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Thomas
Tho|mas [nach dem Apostel Thomas, vgl. Joh. 20, 24–29]:
in der Fügung ungläubiger T. (Mensch, der nicht bereit ist, etw. zu glauben, wovon er sich nicht selbst überzeugt hat).

* * *

I
Thomas,
 
Neues Testament: ein Jünger Jesu, einer der zwölf Apostel (Markus 3, 18). Er wird in allen Evangelien genannt, aber nur im Johannesevangelium findet sich eine Ausgestaltung seiner Person (z. B. Johannes 11, 16; 14, 5; 21, 2). In Johannes 20, 24 folgende erscheint Thomas als Typus des Zweiflers an der Osterbotschaft (»ungläubiger Thomas«). - Nach der Legende - im Anschluss an Johannes 11, 16, wo er als »Thomas, genannt Didymus (Zwilling)«, bezeichnet wird - ist Thomas ein Zwillingsbruder Jesu und wird zum Teil mit Judas, dem Bruder des Herrenbruders Jakobus, gleichgesetzt, daher auch »Judas Thomas« genannt. Frühchristliche Quellen berichten von Thomas's Mission in Persien und Indien (Thomaschristen). Ein Martyrium des Thomas wird zuerst in den Thomas-Akten bezeugt; seine Gebeine seien nach Edessa gebracht worden. - Heiliger (Tag: in der lateinischen Kirche 3. 7., bis 1969: 21. 12.; in den Ostkirchen zum Teil 6. 10.). Mit dem (ursprünglichen) Thomastag (21. 12.) und der Thomasnacht verbinden sich im Volksglauben besonders des süddeutschen und österreichischen Raumes vorchristliche Bräuche (besonderes Gebäck, Schreckgestalten, Orakelbefragung).
 
Die Verbindung des Thomas mit dem syrischen Raum spiegelt sich auch in verschiedenen apokryphen Schriften wider, die ihm zugeschrieben werden: Die in syrischer Übersetzung erhaltenen, ursprünglich in griechischer Sprache verfassten Thomas-Akten (3. Jahrhundert) sind eine romanhafte Erzählung (Wunder, Aposteltaten, Wirken in Indien) mit symbolisch-typologischer Bedeutung. Thomas wird darin als Zwilling Jesu beschrieben. Ein poetischer Höhepunkt des gnostisch geprägten Werkes, das sowohl von Manichäern als auch in modifizierter Form von Christen gelesen wurde, ist das »Perlenlied«. Die Thomas-Apokalypse (vor dem 5. Jahrhundert) enthält die vorgebliche Offenbarung von Begebenheiten des Jüngsten Tages im Sieben-Tage-Schema an Thomas. Das koptische Thomas-Evangelium (um 400) ist ein in der ägyptischen Nag-Hammadi-Bibliothek wieder entdecktes apokryphes Evangelium, das gegenüber der ursprünglichen griechischen Vorlage aus Syrien (Mitte 2. Jahrhundert, vielleicht mit älterem Material; Fragmente in den Oxyrhynchos-Papyri, 653/654) jedoch gnostisch bearbeitet wurde. Es ist eine reine Sammlung von Logien Jesu, deren Quellen noch umstritten sind. Parallelen zu den Synoptikern sind vorhanden, lassen aber keine direkte Abhängigkeit erkennen; ein großer Teil erweist sich als unbekannte Jesusworte und Agrapha. Das (Kindheits-)Evangelium des Thomas (ebenfalls als Thomas-Evangelium bezeichnet) enthält wohl Ende des 2. Jahrhunderts ursprünglich griechisch abgefasste wundersame Geschichten über den fünf- bis zwölfjährigen Jesus; die Erzählungen sind in heidenchristlichen Kreisen entstanden und haben die Volksfrömmigkeit stark beeinflusst. Das Buch des Thomas (vor Mitte 4. Jahrhundert) ist ein in der Nag-Hammadi-Bibliothek gefundenes koptisches, sonst unbekanntes, ursprünglich wohl griechisch verfasstes Werk, vermutlich eine Überarbeitung einer älteren jüdischen Weisheitsschrift mit einem Dialog zwischen Thomas und Jesus über die Erlösung.
 
