Ro|ma|nịs|tik 〈f.; -; unz.〉
1. Lehre von den roman. Sprachen u. Literaturen
2. Lehre des römischen Rechts
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Ro|ma|nịs|tik, die; -:
1. romanische Sprach- und Literaturwissenschaft.
2. Lehre vom römischen Recht.
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Romanịstik
die, -,
2) Sprachwissenschaft: die Wissenschaft von den romanischen Sprachen, Literaturen und Kulturen. Der Terminus Romanistik ist an die Stelle des früher üblichen, doch engeren Begriffs »romanischer Philologie« getreten.
Die Zusammengehörigkeit der romanischen Sprachen erkannte bereits Dante Alighieri in seiner Schrift »De vulgari eloquentia« (entstanden nach 1305). Die sprachgeschichtliche Einheit der romanischen Sprachen wurde jedoch erst im 19. Jahrhundert, zuerst von F. Raynouard, erkannt. Zum wissenschaftlichen Begründer der romanischen Philologie wurde F. C. Diez. Er wandte die von F. Bopp für die Indogermanistik entwickelte historisch-vergleichende Methode auf die romanischen Sprachen an und konnte sie als Fortentwicklung des gesprochenen Lateins nachweisen. In seinen beiden wegweisenden Werken, der »Grammatik der romanischen Sprachen« (3 Bände, 1836-44) und dem »Etymologischen Wörterbuch der romanischen Sprachen« (1853), stellte er, basierend auf J. Grimms Theorie von der Gesetzmäßigkeit des Lautwandels, besonders die lautliche Ausdifferenzierung und Entwicklung der einzelnen romanischen Sprachen dar. Mit seinen aus der romantischen Mittelalterbegeisterung erwachsenen Arbeiten zu Dichtung und Leben der Troubadours begründete Diez zugleich die romanische Literaturwissenschaft. Deren bevorzugtes Arbeitsgebiet war die kritische Herausgabe der Handschriften mittelalterlicher Dichter; sie folgte dabei den von dem Germanisten K. Lachmann entwickelten philologischen Methoden und war unter weitgehendem Verzicht auf Interpretation dem Ideal eines objektiven Positivismus verpflichtet. Diez und seine Nachfolger gaben der romanischen Philologie ihre grundlegende, bis Ende des 19. Jahrhunderts vorherrschende Ausrichtung: die Beschäftigung mit allen romanischen Sprachen, die Verbindung von Sprach- und Literaturwissenschaft nach dem Vorbild der klassischen Philologie, die Fixierung auf schriftliche Materialien und die Mediävistik. Ein gewisses Interesse auch an den neueren Sprachformen und Literaturen entstand erst, als in den 1880er-Jahren den Universitäten die Ausbildung der Gymnasiallehrer übertragen und die sich formierenden romanischen Seminare mit muttersprachlichen Lektoren ausgestattet wurden.
