Kernverschmelzung
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Kẹrn|fu|si|on 〈f. 20〉
1. 〈Kernphys.〉 Kernreaktion, die zur Bildung schwererer Atomkerne aus leichteren unter gleichzeitiger Energieabgabe führt; Sy Kernverschmelzung (1)
2. 〈Biol.〉 = Karyogamie
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Kẹrn|fu|si|on [↑ Fusion] Syn.: Kernverschmelzung: die Verschmelzung leichter Atomkerne zu schwereren, wobei Energie frei wird, die ein Maß für den mit der K. verbundenen ↑ Massendefekt ist. In der wichtigsten natürlichen K.-Reaktion, der Erzeugung der Sonnenenergie, verschmelzen 4 Protonen zu einem Alpha-Teilchen, u. während einer Wasserstoffbombenexplosion vereinigen sich bei einer Temp. von mindestens 108 K (thermonukleare Reaktion) je ein Deuterium- u. ein Tritiumkern zu einem Heliumkern.
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Kẹrn|fu|si|on, die:
2. (Biol.) Kernverschmelzung.
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Kernfusion,
Kernverschmelzung, die Verschmelzung leichter Atomkerne zu einem schwereren. Die Kernfusion tritt ein, wenn sich zwei Atomkerne so weit nähern, dass die anziehende Kernkraft, die eine sehr kurze Reichweite aufweist, die abstoßende Coulomb-Kraft (coulombsches Gesetz) überwindet. Prinzipiell kann die Annäherung der Kerne statisch oder dynamisch erreicht werden. Der statische Fall liegt z. B. in myonischen Molekülen des schweren Wasserstoffs vor (myonkatalysierte Kernfusion), in denen das Elektron in der Atomhülle durch ein circa 200-mal schwereres Myon ersetzt wird. Aufgrund seiner größeren Masse zwingt das Myon die beiden Atomkerne auf einen circa 200-mal kleineren Abstand; durch den Tunneleffekt steigt dabei die Wahrscheinlichkeit von Kernfusionsreaktionen stark an. Da die statische Überwindung der Coulomb-Abstoßung keine hohen Temperaturen erfordert, spricht man auch von kalter Kernfusion. Eine andere Variante der kalten Kernfusion, der »Kernfusion im Reagenzglas«, bei der Fusionsprozesse im Festkörper oder im Elektrolyten ausgelöst werden sollen, konnte bisher nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden. Weitaus bekannter und häufiger ist die dynamische Überwindung der abstoßenden Coulomb-Kraft. Hierbei treffen die Reaktionspartner mit hoher Geschwindigkeit aufeinander, z. B. bei Kernreaktionen in Teilchenbeschleunigern oder dem heißen Plasma der Sonne.
Prinzip und Bedeutung
Die große Bedeutung der Kernfusion liegt in der Möglichkeit der Energiegewinnung, da die Gesamtmasse der gebildeten Reaktionsprodukte bei der Verschmelzung leichter Kerne kleiner ist als die Massen der Reaktionspartner vor der Reaktion, sodass Kernenergie frei wird (Kernbindungsenergie). Bezogen auf die Masse des Brennstoffs entspricht dies einigen Mio. Mal mehr Energie als bei den mit der Verbrennung fossiler Brennstoffe verknüpften chemischen Reaktionen. - Die Kernfusion ist die wichtigste Energiequelle der Natur. Die von der Sonne (Sonnenenergie) und den Sternen ausgestrahlten Energien stammen größtenteils aus Kernfusionsprozessen, die bei den in ihrem Inneren herrschenden extrem hohen Temperaturen (oberhalb von 10 Mio. Kelvin [K] bei der der Sonne) und Drücken ablaufen. Dabei treten je nach den in den jeweiligen Sternen vorherrschenden Bedingungen verschiedener Prozesse auf, von denen die wichtigsten die Proton-Proton-Reaktion, der Bethe-Weizsäcker-Zyklus und der Drei-Alpha-Prozess sind.
