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Das Bernsteinzimmer
Das Bernsteinzimmer
 
Das legendäre Bernsteinzimmer gehört zu den modernen Mythen. Es wurde für Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg, den späteren König Friedrich I. »in Preußen«, von mehreren Bernsteindrechslern von 1701 bis 1711 angefertigt und im Berliner Stadtschloss eingebaut. Zar Peter der Große sah es als Gast Friedrich Wilhelms I. im Jahre 1716 und erhielt es als Geschenk des auf der Suche nach Verbündeten befindlichen Königs in Preußen. Im Frühjahr 1717 kam das Bernsteinzimmer nach Sankt Petersburg und wurde 1755 in den Katharinenpalast von Zarskoje Selo (heute Puschkin) eingebaut. Im Herbst 1941 eroberte die deutsche Wehrmacht diesen vor Sankt Petersburg liegenden Palast. Das Bernsteinzimmer wurde ausgebaut und in das Schloss von Königsberg (heute die russische Stadt Kaliningrad) eingebaut. In den Kriegswirren 1944/1945 verliert sich hier die Spur des Bernsteinzimmers. Entweder verbrannte es bei einem britischen Bombenangriff (1944) auf das Schloss oder es wurde abtransportiert und in Bunkern oder Schächten deponiert. Bisher führten die Untersuchungen in den vermuteten Bunkersystemen zu keinem Erfolg. Gerüchte, Spekulationen und mehr oder minder seriöse Publikationen über das Bernsteinzimmer gibt es hingegen in großer Zahl.
 
 Historie des Bernsteinzimmers bis zum Zweiten Weltkrieg
 
Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (1657 bis 1713) ließ sich 1701 unter dem Namen Friedrich I. zum »König in Preußen« krönen. Unter seiner Herrschaft (1688-1713) entstanden in und um Berlin barocke Prachtbauten (unter anderem das Zeughaus, das Stadtschloss sowie die Schlösser Charlottenburg und Oranienburg). In seine Regierungszeit fällt auch die Gründung der Akademie der Künste (1696) und der »Churfürstlich-Brandenburgischen Societät der Wissenschaften« (später Akademie der Wissenschaften, 1700). Für 30 000 Reichstaler ließ er von den berühmtesten Bernsteindrechslern seiner Zeit - Gottfried Wolfram, Ernst Schacht und Gottfried Thurau - von 1701 bis 1711 Wandvertäfelungen aus Bernstein herstellen, die in einen Eckraum des Berliner Stadtschlosses eingebaut wurden. Dieser Raum diente seinem weniger kunstsinnigen Sohn und Erben - Friedrich Wilhelm I., dem Soldatenkönig - als Rauchsalon für sein Tabakskollegium. Auf seiner zweiten Auslandsreise im Jahre 1716 kam Zar Peter I., genannt der Große, nach Berlin und sah dort das Bernsteinzimmer, welches ihm sehr gut gefiel. Friedrich Wilhelm I. machte es ihm nebst einigen anderen Kostbarkeiten zum Geschenk, um sich damit die Gunst Zar Peters I. zu sichern, den er als Verbündeten im Krieg um Vorpommern gegen die Schweden benötigte. Als Gegengeschenk sandte ihm der Zar 55 russische Soldaten, die alle über 2 Meter groß waren, für seine in rote Uniformen gekleidete Leibgarde »Lange Kerls«. Das Bernsteinzimmer kam in Kisten verpackt im Frühjahr 1717 in Sankt Petersburg an. Von dort transportierten es 76 Gardesoldaten im Jahre 1755 nach Zarskoje Selo, der Sommerresidenz der Zaren, wo es in einen Saal des Katharinenpalastes eingebaut wurde. Da dieser Saal größer war als das Eckzimmer des Berliner Stadtschlosses, beauftragte Zarin Elisabeth den Architekten Bartolomeo Rastrelli damit, die Lücken zu füllen. In langjähriger Arbeit kamen so Rokokoelemente zu den barocken Bernsteinschnitzereien hinzu: 24 venezianische Spiegel mit Bernsteinsockeln, 4 Florentiner Mosaiken (Mosaiken aus Edelsteinplättchen nach Gemälden des italienischen Malers Guiseppe Zocchi) und ein Fußboden aus Intarsienparkett mit Perlmutteinlagen. In dieser Form blieb das Bernsteinzimmer, das auch als »achtes Weltwunder« bezeichnet wurde, bis 1941 erhalten.
 
