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persische Literatur
pẹrsische Literatur,
 
die in neupersischer Sprache geschriebene Literatur. Vorläufer der persischen Literatur waren die altiranischen Sakraltexte (Avesta) und das altpersische Schrifttum (altpersische Literatur) der Achaimeniden aus dem 6.-4. Jahrhundert v. Chr., das nur in Inschriften auf Felswänden (z. B. Bisutun), Bauwerken, Schrifttafeln, Gefäßen u. a. erhalten ist; es ist teils historisch-chronistischen Inhalts, teils formelhaft. Die mittelpersische Literatur (mittelpersische Sprache und Literatur) ging der neupersischen voran und wirkte besonders im Epos (v. a. dem »Schah-Name«) direkt auf diese ein.
 
Nach der Eroberung Irans durch die Araber in der Mitte des 7. Jahrhunderts war die mittelpersische Sprache des Sassanidenreichs aus dem höfischen und religiösen Leben verdrängt und durch das Arabische als neue Hochsprache ersetzt worden. An den Fürstenhöfen Khorasans (im Osten und Nordosten Irans) führte man jedoch zu Beginn des 10. Jahrhunderts das Persische wieder ein; die neupersische Schriftsprache wurde in der Folge zur Hof- und Verwaltungssprache nicht nur ganz Irans, sondern auch von Teilen Indiens, Zentral- und Kleinasiens.
 
Die Literatur in neupersischer Sprache entwickelte sich zunächst in enger Anlehnung an die arabische, von der sie die Metrik, die Versform, die Rhetorik und eine Anzahl von Gattungen übernahm, erlangte jedoch rasch Selbstständigkeit und wurde ihrerseits zum Vorbild für die Literaturen der indischen und türkischen Muslime.
 
Die frühe Zeit neupersischer Dichtung, als deren Meister Rudaki, Farrochi (✝ 1037 oder 1038), Unsuri und Manutschihri (✝ 1040 oder 1041) gelten, ist durch das Vorherrschen des höfischen Lobgedichts (meist in Form der Kasside) gekennzeichnet. Die Sprache dieser Dichtung ist entsprechend ihrer Funktion im Rahmen des höfischen Zeremoniells würdevoll und erhaben; im Mittelpunkt ihrer Thematik stehen neben dem Fürstenlob die Natur, das höfische Leben und der Krieg. Der Vierzeiler (Rubai) führt - mit gewissen Anpassungen an die arabische Metrik - in der neupersischen Poesie eine ältere einheimische Tradition weiter; seine durch knappen, pointierten Ausdruck charakterisierte Form eignet sich für den raschen poetischen Einfall ebenso wie für den philosophischen Sinnspruch. Im Westen besonders berühmt wurden (aufgrund der Nachdichtungen E. FitzGeralds) die Rubaijat des Omar-e Chajjam.
 
Zwar in arabischer Versform gehalten, aber ohne Entsprechung in der arabischen Literatur ist das persische Versepos, das mit Firdausis »Schah-Name« (Königsbuch) im 10. Jahrhundert einsetzte. Im »Schah-Name« kulminiert eine weit zurück reichende Tradition iranische Sagenstoffe; in seinem Umkreis entstanden weitere heroische Epen wie Asadis »Garschasp-Name« und Epen, die zeitgenössische Herrscherhäuser glorifizieren, bis hin zum »Schahinschah-Name«, das Fath Ali Khan (✝ 1866) für die Dynastie der Kadjaren verfasste.
 
Schon die Epik des »Schah-Name« prägt - außer dem heroischen - ein romantisches Element. Auf der Grundlage iranischer, arabischer, indischer und hellenistischer Quellen, geformt durch eine meisterhafte Erzählkunst und dem Ideal islamisch-iranischer Fürstenethik verpflichtet, erreichte das romantische Epos im Werk Nisamis seine vorbildliche Gestalt, die innerhalb und außerhalb des persischen Sprachraums zahlreiche Nachahmer fand.
 
