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Mobbing
Schikane; Psychoterror am Arbeitsplatz

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Mọb|bing 〈n. 15; unz.〉 niederträchtiges Verunglimpfen, Schlechtmachen eines Mitarbeiters durch mehrere seiner Kollegen (mit dem Ziel, ihn zum Kündigen seines Arbeitsplatzes zu bewegen); →a. Bossing [<engl. mob „über jmdn. herfallen“]

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Mọb|bing, das; -s [anglisierende Bildung zu mobben] (Jargon):
das Mobben.

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Mọbbing
 
[zu englisch to mob »über (jemanden) herfallen«], aus dem englischen Sprachraum stammender, rechtlich bis in die allerjüngste Zeit nicht klar umrissener Begriff für eine Vielzahl von gezielt gegen eine Person gerichteten andauernden und wiederholt erfolgenden, böswilligen Handlungen durch eine oder mehrere Personen am Arbeitsplatz.
 
Begriffsentstehung und Begriffsinhalt:
 
Der Begriff Mobbing entstand in den 1990er-Jahren in den USA und wird in der gegenwärtigen Diskussion v. a. als ein Prozess beschrieben, der sich aus einem Konflikt im Arbeitsalltag in typischer Form fortentwickelt und schließlich eskaliert. Im Mobbingverlauf, der mehrere Jahre andauern kann, wird der Konflikt auf die Beziehungsebene verlagert; der beziehungsweise die Betroffene wird von Kollegen und/oder Vorgesetzten zunächst stigmatisiert, in der Folge (in zum Teil krimineller Weise) schikaniert und geschädigt und schließlich aus dem Arbeitsleben ausgeschlossen. Vereinzelt wird Mobbing gezielt eingesetzt, um auf »billige« Weise Personal zu reduzieren (K. Niedl). Als durch Mobbing psychisch belastet werden (statistisch) Menschen eingestuft, die einer oder mehreren von 45 konkret beschriebenen Handlungen in feindlicher Absicht ausgesetzt sind, und dies mindestens einmal wöchentlich bei einer Dauer von mindestens sechs Monaten (H. Leymann). Neben persönlichen (Antipathie gegenüber dem Gemobbten, Neid, Frustration der Mobber) und innerbetrieblichen Ursachen (ungünstige Zusammensetzung von Gruppen, autoritärer oder Laisser-faire-Führungsstil) wird Mobbing in der Fachliteratur (u. a. U. Brommer, H. Leymann) auf wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Faktoren zurückgeführt. Danach haben die rezessive Wirtschaftslage sowie der gesellschaftliche Strukturwandel vielfältige Auswirkungen auf die Spielräume der Individuen und ihre Kompetenz im Umgang mit Konflikten, wobei Prozesse des Wertewandels und der Individualisierung vor dem Hintergrund einer verstetigten Massenarbeitslosigkeit ein enthemmtes Konkurrenzdenken und -verhalten sowie die Entsolidarisierung der Menschen begünstigen.
 
Ergebnisse der Mobbingforschung:
 
Gegenstand wissenschaftlicher Forschung wurde die Mobbingproblematik Anfang der 1980er-Jahre in Skandinavien. Der ursprüngliche Forschungsansatz war arbeitsmedizinisch ausgerichtet, d. h., es wurde epidemiologisch untersucht, ob psychische oder psychosomatische Krankheiten in einen Zusammenhang mit Mobbing gebracht werden können. Eine repräsentative schwedische Untersuchung 1990 ergab, dass 3,5 % der arbeitenden Bevölkerung für die Dauer von durchschnittlich 15 Monaten von Mobbing betroffen sind. Männer und Frauen sind in nahezu gleichem Maße Mobbing ausgesetzt. Männer werden meist von Männern, Frauen von Frauen gemobbt, weil aufgrund der geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes Männer häufiger mit Männern und Frauen häufiger mit Frauen zusammenarbeiten. Hinsichtlich der Berufe und Branchen weisen die skandinavischen Untersuchungen deutliche Unterschiede aus: Angestellte des öffentlichen Dienstes (besonders des Bildungswesens) und Mitarbeiter in multinationalen Konzernen sind wesentlich häufiger von Mobbing betroffen als Mitarbeiter in kleineren Unternehmen beziehungsweise in Familienbetrieben. Für Deutschland liegt seit Juni 2002 erstmals eine repräsentative Mobbingstudie vor. Von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz- und Arbeitsmedizin in Auftrag gegeben, weist sie rd. 800 000 Arbeitnehmer (= 2,7 % der abhängig Beschäftigten) als aktuell von Mobbing betroffen aus (Untersuchungszeitraum 2001). Ein besonders hohes Mobbingrisiko wird für Beschäftige in sozialen Berufen (Erzieher, Sozialarbeiter, Pflegekräfte und andere), in Bezug auf das Lebensalter für jüngere (unter 25 Jahre) und für ältere (über 55 Jahre) Arbeitnehmer konstatiert, wobei im höheren Maße Frauen als Männer von Mobbing betroffen sind.
 
