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Gesundheit und Krankheit
Gesundheit und Krankheit
 
Auch gegen Ende des 20. Jahrhunderts nimmt das Thema Krankheit eine bedeutende Stelle in unserem Alltag ein. Menschen machen sich Sorgen um ihren Körper. Ihnen ist bewusst, dass sein Funktionieren gestört werden kann. Daher nutzen sie eine ganze Reihe unterschiedlicher diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten. In Deutschland bietet sich hierzu ein breites Spektrum an: Hausmedizin, das entwickelte akademische Medizinsystem, Heilpraktiker, andere staatlich zugelassene paramedizinische Anlaufstellen und ein nach wie vor existierendes informelles Netz an Heilkundigen, vom Knochen einrichtenden Schäfer bis zur Gebetsheilerin.
 
Doch was ist eigentlich Gesundheit, was ist Krankheit? Die Antwort scheint einfach: Gesundheit ist die Abwesenheit von Krankheit. So einfach ist es aber nicht.
 
 Gesundheit oder Krankheit
 
Unser Körperinneres wimmelt von Kleinstlebewesen. Einige dieser Mitbewohner brauchen wir, andere stören die Funktion unserer Organe. Menschen in tropischen Zonen, wie die Eipo im Bergland von West-Neuguinea, haben unter Umständen in ihrem Darm drei verschiedene Arten von Würmern; aus medizinischer Sicht eindeutig ein pathologischer Befund. Alle drei Arten können in der Tat Krankheiten verursachen. Der größte Teil der Bergpapua ist aber klinisch symptomfrei, obwohl man unter dem Mikroskop Wurmeier in ihrem Stuhl findet. Sie sind vital, trotz sehr knapper Ernährung leistungsfähig und offensichtlich meist glücklich, also offenbar unbeeinflusst von der Existenz der Parasiten in ihrem Inneren.
 
In diesen und anderen Fällen herrscht ein Gleichgewicht zwischen jenen Kräften des Körpers, die die Schädlinge in Schach halten, und den Parasiten, deren Gefährlichkeit unter anderem von ihrer Art und ihrer Anzahl abhängt. Besteht ein solches Kräftegleichgewicht, sind wir trotz dieser Schädigungsmöglichkeit gesund. Es ist also nicht das absolute Fehlen von Erregern, nicht das völlige Fehlen von Krankheit, das uns zu Gesunden macht; Gesundheit ist vielmehr ein Zustand, in dem unsere immunologischen und sonstigen biologischen Kräfte in der Lage sind, die Belastung durch schädigende Einflüsse jeder Art so stark zu unterdrücken, dass der Betroffene nichts davon merkt. Dabei spielen natürlich auch die psychologischen Bewertungssysteme eine Rolle, die von Individuum zu Individuum und von Kultur zu Kultur unterschiedlich sein können.
 
Das Paradox, dass man als Gesunder krank und als Kranker gesund sein kann, hat in der Weltgesundheitsorganisation WHO dazu geführt, dass man von »illness« als der subjektiv empfundenen Befindlichkeit und »disease« als dem objektiv festgestellten medizinischen Befund spricht. Beide müssen nicht unbedingt übereinstimmen. In den Industriegesellschaften gibt es viele Patienten, die im Röntgenbild schwere Veränderungen an der Wirbelsäule haben, aber beschwerdefrei sind. Andere leiden stark unter »Hexenschuss«, Bandscheibensymptomen und Ischiasschmerzen, doch weisen ihre Röntgenaufnahmen einen weitgehend normalen Befund auf. Nicht nur in Neuguinea, auch bei uns kann man nicht immer eine eindeutige Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit ziehen.
 
Aus evolutionsbiologischer Sicht sind alle Lebewesen Produkte eines sehr strengen Selektionsprozesses, in dessen Verlauf sie Schutz- und Reparaturmechanismen gegen verschiedenste Störungen der Physiologie und gegen Krankheiten entwickelt haben, insbesondere gegen solche, die durch häufig vorkommende Erreger verursacht werden. Wenn das Überleben des Einzelnen bis zur mehrfachen Elternschaft nicht in ausreichend vielen Fällen gesichert gewesen wäre, gäbe es unsere Spezies nicht mehr. Auch unser Körper besitzt also vielfältige Fähigkeiten, seine Lebensfunktionen und sein generelles Wohlbefinden aufrechtzuerhalten.
 
