Akademik

Sinn
Semantik; Sinngehalt; Aussage; Bedeutung; Ziel; Nutzen; Sinnhaftigkeit; Zweck

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Sinn [zɪn], der; -[e]s, -e:
1. <ohne Plural> geistiger Gehalt einer Sache:
er konnte den Sinn seiner Worte nicht verstehen; die Lehrerin fragte nach dem Sinn der Fabel; sie wollte es in diesem Sinne verstanden wissen.
Syn.: Aussage, Bedeutung, Inhalt.
Zus.: Doppelsinn, Hintersinn, Nebensinn.
2. die Fähigkeit der Wahrnehmung und Empfindung:
viele Tiere haben schärfere Sinne als der Mensch; die fünf Sinne des Menschen sind: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten.
Zus.: Geruchssinn, Geschmackssinn, Gleichgewichtssinn, Orientierungssinn, Tastsinn.
3. <ohne Plural> innere Beziehung zu etwas, Gefühl (für etwas):
ihm fehlt jeder Sinn für Humor; sie hat viel Sinn für das Schöne.
Syn.: Gespür.
Zus.: Familiensinn, Gemeinschaftssinn, Geschäftssinn, Ordnungssinn, Realitätssinn.

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Sịnn 〈m. 1
1. Fähigkeit der Organismen, verschiedene Arten von Reizen zu unterscheiden
2. Denken, Gedanken, Bewusstsein
3. Gesinnung, Einstellung, Denkweise
4. Verständnis, Empfänglichkeit (für)
5. Bedeutung, geistiger Gehalt (einer Dichtung, Aufgabe, eines Wortes)
6. Bedeutung für das Erreichen eines Ziels
7. 〈Pl.〉 sexuelles Empfinden, geschlechtl. Begierde
● der \Sinn einer Fabel, Erzählung; das ist nicht der \Sinn der Sache 〈umg.〉 so ist es nicht gemeint, man muss es anders machen ● dieser Satz ergibt keinen \Sinn; seine \Sinne erwachten sein Geschlechtstrieb; es hat keinen \Sinn, länger zu warten es ist unvernünftig, hat keinen Zweck; das hat weder \Sinn noch Verstand das ist Unsinn; sein \Sinn steht nach Höherem er strebt nach H. ● mit jmdm. eines \Sinnes sein mit jmdm. übereinstimmen; einen frohen, fröhlichen, heiteren \Sinn haben; die fünf \Sinne Gesichts-, Gehör-, Geruchs-, Geschmacks- u. Tastsinn; seine fünf \Sinne beisammenhaben 〈fig.〉 denken u. urteilen können; \Sinn gebend = sinngebend; einen geraden, aufrechten, ehrlichen, edlen \Sinn haben; dadurch bekommt die Sache, Maßnahme erst ihren (richtigen) \Sinn; was ist der langen Rede kurzer \Sinn? (Schiller, Piccolomini, I,2); langer Rede kurzer \Sinn 〈umg.〉 um es kurzzumachen, kurz zusammenzufassen; leichten \Sinnes froh u. zuversichtlich; sich keine Gedanken machend; einem Brauch, einer Gewohnheit einen neuen \Sinn geben ihn, sie wieder sinnvoll machen; einen sechsten \Sinn haben (für etwas) 〈umg.; scherzh.〉 ein besonderes Ahnungsvermögen; \Sinn stiftend = sinnstiftend ● seine Bemerkung geht, will mir nicht aus dem \Sinn ich muss immer daran denken; er ist nicht bei \Sinnen er ist außer sich (vor Erregung, Zorn); ein Wort ging mir durch den \Sinn fiel mir ein; \Sinn für Humor, Kunst, Musik, Schönheit haben; dafür habe ich keinen \Sinn; in jmds. \Sinne handeln so handeln, wie der andere es wünscht; im \Sinne des Gesetzes so, wie es das G. vorschreibt; etwas im \Sinn(e) haben etwas beabsichtigen, planen; was ist dir plötzlich in den \Sinn gekommen? was hast du dir nur auf einmal gedacht?; das habe ich in einem ganz anderen \Sinne gemeint; ein Musikant im besten \Sinne (des Wortes) ein guter, echter M.; in diesem \Sinne habe ich das nicht gemeint in dieser Bedeutung; in diesem \Sinne habe ich auch an ihn geschrieben so, wie wir es (eben) besprochen haben; im eigentlichen \Sinn(e) in der eigentl., ursprüngl. Bedeutung; im engeren, weiteren \Sinn(e) in der engeren, weiteren (umfassenderen) Bedeutung; im guten \Sinn(e) in der gutgemeinten Bedeutung einer Aussage; ein Wort im schlechten \Sinn(e) verstehen in seiner schlechten Bedeutung; im schönsten, tiefsten \Sinn(e) des Wortes; im strengsten \Sinn(e) genau genommen; im übertragenen, bildlichen \Sinn bildlich, nicht wörtlich gemeint; im wahrsten \Sinn(e) des Wortes in der eigentlichen, ursprüngl., genauen Bedeutung des W.; eine Anordnung dem \Sinn nach (nicht strikt dem Wortlaut nach) erfüllen; das ist nicht nach meinem \Sinn das ist mir nicht recht, das gefällt mir nicht, passt mir nicht; das ist so recht nach meinem \Sinn darüber freue ich mich, das gefällt mir, das habe ich gern; etwas ohne \Sinn und Verstand tun ohne Überlegung, ohne nachzudenken; (wie) von \Sinnen sein (vor Schmerz, Zorn) außer sich sein, aufs Höchste erregt sein; bist du von \Sinnen? 〈umg.〉 bist du verrückt? [<mhd., ahd. sin „auf Verstand, Wahrnehmung bezogen“; Grundbedeutung „Weg, Reise, Gang“, zu idg. *sent- „eine Richtung nehmen, gehen, reisen, fahren“; → sinnen]

