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Visualisierung
Abbildung; Wiedergabe; Illustration; Spiegelbild; Darstellung; Abbild

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Vi|su|a|li|sie|rung 〈[ vi-] f. 20das Visualisieren, das Visualisiertwerden

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Vi|su|a|li|sie|rung, die; -, -en (Werbespr.):
das Visualisieren; das Visualisiertwerden.

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Visualisierung
 
[v- ], Bezeichnung für bildliche Formulierung und Kommunikation, d. h. für Aufbereitung von Information mit v. a. bildlichen Mitteln wie auch für visuelle Wahrnehmung (Sehen). Daneben wird der Begriff im heutigen, auch wissenschaftlichen Sprachgebrauch oft unscharf verwendet, zum Teil sogar über den Bereich des Sehens hinaus, etwa für die Bereicherung der Sprache durch Lautmalerei oder mit Geräuschen, die beim Zuhörer innere Bilder entstehen lassen.
 
Wenn auch das menschliche Auge eines der wichtigsten Sinnesorgane für die Kommunikation ist, so war doch die Speicherung der optischen Information, v. a. hinsichtlich der Aufbewahrung, der Vervielfältigung und des Transports ihrer Medien, lange Zeit schwierig. Sprache und (Buchstaben-)Schrift erwiesen sich als funktionalere und praktikablere Medien als die Bilder und hatten demnach größere Bedeutung für Information und Kommunikation. Erst die Erfindung von Fotografie und Film im 19. Jahrhundert bedeutete einen entscheidenden Schritt zur Visualisierung von Information und Kommunikation in Zeitung, Illustrierter und Kino. Das Bedürfnis nach einer »Plastizität« des Kommunikationsmediums, das von Sprache und Schrift nur wenig erfüllt werden kann, und nach einer international verständlichen Zeichensprache führte auch zu weltweit verbreiteten Formen von Bildschriften wie Zeichen, Icons, Piktogrammen, Symbolen. Die Entwicklung der elektronischen Technologien (Fernsehen, Video- und Computertechnik) im 20. Jahrhundert eröffnete der Bildkommunikation bislang nicht gekannte Möglichkeiten (Massenmedien). Die Visualisierung dient nicht nur als Zusatzinformation oder Illustration, sie drückt komplexe Inhalte mit eigenen Mitteln aus (Symbol, Zeichen) und behauptet einen Platz neben den Medien Sprache und Schrift. Alle drei treten damit in Interaktion. Ein Zusammenwirken von Sprache und Bild in der Textgestaltung dient dazu, Informationen zu präzisieren und deren Verstehen zu steuern. Entsprechend den Erkenntnissen der Hirnforschung (R. W. Sperry u. a.), wonach in der Regel in der linken Gehirnhälfte die sprachlichen, in der rechten die visuell-räumlichen und intuitiven Fähigkeiten dominieren, soll eine Verbindung von Text und Bild ein effizienteres Lernen ermöglichen, da so beide Gehirnhälften stärker aktiviert werden als bei nur sprachlichem Lernen.
 
Die technischen Möglichkeiten der Visualisierung haben zu einer scheinbaren Auflösung der herkömmlichen Begrenzungen von Raum und Zeit, der Spannung von Distanz und Nähe miteinander kommunizierender Individuen geführt, bis hin zu einer Verschmelzung von wahrnehmendem Subjekt (Betrachter) und wahrgenommenem Objekt im Bildraum »virtueller Wirklichkeiten« (virtuelle Realität). Die grundlegenden Erweiterungen und Veränderungen menschlichen Sehens durch die Technik geben auch Anlass zu philosophisch-ästhetischen Betrachtungen und praktisch-ethische Erwägungen über Bedeutung und Verwendung der technischen Möglichkeiten durch den handelnden Menschen.
 