 Neue Lebensweisen, neue Krankheiten
 
Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall
 
In Europa steigt der Blutdruck mit zunehmendem Alter an. Diese Tatsache hat sich so weit im Alltagswissen verfestigt, dass wir gewöhnlich als Faustregel sagen: Alter plus hundert ergibt den oberen (systolischen) Blutdruckwert, gemessen in Millimeter Quecksilbersäule (Hg). Allerdings sähen die Ärzte bei älteren Patienten lieber einen systolischen Wert von 130 oder 140 mm Hg. Der untere (diastolische) Wert steigt in Europa statistisch ebenfalls mit dem Alter an und erreicht oft krankhafte Werte über 100 mm Hg. Bluthochdruck ist eine unserer klassischen Volkserkrankungen, die vielfach auch schon jüngere Patienten beeinträchtigt und stark gefährdet. Personen mit zu hohem Blutdruck sind weit mehr als andere in Gefahr, sekundäre Risiken zu entwickeln, von denen der Herzinfarkt und der Schlaganfall die beiden akutesten und folgenschwersten sind. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die Krankheitsursache Nummer eins in den industrialisierten Ländern der Welt.
 
Wie steht es mit dem Blutdruck in traditionalen Kulturen? Ärztliche Untersuchungen bei den Eipo und den Trobriandern in den letzten beiden Jahrzehnten zeigen ein zunächst überraschendes Bild: Niemand von ihnen leidet unter Bluthochdruck. Auch im Alter bleiben die Werte auf einem niedrigen Niveau, das heißt im Schnitt um 110—120 zu 70—60 mm Hg. Selbst dort, wo schon seit etwa 100 Jahren ein gewisses Maß an Außenkontakt und damit Akkulturation besteht, bleibt der Blutdruck meist auf den für junge Menschen typischen Werten stehen und steigt im Alter kaum an. Das spricht dafür, dass die Arterien der Menschen in diesen Kulturen elastisch bleiben.
 
Daher ist es auch nicht überraschend, dass die Folgeerscheinungen des Bluthochdrucks — Herzinfarkt und Schlaganfall — ausbleiben. Herzinfarkte sind in der Tat in den abgelegenen Regionen Neuguineas entweder völlig unbekannt oder extrem selten. Dagegen steigen in der Hauptstadt Papua Neuguineas, Port Moresby, wo etliche Menschen einen europäischen Lebensstil mit sitzenden Berufen, überkalorischer Ernährung und wenig körperlicher Bewegung pflegen, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einschließlich des Herzinfarkts, steil an. Das Fehlen dieser Krankheiten in den beiden traditionalen Kulturen ist also nicht genetisch zu erklären. Es bedarf nur eines Wechsels der Lebensweise, und in derselben Generation tauchen plötzlich die gesundheitlichen Gefährdungen der modernen Gesellschaften auf.
 
Die entgleiste Stressphysiologie
 
Wie kann man sich diese gravierenden Unterschiede (die noch weitere Bereiche betreffen, etwa Diabetes oder Allergien) erklären? Die Erhöhung des Blutdrucks hat mit vielen Einzelfaktoren zu tun, in erster Linie mit der Ernährung, körperlicher Aktivität und der Belastung durch »Stress«. Stress ist die normale Anpassung des Körpers an eine als Belastung oder Bedrohung empfundene Situation. Durch die Ausschüttung von Adrenalin erhöht sich der Blutdruck, was die körperliche Leistungsfähigkeit in dem Augenblick verbessert. Der Körper wird in die Lage versetzt, anzugreifen oder zu fliehen. Während einer solchen »fight-flight response« (Angriff- oder Fluchtreaktion) werden durch Adrenalin zusammen mit anderen Hormonen auch viele andere physiologische Vorgänge geregelt. Beispielsweise läuft die Blutgerinnung schneller ab, sodass bei einer Verletzung weniger Blut durch eine offene Wunde verloren geht.
 
