Ent|wịck|lungs|hil|fe 〈f. 19; unz.〉 Unterstützung eines technisch u. wirtschaftlich wenig entwickelten Landes durch einen Industriestaat
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Ent|wịck|lungs|hil|fe, die:
a) Unterstützung der industriell noch nicht entwickelten Länder der Dritten Welt durch die Industriestaaten:
E. leisten;
b) Zahlung für die Entwicklungshilfe (a):
E. in Millionenhöhe genehmigen.
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Entwicklungshilfe,
Bezeichnung für internationale Entwicklungspolitik im engeren Sinn, allgemein alle Übertragungen von Kapital und Wissen in Entwicklungsländer. Nach Definition der internationalen Entwicklungshilfeorganisationen gehören nur solche Übertragungen zur Entwicklungshilfe, die ein Element der Vergünstigung enthalten. Aus psychologischen Erwägungen und weil die Übertragungen auch für die Geberländer vorteilhaft sind, wird häufig das Element der Hilfe nicht erwähnt, stattdessen wird von Entwicklungszusammenarbeit oder wirtschaftlicher Zusammenarbeit gesprochen: finanzielle Zusammenarbeit statt Kapitalhilfe, technische Zusammenarbeit statt technische Hilfe. Die Bedürfnisse der Entwicklungsländer beziehen sich v. a. auf Beratungshilfe und technische Hilfe, auf ihre Beteiligung am internationalen Warenaustausch (Handelshilfe), auf finanzielle Unterstützungsmaßnahmen (Kapitalhilfen) sowie auf Nahrungsmittelhilfe und humanitäre Hilfe in Notsituationen (z. B. Erdbeben, Dürrekatastrophen).
Im Mittelpunkt der Entwicklungshilfe steht v. a. die staatliche Hilfe der Mitglieder des Development Assistance Committee (DAC) der OECD. Nach der Definition des DAC werden nur die direkten oder indirekten Übertragungen an Entwicklungsländer als Entwicklungshilfe bezeichnet, die aus öffentlichen Mitteln stammen (Official Development Aid beziehungsweise Official Development Assistance, Abkürzung ODA), die Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts und der Wohlfahrt der Entwicklungsländer zum Ziel haben und ein Zuschusselement (englisch grant element) von mindestens 25 % aufweisen. Das heißt, private Investitionen, Entwicklungshilfekredite, Militärhilfe und Exportkredite werden nicht zur Entwicklungshilfe gezählt. Insoweit der Staat an solchen Transfers beteiligt ist, werden sie als sonstige öffentliche Leistungen (Other Official Flows, Abkürzung OOF) ausgewiesen. Direktinvestitionen an Unternehmen in Entwicklungsländern, private, nichtkommerzielle Übertragungen an Entwicklungsländer durch politische Stiftungen oder Leistungen der Kirchen (kirchliche Entwicklungshilfe) sind private Entwicklungshilfen. Die private Entwicklungshilfe von gemeinnützigen Nichtregierungsorganisationen wird in den DAC-Statistiken seit 1970 gesondert erfasst.
Das DAC weist die Entwicklungshilfe nach dem Nettokonzept aus (englisch net flow), d. h., von den Bruttoauszahlungen werden die Tilgungszahlungen der Empfängerländer für ausstehende Kredite abgezogen. Die Entwicklungsländer fordern, dass auch die Zinszahlungen berücksichtigt werden (englisch net transfer); dadurch würden die Entwicklungshilfeleistungen in den Statistiken niedriger ausfallen.
Über die Vermittlung von produktionstechnischen, kommerziellen und organisatorischen Fähigkeiten hinaus wird Beratungshilfe (personelle Hilfe) benötigt für den Aufbau einer zuverlässigen öffentlichen Verwaltung, für Entwicklungsplanung, für die Einrichtung eines allgemeinen Bildungssystems, für geeignete Maßnahmen und Einrichtungen der öffentlichen und privaten Sozialhilfe und für einen den heutigen Erkenntnissen entsprechenden Gesundheitsdienst. Es können Fachleute aus den Industrieländern zur Verfügung gestellt (Entwicklungshelfer), Bewohner der Entwicklungsländer in den Industriestaaten ausgebildet und das Schul- und Ausbildungswesen in den Entwicklungsländern selbst gefördert werden. Die Beratungshilfe sollte die Grundlage für die Hilfe zur Selbsthilfe sein. Eng verwandt mit ihr (und oft synonym verwendet) ist die technische Hilfe. Sie bezieht sich in der Regel auf die Bereitstellung von Fachleuten, technischen Hilfsmitteln, Material und Ausbildungsmöglichkeiten für einzelne Projekte.