Eine Form der künstlichen Kernfusion ist die unkontrollierte Kernfusion in der Wasserstoffbombe (Kernwaffen). Angestrebt wird die kontrollierte (gesteuerte) Kernfusion in Fusionsreaktoren, in denen Fusionsenergie gewonnen und in elektrische Energie umgewandelt wird; sie gilt als mögliche Energiequelle der Zukunft. Besonders groß ist der Energiegewinn bei der Fusion der schweren Wasserstoffisotope Deuterium (2D) und Tritium (3T) sowie des Heliumisotops 3He. Die wichtigsten Fusionsreaktionen sind (n Neutron, p Proton; in Klammern stehen die kinetischen Energien der Reaktionsprodukte):
(1a) 2D +2D →3T (1,008 MeV) + p (3,024 MeV)
(1b) 2D +2D →3He (0,817 MeV) + n (2,450 MeV)
(2) 2D +3T →4He (3,517 MeV) + n (14,069 MeV)
(3) 2D +3He →4He (3,670 MeV) + p (14,681 MeV).
Die Erforschung der kontrollierten Kernfusion hat sich bisher auf die Reaktion (2) (auch D-T-Reaktion) konzentriert, da diese unter den oben genannten Reaktionen die höchste Reaktionswahrscheinlichkeit (Wirkungsquerschnitt) aufweist, das Maximum ihrer Ausbeute bei der niedrigsten Temperatur auftritt und pro Reaktion der hohe Energiebetrag von 17,6 MeV frei wird. Die Reaktion ist durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet: 1) der Hauptteil der Energie wird in Form von 14-MeV-Neutronen frei, 2) als Kernbrennstoff wird das radioaktive Wasserstoffisotop Tritium (Halbwertszeit 12 Jahre) benötigt. Das erforderliche (und in der Natur nur in Spuren vorkommende) Tritium kann mithilfe der bei der Kernfusion erzeugten Neutronen aus Lithium erbrütet werden:
6Li + n →3T +4He + 4,78 MeV,
7Li + n →3T +4He + n' — 2,47 MeV,
sodass Tritium nur ein internes Zwischenprodukt darstellt und die von außen zu liefernden Brennstoffe Deuterium und Lithium sind. Von beiden sind geographisch gleichmäßig über die Erde verteilte Vorräte vorhanden, die ausreichen würden, die Energieversorgung für praktisch unbegrenzte Zeit zu garantieren (z. B. ist Deuterium mit 0,015 % im natürlichen Wasserstoff, d. h. zu 0,003 % im Wasser vorhanden).
Für die Einleitung von Fusionsreaktionen muss eine bestimmte Schwellenenergie überschritten werden. Nennenswerte Reaktionsausbeuten erfordern kinetische Energien von einigen 10 keV beziehungsweise Temperaturen von einigen 100 Mio. K (1 keV ≙ 11,6 · 106 K). Bei solchen Temperaturen sind die Atomkerne leichter Elemente vollständig von ihren Elektronen getrennt; es bildet sich ein Plasma, d. h. ein nach außen elektrisch neutrales Gemisch von Elektronen und Ionen. Da unter diesen Bedingungen die Wahrscheinlichkeit für elastische Coulomb-Stöße viele Zehnerpotenzen höher ist als die für Fusionsstöße, müssen die Reaktionspartner lange genug in einem Reaktionsvolumen eingeschlossen werden, damit Fusionsstöße hinreichend häufig auftreten; man spricht dann von thermonuklearen Reaktionen. Zur quantitativen Beschreibung der Bedingungen, die hierfür zu erfüllen sind, wurde das so genannte Zündkriterium (anstelle des früheren Lawson-Kriteriums) eingeführt. Es gibt die Parameter eines thermonuklearen Plasmas an, bei denen die Heizleistung der hochenergetisch geladenen Reaktionsprodukte ausreicht, um alle Energieverluste nach außen zu decken. Im Falle der Reaktion (2) sorgen dafür die 4He-Kerne, die im Plasma eingeschlossen bleiben und ihre Energie (3,5 MeV) direkt an dieses abgeben. Unter diesen Bedingungen können alle externen Heizeinrichtungen abgeschaltet werden, und das Plasma wird thermonuklear weiterbrennen. Näherungsweise lässt sich das Zündkriterium durch die Bedingung wiedergeben, dass das Produkt aus Plasmatemperatur T, Plasmadichte n und Energieeinschlusszeit tE (definiert als Energieinhalt dividiert durch Verlustleistung) den Wert
überschreiten muss. Gleichzeitig muss für die Zündung eine Temperatur von mindestens 4,7 keV erreicht werden (theoretische Zündtemperatur für ein reines Wasserstoffplasma mit unendlich hohem Produkt aus Dichte und Einschlusszeit).