In der bildenden Kunst erscheint Thomas zunächst jugendlich, ohne Bart, seit dem 13. Jahrhundert häufiger mit Bart (französische Kathedralplastik). Die Szene des »ungläubigen Thomas« findet sich seit dem 8. Jahrhundert, z. B. im 14. Jahrhundert auf Gemälden von Giovanni da Milano, später bei A. del Verrocchio, beim Meister des Bartholomäusaltars, bei P. P. Rubens, H. Terbrugghen, M. Preti, S. Lega, J. Overbeck, E. Nolde u. a. Wie alle Apostel hat Thomas als Attribute Buch und Schriftrolle, als Hinweis auf sein Martyrium Lanze und Schwert, auf seinen legendären Beruf als Baumeister das Winkelmaß.
 
Literatur:
 
W. Schrage: Das Verhältnis des T.-Evangeliums zu synopt. Tradition u. zu den kopt. Evangelienübers. (1964);
 A. F. J. Klijn: Edessa, die Stadt des Apostels T. (a. d. Niederländ., 1965);
 
Das Evangelium nach T., hg. v. J. Leipoldt (1967);
 
Die alten lat. T.-Akten, hg. v. K. Zelzer (Berlin-Ost 1977);
 M. Fieger: T.-Evangelium (1991);
 
Neutestamentl. Apokryphen in dt. Übers., hg. v. W. Schneemelcher, Bd. 2 (61997).
 
II
Thomas,
 
1) [tɔ'ma], Charles Louis Ambroise, französischer Komponist, * Metz 5. 8. 1811, ✝ Paris 12. 2. 1896; studierte am Pariser Conservatoire u. a. bei F. W. Kalkbrenner und J.-F. Le Sueur, erhielt 1832 den Rompreis, kehrte 1836 nach Paris zurück, wurde 1856 Professor für Komposition am Conservatoire und 1871 dessen Direktor. Thomas war zu seiner Zeit einer der geschätztesten und erfolgreichsten Opernkomponisten. Er schrieb komische Opern, u. a. »Le Caïd« (1849), die zum Teil als Vorläufer der Operetten J. Offenbachs gelten können, fand jedoch mit »Mignon« (1866, nach Goethes »Wilhelm Meisters Lehrjahre«) und »Hamlet« (1868) zu einem ernsteren, romantisch eingefärbten Genre. Thomas komponierte ferner Ballette, Kammermusik sowie geistliche und weltliche Vokalwerke.
 
 2) ['tɔməs], D. M. (Donald Michael), englischer Schriftsteller, * Redruth (County Cornwall) 27. 1. 1935; wuchs zum Teil in Australien auf, studierte in Oxford; seine epische Züge aufweisenden, fantastischen wie mythologischen Elemente integrierenden Gedichte umkreisen, in Anlehnung an die Triebtheorie S. Freuds, die Pole Liebe und Tod (»Personal and possessive«, 1964; »Love and other deaths«, 1975; »The honeymoon voyage«, 1978; »Dreaming in bronze«, 1981). Bekannt wurde Thomas v. a. durch seine zum Teil experimentellen Romane, so »Birthstone« (1980), eine Realität und Traum verbindende Identitätssuche, besonders aber »The white hotel« (1981; deutsch »Das weiße Hotel«), der sich anhand der fiktiven Fallgeschichte einer Patientin Freuds mit der Erfahrung von Gewalt im Dritten Reich beschäftigt.
 
Weitere Werke: Romane: Ararat (1983); Swallow (1984); Sphinx (1986); Summit (1987); Lying together (1990); Eating Pavlova (1994).
 
Lyrik: Selected poems (1983).
 
 3) ['tɔməs], Dylan Marlais, walisischer Schriftsteller, * Swansea 27. 10. 1914, ✝ New York 9. 11. 1953; Journalist, lebte ab 1933 als freier Schriftsteller in London und Wales. Seine erste Gedichtsammlung (»Eighteen poems«, 1934) steht mit dunklen und assoziativ gereihten Bildern dem Surrealismus nahe und zeigt, wie auch die späteren Gedichte (»Collected poems, 1934-1952«, 1952), in Abwendung von der intellektuell-politischen Dichtung der 30er-Jahre, Ähnlichkeiten mit der Lyrik der Metaphysical Poets. Themen sind der Unschuldszustand der Kindheit, Liebe und Sexualität, die Allgegenwart des Todes und die Vision einer kosmischen Einheit des Seins. V. a. wegen der »trunkenen Syntax«, der Klang- und Bildfülle und der komplizierten Reimtechnik stieß das neuromantische Werk Thomas' bei der Kritik zum Teil auf Ablehnung. Während seiner Lesereisen durch die USA (1950, 1952, 1953) entstand sein Hauptwerk, das lyrische Hörspiel »Under milk wood« (herausgegeben 1954; deutsch »Unter dem Milchwald«; auch als Bühnenstück), das Stimmen aus einem walisischen Dorf zu einem komplexen Bild menschlicher Erfahrungen zusammenführt. Thomas verfasste auch autobiographische Kurzgeschichten (»Portrait of the artist as a young dog«, 1940; deutsch »Porträt des Künstlers als junger Dachs«, auch unter dem Titel »Porträt des Künstlers als junger Hund«), einen Roman (»Rebecca's daughters«, herausgegeben 1965; deutsch »Rebecca's Töchter«), ein Romanfragment (»Adventures in the skin trade«, herausgegeben 1955; deutsch »Abenteuer in Sachen Haut«) und Drehbücher (»The doctor and the devils«, endgültige Fassung 1953; deutsch »Der Doktor und die Teufel«).
 