Die Einbeziehung der Entwicklungsländer in die internationale Arbeitsteilung kann u. a. dadurch erreicht werden, dass Absatzmärkte für die in diesen Ländern produzierten Güter gefunden und neue Produktions- und Exportmöglichkeiten erschlossen werden (Handelshilfe). Weitere exportfördernde Maßnahmen können langfristige Abkommen zur Stabilisierung der Produktions- und Marktverhältnisse bei bestimmten Agrarprodukten und Rohstoffen sein (Rohstoffabkommen) sowie der weitere Abbau der in den Industrieländern bestehenden Einfuhrbeschränkungen gegen billige Industrieprodukte aus den Entwicklungsländern (Lomé-Abkommen, Protektionismus).
Hinzu kommen umfangreiche Kapitalhilfen. Der Kapitalbedarf der Entwicklungsländer, besonders für Infrastrukturinvestitionen, die keinen Ertrag abwerfen, ist überaus groß. Daher ist es notwendig, dass die Mittel entweder als Darlehen oder »verlorene Zuschüsse« von den Industriestaaten zur Verfügung gestellt werden. Hierbei hat die Einschaltung der internationalen Organisationen als Geldgeber gegenüber der bilateralen Kapitalhilfe, also von Regierung zu Regierung, den Vorteil, dass die Gewährung der finanziellen Unterstützung nicht mit einer Auflage verknüpft ist, z. B. dass das Empfängerland Aufträge an das Geberland erteilen soll und so unter konkurrierenden Angeboten nicht das günstigste wählen kann (Lieferbindung). Neben den der Projektfinanzierung gewidmeten Beträgen sollten Waren- oder Zahlungsbilanzhilfen zur Finanzierung notwendiger Importe geleistet werden.
Die Versuche der Industriestaaten, durch Direktinvestitionen Industrien aufzubauen und die Märkte der Entwicklungsländer zu erschließen, scheitern ebenso wie zum Teil die öffentlich-technische Entwicklungshilfe in vielen Fällen daran, dass die Wahl der Produktionstechniken nicht den Erfordernissen der jeweiligen Entwicklungshilfe entspricht; entweder erfordern sie den Einsatz von hoch qualifizierten Arbeitskräften, die nicht verfügbar sind, oder es wird nicht berücksichtigt, dass die Wachstums- und Beschäftigungswirkungen gering sind.
Entwicklungshilfeleistungen werden entweder in Form zinsgünstiger Kredite (v. a. Kapitalhilfe) oder als nichtrückzahlbare Zuwendungen (v. a. technische Hilfe, Nahrungsmittelhilfe) gewährt. Gestiegen ist in den vergangenen Jahren die Mischfinanzierung. Ein Großteil der Entwicklungshilfe ist projektgebunden (Projekthilfe); nicht projektgebundene Hilfen sind die Programmhilfe (v. a. für sektoral oder regional festgelegte Entwicklungsprogramme) sowie Waren-, Budget- oder Zahlungsbilanzhilfen zum Ausgleich von Defiziten in öffentlichen Haushalten und in der Zahlungsbilanz.
Organisationen
Öffentlicher Entwicklungshilfe wird v. a. von den 21 Industrieländern geleistet, die sich im DAC zusammengeschlossen haben, und den Mitgliedstaaten der EU. Die ehemaligen Mitgliedländer des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) haben ihre Entwicklungshilfe seit 1992 eingestellt und sind vielfach selbst zu Empfängern von Entwicklungshilfe geworden. Von den OPEC-Staaten leisten nur noch Kuwait, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate Entwicklungshilfe; zu den Geberländern zählen aber auch einige Entwicklungsländer (z. B. China, Indien, Süd-Korea, Taiwan).