Als dritte Gattung des Epos bildete sich - geprägt vom Einfluss Sanais - das mystische Lehrgedicht heraus. Nach Sanais »Garten der wahren Wirklichkeit« (Hadikat al-Hakika) setzten besonders die Werke Attars, v. a. die »Vogelgespräche« (Mantik at-Tair), und Djalal od-Din Rumis »Mesnewi«, Maßstäbe für diese Dichtung. Im Gegensatz zum vorherrschend narrativen und klar strukturierten Charakter des heroischen und romantischen Epos erscheint das mystische Lehrgedicht meist als Konglomerat von Predigten, Unterweisungen und illustrativen Anekdoten ohne erkennbares Formprinzip.
 
In einer Zeit politischer Unruhen im Zeichen des Niedergangs des Reichs der Großseldschuken erreichte die Lobdichtung mit Anwari, Chakani (* 1121, ✝ 1199) und Kamal od-Din Ismail (* etwa 1172, ✝ 1237) ihren künstlerischen Höhepunkt; sie war aber so stark mit rethorischem Raffinement und gelehrten Inhalten durchwirkt, dass sie kaum mehr im unmittelbaren Vortrag, sondern v. a. in stiller Lektüre verstehbar erschien.
 
Nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung unter dem Ansturm der Mongolen um die Mitte des 13. Jahrhunderts verlor die Kasside ihre vorherrschende Stellung und wich dem Ghasel, das in der persischen Dichtung Eigenheiten gegenüber dem arabischen Ghasel aufweist. Als Wegbereiter der Ghaselendichtung gelten Sanai und Saadi. Vollender dieser Form und unübertroffenes Vorbild aber ist Hafis, dessen Ghaselen eine verständliche Sprache mit unaufdringlich rethorischer Raffinesse und vollendeter Klangwirkung verbinden. Mit Hafis' Ghaselen festigte sich in der persischen Literatur endgültig eine Tradition lyrischen Dichtens, die strengen Konventionen folgte und die Originalität des Dichters in eng umschriebene Bahnen lenkte. Das Ghasel kreist in der Regel um die Themen Liebe, Wein und Natur, seine Aussage kann jedoch aufgrund der durch zahlreiche gedankliche und bildliche Andeutungen und Verweise bewirkten Mehrdeutigkeit der poetischen Sprache auch auf andere Bereiche (besonders Fürstenlob und Mystik) bezogen werden.
 
Das Ghasel war die dominierende Form einer vom 16. bis zum 19. Jahrhundert andauernden Stilepoche. Diese wird als die Epoche des »indischen Stils« bezeichnet. Charakteristisch sind die extreme Verdichtung der Aussage durch die Verknüpfung einer Vielzahl von Assoziationen und Bedeutungsschichten im einzelnen Vers, die fast vollständige Unabhängigkeit der Einzelverse untereinander und eine manierierte, bisweilen ins Bizarre gehende Bildersprache. Als bedeutendster Repräsentant des indischen Stils gilt Saib aus Schiras, als extremster Bidel (auch: Bedil, * 1644, ✝ 1721) aus Azimabad (Indien).
 
Als Reaktion auf die Ästhetik des indischen Stils folgte im 19. Jahrhundert die Rückwendung (Basgascht) zur Literatur der frühen Zeit. Dichter wie Kaani versuchten, die Erhabenheit der alten Kassidendichtung und die Eleganz des Stils Saadis wiederzugewinnen, vermochten jedoch nichts Eigenständiges, Neues zu schaffen. Inhaltlich wurde bis ins 20. Jahrhundert der Themenkreis der Dichtung auf die Bereiche ausgeweitet, die unter dem Einfluss Europas in einem raschen Wandel standen, besonders die gesellschaftlichen Verhältnisse, das wissenschaftliche Weltbild und das politische Schicksal der Nation.
 
