgebildet, die untereinander durch Nerven verbunden sind: innerhalb des Segments durch Kommissuren, zwischen den Segmenten durch Konnektive, sodass ein bilateraler ventraler Nervenstrang (Strickleiternervensystem) entsteht. Bei Krebsen und Insekten findet man eine weitere Konzentrierung der Ganglien im Kopfbereich zu »Superganglien« (Cerebralganglion, Gehirn). Dagegen haben die radiärsymmetrischen Stachelhäuter (Echinodermata) wie Seestern, Seeigel einen Nervenring ohne übergeordnete Ganglien. Das Nervensystem der Weichtiere (Mollusken) ist unsegmentiert: Zahlreiche Ganglien werden durch Nervenstränge verbunden. Das höchstentwickelte Nervensystem der Wirbellosen besitzt der Octopus (ein Kopffüßer). Sein Gehirn enthält über 100 Mio. Neurone.
 
Funktion:
 
Die Bildung von Ganglien und deren Zusammenlagerung zu immer komplexeren Strukturen (bis hin zum Gehirn des Menschen) waren die Voraussetzungen für die hierarch. Funktion des Nervensystems. Die übergeordnete Kontrollfunktion der Gehirne beruht zum einen auf dem hohen Anteil sensorischer Information durch die im Kopfbereich liegenden Rezeptoren, zum anderen auf der Ausbildung von Steuerzentren im Gehirn selbst. Das Nervensystem ist (zusammen mit dem Hormonsystem) verantwortlich für die Koordination des tierischen Organismus, d. h. für die Funktion der Organe, die Regulation ihrer physiologischen Leistungen sowie die Reaktionen auf Veränderungen in der Außenwelt. Es nimmt Reize auf, wandelt sie in Erregungen um und gibt sie in verarbeiteter Form an die Zielorgane weiter. Es dient so u. a. der Verbindung zwischen den Sinneszellen und den Erfolgsorganen. Somit besteht - wenn man die Funktion betrachtet - zwischen dem Hormonsystem und dem Nervensystem kein prinzipieller Unterschied. Während das Hormonsystem v. a. langfristige Stoffwechselprozesse (Wachstum, Fortpflanzung) kontrolliert und die Signalübertragung durch Hormone über die Blutbahn erfolgt, stehen kurzfristige Regelprozesse unter nervöser Kontrolle. Die Signalübertragung erfolgt über Nerven, die strukturell mit den Erfolgsorganen in Verbindung stehen.
 
Das Nervensystem des Menschen enthält 1010 bis 1011 Nervenzellen und noch einmal die gleiche Zahl an Stützzellen (Gliazellen, Neuroglia). Während der Ontogenese organisieren sich die Nervenzellen selbst zu interagierenden Systemen (neurale Netzwerke).
 
Das Nervensystem wird topographisch unterteilt in zentrales Nervensystem (ZNS: Gehirn und Rückenmark) und peripheres Nervensystem (PNS: Ganglien, Nervenfasern, Rezeptoren). Bedeutender für das Verständnis und die Erforschung des Nervensystems ist jedoch die funktionelle Gliederung in zerebrospinales Nervensystem (animalisches, oikotropes Nervensystem) mit dem ZNS (Gehirn und Rückenmark) und dem PNS (Hirn- und Rückenmarknerven: Afferenzen, Efferenzen) sowie in autonomes Nervensystem (vegetatives, idiotropes Nervensystem, Eingeweidenervensystem) mit dem zentralen vegetativen Steuerungssystem (im Gehirn: Hypothalamus, Formatio reticularis), dem zentralen parasympathischen und sympathischen Nervensystem (im Gehirn und Rückenmark: spinosegmentales System) und dem peripheren autonomen Nervensystem (Afferenzen, Efferenzen). Im zerebrospinalen sowie im autonomen Nervensystem werden peripher die Nervenfasern entsprechend der Richtung ihrer Erregungsleitung in Afferenzen (von den Rezeptoren zum ZNS) und Efferenzen (vom ZNS in die Peripherie) eingeteilt. Bei den Afferenzen des zerebrospinalen Nervensystems werden sensible Fasersysteme (Schmerz, Temperatur, Tastsinn) und sensorische Systeme (Sehsinn, Hörsinn, Geruchssinn, Geschmackssinn, Gleichgewichtsorgan) unterschieden. Das autonome Nervensystem wird in zwei funktionelle Gegenspieler unterteilt: den Sympathikus (aktivierende Wirkung) und den Parasympathikus (beruhigende, aufbauende Wirkung). Diese beiden Systeme wirken antagonistisch auf die effektorischen Teile des autonomen Nervensystems (Herz-Kreislauf-Tätigkeit, Darmtätigkeit, sekretorische Aktivität, Stoffwechselaktivität). Morphologisch ist diese Einteilung nur beschränkt sinnvoll, da sich Sympathikus und Parasympathikus weitgehend überlappen; sie hat daher v. a. funktionell-physiologische und pharmakologische Bedeutung.
 