Wichtige internationale Entwicklungshilfeorganisationen sind: Weltbank (IBRD); Internationale Entwicklungsorganisation (IDA); Internationale Finanz-Corporation (IFC); die UNO mit verschiedenen Sonderorganisationen (Wirtschafts- und Sozialrat, UNCTAD, UNDP, UNIDO, FAO, WHO, ILO, UNESCO); die afrikanische, asiatische, interamerikanische und karibische Entwicklungsbank; die Europäischen Gemeinschaften (EG) mit dem Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) und der Europäischen Investitionsbank (EIB) sowie die 1991 gegründete Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Osteuropabank) und das 1992 von der Europäischen Kommission zur Koordinierung der humanitären Hilfsmaßnahmen der EG gegründete Amt für humanitäre Soforthilfe (ECHO). Erwähnenswert sind ferner zahlreiche Förderprogramme zugunsten der mittel- und osteuropäischen Transformationsstaaten sowie die 1991 von der Weltbank eingerichtete Globale Umweltfaszilität. Internationale Entwicklungshilfeorganisationen sind Träger der multilateralen Entwicklungshilfe. Demgegenüber wird bilaterale Entwicklungshilfe direkt von Regierung zu Regierungen geleistet. In Deutschland ist für die Vergabe der öffentlichen Entwicklungshilfe das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zuständig. Institutionen, die die staatliche Entwicklungszusammenarbeit durchführen, sind: Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH, Deutsche Entwicklungsdienst gemeinnützige GmbH, Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung, Kreditanstalt für Wiederaufbau, DEG - Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH, Carl Duisberg Gesellschaft e. V., Otto Benecke Stiftung, Deutscher Akademischer Austauschdienst e. V. Das BMZ fördert die entwicklungspolitische Tätigkeit privater Nichtregierungsorganisationen, zu denen die Kirchen (z. B. katholische und evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe, Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe, Misereor, Dienste in Übersee, Brot für die Welt), politische Stiftungen u. a. private Organisationen gehören, die sich zum Großteil im Bensheimer Kreis zusammengeschlossen haben (z. B. Andheri-Hilfe Bonn e. V., terre des hommes, Medico International, Deutsches Aussätzigen-Hilfswerk, Deutsche Welthungerhilfe, Deutsche Caritasverband, Weltfriedensdienst, EIRENE, Kübel-Stiftung).
Federführend für die öffentliche Entwicklungshilfe in Österreich ist seit Anfang 1985 das Außenministerium (zuvor: Gruppe Entwicklungshilfe im Bundeskanzleramt). Daneben besteht der 1975 gegründete Beirat für Entwicklungshilfe mit ausschließlich beratender Funktion. Zuständig für die öffentliche Entwicklungshilfe in der Schweiz sind die Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe (DEH) im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten für finanzielle, technische und humanitäre Entwicklungshilfe sowie das Bundesamt für Außenwirtschaft (BAWI) für wirtschafts- und handelspolitische Maßnahmen.
Leistungen
Die gesamten (öffentlichen und privaten) Mittelzuflüsse aus den DAC-Mitgliedsländern an Entwicklungsländer, darunter Exportkredite, Direkt- und Portfolioinvestitionen, beliefen sich (1994) auf 164,1 Mrd. US-$ oder 0,83 % ihres Bruttosozialprodukts (BSP). Die staatlichen Mittelzuflüsse (öffentliche Entwicklungshilfe) betrugen (1994) 59,1 Mrd. US-$ oder 0,30 % des BSP. Die westlichen Industriestaaten leisteten damit 97,9 % der gesamten öffentlichen Entwicklungshilfe in Höhe von (1994) 60,5 Mrd. US-$, die OPEC-Länder 972 Mio. US-$ (1,6 %) und die übrigen Entwicklungsländer 415 Mio. US-$ (0,5 %).
Trotz Anstiegs der öffentlichen Entwicklungshilfe der DAC-Mitgliedsländer (1960: 4,9, 1994: 59,1 Mrd. US-$) erfüllten 1994 nur wenige Länder das 1970 von den Vereinten Nationen formulierte Ziel, wonach die öffentliche Entwicklungshilfe 0,7 % des BSP der Industrieländer betragen soll (z. B. Dänemark: 1,03 %, Norwegen: 1,01 %, Schweden: 0,99 %, Niederlande: 0,82 %). Der Durchschnittswert für alle Industrieländer lag zwischen 1973 und 1992 bei 0,32-0,34 % (1960: 0,52 %). Am niedrigsten fiel der Anteil in den USA mit (1994) 0,15 % am BSP aus, obwohl die absoluten Leistungen mit 9,93 Mrd. US-$ die zweithöchsten hinter Japan (13,24 Mrd. US-$) sind.