Die Stressphysiologie ist ein Erbe unserer stammesgeschichtlichen Vergangenheit, die wir mit den Tieren teilen. Wenn man nur die Verhältnisse in den Industriegesellschaften anschaut, könnte man zu dem Schluss kommen, dass bei uns Menschen die Stressphysiologie entgleist ist, denn viele von uns haben eine Art Dauer-Adrenalin-Zustand mit den beschriebenen Folgen für das Herz-Kreislauf-System. Die Evolutionsbiologie lehrt uns dagegen, mit solchen Vermutungen eher vorsichtig zu sein: Tiere und Menschen sind wie erwähnt im Prinzip sehr gut an die Erfordernisse des Lebens angepasst.
 
Wenn also beim Menschen die Stressphysiologie nicht generell fehlkonstruiert ist, warum leiden wir dann so unter ihr? Einige Faktoren bieten sich zur Erklärung an: 1) Biologische Zeitgeber wurden durch künstliche ersetzt. 2) Die Ernährung ist von selbst erzeugten, weitgehend naturbelassenen auf weitgehend verarbeitete und veränderte Produkte umgestellt. 3) Das Ausmaß an physischer Arbeit ist stark gesunken, der biologisch adäquaten Angriffs- oder Fluchtreaktion können wir nur gebremst nachgeben. Es kommt zu einer »biologischen Frustration«: Die bereitgestellten Catecholamine, zum Beispiel Adrenalin, werden nicht durch physische Aktion verbraucht.
 
4) Die Sozialisationsbedingungen in den ersten Lebensjahren haben sich verändert: Die Signale der Säuglinge und Kleinkinder werden weniger prompt und optimal beantwortet, sodass ihnen ein höheres Maß an Frustration zugemutet wird. Das hat wahrscheinlich psychosomatische Folgen auch im Erwachsenenalter. 5) Die Integration des Einzelnen in eine funktionierende, emotional schützende Gemeinschaft (in traditionalen Gesellschaften in erster Linie die Verwandtschaft) bereitet zunehmende Schwierigkeiten, das soziale Netz wird löchriger. 6) Wir sind weniger direkt mit den existenziellen Lebenserfahrungen Geburt, Schmerz, Krankheit und Tod konfrontiert und daher hilfloser, wenn sie eintreten.
 
7) Im Zuge einer »Entritualisierung« haben wir in Lebenskrisen weniger Zugriff auf sozioreligiöse Zeremonien als Teil eines welterklärenden Systems, wodurch Schwierigkeiten bei der kognitiven und emotionalen Bewältigung auftreten. 8) Durch die technischen Fortschritte, gerade auch bei den Kommunikationsmöglichkeiten, haben sich Arbeitstempo und die Menge der gleichzeitig zu erledigenden Aufgaben erhöht. 9) Die zeitliche Planung lässt dem Einzelnen wenig Spielraum. Feste Termine belasten uns vermutlich auch deswegen, weil wir eingegangenen Verpflichtungen zwar nachkommen wollen, es aber wegen Überlastung kaum können. Der zeitliche und psychosoziale Druck potenziert sich.
 
 Subjektives Erleben von Krankheit
 
Warum gerade ich? Warum hat ausgerechnet mich der Krebs erwischt, warum ist mein Herz kaputt und nicht das von denen, die genauso rauchen, genauso fett essen wie ich? Warum liege ich auf dieser Station, wo praktisch keiner lebend herauskommt, draußen aber geht das Leben weiter, fröhlich und laut, während ich hier im Krankenzimmer leise sterben muss? Den meisten Menschen fällt es schwer, das Ende ihrer eigenen Existenz zu akzeptieren. Die Endlichkeit menschlichen Lebens ist uns zwar im Prinzip bewusst, warum es uns aber zu einem bestimmten Zeitpunkt trifft, können wir kaum verstehen und verkraften, noch dazu, wo wir noch so viele Pläne hatten, so vieles unerledigt geblieben ist, und wo doch so viele andere so viel älter sind als man selbst.
 
Krankheit als Strafe
 
In traditionalen Kulturen besteht ein sehr enger Zusammenhang zwischen Normenbruch und Verlust der Gesundheit. Verletzt jemand dort eine jener Regeln, die meist mittels religiöser Vorschriften das soziale Leben strukturieren, ist er oder sie in großer Gefahr, von außermenschlichen Mächten bestraft zu werden, die nach Auffassung der Einheimischen durch Senden von Krankheit und Unglück Leid und Tod bewirken. In diesen Kulturen sind also Recht und Gesundheit eng gekoppelt.
 