Einschlussprinzipien
Eine hinreichend lange thermische Isolierung eines so heißen Plasmas bei ausreichender Dichte kann nicht direkt durch substanzielle Wände erfolgen, da bei den genannten Temperaturen alle Materialien verdampfen. Überdies erlischt der Brennvorgang, wenn die Energie zu schnell aus dem Inneren des Plasmas entweicht. Der brennende Plasmakern muss deshalb gegenüber der Wand des Plasmagefäßes genügend gut wärmeisoliert sein und durch zusätzliche Maßnahmen eingeschlossen werden. Als wichtigste Einschlussprinzipien gelten derzeit Trägheitseinschluss und magnetischer Einschluss, wobei die Wirkung von Trägheitskräften beziehungsweise Magnetfeldern ausgenutzt wird.
Beim Trägheitseinschluss wird ein kleines Materiekügelchen (englisch pellet) aus mit verschiedenen Schichten überzogenem Fusionsbrennstoff mit fokussierten leistungsstarken Laserstrahlen (Laserfusion) oder Teilchenstrahlen so schnell aufgeheizt, dass hinreichend viele Fusionsprozesse abgelaufen sind, bevor sich die Teilchen aus dem Reaktionsvolumen entfernen können. Für die Zündbedingung eines Pellets gilt vereinfacht, dass das Produkt aus Teilchendichte und Radius des Pellets eine gewisse Mindestgröße überschreiten muss (bei einer Temperatur T > 4,7 keV). Da die zur Aufheizung erforderliche Energie des Laser- oder Teilchenpulses linear mit der Dichte, aber kubisch mit dem Radius des Pellets ansteigt, werden kleine Pellets (circa 0,1 mm) bevorzugt. Aufgrund der oben genannten Zündbedingung verlangt dies eine etwa 1 000fache Festkörperdichte des Brennstoffs. Die erforderliche Energie liegt dann im Bereich von einigen Mio. Joule, die innerhalb des extrem kurzen Zeitraums von rd. 10-9 s zugeführt werden muss. Die Probleme, die bei diesem Konzept zu überwinden sind, liegen in der Dichtekompression um den Faktor 1 000, was eine gleichmäßige Bestrahlung des Pellets von allen Seiten erfordert, weiterhin in der Größe der notwendigen Energie (die leistungsfähigsten derzeitigen Laser liefern etwa ein Zehntel der geforderten Energie, stärkere sind im Bau), in der möglichst verlustfreien Übertragung der Laserenergie auf das Pellet und im niedrigen Wirkungsgrad der Laser (einige Prozent). Aus dem letzten Grund werden zunehmend auch Teilchenstrahlen (z. B. Schwerionenstrahlen) in Betracht gezogen, da diese mit höherem Wirkungsgrad erzeugt werden können. Die Trägheitsfusion wird heute überwiegend in den USA und in Japan untersucht. Wegen der teilweisen Geheimhaltung ist die Beurteilung des experimentellen Standes schwierig. Gesichert ist, dass eine 600fache Festkörperdichte in Kompressionsversuchen mit Lasern erzielt wurde. - Problematisch an der Trägheitsfusion ist u. a., dass hohe gepulste Energien in Zeiträumen freigesetzt werden, die kurz gegenüber dem zeitlichen Abstand der Pulse sind, woraus eine extreme Beanspruchung des Reaktorgefäßes folgt. Vorteilhaft gegenüber dem magnetischen Einschluss ist der Verzicht von Magnetfeldern für den Plasmaeinschluss.