Die seinerzeit führende Rolle der deutschsprachigen Romanistik manifestierte sich im ersten Standardwerk des Fachs, dem von G. Gröber herausgegebenen »Grundriß der romanischen Philologie« (4 Bände, 1888-1902), in der ebenfalls von ihm 1877 gegründeten »Zeitschrift für romanische Philologie« sowie in den Werken des von den Junggrammatikern beeinflussten W. Meyer-Lübke, dessen »Grammatik der romanischen Sprachen« (4 Bände, 1890-1902) und »Romanisch etymologisches Wörterbuch« (14 Teile, 1911-20) wegweisend blieben. Von den zeitgenössischen ausländischen Romanisten, die sich jedoch eher auf eine als auf die Gesamtheit der romanischen Sprachen ausrichteten, sind hier u. a. zu nennen für Italien G. I. Ascoli, für Frankreich Paul Meyer (* 1840, ✝ 1917) und G. Paris, der Begründer der Zeitschrift »Romania« (1872 ff.), für Spanien R. Menéndez Pidal, der 1914 die »Revista de filología Española« gründete. Einen Paradigmenwechsel in der Sprachwissenschaft leitete H. Schuchardt ein, der mit der junggrammatischen These von ausnahmslos geltenden Lautgesetzen brach, das Interesse auf die lebenden Mundarten lenkte und so der Sprachgeographie und ihrem eigentlichen Begründer, dem Schweizer J. Gilliéron, den Weg bereitete. Sie fand ihren Niederschlag in zahlreichen, zum Teil noch nicht abgeschlossenen Sprachatlanten und führte zu einem besseren Verständnis von Sprachfunktionen und Sprachwandel. Hauptvertreter der sprachgeographischen Methode sind u. a. die Schweizer J. Jud, W. von Wartburg, in Deutschland E. Gamillscheg, M. L. Wagner, G. Rohlfs, F. Krüger, F. Schürr, in Italien M. G. Bartoli, Giulio Bertoni (* 1878, ✝ 1942), C. Tagliavini, in Spanien Menéndez Pidal und A. Griera. Von der Sprachgeographie setzte sich kurz nach 1900 die idealistische Neuphilologie ab, die sich den Literatursprachen zuwandte und in ihnen die geschichtliche Manifestation des Geistes und der Kultur eines Volkes sah. K. Vossler leitete diese Wende mit »Frankreichs Kultur im Spiegel seiner Sprachentwicklung« (1913) ein; in Italien wurde sie von B. Croce vorbereitet. Auf ihnen baute L. Spitzer auf, der mit Stilstudien die Brücke von der idealistischen Sprach- zur Literaturwissenschaft schlug. Ein neuer Ansatz in der Sprachwissenschaft findet sich bei dem Schweizer F. de Saussure, der mit »Cours de linguistique générale« (1916) die Grundlage für die moderne Systemlinguistik legte. Sie wurde in Deutschland erst nach dem Zweiten Weltkrieg intensiver rezipiert und weiterentwickelt (u. a. von E. Coseriu und H. Weinrich). Unabhängig von der Systemlinguistik setzten Harri Meier (* 1905, ✝ 1991), W. T. Elwert und M. Wandruszka frühere Traditionen fort.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts, besonders aber seit dem Ersten Weltkrieg, verselbstständigte sich in Deutschland die romanische Literaturwissenschaft, zunächst in der Form der Literaturgeschichte, gegenüber der Sprachwissenschaft. Die Herausgabe mediävistischer Texte trat in den Hintergrund gegenüber der Beschäftigung mit der neueren, in Einzelfällen auch mit der neuesten Literatur, der Darstellung literarischer Epochen und Monographien über einzelne Autoren. Gegen die positivistisch-biographische Methode im Stil von G. Lanson setzte sich seit den 20er-Jahren die Stilforschung durch (Vossler, Spitzer, H. Hatzfeld, E. Auerbach), häufig begleitet von einer Ideen- und Formengeschichte (Hanns Heiss, * 1877, ✝ 1935, Leonardo Olschki, * 1885, ✝ 1961, Fritz Neubert, * 1884, ✝ 1970, Hermann Gmelin, * 1900, ✝ 1958, Walter Pabst, * 1907); stärker literatursoziologisch interessiert waren V. Klemperer, W. Krauss und später E. Köhler. Die führende Rolle der deutschsprachigen Romanistik ging in der nationalsozialistischen Zeit weitgehend verloren. Spitzer, Hatzfeld, Auerbach, Olschki, Herbert Dieckmann (* 1906, ✝ 1986), Leo Jordan (* 1874, ✝ 1940), Ulrich Leo (* 1890, ✝ 1964), Friedrich Hirth (* 1878, ✝ 1952) u. a. mussten emigrieren. Die Kontinuität aus der Vorkriegszeit wahrten u. a. E. R. Curtius, dessen Werk »Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter« (1948) die Toposforschung initiierte, sowie H. Friedrich, F. Schalk. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich eine stark landeskundlich orientierte Lateinamerikanistik.