Die Auffassung, dass Krankheit Strafe für Fehlverhalten ist, war auch in Europa verbreitet: »Gott wird dich an dem Organ strafen, an dem du gesündigt hast!«, war etwa eine solche Meinung, und auch die Reaktion mancher Kreise in der katholischen Kirche auf das Ausbrechen von Aids und seine (in den nördlichen Ländern bestehende) weitgehende Beschränkung vor allem auf männliche Homosexuelle und Suchtkranke mit intravenöser Drogenzufuhr zeigt eine solche Tendenz, Krankheit als Vergeltung für Sünde anzusehen.
 
Das Konzept eines Gottes als rächende Instanz, als derjenige, der Leben nimmt, um sicherzustellen, dass seine Gebote eingehalten werden, scheint aber zumindest in Deutschland zurzeit nicht sehr verbreitet zu sein. Das Grundprinzip der Erlösungsreligionen (zum Beispiel Christentum und Islam) besteht jedoch darin, dass nicht im Diesseits, sondern im Jenseits abgerechnet, das heißt belohnt oder bestraft wird. Damit haben Krankheit und Unglück als Sanktionen für Fehlverhalten ihre metaphysisch begründete verhaltensregelnde Funktion verloren, die sie sehr wahrscheinlich in allen prähistorischen und derzeit noch anzutreffenden animistischen Kulturen hatten und haben. An die Stelle der strafenden außermenschlichen Mächte sind innermenschliche, soziale Faktoren getreten. »Ich hab so viel Stress, das macht mich ganz krank!«, so oder ähnlich lauten die häufigsten Erklärungen der Patienten. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass das diffuse Konzept »Stress« als generelle Lebenslast an die Stelle der nicht recht fassbaren sanktionierenden Mächte getreten ist.
 
Das Intrusionskonzept
 
In vielen Kulturen besteht folgende Grundvorstellung über die Entstehung von Krankheiten: Ein körperfremdes Etwas ist in das Innere des menschlichen Körpers eingedrungen und verursacht dort die Störung. Häufig werden dafür stofflich gedachte, wenn auch bisweilen zunächst unsichtbare Objekte, wie Pfeilspitzen oder Steine, und manchmal geistige Prinzipien verantwortlich gemacht. Kranke, gleichgültig ob sie in einer westlichen Großstadt oder auf einem Atoll Melanesiens leben, haben ein offenbar universelles Kausalbedürfnis. Für den Leidenden bietet das Konzept der Intrusion eine willkommene, weil sinnfällige und sozial akzeptable Lösung. In sein Inneres ist etwas eingedrungen, es führt zu Schmerz, Schwellung und Störung der Funktion. Logische Folge dieser Intrusionstheorie ist der Versuch, den Kranken durch die Vertreibung des krank machenden Agens zu heilen.
 
Die Intrusionstheorie, menschheitsgeschichtlich vermutlich sehr alt und möglicherweise in allen Kulturen verbreitet, befindet sich damit am Schnittpunkt »religiöser« und »naturwissenschaftlicher« Krankheitsvorstellungen. Somit ist sie auch nicht gänzlich unvereinbar mit unseren modernen Vorstellungen, etwa der mikrobiellen Pathogenese, der Existenz von »Steinen« im Gangsystem der Galle oder des Urins, der Notwendigkeit, eiternde Zähne zu ziehen oder durch Geschwüre oder bösartige Tumore geschädigte Organteile zu entfernen. In jedem Medizinsystem hat die Entfernung eines Fremdkörpers oder kranken Gewebes einen suggestiven Effekt auf den Kranken. So wird sein Leiden fassbar. Es kann etwas gegen den schmerzhaften und gefährlichen Zustand unternommen werden. Der Patient ist der Macht der Krankheit, ihrer Tendenz zu ständiger Verschlimmerung und Tod nicht weiter schutzlos ausgeliefert. Diese veränderte Selbstwahrnehmung kann zur Heilung beitragen.
 
Moderne Medizin
 
Mit der Entdeckung der bakteriellen Erreger durch Antony van Leeuwenhoek im Jahr 1683, dem Siegeszug der naturwissenschaftlichen Medizin durch Ärzte wie Rudolf Virchow und Robert Koch und mit mittlerweile immer verfeinerten Methoden änderte sich die Sicht dessen, was Krankheit im Kern ist. Erfolgreiches ärztliches Handeln bestand in dieser Epoche darin, die in den Körper eingedrungenen Erreger zu erkennen, zu bekämpfen, abzutöten und damit zum Verschwinden zu bringen. Für Infektionskrankheiten und andere körperliche Störungen gilt das natürlich immer noch.
 