Ausgaben: The poems, herausgegeben von D. Jones (Neuausgabe 1978); The collected stories (1983); The collected letters, herausgegeben von P. Ferris (1985); The notebook poems. 1930-1934, herausgegeben von R. Maud (1989); The broadcasts, herausgegeben von demselben (1991).
 
Ausgewählte Gedichte, übersetzt von E. Fried (Neuausgabe 1984); Ausgewählte Werke in Einzelausg., herausgegeben von K. Martens, auf mehrere Bände berechnet (1991 ff.).
 
Literatur:
 
C. Fitzgibbon: The life of D. T. (Neuausg. London 21975);
 P. Ferris: D. T. (Neuausg. Harmondsworth 1978, Nachdr. ebd. 1985);
 J. Ackerman: Welsh D. D. T.'s life, writing, and his Wales (Neuausg. London 1980);
 J. Ackerman: A D. T. companion (Neuausg. Basingstoke 1994);
 J. Ackerman: D. T. His life and work (ebd. 31996);
 
Critical essays on D. T., hg. v. G. Gaston (Boston, Mass., 1989);
 B. Read: D. T. (a. d. Engl., 16.-22 Tsd. 1989);
 W. Davies: D. T. (Neuausg. Cardiff 1990).
 
 4) ['tɔməs], Edward Donnall, amerikanischer Transplantationsmediziner und Hämatologe, * Mart (Texas) 15. 3. 1920; wurde 1963 Professor in Seattle (Washington) und Forschungsdirektor am dortigen Krebsforschungszentrum; erhielt für seine Entdeckungen auf dem Gebiet der Organ- und Zelltransplantation (v. a. des Knochenmarks) 1990 mit J. E. Murray den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.
 
 5) ['tɔməs], Jess Ford, amerikanischer Sänger (Tenor), * Hot Springs (S. D.) 4. 8. 1927, ✝ San Francisco (Calif.) 11. 10. 1993; debütierte 1957 in San Francisco (Calif.), wurde 1961 Mitglied der Bayerischen Staatsoper in München, 1965 der Wiener Staatsoper, 1969 der Deutschen Oper Berlin und 1973 des Zürcher Opernhauses. Thomas wurde besonders als Wagner-, Verdi- und Strauss-Interpret bekannt.
 
 6) Kurt, Komponist und Chorleiter, * Tönning 25. 5. 1904, ✝ Bad Oeynhausen 31. 3. 1973; war 1934-39 Professor an der Musikhochschule in Berlin, 1939-45 Direktor des Musischen Gymnasiums in Frankfurt am Main, 1947-55 Professor in Detmold, 1957-60 Thomaskantor in Leipzig, 1960-65 Leiter der Chorkonzerte des Bachvereins Köln, ab 1965 Professor in Lübeck. Er komponierte v. a. geistliche (»Markus-Passion«, 1927) und weltliche Chorwerke.
 
 7) ['tɔməs], Llewellyn Hilleth, amerikanischer Physiker britischer Herkunft, * London 21. 10. 1903, ✝ Raleigh (North Carolina) 20. 4. 1992; 1930-46 Professor in Columbus (Ohio), danach an der Columbia University in New York, 1968-76 in Raleigh (North C.). Arbeiten zur Quantenmechanik der Atome, v. a. zur Spin-Bahn-Wechselwirkung der Elektronen und zur Theorie der Teilchenbeschleuniger.
 