Zum sympathischen Nervensystem (Sympathikus) gehören: 1) die im Zwischenhirn (Hypothalamus) gelegenen übergeordneten vegetativen Zentren, die den Wasserhaushalt, den Kohlenhydratstoffwechsel, die Körperwärme, die Geschlechtsfunktionen und (über die Hirnanhangdrüse) das Wachstum regeln; 2) die in der grauen Substanz des Rückenmarks liegende sympathische Seitenhornkette; 3) der vor der Wirbelsäule befindliche Grenzstrang, eine Ansammlung von Nervenknoten; 4) die in die Kopf- und Halsregion, in Brust- und Bauchhöhle eingelagerten peripheren Ganglien, z. B. das Eingeweidegeflecht (Plexus solaris). Das parasympathische Nervensystem (Parasympathikus) ist in seinem oberen Abschnitt eng gekoppelt mit den III. und VII. bis X. (Vagus) Gehirnnerven, deren Tätigkeit z. B. die Verengung von Lidspalte und Pupille, Tränen- und Speichelfluss unter dem Einfluss von Gemütsbewegungen bewirkt. Von seinen unteren Abschnitten aus innerviert der Parasympathikus v. a. Geschlechtsorgane, Harnblase und Mastdarm.
 
Zentralnervensysteme sind hierarchisch aufgebaut. Sie bestehen aus so genannten Zentren (Ganglien), die in strenger Rangordnung zueinander in Beziehungen stehen, wobei die »höheren« Zentren die »niedrigeren« beeinflussen und kontrollieren. Dies erfolgt durch Schaltneurone (Interneurone), die in ihrer gesamten Ausdehnung innerhalb des ZNS lokalisiert sind. Die Regulation wird bestimmt durch die Art der anatomischen Verbindungen (elektrische, chemische Synapsen) und die Art der Transmittersubstanz (hemmend oder erregend).
 
Von den Sinnesorganen gelangen über die sensiblen Nerven Erregungen zum Gehirn, durch die motorischen Nerven werden wieder Nervenimpulse an die Muskeln abgegeben. Zwischen diesen beiden Vorgängen, die zwischen Innen- und Außenwelt vermitteln, liegt die geregelte Eigentätigkeit des Nervensystems. Bestimmte Leitungswege können durch wiederholte Impulse in ihrer Tätigkeit gefördert (Bahnung) oder durch andere Impulse gehemmt werden (Hemmung). Diese Bahnungs- und Hemmungserscheinungen wurden zuerst an den Reflexen untersucht, gelten aber auch für die höheren Koordinationsvorgänge des Nervensystems. Durch Vernetzungen zwischen den Neuronen, die teils hemmend, teils bahnend wirken, wird eine bestimmte Ordnung im Nervensystem aufrechterhalten, das auf ein inneres Gleichgewicht ausgerichtet ist. Die im ZNS lokalisierten höheren Regulationen fassen Empfindung, Bewegung, vegetative und psychische Vorgänge zu einer geordneten Leistung zusammen.
 
Eine der größten, aber bisher am wenigsten verstandenen Leistungen des Zentralnervensystems ist die Lernfähigkeit. Es gibt zahlreiche Hinweise dafür, dass Lernen zusammenhängt mit Veränderungen physiologischer und anatomischer Parameter: Auftreten von bestimmten Ribonukleinsäurederivaten, Proteinsynthese in Neuronen, Zunahme oder Abnahme der Zahl synaptischer Verbindungen, der Neurotransmitterausschüttung je Nervenimpuls, der Rezeptormoleküle in der subsynaptischen Membran.
 
Die Erforschung des ZNS, speziell des Gehirns des Menschen, wird als eine der größten Herausforderungen der modernen Wissenschaft angesehen.
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Gehirn · Nerven · Nervengewebe · Neurophysiologie · Neurotransmitter · Rückenmark
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Nervensystem: Ein Überblick
 
Symmetrien und Asymmetrien des menschlichen Körpers
 

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Nẹr|ven|sys|tem, das (Anat., Physiol.): Nerven[gewebe] als funktionelle Einheit: das vegetative N.

Universal-Lexikon. 2012.