 Das Aussehen des Bernsteinzimmers
 
Einen Eindruck vom Aussehen des Bernsteinzimmers an seinem ursprünglichen Ort (im Katharinenpalast) konnte man seit dieser Zeit nur durch farbige Aquarelle aus dem 19. Jahrhundert und Fotografien, die erhalten geblieben sind, bekommen. Von Baron A. de Foelkersam stammt die folgende Beschreibung: »Das Bernsteinzimmer ist nicht nur wegen des hohen Materialwertes, des kunstvollen Schnitts und der Auserlesenheit der Formen, sondern hauptsächlich dank dem herrlichen, bald dunklen, bald hellen, aber stets warmen Ton des Bernsteins, der dem ganzen Zimmer eine unsagbare Schönheit verleiht, ein wahres Wunder. Alle Wände des Saales sind ganz mit einem Mosaik aus der Form und Größe nach unregelmäßigen Stückchen polierten Bernsteins fast gleichmäßiger gelbbrauner Farbe verkleidet. Durch im Reliefschnitt ausgeführte Rahmen aus Bernstein sind die Wände in Felder unterteilt, deren Mitte vier römische Mosaiklandschaften mit allegorischen Darstellungen von vier der fünf menschlichen Sinne zieren. Diese Bilder sind in Musivarbeit (Mosaik) aus farbigen Steinen ausgeführt und in die Reliefrahmen aus Bernstein eingesetzt.. .. Das Bernsteinzimmer ist zwielichtig und geht mit drei Fenstern, die bis zum Boden reichen, auf den Schlossplatz hinaus. An der Wand zwischen den Fenstern sind ebenfalls bis zum Boden reichende Spiegel, auf den vergoldeten Stuckrahmen Rocailleornamente. Zwischen den Spiegeln befinden sich vergoldete Wandleuchter, die reich mit dem gleichen Ornament verziert sind. In den Vitrinen unter den Fenstern stehen Nippes aus Bernstein. Da gibt es Schachfiguren, Tabakdosen, Kästchen. ..«. In heutiger Währung wäre das Bernsteinzimmer wohl rund 128 Millionen Euro wert.
 
 Schicksal des Bernsteinzimmers im Zweiten Weltkrieg
 
Als sich die deutschen Truppen 1941 Leningrad näherten, war nicht mehr genug Zeit, um die Bernsteinwände abzumontieren und in Sicherheit zu bringen. Sie wurden zum Schutz gegen Geschosse mit Holzbrettern verschalt und vergipst. Nach der Eroberung Zarskoje Selos durch deutsche Truppen wurde das Bernsteinzimmer demontiert und in 22 jeweils 4 Meter langen und 2 Meter breiten Kisten nach Königsberg gebracht, wo es im Herbst 1942 eintraf. Die Bernsteinwände schmückten dort einen Raum des Königsberger Schlosses, und ein Zeitzeuge, Generalfeldmarschall von Küchler (Oberbefehlshaber im Raum Leningrad), berichtete am 5. Juli 1946 unter Eid vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg: »Die abmontierten Platten (des Bernsteinzimmers) sollten in Riga aufbewahrt werden, da in Pleskau (Anmerkung der Redaktion: deutscher Name der russischen Stadt Pskow) kein geeigneter Raum für die sachgemäße Lagerung vorhanden war. Entgegen diesem von mir genehmigten Vorschlag, sind die Platten nach Königsberg geschafft worden. Ich hörte aber erst davon, als ich nach meiner Entlassung wieder in Königsberg meinen Wohnsitz nahm. Es wurde mir erzählt, das Zimmer sei im Königsberger Schloss aufgestellt worden. Ich ging hin und sah das Zimmer in einem Saal des Schlosses, zwar in etwas verkleinerter Form, wie mir schien, aber sonst tadellos erhalten aufgebaut. Das Bernsteinzimmer ist - wie das ganze Königsberger Schloss - durch den englischen Fliegerangriff im August 1944 zerstört worden.« Der Direktor der Kunstsammlungen der Stadt Königsberg Dr. Alfred Rohde berichtete jedoch am 2. September 1944, dass das Bernsteinzimmer »bis auf 6 Sockelplatten erhalten geblieben ist«. Hier verliert sich die Spur.
 