Die Bundesregierung akzeptiert das 0,7 %-Ziel als Orientierungsgröße, ohne sich auf einen Zeitplan für dessen Verwirklichung festzulegen. Seit 1962 schwankte der Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe am BSP zwischen 0,32 % und 0,48 % (1994: 0,34 %), gleichwohl haben sich die Nettoleistungen von (1980) 6,5 Mrd. DM auf (1994) 11,1 Mrd. DM nahezu verdoppelt. Die gesamten Entwicklungshilfeleistungen (öffentliche und private) beliefen sich (1994) auf 38,8 Mrd. DM (1,19 % des BSP). Regionale Schwerpunkte der öffentlichen Entwicklungshilfe in Deutschland sind Afrika (rd. 33 % der bilateralen öffentlichen Entwicklungshilfe) und Asien (rd. 28 %); die ärmsten Entwicklungsländer erhielten (1993) rd. 1,9 Mrd. DM (25 %). Gefördert werden v. a. Projekte und Programme der gemeinnützigen und administrativen Infrastruktur (z. B. Bildung, Gesundheitswesen, Familienplanung; 1994: 36,9 % der bilateralen öffentlichen Entwicklungshilfe), wirtschaftliche Infrastruktur (z. B. Verkehr, Kommunikation, Energieversorgung; 20,1 %), Land-, Forstwirtschaft und Fischerei (5,8 %). Auf nicht projektbezogene Entwicklungshilfe (z. B. Warenhilfe, Umschuldungen, Nahrungsmittel- und humanitäre Hilfe) entfielen (1994) 40,1 %. Seit 1990 unterstützt Deutschland im Rahmen der Entwicklungshilfe den politischen und wirtschaftlichen Reformprozess in zahlreichen mittel- und osteuropäischen Staaten.
Österreich,
ohne traditionelle Beziehungen zu Ländern der Dritten Welt, bemüht sich gezielt, seine Hilfeleistungen für diese Staaten zu verstärken. Die öffentlichen Leistungen werden überwiegend durch den Staatshaushalt und den ERP-Sonderfonds finanziert. Die Schweiz ist Mitglied aller wichtigen Institutionen der Entwicklungshilfe, mit Ausnahme der Weltbankgruppe. Die bilaterale Hilfe betrug (1993) 68 % der öffentlichen Entwicklungshilfe. Die Mittel werden zum überwiegenden Teil über den Bund, der Rest über Kantone und Gemeinden aufgebracht. Das Schweizerische Katastrophenhilfskorps (SKH) wird bei Hilfsaktionen in Entwicklungsländern eingesetzt.
Nettoauszahlungen öffentlicher Entwicklungshilfe erhielten 1993 nach Angaben der Weltbank v. a. Länder mit niedrigem Einkommen (26,6 Mrd. US-$ ohne Leistungen an China und Indien; das entspricht 6,4 % des BSP dieser Länder), unter ihnen besonders afrikanische Staaten südlich der Sahara (16,4 Mrd. US-$; das entspricht 35,7 US-$ je Einwohner beziehungsweise 11,5 % des BSP).
Bei der Gewährung von Entwicklungshilfe entstand vor dem Hintergrund des Ost-West-Konfliktes ein Konkurrenzverhältnis zwischen den kommunistischen und nichtkommunistischen Industriestaaten. Neben strategisch-machtpolitischen, mit außenpolitischen Interessen verknüpften Überlegungen, ideologischer Interessen, die die eigenen Ideologien, das Wirtschaftssystem oder eine bestimmte Religion in anderen Ländern zu etablieren versuchten, waren die Wahrung binnen- und außenwirtschaftlicher Interessen, aber auch idealistisch-humanitäre Gründe wesentliche Motive für Entwicklungshilfe. Mit der Einleitung des Transformationsprozesses in den Staaten Mittel- und Osteuropas, dem Zusammenbruch des Warschauer Vertrages und des RGW verlor die Entwicklungshilfe ihre Bedeutung als strategisches Instrument. Die damit verbundenen Hoffnungen auf eine Stabilisierung der weltpolitischen Situation erfüllten sich jedoch nicht. Vielmehr wurde eine Periode eingeleitet, die durch neue Konflikte (z. B. in Ruanda, im ehemaligen Jugoslawien und in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion) und neue Entwicklungsprobleme (Armut, Umweltzerstörung, AIDS) gekennzeichnet ist und die weitere Anforderungen an die Entwicklungshilfebudgets stellt (starker Anstieg der Ausgaben für humanitäre Soforthilfe).