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Sịnn , der; -[e]s, -e [mhd., ahd. sin, eigtl. = Gang, Reise, Weg]:
1. <meist Pl.> Fähigkeit der Wahrnehmung u. Empfindung (die in den Sinnesorganen ihren Sitz hat):
wache, stumpfe -e;
die fünf -e, nämlich das Hören, das Sehen, das Riechen, das Schmecken und das Tasten;
etw. schärft die -e;
etw. mit den -en wahrnehmen, aufnehmen;
seiner -e nicht mehr mächtig sein, nicht mehr Herr seiner -e sein (sich nicht mehr beherrschen können, außer sich sein);
sechster S. (besonderer Instinkt, mit dem sich etw. richtig einschätzen, vorausahnen lässt: einen sechsten S. haben);
seine fünf -e zusammennehmen (ugs.; aufpassen, sich konzentrieren);
seine fünf -e nicht beisammenhaben (ugs.; nicht recht bei Verstand sein);
[nicht] bei -en sein ([nicht] bei klarem Verstand sein: bist du noch bei -en?);
[wie] von -en sein (überaus erregt sein, außer sich sein: sie war wie von -en vor Wut).
2. <o. Pl.> Gefühl, Verständnis für etw.; innere Beziehung zu etw.:
sie hat [viel] S. für Blumen;
er hatte wenig S. für Familienfeste (mochte sie nicht).
3. <o. Pl.> (geh.)
a) jmds. Gedanken, Denken:
jmds. S. ist auf etw. gerichtet;
bei der Besetzung der Stelle hatte man ihn im S. (hatte man an ihn gedacht, wollte man ihn berücksichtigen);
er hat ganz in meinem S. (wie ich es mir gewünscht habe, hätte) gehandelt;
das ist [nicht ganz] nach meinem S. (gefällt mir so [nicht ganz]);
jmdm. steht der S. [nicht] nach etw. (jmd. hat [keine] Lust zu etw., ist [nicht] auf etw. aus);
jmdm. nicht aus dem S. gehen (Kopf 3);
jmdm. durch den S. gehen/fahren (jmdm. [plötzlich] einfallen u. ihn beschäftigen);
etw. im S. haben (etw. Bestimmtes vorhaben);
mit jmdm., etw. nichts im S. haben (mit jmdm., etw. nichts zu tun haben wollen);
jmdm. in den S. kommen (jmdm. einfallen);
jmdm. nicht in den S. wollen (Kopf 3);
b) Sinnesart, Denkungsart:
seine Frau hat einen realistischen S.;
sie war frohen Sinnes.
4. <o. Pl.> gedanklicher Gehalt, Bedeutung; Sinngehalt:
der verborgene, geheime, tiefere S. einer Sache;
der S. seiner Worte blieb mir verborgen;
den S. von etw. begreifen;
etw. ergibt [k]einen S.;
etw. macht [k]einen S. (ugs.; etw. ergibt [k]einen Sinn, ist [nicht] verständlich, sinnvoll; nach engl. something makes sense);
jmds. Äußerung dem -e nach wiedergeben;
im engeren, weiteren S.;
im -e des Gesetzes (so, wie es das entsprechende Gesetz vorsieht);
[nicht] im -e des Erfinders sein (ugs.; [nicht] in jmds. ursprünglicher Absicht liegen).
5. Ziel u. Zweck, Wert, der einer Sache innewohnt:
etw. hat seinen S. verloren;
es hat keinen, wenig, nicht viel S. (ist [ziemlich] sinnlos, zwecklos), damit zu beginnen;
etw. macht keinen/wenig S. (ugs.; hat keinen/wenig Sinn; nach engl. it doesn't make [any] sense);
nach dem S. des Lebens fragen;
etw. ist ohne S. (ist sinnlos);
ohne S. und Verstand (ohne jede Überlegung; unsinnig, sinnlos);
weder S. noch Verstand haben (völlig unsinnig sein).