Beim magnetischen Einschluss nutzt man die Tatsache, dass die Plasmateilchen aufgrund ihrer elektrischen Ladung durch ein Magnetfeld auf eine Kreisbahn senkrecht zur Richtung der Feldlinien gezwungen werden und sich dementsprechend über größere Strecken nur parallel, nicht aber senkrecht zur Feldrichtung bewegen können. Man unterscheidet beim magnetischen Einschluss die linearen von den toroidalen Konfigurationen. Da bei den linearen (offenen) Konfigurationen die Feldlinien und damit das Plasma an den offenen Enden der Apparatur austreten können, sind hiermit sehr große, unvermeidliche Verluste verbunden. Durch eine Verstärkung des Magnetfeldes an beiden Enden der Anordnung (magnetischer Spiegel) können prinzipiell die Endverluste verringert werden. Trotz erheblicher Anstrengungen ist dies bisher nicht in ausreichendem Maße gelungen, sodass weltweit die Arbeiten an den linearen Anordnungen in den Hintergrund getreten sind.
Einen Ausweg bieten toroidale (geschlossene) Konfigurationen, bei denen sich das Magnetfeld zu einem Ring oder Torus schließt. Da das Magnetfeld hierdurch nicht mehr räumlich konstant ist, überlagert sich der Kreisbewegung der Plasmateilchen eine zusätzliche Driftbewegung, die zu einer radial nach außen an die Gefäßwand gerichteten Beschleunigung des Plasmas führt. Um diese radiale Bewegung zu unterdrücken, werden die Magnetfeldlinien »verdrillt«, indem man dem toroidalen Feld ein zusätzliches (poloidales) Feld derart überlagert, dass die Feldlinien nicht nur kreisförmig um die Torusachse laufen, sondern sich schraubenförmig um die Torusseele winden. - Nach der Art der Erzeugung des poloidalen Zusatzfeldes werden zwei Hauptklassen von toroidalen Anordnungen unterschieden. Beim Tokamak-Prinzip (russische Abkürzung für »torusförmige Kammer mit Magnet«) besorgt dies ein toroidal im Plasma fließender Strom, der durch einen Transformator induziert oder durch andere Stromtriebmechanismen angetrieben wird. Der Stellarator vermeidet einen Plasmastrom und benutzt externe Zusatzspulen, die geeignet geformt sind (helikale Stellaratorwindungen oder modulare Magnetspulen). Stellaratoren werden derzeit überwiegend in Japan und Deutschland (Wendelstein) untersucht.