 Bewertungen visueller Information
 
In der Regel wird der optischen Kommunikation eine starke Emotionalität zugesprochen. Emotionalität und Spontaneität der optischen Wahrnehmung dienen sehr unterschiedlichen Zwecken (z. B. der Sammlung beim religiösen Andachtsbild, der politischen Propaganda und der Werbung). Entsprechend kontrovers sind die Bewertungen visueller Darstellung. In zahlreichen Kulten und Religionen wird den bildlichen Darstellungen göttlicher Mächte selbst eine numinose Kraft zugeschrieben, die eine unmittelbare Wirkung auf den Betrachter hat. Selbst das Bilderverbot z. B. des Judentums entspringt keiner Geringschätzung des Bildes, sondern vielmehr der Scheu vor einer magischen Wirkung der Darstellung von Gottes Ebenbild, dem Menschen. Aus einem ähnlichen Verständnis galten die Christus- und Heiligenikonen in den Ostkirchen nicht nur als Möglichkeit, die Welt der himmlischen Verklärung zu schauen, sondern auch als Manifestationen der himmlischen Herrlichkeit. Kritik erfuhr die bildliche Darstellung jedoch z. B. durch Platon, der Kunstwerke als »Schein vom Schein« ansah, als Abbilder der Erscheinungen, die ihrerseits nur Abbilder der Urbilder (Ideen) seien. Im Bereich des Christentums wurde die Bilderverehrung in den Ostkirchen im 8. und 9. Jahrhundert (Bilderstreit) sowie im Westen im 16. Jahrhundert durch die Reformation (Bildersturm) bekämpft.
 
Im 20. Jahrhundert erfuhr die Visualisierung ebenfalls Zustimmung wie Ablehnung. B. Brecht erkannte die Manipulierbarkeit durch Bilder und sah »die Fotografie in den Händen der Bourgeoisie zu einer furchtbaren Waffe gegen die Wahrheit« werden. Der französische Philosoph Jean Baudrillard (* 1929) spricht mit Bezug auf die audiovisuellen elektronischen Medien von der endlosen Angleichung des Menschen an sich selbst, indem der Betrachter sich auf dem Fernsehbildschirm in der anonymen Masse allseits vervielfacht findet und dabei doch stets nur bei sich selbst bleibt. Das Sehen ist nicht mehr »organisches Berühren« wie die Wahrnehmung der umgebenden Welt, sondern »digitales Abtasten«, »hautnahes Aufeinanderstoßen« von Auge und Bild, das sich paradoxerweise zugleich in einer unüberwindbaren Entfernung befindet. Auch der französische Urbanist Paul Virilio (* 1932) hebt kritisch die Fremdbestimmtheit des Menschen durch die neuen Medien hervor. Ursprüngliche Empfindungen und eigenes Entdecken werden zunichte gemacht; die optische Täuschung wird zur Wahrheit des Lebens, zum Surrogat, das aktuelle Wirklichkeit (wie Leid und Elend) vergessen lässt. - Allgemein sehen Kulturpessimisten den Bedeutungsrückgang von Schrift und Sprache als Dilemma der Kultur an und führen den wachsenden Sekundäranalphabetismus in hoch entwickelten Industrienationen auf die Verbreitung audiovisueller Medien zurück.
 
Daneben findet sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch die Bejahung der Bildpresse als Mittel zu Bildung und Welterfahrung. In diesem Sinne gilt die Aussage von K. Tucholsky: »Ein Bild sagt mehr als tausend Worte«, mit der er die hohe Informationsdichte optischer Wahrnehmung anspricht, die schnell nachvollziehbar ist und mit dem Eindruck, die Dinge mit eigenen Augen sehen und miterleben zu können, Glaubwürdigkeit vermittelt. Anfang des 20. Jahrhunderts war O. Neurath mit anderen aus dem Wiener Kreis der Erste, der Bildzeichen (Icons) als feste Platzhalter in das Gebiet der »Diagrammatik« einbezog. Die Grundanliegen seiner Arbeit und der Entwicklung des International System of Picture Education (ISOTYPE) waren enzyklopädischer und pädagogischer Art: zum einen die »Entbabylonisierung« der Wissenschaft mithilfe einer universalen Sprache auf der Grundlage der Physik (Physikalismus), zum anderen die Massenbildung, v. a. der Arbeiter, durch Bildgrafiken. Er hielt es für notwendig, konventionellen Medien wie der Sprache ein visuelles System zur Seite zu stellen, da es oft schwer sei, in Worten zu sagen, was dem Auge direkt klar erscheine, oft aber auch genauso schwer, ein Bild von einem einfachen Satz zu machen. Daher forderte er zu prüfen, welche »Sprache« für welchen Zweck am besten geeignet sei.
 