 8) ['tɔməs], Michael Tilson, amerikanischer Dirigent und Pianist, * Los Angeles (Calif.) 21. 12. 1944; studierte an der University of Southern California in Los Angeles; war 1971-79 Musikdirektor des Buffalo Philharmonic Orchestra, 1981-85 ständiger Gastdirigent des Los Angeles Philharmonic Orchestra sowie seit 1988 Chefdirigent des London Symphony Orchestra. 1995 wurde er zum Musikdirektor des San Francisco Symphony Orchestra berufen.
 
 9) ['tɔməs], Philip Edward, Pseudonym P. Eastaway ['iːstəweɪ], englischer Schriftsteller, * London 3. 3. 1878, ✝ (gefallen) bei Arras (Frankreich) 9. 4. 1917. Angeregt durch R. Frost, verfasste er pastorale Naturlyrik, die das Beobachtete in melancholisch-kritischer Brechung spiegelt, sowie kontemplative Kriegsgedichte; veröffentlichte topographische Prosa (»The heart of England«, 1906), Literaturkritik, Biographien (»Richard Jefferies«, 1909, und »Keats«, 1914) sowie einen Roman (»The happy-go-lucky-Morgans«, 1913).
 
Ausgaben: The collected poems, herausgegeben von R. G. Thomas (1978); Selected poems and prose, herausgegeben von D. Wright (1981).
 
Literatur:
 
R. G. Thomas: E. T. A portrait (Oxford 1985);
 
The art of E. T., hg. v. J. Barker (Bridgend 1987);
 A. Motion: The poetry of E. T. (Neuausg. London 1991).
 
 10) ['tɔməs], R. S. (Ronald Stuart), walisischer Lyriker, * Cardiff 29. 3. 1913, ✝ Pentrefelin (County Gwynedd) 25. 9. 2000; studierte Altphilologie und Theologie, war 1937-78 Landpfarrer in Wales. Seine schmucklos-schlichte, doch modulationsreiche christliche Lyrik ist geprägt vom Empfinden für die herbe walisische Landschaft und die in ihr verwurzelten Menschen.
 
Werke: Lyrik: Song at the year's turning (1955); Later poems (1983); Selected poems (1983); Destinations (1985); Welsh airs (1987); No truce with the furies (1995).
 
Ausgaben: Collected poems 1945-1990 (1993, Nachdruck 1996).
 
Das helle Feld (1995, Auswahl).
 
Literatur:
 
J. P. Ward: The poetry of R. S. T. (Bridgend 1987);
 W. M. Merchant: R. S. T. (Neuausg. Cardiff 1989);
 
Critical writings on R. S. T., hg. v. S. Anstey (Bridgend 21992).
 
 11) ['tɔməs], Sidney Gilchrist, britischer Metallurg, * Canonbury (heute zu London) 16. 4. 1850, ✝ Paris 1. 2. 1885; erfand 1876/77 mit seinem Vetter, dem Chemiker Percy Carlyle Gilchrist (* 1851, ✝ 1935), ein Verfahren zur Erzeugung von Eisen und Stahl aus phosphatreichem Erz (Thomas-Verfahren), das ab 1879 industriell eingesetzt wurde. Er ließ sich auch die Verwendung der entstehenden Schlacke als Düngemittel (Thomasmehl) patentieren.
 
 12) ['tɔməs], William Isaac, amerikanischer Soziologe, * County Russel (Virginia) 13. 8. 1863, ✝ Berkeley (Calif.) 5. 12. 1947; war Professor für englische Literatur, wandte sich um 1890 der Soziologie zu und wurde u. a. durch seine Lehrtätigkeiten an der Universität von Chicago (1895-1918), an der »New School of Social Research« (1923-28) und 1936/37 an der Harvard University zu einem der einflussreichsten amerikanischen Soziologen seiner Zeit. Thomas' Hauptinteresse galt den Verflechtungen des menschlichen Handelns im Spannungsfeld von Kultur, Persönlichkeit und Sozialverhalten (Thomas-Theorem). Auch in der Migrationsforschung und im Bereich der Theoriebildung empirischer Sozialforschung gingen von seinen Studien wichtige Impulse aus.
 
Werke: Sex and society (1907); The Polish peasant in Europe and America, 5 Bände (1918-20, mit F. Znaniecki)); The unadjusted girl (1923); Social behaviour and personality (herausgegeben 1951; deutsch Person und Sozialverhalten).

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Tho|mas [nach dem Apostel Thomas, vgl. Joh. 20, 24-29]: in der Fügung ein ungläubiger T. (jmd., der nicht bereit ist, etw. zu glauben, wovon er sich nicht selbst überzeugt hat).

Universal-Lexikon. 2012.