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Sinn,
 
ein durch zahlreiche Bedeutungen gekennzeichneter Begriff, dessen Vielfalt sich 1) auf die Wahrnehmungen, 2) auf geistige Inhalte, 3) auf das Handeln des Menschen und die Deutung seiner Umwelt und 4) auf das Selbstverständnis individuellen Lebens bezieht. Im Rahmen dieser Ebenen werden vier Verwendungsweisen des Begriffs unterschieden:
 
1) Sinn ist die Fähigkeit des Organismus, Reize der Außenwelt oder des Körperinnern wahrzunehmen; auch Bezeichnung für die Wahrnehmungsorgane (Gehörsinn u. a.); als »innerer Sinn« Bezeichnung für die emotionalen und intellektuellen Prozesse (z. B. Gedächtnis, Bewusstsein, Gefühl; der Sensus communis oder menschlicher Gemeinsinn); geistige Empfänglichkeit (Sinn für Musik, Technik, Kunst).
 
2) Sinn heißt auch die Bedeutung, die Worten, Sätzen, Kunstwerken, Ereignissen und überhaupt Zeichen zukommt hinsichtlich ihres hinweisenden Bezuges auf das Bezeichnete und dessen Interpretation. Das Erfassen dieses Sinns geschieht im Verstehen und wissenschaftlich in der Hermeneutik. Verstehen ist auf eine Mitteilung bezogen, die als Elemente ein Subjekt, das Sinn produziert, das sinnhaltige Zeichen und ein Subjekt, das den Sinn aufnimmt, umfasst. Das Verstehen ist geprägt durch das jeweils schon vorhandene Vorverständnis (den Sinnhorizont) des Rezipienten wie auch durch den Zusammenhang und die Intention, mit denen das Zeichen oder das Ereignis verbunden sind. In den Geisteswissenschaftenen findet sich seit W. Diltheys methodische Unterscheidung der Natur- und der Geisteswissenschaften (»Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir.«) ein verstärktes Bemühen, die Sinnzusammenhänge und den Sinngehalt in den Phänomenen der Gesellschaft und Kultur zu begreifen, die sich einer naturwissenschaftlichen Messbarkeit, Exaktheit und kausalen Rückführung auf ein Gesetz entziehen. Im 20. Jahrhundert formulierte M. Heidegger in »Sein und Zeit« die Frage nach dem Sinn von Sein, die im Rahmen seiner Fundamentalontologie eine konkrete Ausarbeitung erfuhr. Heidegger fasst Sinn wertneutral als Seinsweise des (menschlichen) Daseins; dabei tritt der Sinn als »Woraufhin« und »Woher« jedes möglichen Seinsverständnisses und als Horizont, in dem sich Sein offenbart, hervor. - In der sprachanalytischen Philosophie unterschied G. Frege die Bedeutung, d. h. den Gegenstand, auf den sich ein sprachlicher Ausdruck bezieht, von dem mit ihm ausgedrückten Gedanken als dessen Sinn (»Abendstern« und »Morgenstern« haben - als Namen für die Venus - die gleiche Bedeutung und - ihr Gegebensein am Abend oder am Morgen betreffend - einen unterschiedlichen Sinn).
 
3) Sinn bezeichnet den Zweck, die Endabsicht oder das Ziel; etwas ist sinnvoll, wenn es seinem Ziel dient oder seinen Zweck erfüllt. So haben Gegenstände im Hinblick auf ihre Funktion einen Sinn. Jede menschliche Handlung hat ein immanentes Ziel; mehrere Handlungen oder Teilhandlungen beziehen sich als Zwecke auf ein übergeordnetes Ziel. Das ihm zustrebende Geschehen oder Handeln ist nur dann als sinnvoll gerechtfertigt, wenn das Ziel selbst einen Wert darstellt. Eine Handlung kann somit von objektivem Nutzen und (bezogen auf den Handelnden) subjektiv wertvoll (oder »sinnlos«) sein. Sinn erscheint hierbei einerseits als eine individuelle Deutungskategorie des Menschen, andererseits kann Sinn als ein teleologisches Prinzip aufgefasst werden und meint dann ein immanentes Entwicklungsziel (eine sich im Entwicklungsprozess realisierende, diesem ursprünglich zugrunde liegende Bestimmung). Ein teleologisches Verständnis von Sinn kennzeichnet auch verschiedene Ansätze, in denen der Sinnbegriff vom menschlichen Handeln auf die Geschichte und die Natur übertragen wird.
 