Auf dem Gebiet des toroidalen magnetischen Einschlusses sind seit Mitte der 70er-Jahre beträchtliche Fortschritte erzielt worden, die hauptsächlich auf die Anwendung wirkungsvoller Heizmethoden zurückzuführen sind, mit denen die Plasmaparameter immer stärker in die Nähe der thermonuklearen Zündung gebracht wurden, woraus die Zuversicht resultierte, immer größere Experimentieranlagen zu bauen. Hierbei spielen die Tokamak-Experimente wegen ihres vergleichsweise einfachen Aufbaus eine Vorreiterrolle. Neben seiner Funktion als Poloidalfeldlieferant übernimmt der Plasmastrom gleichzeitig die der Plasmaerzeugung und der Widerstandsheizung (ohmsche Heizung). Letztere verliert mit steigender Temperatur an Wirksamkeit. Mit leistungsstarken Zusatzheizmethoden, wie der Einstrahlung hochfrequenter elektromagnetischer Wellen (Hochfrequenzheizung) und hochenergetischer neutraler Wasserstoffatome (Neutralinjektion), konnte in den letzten Jahren die Zündtemperatur erreicht und in den Anlagen JET, TFTR (Abkürzung für englisch »toroidal fusion test reactor«, Princeton, USA) und JT-60 U (Abkürzung für englisch »Jaeri [japanese atomic energy research institute] Tokamak«, Naka, Japan) erheblich überschritten werden. Die Tokamak-Experimente JET und TFTR konnten erstmals eine nennenswerte Fusionsleistung in einer kontrollierten Kernfusion mit Plasmen aus einem Deuterium-Tritium-Gemisch erreichen; während JET mit einem Tritiumanteil von 14 % etwa 2 MW Leistung (1991) erbrachte, erzeugte TFTR (in der Mischung 1 : 1) eine Fusionsleistung von circa 10 MW (1993). Energieeinschlusszeit, Plasmadichte und -temperatur sind bis auf weniger als eine Größenordnung an das Zündkriterium herangekommen. Es wurden Temperaturen von 44 keV (TFTR) mit Heizleistungen von 39 MW erreicht. In diesen heißen Plasmen wurden bereits einige Eigenschaften der nuklearen Heizung (Alphateilchenheizung) und das Verhalten der erzeugten Reaktionsprodukte im Plasma untersucht, wobei weitgehende Übereinstimmung mit den theoretischen Vorhersagen festgestellt wurde.
Trotz der »Verdrillung« der Feldlinien haben auch toroidale Anordnungen inhärente Verluste, die die gegenwärtig erreichbaren Parameter bestimmen. Die Stöße (Coulomb-Streuung) der Elektronen und Ionen untereinander führen zur Diffusion von Plasmateilchen und -energie zum Rand. Diese Verluste werden quantitativ durch die Energieeinschlusszeit tE erfasst, die mit wachsender Größe der Apparatur zunimmt. Die beobachteten Verluste sind jedoch zum Teil um Größenordnungen höher als die theoretisch genau berechenbaren (klassischen) Diffusionsverluste, sodass zusätzlich die Wirkung von Instabilitäten oder anderen Mechanismen angenommen werden muss, die zu erhöhtem (anomalem) Transport führen. Darüber hinaus wird Energie in Form elektromagnetischer Wellen abgestrahlt, z. B. als Bremsstrahlung der Elektronen im Coulomb-Feld der Plasmaionen sowie als Linienstrahlung aus Verunreinigungsionen (als solche werden Ionen aller Elemente außer Wasserstoff betrachtet). Da diese Verunreinigungen von den Wänden der Apparatur stammen, erfordert ihre Unterdrückung eine sorgfältige Kontrolle der Wechselwirkung zwischen der Plasmarandschicht und der Wand (Plasma-Wand-Wechselwirkung). Wesentlich hierfür ist eine besondere Formgebung des Magnetfeldes im Randbereich, realisiert durch den Divertor (ASDEX).
Weitere Entwicklungen und Sicherheitsaspekte
Der Schwerpunkt zukünftiger physikalischer Untersuchungen liegt auf dem Verständnis und der Verbesserung des Plasmaeinschlusses, der Plasma-Wand-Wechselwirkung, des maximalen Plasmadrucks und der Stationarität (die bisherigen Plasmaentladungen sind nur Pulse von einigen Sekunden Dauer). Aufgrund des oben genannten anomalen Verhaltens sind Vorhersagen bei der Planung neuer Experimente unsicher. Die Kernfusionsforschung strebt daher eine schrittweise Annäherung an die erforderliche Reaktorgröße an (die voraussichtlichen Abmessungen sind: Plasmadurchmesser circa 5 m, Ringdurchmesser circa 15 m). Um Aufwand und Risiko zu teilen, ist die Fusionsforschung in internationalen Programmen organisiert. Die deutsche Kernfusionsforschung ist Teil des von EURATOM koordinierten europäischen Fusionsprogramms, in dem die Fusionszentren der Europäischen Union und der Schweiz zusammengefasst sind. Neben dem europäischen Fusionsprogramm existieren weltweit noch drei weitere eigenständige Programme größeren Umfangs: in den USA, in Japan und Russland. Darüber hinaus läuft seit 1988 ein internationales Planungsprojekt unter dem Namen ITER.