Die Einsicht, dass es keine eigenständige romanische Literaturwissenschaft geben kann, führte seit den 60er-Jahren zu dem Versuch, Konzepte der allgemeinen Literaturwissenschaft, v. a. des russischen Formalismus, des Strukturalismus, der Psychologie oder der Sozialwissenschaften in die Romanistik als Gattungsgeschichte, Intertextualitätsforschung, Rezeptionsästhetik, »Psychokritik« u. a. zu integrieren. Diese methodologische Reflexion, die wesentlich zur Systematisierung literaturwissenschaftlichen Arbeitens beigetragen hat, tritt jedoch seit Beginn der 80er-Jahre zugunsten einer erneut stärkeren Stoffbezogenheit zurück. Insgesamt ist auch eine zunehmende Berücksichtigung der »kleinen« romanischen Literaturen zu beobachten (okzitanische, galicische, katalanische, ferner belgische und kanadische Literatur in französischer Sprache sowie die Literaturen der »neuen Romania«, des franko- und lusophonen [portugiesischsprachigen] Nord- und Schwarzafrika, der Chicanos in den USA und der romanischen Kreolsprachen).
Die problematisch gewordene Einheit des Fachs in Deutschland (besonders im Bereich der Literaturwissenschaft) manifestiert sich u. a. in der Auflösung der Romanistik in Einzelphilologien und einer damit verbundenen Differenzierung und Spezialisierung der akademischen Lehre sowie im Nebeneinander der entsprechenden Fachverbände: Deutscher Romanistenverband (gegründet 1953), Deutscher Hispanistenverband (1972), Deutscher Italianistenverband (1991), Deutscher Lusitanistenverband (1993), Deutscher Frankoromanistenverband (1995), Deutscher Balkanromanistenverband (1995), Deutscher Katalanistenverband (1997; zuvor Deutsch-Katalanische Gesellschaft, 1983). Die Einzelverbände werden nach außen durch den 1995 gegründeten Romanistischen Dachverband vertreten. Unter dem Schlagwort der »Entphilologisierung« sind neu konzipierte Diplomstudiengänge eingerichtet worden, die um Aspekte einer systematischen, praxisorientierten Landeswissenschaft erweitert wurden oder das Studium einer Sprache mit einem nicht sprachlichen Fach oder einer technischen Disziplin verbinden (z. B. Französisch und Rechtswissenschaft). Die Romanistik in der DDR hat besonders zum Französischen, Lateinamerikanischen (Kubastudien) und Rumänischen sowie durch eine eher anwendungsbezogene Ausrichtung der Forschung und Lehre bedeutende Beiträge geliefert.
K.-H. Schröder: Einf. in das Studium des Rumänischen (1967);
Grundr. der roman. Lit. des MA., hg. v. H. R. Jauss u. a., auf zahlr. Bde. ber. (1968 ff.);
P. Bec: Manuel pratique de philologie romane, 2 Bde. (Paris 1970-71);
R. Rohr: Einf. in das Studium der R. (31980);
F. B. Agard: A course in Romance linguistics, 2 Bde. (Washington, D. C., 1984);
Ein »unmögl. Fach«: Bilanz u. Perspektiven der R., hg. v. F. Nies u. a. (1988);
Lex. der Romanist. Linguistik, hg. v. G. Holtus u. a., auf mehrere Bde. ber. (1988 ff.);
Dt. u. österr. Romanisten als Verfolgte des Nationalsozialismus, hg. v. H. H. Christmann u. a. (1989);
W. Hillen u. L. Rheinbach: Einf. in die bibliograph. Hilfsmittel für das Studium der R., auf mehrere Bde. ber. (1-21989 ff.);
Trends in romance linguistics and philology, hg. v. R. Posner u. a., 5 Bde. Den Haag 1980-93);
P. Jehle: Werner Krauss u. die R. im NS-Staat (1995);
R. als vergleichende Literaturwiss., hg. v. W. Graeber u. a. (1996);
Beitrr. zur R., auf 30 Bde. ber. (1997 ff.);
C. Tagliavini: Einf. in die roman. Philologie (a. d. Ital., 21998).
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Ro|ma|nịs|tik, die; -: 1. romanische Sprach- und Literaturwissenschaft. 2. Lehre vom römischen Recht.
Universal-Lexikon. 2012.