4) Sinn wird die Bedeutung und der Gehalt genannt, den eine Sache, eine Handlung, ein Erlebnis (etwa eine Begegnung) für einen Menschen in einer bestimmten Situation hat. Seit F. Nietzsche bezeichnet der Begriff auch das Selbstverständnis des Menschen im Einzelnen und im grundlegenden Sinne (Sinn des Lebens). V. a. in Grenzsituationen (z. B. nach K. Jaspers Leiden, Schuld, Tod) kann die von A. Camus als bedeutsamste Art menschlicher Selbstreflexion angesehene und allen anderen Fragen vorgeordnete Frage nach dem »Worumwillen«, dem Zweck und Ziel des eigenen Lebens gestellt werden und durch das Individuum in einer Sinnbejahung oder Sinnverneinung Antwort erfahren. Auch die zufälligen Lebensereignisse unterliegen der subjektiven Deutung unter der Frage nach deren Sinn, die den vom Individuum anerkannten Werten folgend beantwortet wird. V. Frankl sieht in seiner Existenzanalyse die Sinnorientierung, den Willen nach Sinn oder dem Logos als eine primäre Motivation des Menschen an. Dabei wird der Sinn als ein vom Individuum in jeder Situation einmalig und einzigartig zu entdeckender und zu erfüllender (Sinnfindung) bestimmt. Im Unterschied hierzu kann nach Frankl die Frage nach dem »Sinn des Ganzen«, dem »Über-S.«, nicht beantwortet werden, weil hinter die Faktizität der konkreten Existenz nicht zurückgegangen werden kann, sondern diese selbst Sinn ist.
 
In Analogie zu menschlichen Handlungen wird auch vom Sinn der Natur gesprochen und diese damit als ein von unbewussten Naturzwecken oder bewusst gesetzten Schöpfungszwecken bestimmtes, sinnvoll geordnetes Ganzes aufgefasst; so finden sich Reihen von Zweckhaftigkeiten im mineralogischen, pflanzlichen und tierischen Bereich (z. B. dient die Lunge der Atmung, das Auge dem Sehen, ein Balzverhalten der Paarung). Bezogen auf Lebewesen meint Sinn hier die Organisation und das wechselseitige Verhalten, insofern es ihrer Selbsterhaltung dient. In der Metaphysik wird die Zweckhaftigkeit natürlicher Phänomene etwa durch ein immanentes, final gerichtetes Entwicklungsprinzip (Entelechie, bei Aristoteles, Goethe u. a.) erklärt, auch von der weisheitsvollen Naturordnung auf ihren Schöpfer geschlossen (Gottesbeweise) oder eine analoge Entsprechung von Makrokosmos (Weltall) und Mikrokosmos (Erde und Mensch) angenommen. Antwort auf die Frage nach dem Sinn der Geschichte ist das Anliegen der Geschichtsphilosophie.
 
 Sinnkriterien des menschlichen Wahrnehmens und Handelns
 
Sinn ist, psychologisch gesehen, die grundlegende Voraussetzung zur subjektiven Rechtfertigung von für wichtig gehaltenen Sachverhalten, Ereignissen und Erfahrungen (Sinnhaftigkeit). Durch die gesellschaftsbedingte sowie selbstbezogene Bewertung von Sinnbestimmungen ist ihre Gültigkeit grundsätzlich nicht absolut zu setzen, sondern dem individuellen Ermessen überlassen. Ob und in welcher Weise jemand etwas als sinnhaft erlebt, hängt sowohl von seinem kognitiven Verständnis für den Bedeutungsgehalt von Sinnbezügen (Sinnhorizont) wie von den von ihm praktizierten Sinnstrukturen selbst ab. Diese werden in der Psychologie in unterschiedlichen Zusammenhängen beschrieben. Die menschliche Wahrnehmung beispielsweise ist selektiv; in der Komplexität der Umwelt wird nur wahrgenommen, was einer bestimmten Sinnsuche oder Sinnerwartung entspricht und damit zum Handeln befähigen kann (G. W. Allport). In der gestaltpsychologischen Wahrnehmungspsychologie wird eine immanente »Prägnanztendenz« im Menschen angenommen, durch die unvollständige Gestalten zu »ausgezeichneten« ergänzt werden (M. Wertheimer, W. Köhler). In der Psychoanalyse (S. Freud) wird mit dem Begriff »Verdrängung« ein unbewusster Zwangsmechanismus beschrieben, bei dem als bedrohlich erlebte Triebregungen und mit diesen zusammenhängende Vorstellungen und Erinnerungen abgewehrt und im Unbewussten fixiert werden, um ein erwünschtes oder (etwa in Form gesellschaftlicher oder sozialer Ansprüche und Normen) vorgegebenes Sinngefüge zu erhalten. Diese und andere psychologische Konzepte zeigen auf, dass ein sinnvolles Ganzes oft nur durch Umwandlung beziehungsweise Uminterpretation von vorgegebenen Realitäten erreicht werden kann. Für das Streben nach einer solchen Harmonisierung von Sinnstrukturen können hauptsächlich fünf Sinnkriterien hervorgehoben werden, die jedoch von einer Person nicht in jedem Fall tatsächlich herangezogen werden. Meistens erfolgt sogar die Sinnabschätzung ebenso diffus wie unbemerkt und wird eher am Sinnverlust negativ bestimmt.
 