 Möglichkeiten der elektronischen Bildverarbeitung
 
Der englische Begriff »visualization« ist stärker als die deutsche Entsprechung auf das Formen eines geistigen Bildes von etwas nicht real Vorhandenem, Abstraktem festgelegt. Dabei geht es um das Sichtbarmachen von Gedanken, das Formulieren von nicht Sag- und Schreibbarem. In Bereichen wie Astronomie, Meteorologie und Geographie wird diese Form der Visualisierung traditionell zur Erstellung von Karten, Diagrammen u. a. Formen von Schaubildern eingesetzt. Auch in den anderen Naturwissenschaften sowie in der Statistik werden seit langem bildliche Veranschaulichungen verwendet, wenn Aussagen oder Formeln wegen ihrer Komplexität unübersichtlich oder schwer verständlich werden. Eine Ausweitung ihrer Möglichkeiten erfuhr die Visualisierung seit der Entwicklung leistungsfähiger elektronischer Rechner. Mit ihrer Hilfe lassen sich von Daten »Datenbilder« erstellen, die es erlauben, die Informationsmengen zu interpretieren und zu vermitteln. Angewandt werden diese Verfahren auf Messdaten in den Naturwissenschaften und der Medizin, auf theoretischen Modelldaten z. B. in Molekulardynamik, CAD, Wirtschaftswissenschaft, Produktdesign oder Architektur sowie im Bereich von Kunst und Unterhaltung (z. B. Grafiken, Animationen, Filmtricks; Computergrafik, Multimedia). »Molecular Modeling« ist z. B. eine Methode der Pharmakologie, mit der die Wirksamkeit eines Heilmittels durch Simulation und Variation molekularer Strukturen noch vor der Synthetisierung in gewissen Grenzen berechnet werden kann. In der Medizin erlauben bildgebende Verfahren (Computer- und Kernspintomographie, Ultraschalldiagnostik) zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken Schnittdarstellungen von Körperteilen (z. B. Gehirn, innere Organe), die sogar zu räumlichen Darstellungen verknüpft werden können. Ein Beispiel für die Visualisierung selbst abstrakter mathematischer Strukturen ist die computergrafische Darstellung von Fraktalen (Fraktalgeometrie). Durch die Möglichkeiten zur Optimierung von Forschung, Planung und Produktion, aber auch durch die kommerzielle Verwertbarkeit im gewerblichen, Unterhaltungs- und Freizeitmarkt (z. B. bei Anwendungssoftware und Computerspielen, Fahr- und Flugsimulatoren) kommt besonders der elektronischen Visualisierung eine hohe ökonomische Bedeutung zu.
 
Der technologischen Entwicklung im Bereich der Visualisierung und ihrer Anwendung muss die Bestimmung der Funktion der technischen Innovationen folgen; denn diese können sowohl Tendenzen eines Rückzugs des Individuums aus der Welt bis hin zur seelisch-geistigen Verarmung fördern als auch zu einer geistigen Weiterentwicklung durch Erschließung neuer Erfahrungsräume führen. Es scheint sich die Notwendigkeit abzuzeichnen, v. a. in Anbetracht der Fülle der optischen Informationen aus den verschiedensten Medien, Methoden ihrer Verarbeitung, d. h. des »Sehens«, zu entwickeln.
 
Literatur:
 
J. Baudrillard: Das Andere selbst (a. d. Frz., Wien 1987);
 T. Poggio: Wie Computer u. Menschen sehen, in: Wahrnehmung u. visuelles System, Beitrr. v. M. Ritter u. a. (21987);
 P. Virilio: Die Sehmaschine (a. d. Frz., 1989);
 J. Domsich: V. - Ein kulturelles Defizit? Der Konflikt von Sprache, Schr. u. Bild (Wien 1991);
 Karl H. Müller: Symbole, Statistik, Computer, Design. Otto Neuraths Bildpädagogik im Computerzeitalter (ebd. 1991);
 R. A. Earnshaw u. N. Wiseman: An introductory guide to scientific visualization (Berlin 1992);
 
Scientific visualization. Techniques and applications, hg. v. K. W. Brodlie u. a. (ebd. 1992);
 
Bilder, Symbole, Metaphern. V. u. Informierung in der Moderne, hg. v. J. Hofbauer u. a. (Wien 1995).

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Vi|su|a|li|sie|rung, die; -, -en (Werbespr.): das Visualisieren, Visualisiertwerden.

Universal-Lexikon. 2012.