Neben den physikalischen Fragen gibt es eine Reihe von technologischen Problemen, deren Lösung Voraussetzung für den Bau eines Fusionsreaktors ist. Schlüsselprobleme auf dem technologischen Sektor sind Materialentwicklung und Struktur der Wandung, die dem Plasma unmittelbar ausgesetzt ist (erste Wand), die Entwicklung von Blanketmaterialien für die Brutzone, in der das Tritium erbrütet wird, die Tritiumtechnologie selbst sowie die Supraleitungstechnik für die Magnetspulen. Hinzu kommen die Heizsysteme, die - im Fall des Tokamak-Reaktors - auch den stationären Antrieb des Plasmastroms übernehmen müssen, da der Transformator prinzipiell nur gepulsten Betrieb erlaubt. Außerdem spielt die Untersuchung der Sicherheits- und Umweltfragen eine wichtige Rolle. Für den technologischen Sektor gibt es in Europa ein eigenes Technologieprogramm, das auch mit der Planung für die nächsten internationalen Gemeinschaftsexperimente Next European Torus (NET) zusammenhängt.
Sicherheit und Umweltverträglichkeit von Kernfusionsforschung und -Reaktoren werden als günstig eingeschätzt. Niedrige Leistungsdichte, geringer Brennstoffvorrat in der Plasmakammer und die inhärente Eigenschaft des Plasmas, schon bei kleinen Störungen zu erlöschen, lassen eine sehr niedrige Wahrscheinlichkeit von Störfällen erwarten, die durch Freisetzung von Radioaktivität die Umwelt belasten könnten. Die Hauptgefährdung bei einem angenommenen schwersten Unfall ginge von dem freigesetzten Tritium aus, dessen Betastrahlung (20-keV-Elektronen) zwar die (menschliche) Haut nicht durchdringen, aber mit der Atemluft und der Nahrung inkorporiert werden kann. Bei einem solchen Unfall wäre nach derzeitigem Kenntnisstand die maximale radioaktive Belastung in 1 km Entfernung unter ungünstigsten Bedingungen vergleichbar mit der zulässigen Jahresdosis beruflich strahlenexponierter Personen (0,05 Sv). - Der zweite radioaktive Bestandteil des Fusionsreaktors ist neben dem Tritium das Material der Brennkammerwände und des Brutmantels; beide werden durch die 14-MeV-Neutronen aktiviert. Beim Ersetzen der verbrauchten Wände oder beim Stilllegen des Reaktors würden nach derzeitiger Kenntnis einige Tausend m3 an radioaktivem metallischen Abfall entstehen. Die Halbwertszeit der entstehenden radioaktiven Nuklide ist 100-mal kürzer als z. B. bei Kernspaltungsreaktoren und lässt sich durch die Entwicklung von Spezialstählen auf 35-50 Jahre verringern.
Nach derzeitigen Einschätzungen wird die Kernfusion nicht wesentlich vor Mitte des nächsten Jahrhunderts wirtschaftlich nutzbare Energie liefern.
I. von Stumm: K.-Forschung, polit. Steuerung u. internat. Kooperation. Das Max-Planck-Inst. für Plasmaphysik (IPP) 1969 - 1981 (1999);
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Kernkraftwerk: Energieerzeugung durch Kernspaltung
Lasertechnik: Laseranwendungen in der Forschung
Kernfusion als Energiequelle: Der Sonne abgeschaut
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Kẹrn|fu|si|on, die: 1. (Physik) ↑Fusion (4) von Atomkernen. 2. (Biol.) vgl. ↑Kernverschmelzung (2).
Universal-Lexikon. 2012.