1) Das Bedeutungskriterium besagt, dass sinnvoll nur das sein kann, was in einem »Verstehensprozess« als wichtig eingestuft wird und eine Bedeutung für den Betreffenden selbst aufweist. In der humanistischen Psychologie erweiterte A. H. Maslow dieses Kriterium zu einem »personeninhärenten Entwicklungsprinzip«, das in einer die individuelle Entfaltung und die Motivstruktur bestimmenden Tendenz auf ein Idealbild vom Selbst hin zum Ausdruck kommt. Dieser Sinnbezug zum Selbst ist hierbei maßgeblich für die existenzielle Befindlichkeit.
 
2) Das Inhaltskriterium bezieht sich auf die aufgegriffenen Werte (materielle: z. B. Besitz; psychische: z. B. Wohlbefinden; soziale: z. B. Freundschaft; weltanschaulich: z. B. Heilsgewissheit) in ihrer Beziehung zum sinnsuchenden Menschen. Alle Werte sind an das Ermessen gebunden. Was jemand als Wert (oder wenn der Wert erlangt ist, als Sinnerfüllung oder »Glück«) bezeichnet, kann einem anderen gleichgültig sein oder als Unwert erscheinen. Jeglicher Sinnerfüllung geht aber die Entscheidung für diejenigen Werte voraus, deren Verwirklichung für den Einzelnen Sinnerfüllung bedeutet (Frankl).
 
3) Das Emotionskriterium wird in der Regel für Sinnbestimmungen vorgeschoben (z. B. als »Spaß«, den eine Tätigkeit bereitet), aber als Bestimmungskriterium häufig unterschätzt oder ignoriert. Da die erwähnten sinnschaffenden Werte im engen Wechselverhältnis zum Selbst stehen, tragen sie zum gesteigerten Daseinsgefühl bei. Dieses positive Lebensgefühl wird oftmals als vordergründige Bestätigung für den Sinn eines Wesensgehaltes oder eines Sachverhaltes genommen.
 
4) Das Finalkriterium geht über die bloße Sinnbefriedigung hinaus, die von den vorherigen Kriterien bestimmt wird. Unter Sinn wird in der Regel auch eine bestimmte Übereinstimmung mit persönlichen Erwartungen verstanden. Auf niederer Ebene ist sinnvoll das, was der eigenen Absicht entspricht (etwa finanzielle Unterstützung für eine Reise). Meint man, dass diese Absicht sachdienlich beziehungsweise Erfolg versprechend ist, setzt man sinnvoll mit zweckvoll gleich (z. B. die Reise ist zweckvoll, wenn mit ihr zugleich ein Besuchsversprechen erfüllt werden kann). Handelt es sich bei der Übereinstimmung um eine solche mit bestimmten, persönlich hoch geschätzten Werten (z. B. dem Wert der Freundschaft), so ist sinnvoll identisch mit dem Prädikat wertvoll. Hegt man diese Wertschätzung nicht allein, so ist sinnvoll so viel wie unbezweifelbar und allgemein verbindlich (z. B. als »Humanität«).
 
5) Das Konsistenzkriterium schließlich erhöht den Sinn zur »Sollkategorie«. Insofern der Mensch auf Selbsttranszendenz angelegt ist und stets über ein erreichtes Ziel hinausstreben möchte, hebt jedes Sinnereignis beziehungsweise jeder Sinnzustand sich in seiner Optimierung selbst auf. Folglich ist der Mensch gezwungen, in ständiger Sinnauseinandersetzung den Erhalt von Sinn vorzubereiten. Sofern diese Verpflichtung aufgegriffen wird, grenzt die Sinnsuche an die Erarbeitung einer eigenständigen Weltanschauung.
 