 Der Mythos Bernsteinzimmer
 
Als sich die russische Armee im Winter 1944 Königsberg näherte, suchte Dr. Rohde im Dezember 1944 in Sachsen nach einer sicheren Bleibe für seine Kunstschätze. Ob das Bernsteinzimmer dazugehörte, ist unklar. Dr. Rohde starb in den Nachkriegswirren im Dezember 1945. Zeitzeugen aus Königsberg berichteten, sie hätten das Bernsteinzimmer vor dem Fliegerangriff, in Kisten verpackt, in Königsberg gesehen, einmal im Keller des Schlosses, ein andermal in einem Hochbunker am botanischen Garten. Nach anderen Aussagen soll es zusammen mit den Särgen des Ehepaares Hindenburg im Januar 1945 auf dem Passagierschiff »Pretoria« nach Swinemünde (Świnoujście) und dann in den Kalischacht Bernterode östlich von Worbis gebracht worden sein. Auch die »Wilhelm Gustloff« wurde als Transportschiff genannt, sie sank nach Torpedobeschuss bei einer Evakuierungsaktion am 30. Januar 1945; polnische Taucher fanden in ihrem Frachtraum keine Spur des Zimmers. Der Feuerwehroberleutnant W. Stolzke aus Königsberg versicherte, dass das Bernsteinzimmer auf die Burg Lochstädt bei der Stadt Pillau (heute Baltisk im Gebiet Kaliningrad) gebracht worden sei.
 
 Die Sucher des verlorenen Schatzes
 
Schon ab Mai 1945 setzte die Suche nach dem Bernsteinzimmer durch sowjetische Wissenschaftler unter der Leitung des Kunstschutzoffiziers Professor Alexander Brjussow (Pseudonym: Victor Barsow) ein. Auch die Regierung der ehemaligen DDR zeigte Interesse an den Wandverkleidungen und setzte Paul Enke vom Dezernat Kunstfahndung der Staatssicherheit (Stasi) auf das Zimmer an. Millionen von Ostmark flossen in die Suche, hunderte von Schächten, Bunkern, Kellern und Seen wurden von Pionieren der Nationalen Volksarmee untersucht - jedoch ohne Erfolg. Enke war überzeugt, dass das Bernsteinzimmer als Teil der Beutekunstsammlung des ehemaligen Statthalters von Ostpreußen, Gauleiter Erich Koch, nach Weimar gebracht worden und von dort aus weiter nach Westsachsen gelangt sei. 1991 konzentrierte sich die Suche auf das Jonastal bei Ohrdruf in Thüringen, wo 1944 unter dem Tarnnamen »Olga« ein Bunkersystem aus 25 Stollen als letztes Führerhauptquartier geschaffen worden war. Schatzsucher aus Deutschland, Holland und Belgien drangen auf der Suche nach dem Bernsteinzimmer in das Bunkersystem unter einem ehemaligen sowjetischen Truppenübungsplatz ein, auch dieses Mal ohne Erfolg. Auch Weimar selbst blieb im gleichen Jahr vor den Schatzsuchern nicht verschont. Ein weit verzweigtes Bunkersystem der Nazis mit dem Decknamen »Werner« sollte diesmal das Bernsteinzimmer beherbergen. Hier wurden die Schatzsucher ebenso wenig fündig, wie im Jahre 1995 in einem Schacht bei Aue in Westsachsen, der im Zweiten Weltkrieg als Bunker diente. Wenn man alle Hinweise auf das Versteck des Bernsteinzimmers addiert, kommt man auf mehr als 100 Orte. Ein Rest von Hoffnung bleibt also noch, die Wandvertäfelungen oder Teile von ihnen zu finden.
 
 Die Rekonstruktion des Bernsteinzimmers
 
Ein neuer Impuls bei der Suche nach dem verschollenen Kleinod kam 1997 mit dem Auftauchen eines der ursprünglich vier im Bernsteinzimmer befindlichen Florentiner Mosaiken in Bremen und einer Kommode in Berlin, beides Kunstschätze, die von Experten zweifelsfrei als originale Stücke aus dem Bernsteinzimmer identifiziert wurden. Im April 2000 erfolgte im Rahmen des Austausches von Beutekunst die Rückgabe des Mosaiks und der Kommode an Russland, wo seit 1979 das Bernsteinzimmer rekonstruiert und an seinem alten Standort im Katharinenpalais in Puschkin neu aufgebaut wird. Der Abschluss der Arbeiten ist für das Jahr 2003, dem 300-jährigen Gründungsjubiläum von Sankt Petersburg, vorgesehen. Einen Vorgeschmack auf das kostbare Gesamtkunstwerk vermittelten unter anderem die Dortmunder Ausstellung »Mythos Bernsteinzimmer« vom 16. Februar bis zum 13. Mai 2001, die mit rund 250 Originalexponaten, Leihgaben aus der Zaristischen Bernsteinsammlung des Staatlichen Museums in Puschkin, sowie einigen Rekonstruktionen ein großes Publikum anzog, und die vom 14. Juli bis zum 15. September 2001 als virtuelles Erlebnis inszenierte Raumprojektion des Bernsteinzimmers im Multimedia-Ausstellungszentrum »Cube« in Essen, die es den Besuchern ermöglichte, per Joystick das Bernsteinzimmer an seinem ursprünglichen Ort zu erkunden.

Universal-Lexikon. 2012.