Verlauf und Ausprägung von Mobbing:
 
Konflikte im Arbeitsbereich können in Mobbing münden, wenn Interventionen, v. a. durch Vorgesetzte, ausbleiben. Werden Konflikte über lange Zeit nicht »entschärft«, und gerät das Kräfteverhältnis der Kontrahenten aus dem Gleichgewicht, dann wird der Konflikt personifiziert, und es kommt zu Handlungen, die sich gegen eine bestimmte Person richten.
 
Die mobbingrelevanten Handlungen lassen sich - bezogen auf die Auswirkungen für das Opfer - in fünf Gruppen einteilen (Leymann): 1) Angriffe auf die Möglichkeit, sich mitzuteilen (z. B. Kontaktverweigerung, Ausschluss von geselligen Zusammenkünften); 2) Angriffe auf die sozialen Beziehungen (z. B. räumliche Isolierung, Informationen werden nicht oder verfälscht weitergegeben); 3) Angriffe auf das soziale Ansehen (z. B. üble Nachrede, Anschwärzen beim Vorgesetzten); 4) Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation (z. B. geistiger Diebstahl, Öffentlichmachen vertraulicher Informationen über den Betroffenen); 5) Angriffe auf die Gesundheit (z. B. Androhung körperlicher Gewalt, sexuelle Tätlichkeiten).
 
Beim Übergriff eines Vorgesetzten auf einen unterstellen Mitarbeiter (auch Bossing genannt) kommt es typischerweise zum Machtmissbrauch (B. Huber), der ebenfalls vielfältige Formen annehmen kann (z. B. Zuweisung erniedrigender Aufgaben, Dauerkontrolle, Über- oder Unterforderung).
 
Folgen von Mobbing und Gegenstrategien:
 
Mobbing zeigt massive Auswirkungen auf der individuellen und der betrieblichen Ebene. Für die Betroffenen kann es langfristig zu psychischen (Stress, Schlafstörungen, Nervosität, Angst u. a.), psychosomatischen (Atemnot, Schweißausbrüche, Rückenschmerzen, Magen-Darm-Erkrankungen u. a.) und zu weiteren, das gesamte persönliche Leben betreffende Folgen (z. B. Verlust des Arbeitsplatzes, Einweisung in eine psychiatrische Anstalt, Frühverrentung) kommen. Die empfohlenen Gegenstrategien verfolgen überwiegend die Stärkung der Gesundheit und des Selbstbewusstseins des Mobbingopfers einerseits und die offensive, kommunikative Konfliktlösung andererseits. Die »Gesellschaft gegen psychosozialen Stress und Mobbing e. V.« hat in Zusammenarbeit mit der AOK, der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG; 2001 in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft [ver.di] aufgegangen) und dem »Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt« (KDA) ein Mobbingtelefon eingerichtet, an das sich Mobbingopfer wenden können. Auf der betrieblichen Ebene führt Mobbing schließlich zu einer sinkenden Rentabilität infolge Fehlzeiten, Fluktuation und verringerter Flexibilität. Die Arbeitsmoral und das ethische Niveau sinken, das Betriebsklima verschlechtert sich, die Arbeitsproduktivität nimmt ab, das Ansehen des Unternehmens kann beschädigt werden.
 