 Sinn als Zieldeutung für individuelles und kollektives Handeln
 
Von den frühen Kulturen bis in die Neuzeit hinein fand sich individuelles Leben geleitet und begleitet durch Grundsätze religiöser Offenbarung (Christentum: der Mensch als Ebenbild Gottes), gesellschaftlich-moralischer Autorität und Traditionen (Sitten und Gebräuche), Weltanschauungen (z. B. Kommunismus), Systeme der Metaphysik, in denen jene Anschauungen vielfach begründet wurden. Nachdem die religiösen, philosophischen und gesellschaftlich-sozialen Grundanschauungen, in denen das wahre Bild des Menschen als Ziel individuellen und gesellschaftlichen Handelns vorgezeichnet war, ihre Autorität und Verbindlichkeit in zunehmendem Maße verloren haben, wendet sich im 20. Jahrhundert die philosophische Anthropologie dem »Wesen« des Menschen zu. Denn aus dem Erkennen seines Wesens sollen demzufolge Sinn- und Zieldeutungen für menschliches Handeln gewonnen werden. Hierbei zeigt sich das Sein des Menschen als nicht abtrennbar von dem Sinn, zu dem er sich in seinem Sprechen, Handeln und Gestalten selbst versteht (J. Habermas). Insofern sich Menschen je nach ihrer individuellen, historischen und gesellschaftlichen Lage auf jeweils unterschiedliche Weise verstehen, ist aber auch das Wesen des Menschen entsprechend unterschiedlich definiert worden (Anthropologie). Der Mensch hat somit viele, einander ergänzende Wesenszüge; oder er ist seiner Bestimmung gemäß zur Mitwirkung aufgerufen, sein Wesen erst zu finden. Daher ist, der Existenzphilosophie zufolge, der Mensch in die Notwendigkeit gestellt, sich erst selbst zu dem zu machen, der er ist (J.-P. Sartre).
 
Die zunehmende Komplexität menschlicher Lebenswelt und menschlicher Lebensvollzüge, die mit der Entwicklung von Technik und Industrie seit dem 19. Jahrhundert einhergeht, wie auch die Durchsetzung einer wissenschaftlich-technischen Rationalität der Welt- und Lebensbewältigung (von M. Weber als »Entzauberung der Welt« charakterisiert) und die Tatsache, dass Leitideen und Werte nur noch partikulare, auf einzelne Gruppen oder Lebensbereiche bezogene Anerkennung erfahren, haben ein geistiges Vakuum entstehen lassen, das als Sinnverlust und Mangel an Sinnerfüllung in der heutigen Welt erfahren wird (»Sinnkrise«). Demgegenüber zeichnet die modernen Industriegesellschaften eine Pluralität heterogener und wechselnder Sinnangebote (»Sinnindustrie«) aus, die dem Einzelnen in Politik, Freizeit, Metaphysik vorgegeben werden und mit denen er in kritischen Sinnauseinandersetzung treten muss, um eine eigene Entscheidung oder Wahl treffen zu können. Ein Kennzeichen naturwissenschaftlich-technologischen Fortschritts ist die erweiterte Verfügungsmacht menschlichen Handelns, etwa im Hinblick auf die mögliche Unbewohnbarmachung weiter Landstriche durch den Einsatz von ABC-Waffen, auf eine Veränderung des Erbgutes durch die Gentechnik oder auf irreversible Veränderungen der Erde und bestehender Kulturen durch die Technik (z. B. Tourismus). Bestimmt sich das Handeln aus den Werten, zu denen Menschen sich jeweils verstehen, können Sinnsuche und Sinnauseinandersetzung, aufgefasst als ein Fragen nach verbindlichen Werten (»Sinnuniversalien«) und als geistige Verarbeitung des eigenen Lebens und des Lebens der überschaubaren Gemeinschaft, als Voraussetzungen für eine Sinnerfüllung angesehen werden; dieser kommt sowohl in Bezug auf individuelles Leben als auch auf eine zukunftsorientierte Verantwortlichkeit für die menschliche Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung zu (H. Benesch).
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Fortschritt · Glück · Selbstverwirklichung · Verantwortung · Wert
 
Literatur:
 
S. u. Sein, hg. v. R. Wisser (1960);
 E. Spranger: Kulturfragen der Gegenwart (41964);
 W. Weier: S. u. Teilhabe (1970);
 
Die S.-Frage in der Psychotherapie, hg. v. N. Petrilowitsch (1972);
 L. Binswanger: Grundformen u. Erkenntnis menschl. Daseins (51973);
 P. Hofmann: Problem u. Probleme einer sinnerforschenden Philosophie (1980);
 B.-U. Hergemöller: Weder - noch. Traktat über die S.-Frage (1985);
 H. Benesch: Warum Weltanschauung? Eine psycholog. Bestandsaufnahme (Neuausg. 1990);
 A. Messmann: S., in: Europ. Enzykl. zu Philosophie u. Wiss.en, hg. v. H. J. Sandkühler, Bd. 4 (1990);
 H. D. Rauh: Im Labyrinth der Gesch. Die S.-Frage von der Aufklärung zu Nietzsche (1990);
 
Werturteilsstreit, hg. v. H. Albert (31990);
 V. E. Frankl: Der leidende Mensch. Anthropolog. Grundl. der Psychotherapie (Neuausg. Bern 21996);
 V. E. Frankl: Der Mensch vor der Frage nach dem S. (Neuausg. 91997);
 G. Brandl: Auf der Suche nach S. Über Mensch-Werden handlungsorientiert nachdenken (1997);
 E. H. Erikson: Identität u. Lebenszyklus (a. d. Amerikan., 161997).
 