Trotz hoher finanzieller Aufwendungen ist die Wirksamkeit der traditionellen Entwicklungshilfe umstritten, da weder Armut noch Hunger in vielen Entwicklungsländern überwunden werden konnten und eine nachhaltige Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation der Mehrheit der Bevölkerung in Staaten der Dritten Welt meist ausblieb. Kritisiert werden v. a. Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Zielen, Instrumenten und Leistungen sowie zwischen Entwicklungshilfe und Militärausgaben. Starke Beachtung fand die Kritik wissenschaftlich anerkannter Entwicklungsökonomen, die die Grundlagen der modernen Entwicklungstheorie und -politik geschaffen haben (z. B. K. G. Myrdal), an der gegenwärtig betriebenen Entwicklungshilfepolitik der Industrieländer und deren Ergebnissen. Als Probleme der Entwicklungshilfe sehen sie u. a. die Überbewertung statistischer Kennzahlen, die Nichteinhaltung der Vereinbarung, primär die ärmsten Länder zu unterstützen, die Korruption in den Entwicklungsländern und die Verzögerung in der Durchführung von grundlegenden Landreformen. Sie weisen auf die Ineffizienz internationaler Organisationen hin, die einen Großteil der über sie fließenden Gelder im Verwaltungsapparat verbrauchen. Myrdal fordert z. B. anstelle der Unterstützung von Industrieprojekten Maßnahmen zu Produktivitätssteigerungen im Nahrungsmittelsektor, Verbesserungen im Bereich der Hygiene, des Gesundheitswesens, der Geburtenkontrolle und Bildung. Direkter Hilfe für die Armen sei generell der Vorzug zu geben. Neben einer direkten, strengeren Kontrolle durch die Geberländer wird eine koordinierte Politik gefordert, die ausschließt, dass z. B. durch (kostenlose) Nahrungsmittelhilfen den Landwirtschaftsprojekten »Konkurrenz« erwächst, die ihnen die ökonomischen Grundlagen entzieht.
Kritisiert wird weiterhin das politische und wirtschaftliche Eigeninteresse, das Industrieländer mit öffentlicher und privatwirtschaftlicher Entwicklungshilfe verfolgen. So wird Entwicklungshilfe als Instrument der Exportförderung, Markterschließung und Arbeitsplatzsicherung angesehen, da u. a. ein Großteil der Kapitalhilfe in Form von Aufträgen an die Industrieländer zurückfließt. Weiterhin wird Entwicklungshilfe auch zur Sicherung der Rohstoffreserven besonders für rohstoffarme Industrieländer eingesetzt (z. B. Finanzierung von Explorationen). Besonders umstritten ist die Entwicklungshilfe als Instrument der Außenpolitik im Zusammenhang mit der Schaffung von weltpolitischen Einflusszonen und als Instrument, Ideologien, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnungsmodelle zu übertragen oder die Entwicklungsländer zur Nachahmung des Entwicklungsprozesses in westlichen Industrieländern zu veranlassen, um revolutionäre Umwälzungen zu verhindern.
Damit Entwicklungshilfe mehr ist als Katastrophen- und Nahrungsmittelhilfe oder als Lastenausgleich für Benachteiligungen im internationalen Wirtschafts- und Finanzsystem, bedarf es neuer entwicklungspolitischen Strategien und Konzepte (Entwicklungspolitik) sowie einer Einbindung der Entwicklungshilfe in umfassendere internationale Maßnahmen der Entwicklungspolitik, insbesondere der Schaffung besserer politischer und weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen für die Entwicklungsländer, v. a. im Bereich des Welthandels und des internationalen Währungssystems (Schuldenkrise). Auf internationalen Konferenzen (z. B. UNCTAD) sowie in internationalen Organisationen (z. B. Vereinte Nationen, EG, Internationale Währungsfonds) wird ein Ausgleich der Interessen von Industrie- und Entwicklungsländern gesucht. Seit Beginn der 70er-Jahre verstärken sich die Bemühungen, den Nord-Süd-Konflikt im Dialog zu entschärfen.
Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundes-Reg. (1973 ff.);
Weltentwicklungsbericht, hg. v. der Weltbank (Washington, D. C., 1978 ff.);
Entwicklungspolitik - Hilfe oder Ausbeutung?, hg. vom Informationszentrum Dritte Welt (71983);
Die Entwicklungspolitik wichtiger OECD-Länder, hg. v. M. Holthus u. a., 2 Bde. (1985);
J. von Stockhausen: Theorie u. Politik der E. (1986);
Entwicklungszusammenarbeit. Fakten - Erfahrungen - Lehren, hg. v. R. Cassen (a. d. Engl., Bern 1990);
B. Erler: Tödl. Hilfe (131994);
V. Kaltefleiter: Die E. der Europ. Union (1995);
F. Nuscheler: Lern- u. Arbeitsbuch Entwicklungspolitik (Neuausg. 1996).
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Ent|wịck|lungs|hil|fe, die: a) Unterstützung der industriell noch nicht entwickelten Länder der Dritten Welt durch die großen Industriestaaten: E. leisten; Ü Da sie in Westberlin anfangs nicht Fuß fassen konnte, leisteten Parteifreunde in der DDR E. (Spiegel 44, 1965, 88); b) Zahlung für die ↑Entwicklungshilfe (a): E. zahlen; E. in Millionenhöhe genehmigen.
Universal-Lexikon. 2012.