Rechtliche Aspekte:
 
Während in Schweden bereits Ende der 1970er-Jahre die Gewährleistung des psychischen neben dem physischen Wohlbefinden der Arbeitnehmer thematisiert und im Arbeitsrecht verankert wurde, steht eine derartige Entwicklung in Deutschland noch aus, sodass das arbeitsrechtliche Instrumentarium zur Bekämpfung von Mobbing derzeit sehr begrenzt ist. Der betroffene Arbeitnehmer kann sich im Wege der Beschwerde an den Betriebsrat oder den Arbeitgeber wenden (§§ 84 ff. Betriebsverfassungsgesetz). Er kann vom Arbeitgeber aufgrund der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht (Fürsorgepflicht) Schutz vor den Mobbenden verlangen. Insoweit trägt er jedoch die Darlegungs- und Beweislast, dass er zu Unrecht angegriffen wird. Geht der Arbeitgeber seinerseits gegen Mobbende durch Abmahnung oder Kündigung vor, ist er darlegungs- und beweispflichtig für die Rechtfertigung der getroffenen Maßnahmen. Er benötigt dafür eine sichere Ausgangslage, die wiederum der betroffene Arbeitnehmer zu liefern hat. Mobbing kann bei entsprechender Schwere der rechtswidrigen Handlungen eine Kündigung des Mobbenden rechtfertigen. Der Gemobbte kann auch von seinen Arbeitskollegen oder seinen Vorgesetzten vor den Arbeitsgerichten (§ 2 Arbeitsgerichtsgesetz) Unterlassung oder Schadensersatz verlangen. Die Darlegungslast ist auch in diesem Fall häufig schwierig, da sich der »tägliche Nadelstich« dem Beweis und seiner Rechtfertigung entzieht. Das Beschäftigtenschutzgesetz vom 24. 6. 1994 bietet nur dann erweiterte prozessuale Möglichkeiten, wenn die Mobbingmaßnahmen auf sexuellem Gebiet liegen. Unabhängig von der prozessualen Position hat der Betriebsrat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alle Arbeitnehmer gemäß § 75 Betriebsverfassungsgesetz nach Recht und Billigkeit behandelt werden. Im grundsätzlichen Sinn definiert wurde Mobbing in der Rechtsprechung in Deutschland erstmals 2001 in einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Thüringen; als »fortgesetzte, aufeinander aufbauende oder ineinander übergreifende, der Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dienende Verhaltensweisen, die nach Art und Ablauf im Regelfall einer übergeordneten, von der Rechtsordnung nicht gedeckten Zielsetzung förderlich sind und jedenfalls in ihrer Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder andere, ebenso geschützte Rechte, wie die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzen«.
 
Literatur:
 
B. Huber: M. Psychoterror am Arbeitsplatz (1993);
 R. F. Thomas: Chefsache M. Souverän gegen Psychoterror am Arbeitsplatz (1993);
 U. Brommer: M. Psycho-Krieg am Arbeitsplatz u. was man dagegen tun kann (1995);
 
Der neue M.-Bericht. Erfahrungen u. Initiativen, Auswege u. Hilfsangebote, hg. v. H. Leymann (1995);
 K. Niedl: M., Bullying am Arbeitsplatz (1995);
 H. Leymann: M. Psychoterror am Arbeitsplatz u. wie man sich dagegen wehren kann (40.-44. Tsd. 1996);
 A. Esser u. M. Wolmerath: M. Der Ratgeber für Betroffene u. ihre Interessenvertretung (1997);
 W.-D. u. Renate Kraus: M. Die Zeitbombe am Arbeitsplatz (32000);
 I. Schild: M. Konflikteskalation am Arbeitsplatz - Möglichkeiten der Prävention u. Intervention (2001).

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Mọb|bing, das; -s [anglisierende Bildung zu ↑mobben] (Jargon): das Mobben: „Mobbing“ ... wird im Fachjargon das sich ausbreitende Phänomen der psychosozialen Folter an der Arbeitsstelle genannt (Welt 18. 1. 92, 1).

Universal-Lexikon. 2012.