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Sịnn, der; -[e]s, -e [mhd., ahd. sin, eigtl. = Gang, Reise, Weg]: 1. a) <meist Pl.> Fähigkeit der Wahrnehmung u. Empfindung (die in den Sinnesorganen ihren Sitz hat): verfeinerte, wache, stumpfe -e; die fünf -e, nämlich das Hören, das Sehen, das Riechen, das Schmecken und das Tasten; der Maulwurf sieht nicht gut, seine übrigen -e sind dafür umso schärfer; aber jetzt waren seine -e klar und ließen ihn alles miterleben (Loest, Pistole 106); etw. schärft die -e, stumpft die -e ab; seine -e für etw. öffnen, vor etw. verschließen; etw. mit den -en wahrnehmen, aufnehmen; jmdm. schwinden, vergehen die -e (jmd. droht das Bewusstsein zu verlieren, ohnmächtig zu werden); ihre -e hatten sich verwirrt (sie konnte nicht mehr klar denken); der Alkohol umnebelte seine -e; seiner -e nicht mehr mächtig sein, nicht mehr Herr seiner -e sein (sich nicht mehr beherrschen können, außer sich sein); *der sechste/ein sechster S. (besonderer Instinkt, mit dem sich etw. richtig einschätzen, vorausahnen lässt): einen sechsten S. haben; etw. mit dem sechsten S. wahrnehmen; seine fünf -e zusammennehmen/zusammenhalten (ugs.; aufpassen, sich konzentrieren); seine fünf -e nicht beisammenhaben (ugs.; nicht recht bei Verstand sein); [nicht] bei -en sein ([nicht] bei klarem Verstand sein): die Großmutter ist nicht mehr ganz bei -en; bist du noch bei -en? (Ausruf der Verärgerung, der Entrüstung über jmds. Verhalten od. Tun); [wie] von -en sein (überaus erregt sein, außer sich sein): sie war wie von -en vor Angst; sind Sie denn ganz und gar von -en? (Ausruf der Verärgerung, der Entrüstung über jmds. Verhalten od. Tun); b) <Pl.> (geh.) geschlechtliches Empfinden, Verlangen: jmds. -e erwachen; die Tänzerin erregte seine -e, brachte seine -e in Aufruhr; ich wartete noch immer darauf, im Taumel der -e zu vergehen (Perrin, Frauen 65). 2. <o. Pl.> Gefühl, Verständnis für etw.; innere Beziehung zu etw.: S. für Stil lag dem byzantinischen Griechen im Blute (Thieß, Reich 400); Golo Manns hervorstechender S. für das Wesentliche (Reich-Ranicki, Th. Mann 229); sie hat [viel] S. für Blumen, für Humor; Hast du keinen S. für die Schönheiten der Natur? (Remarque, Obelisk 70); er hatte wenig S. für Familienfeste (mochte sie nicht). 3. <o. Pl.> a) (geh.) jmds. Gedanken, Denken: jmds. S. ist auf etw. gerichtet; er hat seinen S. (seine Einstellung, Haltung [dazu]) geändert; er ist in dieser Sache anderen -es (geh.; hat eine andere Meinung darüber); sie war eines -es (geh.; einer Meinung) mit mir; bei der Besetzung der Stelle hatte man ihn im S. (an ihn gedacht, wollte ihn berücksichtigen); ich dachte, es sei auch in deinem -e (du seist auch dafür); er hat ganz in meinem S. (wie ich es mir gewünscht habe, hätte) gehandelt; das ist [nicht ganz] nach meinem S. (gefällt mir so [nicht ganz]); *jmdm. steht der S. [nicht] nach etw. (jmd. hat [keine] Lust zu etw., ist [nicht] auf etw. aus): der S. stand ihr nicht nach vielem Reden; wonach steht dir denn der S.?; jmdm. aus dem S. kommen (von jmdm. vergessen werden): ich wollte ihn gestern schon anrufen, aber irgendwie ist es mir dann doch wieder [ganz] aus dem S. gekommen; jmdm. nicht aus dem S. gehen (↑Kopf 3); sich <Dativ> etw. aus dem S. schlagen (↑Kopf 3); jmdm. durch den S. gehen/fahren (jmdm. [plötzlich] einfallen u. ihn beschäftigen); jmdm. im S. liegen (veraltend; jmds. Gedanken ständig beschäftigen); etw. im S. haben (etw. Bestimmtes vorhaben): was hast du im S.?; Aber er selber hatte anderes im S., sein künstlerischer Ehrgeiz ging ... in eine ganz andere Richtung (Reich-Ranicki, Th. Mann 158); mit jmdm., etw. nichts im S. haben (mit jmdm., etw. nichts zu tun haben wollen); jmdm. in den S. kommen (jmdm. einfallen): Stefan hatte nichts einzuwenden, es kam ihm überhaupt nicht in den S. (Rolf Schneider, November 208); jmdm. nicht in den S. wollen (↑Kopf 3); jmdm. zu S. sein, werden (geh.; jmdm. zumute sein, werden): Er trug ein großes Verlangen, ihr zu schreiben, wie ihm zu S. war (Feuchtwanger, Erfolg 355); b) (geh.) Sinnesart, Denkungsart: ein hoher, edler S. war ihm eigen; seine Frau hat einen realistischen, praktischen, heiteren, geraden S.; sie war frohen -es. 4. <o. Pl.> Sinngehalt, gedanklicher Gehalt; Bedeutung: der verborgene, geheime, tiefere, wahre S. einer Sache; der S. seiner Worte, dieser Äußerung blieb mir verborgen; der S. des Gedichts erschließt sich leicht; den S. von etw. erfassen, ahnen, begreifen; Die Worte haben alle einen doppelten S. (Chr. Wolf, Nachdenken 231); etw. ergibt [k]einen S.; etw. macht [k]einen S. (ugs.; etw. ergibt [k]einen Sinn, ist [nicht] verständlich, sinnvoll; nach engl. something makes sense); Für mich macht durchaus S., wenn man sagt ... (Spiegel 27, 1983, 86); Das macht S., weil Daten- und Nachrichtentechnik künftig immer enger zusammenwachsen dürften (Spiegel 46, 1981, 106); jmds. Äußerung dem -e nach wiedergeben; im herkömmlichen, klassischen, ursprünglichen, eigentlichen, strengen, wörtlichen, engeren, weiteren, weitesten S.; Alles ist verzerrt, schreiend, übertrieben ... romantisch also im üblen -e (Reich-Ranicki, Th. Mann 157); im -e des Gesetzes (so, wie es das entsprechende Gesetz vorsieht); er hat sich in einem ähnlichen S. geäußert; ich habe lange über den S. seiner Worte nachgegrübelt, nachgedacht; *[nicht] im -e des Erfinders sein (ugs.; [nicht] in jmds. ursprünglicher Absicht liegen): Das wäre nicht im -e des Erfinders (Spiegel 44, 1977, 226). 5. Ziel u. Zweck, Wert, der einer Sache innewohnt: etw. hat seinen guten S.; den S. von etw. nicht erkennen, sehen; hat es überhaupt einen S., das zu tun?; was hat dieses Philosophieren für einen praktischen S.? (Langgässer, Siegel 553); etw. hat seinen S. verloren; um dem Dasein einen S. abzugewinnen (Müthel, Baum 67); einen S. in etw. bringen; die S. stiftende (geh.; Sinngebung bewirkende) Kraft des Glaubens; es hat keinen, wenig, nicht viel S. (ist [ziemlich] sinnlos, zwecklos), damit zu beginnen; etw. macht keinen/wenig S. (ugs.; hat keinen/wenig Sinn; nach engl. it doesn't make [any] sense); es macht wenig S., davon den Frauen zu klagen (Frings, Liebesdinge 18); Macht es denn überhaupt S., dass kleine Anleger jetzt noch Gold kaufen? (Spiegel 1/2, 1980, 32); nach dem S. des Lebens fragen; ohne irgendeinen Wert oder S. zu schaffen - keine Kinder, kein Garten, kein Reichtum (Strauß, Niemand 81); etw. ist ohne S. (ist sinnlos); *ohne S. und Verstand (ohne jede Überlegung; unsinnig, sinnlos): er arbeitet ohne S. und Verstand; weder S. noch Verstand haben (völlig unsinnig sein): Sein Vortrag hatte weder S. noch Verstand. ∙ 6. Absicht, Vorhaben: Jeder nahm sich vor, auch irgendein Stück auf diese Art zu studieren und den S. des Verfassers zu entwickeln (Goethe, Lehrjahre IV, 3); *jmdm. durch den S. fahren (1. jmds. Plan vereiteln, jmds. Vorhaben behindern: Ich fahr ihnen alle Tag durch den S., sag ihnen die bittersten Wahrheiten, dass sie mein müde werden und mich erlassen sollen [Goethe, Götz V]. 2. jmd. widersprechen: Man muss dem Philosophen durch den S. fahren, sagten sie, man muss ihm nicht weismachen, dass er alles besser wisse als wir [Wieland, Abderiten I, 9]).

Universal-Lexikon. 2012.