In Form und Ausdruck folgte die persische Literatur jedoch weitgehend der Tradition, bis um 1920 Nima Juschidj auch hier mit den überkommenen Regeln brach und den Weg für eine revolutionäre Umgestaltung der Poesie bereitete. Das neue Dichten (Scher-e nu) behauptete sich trotz heftiger Anfeindungen als die in die Zukunft weisende Richtung der persischen Lyrik. Seit dem Bruch mit der traditionellen Poetik experimentierte man mit zahlreichen Formen, entwickelte eine neue Bildersprache und öffnete sich den weltweiten Strömungen der modernen Literatur. Zu den wichtigsten Repräsentanten der zeitgenössischen persischen Lyrik gehören F. Farrochsad, Ahmad Schamlu (* 1926), Mehdi Achawan-e Sales (* 1928, ✝ 1990) und Nadir Nadirpur (* 1929).
 
Neben der Lyrik spielte die Prosa von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert hinein nur eine untergeordnete Rolle. Zwar entwickelte sich eine stilistisch geschliffene Prosasprache, doch waren Werke belletristischen Charakters nicht sehr zahlreich; Prosaliteratur liegt überwiegend in Form von Historiographie, Fürstenspiegeln, Reiseberichten u. a. Sachprosa vor. Zu den wichtigsten belletristischen Werken zählen neben Saadis »Rosengarten« (Gulistan) Hamidis (✝ 1163 oder 1164) Makamen (1115 ff.), Sahiris Sindbadbuch (1160) und Aufis Anekdotensammlung »Djawami al-Hikajat« (1233). Unter den Fürstenspiegeln ragen das »Kabus-Name« und das »Sijasat-Name« heraus, unter den Reiseberichten Nasir-e Chosrous »Safar-Name« und die Tagebücher Nasir od-Din Schahs; bedeutende Geschichtsschreiber waren Baihaki (✝ 1078), Wassaf (* 1264) und Hafis-e Abru (✝ 1430); Rustam al-Hukama (* etwa 1765, ✝ 1842) verband Historiographie und Belletristik.
 
Erst die tief greifenden gesellschaftlichen Umwälzungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts ließen eine reiche Prosaliteratur entstehen. Als ihr Begründer gilt M. A. Djamalsadeh, dessen Bruch mit der Tradition der höfisch gekünstelten Sprache und dessen Hinwendung zur Sprache des Alltags den Weg für eine neue Generation persischer Autoren bereitete. Von Anfang an wurde v. a. die Kurzprosa von den Schriftstellern gepflegt und vom Publikum geschätzt. Maßgebende Vertreter waren bis in die 1950er-Jahre v. a. S. Hidajat, S. Tschubak und Bozorg Alavi (* 1904, ✝ 1997), in den 60er-Jahren Djalal Al-e Ahmad (* 1923, ✝ 1969). Der Roman wurde trotz der Werke Tschubaks, Mohammad Ali Afghanis (* 1925), M. Doulatabadis und Ismail Fassihs (* 1935) nie völlig heimisch. Nicht nur in der Lyrik, sondern auch in der Prosa verschafften sich im 20. Jahrhundert die Frauen Gehör; eine ihrer gewichtigsten Stimmen ist Simin Daneschwar (* 1921).
 
Neu in der zeitgenössischen Literatur ist das Drama, das in der persischen Tradition nur in Form des schiitischen Passionsspiels (Tasije) verwurzelt ist. Gespielt wurden vor dem Zweiten Weltkrieg v. a. europäische Dramatiker; eine ernst zu nehmende Aufführungspraxis setzte sich jedoch erst nach 1941 mit dem Wirken Sejed Ali Nasrs (* 1890, ✝ 1961) und des Schauspielers Abdolhossein Nuschin (* 1900, ✝ 1970) durch. Das zeitgenössische iranische Theaterschaffen wird v. a. durch die Werke von Gholamhossein Saedi (* 1935, ✝ 1985) und Bahram Beisaie (* 1938) repräsentiert.
 