Im Fall bakterienbedingter Krankheiten ist das der modernen Medizin im Prinzip außerordentlich erfolgreich gelungen, denn Penicillin (entdeckt 1928 von Alexander Fleming) und seine Antibiotikaverwandten sowie die Sulfonamide (entdeckt 1935 von Gerhard Domagk) und ihre Abkömmlinge waren bisher fast immer sehr wirksam. Die Warnzeichen sind jedoch nicht zu übersehen: Einige Erreger haben sich inzwischen durch genetische Veränderungen (Mutationen) so gewandelt haben, dass sie dem Angriff fast aller existenten Antibiotika standhalten können; sie sind resistent geworden. Wenn es nicht gelingt, das Wettrennen zwischen der Entwicklung neuer Antibiotika und immer neuen Resistenzbildungen zu gewinnen, etwa durch Einführung eines ganz neuen Bekämpfungsprinzips, werden wir in der Zukunft von Bakterienvarianten weit mehr bedroht sein, als wir es jetzt schon sind.
 
Auch gegen die meisten Viren sind wir nicht mehr so machtlos wie in der Zeit vor der modernen Medizin. Mit einer aktiven Impfung kann man einige Erkrankungen, insbesondere die typischen virusbedingten Kinderkrankheiten und auch die teilweise sehr gefährlichen Formen der Leberentzündung (Hepatitis B, sie wird auch durch den Geschlechtsverkehr übertragen und breitet sich weltweit schnell aus) im Zaum halten. Allerdings haben wir bislang kein Mittel gegen besonders bedrohliche Viren, zum Beispiel gegen das Aids auslösende HI-Virus. Auf den letzten internationalen HIV-Tagungen waren die Hoffnungen auf einen schnellen Durchbruch bei der Therapie und Prophylaxe dieser Seuche nicht sehr groß.
 
Das Bild des Kausalgefüges der Entstehung von Krankheiten und die sich daraus ergebende Strategie der Behandlung war, wie es für die jetzt zu Ende gehende Epoche der Naturwissenschaften generell gilt, meist eindimensional: ein Erreger, eine Ursache, eine Krankheit, ein befallenes Organ oder Organsystem, eine gebündelte Therapie. Erst ab 1980 setzte sich langsam eine neue Sichtweise durch, die zuvor von den meisten naturwissenschaftlich ausgerichteten Medizinern als unbewiesene Spekulation verkannt worden war. Es konnte gezeigt werden, dass ganz verschiedene Organsysteme miteinander in Wechselwirkung stehen, dass zum Beispiel psychische Einflüsse definierte physische Folgen haben können. Dieses Konzept fasst man unter den Begriffen »Psychoimmunologie« beziehungsweise »Psychoneuroendokrinoimmunologie« zusammen.
 
Aufgabe der Medizin des nächsten Jahrtausends wird es sein, die komplexen, bisher erst ansatzweise verstandenen Wechselwirkungen jener Funktionssysteme zu verstehen, zu beschreiben und für die Prophylaxe und Therapie nutzbar zu machen, damit Gesundheit erhalten bleibt.
 
Dr. Sabine Schiefenhövel-Barthel und Prof. Dr. Wulf Schiefenhövel
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Altern und Tod
 
Literatur:
 
Dahlke, Rüdiger: Krankheit als Sprache der Seele. Taschenbuchausgabe München 1997.
 Gerhardt, Uta: Gesellschaft und Gesundheit. Frankfurt am Main 1991.
 Peter, Kurt Friedrich: Gesundheit und Krankheit aus ganzheitlicher Sicht. St. Gallen 1993.
 Pfleiderer, Beatrix u. a.: Ritual und Heilung. Berlin 21995.
 
Psychosomatische Medizin. Beiträge von Thure von Uexküll u. a. Herausgegeben von Rolf H. Adler u. a. München u. a. 51996.
 Weiss, Thomas: Krank im Schlaraffenland. Wie wirkt Ernährung auf unsere Gesundheit? München 1994.

Universal-Lexikon. 2012.