Die Entwicklung der Prosaliteratur und des Dramas ist untrennbar mit den gesellschaftlichen Veränderungen und den politischen Strömungen des modernen Iran verbunden. Schriftsteller, die sich in ihren Werken mit der gesellschaftlichen und politischen Realität auseinander setzten, gerieten häufig in Konflikt mit der staatlichen Autorität. Viele von ihnen verbrachten Jahre im Gefängnis, einige, wie Djamalsadeh und Alavi, verließen Iran. Die Herrschaft Schah Resas (1926-41) und das letzte Jahrzehnt der Herrschaft seines Sohnes Mohammed Resa (bis 1979) waren Zeiten eines alle Kreativität erstickenden Drucks und einer strengen Zensur. Der Flucht des Schahs 1979 folgte ein kurzer »Frühling der Freiheit« (Bahar-e Asadi), in dem Literatur und Theater alle Möglichkeiten offen standen, doch zwang der Ausgang der politischen Machtkämpfe zugunsten der islamischen Revolutionäre anders Denkende bald ins Exil; die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse sowie der 1980 ausbrechende Golfkrieg erschwerten den in Iran Verbliebenen die schriftstellerische Arbeit.
 
Während von offizieller Seite eine massenwirksame Revolutionsliteratur, aber auch traditionelle Formen der Lyrik gefördert wurden, verstärkte sich bei den Schriftstellern, zunehmend auch Schriftstellerinnen, und ihren Lesern das Interesse am Roman, v. a. dem psychologischen Roman. In jüngster Zeit scheint sich eine allgemeine Liberalisierung auch in der Literatur bemerkbar zu machen.
 
Außerhalb des Iran kam im 20. Jahrhundert eine Modernisierung und Verselbstständigung der persischen Literatur in Afghanistan und Zentralasien (Tadschikistan) in Gang. Infolge politischer und gesellschaftlicher Unterschiede innerhalb des persischen Sprachraums ist der gegenseitige literarische Austausch jedoch nur gering. In Afghanistan stellte Mahmud Tarsi (* 1868, ✝ 1944) als Herausgeber der Zeitschrift »Siradj ol-Achbar« (1911-19) der modernen Prosaliteratur erstmals ein Forum zur Verfügung. Erzählende Literatur wurde zunächst in Fortsetzungen in Zeitungen und Zeitschriften publiziert, gegen Ende der 30er-Jahre erschienen auch Romane in Buchform. Die moderne tadschikische Prosa in persischer Sprache ist geprägt vom Vorbild Sadriddin Ainis (* 1878, ✝ 1954). Seine »Erinnerungen« (Yoddoschtho, 1948 bis 1954) gelten als unübertroffenes Meisterwerk tadschikischer Erzählkunst. Sie schildern mit nüchternem Realismus, zum Teil auch satirisch überzeichnet das Leben einfacher Leute im vorrevolutionären Tadschikistan und Usbekistan.
 
Literatur:
 
J. Rypka: Iran. Literaturgesch. (a. d. Tschech., Leipzig 1959);
 B. Alavi: Gesch. u. Entwicklung der modernen p. L. (Berlin-Ost 1964);
 F. Machalski: La littérature de l'Iran contemporain, 3 Bde. (Warschau 1965-80);
 H. Kamshad: Modern Persian prose literature (Cambridge 1966);
 
Moderne Erzähler der Welt: Afghanistan, hg. v. H. Geerken (1977);
 J. S. Meisami: Medieval Persian court poetry (Princeton, N. J., 1987);
 
Persian literature, hg. v. E. Yarshater (Albany, N. Y., 1988);
 N. Hadi: Dictionary of Indo-Persian literature (Delhi 1995);
 H. Kamshad: Modern Persian prose literature (Bethesada, Md., 1996);
 J. T. de Bruijn: Persian Sufi poetry (Surrey 1997);
 S. Makowski: Allahs trunkene Poeten. Islam. Liebesmystiker (Zürich 1997).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
islamische Literatur: Das Schrifttum der Araber, Perser und Türken
 

Universal-Lexikon. 2012.