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Indianer
In|di|a|ner 〈m. 3Ureinwohner von Amerika (außer den Eskimos); →a. Indio

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In|di|a|ner , der; -s, - [nach lat. Indianus, eigtl. = indisch]:
1. [Ureinwohner Amerikas; so benannt aufgrund des Missverständnisses von Kolumbus, der glaubte, in Indien gelandet zu sein] Angehöriger der in zahlreiche Stämme verzweigten Ureinwohner Amerikas:
die I. Nordamerikas, des Amazonasbeckens;
er ist I.;
R ein I. kennt keinen Schmerz (scherzh.; man muss tapfer, darf nicht wehleidig sein).
2. (österr.) Kurzf. von Indianerkrapfen.
3. (Jargon) Späher, Kundschafter in geheimdienstlichem Auftrag.

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I
Indianer,
 
Sammelbezeichnung für die autochthone Bevölkerung Amerikas, im engeren Sinn außerhalb der arktischen Gebiete. Der Name Indianer geht auf die von Diego Colón verwendete spanische Bezeichnung »indios« zurück, der in nachträglicher Rechtfertigung seines Vaters C. Kolumbus glaubhaft machen wollte, die Fahrten hätten diesen, wie vorgesehen, nach Indien geführt. Diese Bezeichnung wird ebenso wie die richtig stellenden Neubenennungen (z. B. Amerinde, Native Americans, First Nations, Indigenas) den bestehenden Unterschieden in Kultur und Sprache (Indianersprachen) nicht gerecht. Die in der Populärliteratur häufig verwendete Bezeichnung »Rothäute« geht auf die bei Indianern vielfach verbreitete rote Körperbemalung zu zeremoniellen Anlässen zurück (auch als Sonnen- oder Insektenschutz).
 
Entgegen der früheren Ansicht, dass es sich bei den Indianern um eine einheitliche, den Mongoliden nahe stehende Menschengruppe handelt (Indianide), wird heute ihr heterogener Ursprung betont. Sie sind gegen Ende der letzten Eiszeit (23 000-18 000 und nach 12 000 v. Chr.) in mehreren Wellen aus Sibirien über die damals bestehende landfeste Beringstraße und entlang dem nordwestamerikanischen Kontinentalschelf eingewandert (Amerika, Bevölkerung). Die Indianer zeigen im nördlichsten Nordamerika (so wie die manchmal von ihnen unterschiedenen Eskimo) humanbiologisch deutlichere Ähnlichkeiten zu Bevölkerungen des mongolischen Typus als weiter im Süden.
 
Die amerikanische Archäologie gliedert die voreuropäische Kulturentwicklung in fünf Stadien: 1) Im Lithikum, das bald nach Ende der Eiszeit endete, dominierten Großwildjagd und einfache Sammelwirtschaft. 2) Das Archaikum, das etwa in Teilen Nordamerikas oder in Patagonien bis in historischer Zeit dauerte, wird durch geschliffene Steingeräte, wirtschaftliche Anpassung an lokale Umweltbedingungen und erste Ansätze zur Sesshaftigkeit bestimmt. 3) Im Formativum kam es mit dem Beginn von Bodenbau (v. a. Mais, im tropischen Tiefland auch Knollenfrüchte) zur Herausbildung dörflichen Lebens und sozialer Differenzierung. 4) Das Stadium der Klassik erreichten nur die mesoamerikanischen Hochkulturen und andinen Hochkulturen mit ständisch gegliederten Bevölkerungen in stark religiös geprägten Stadtstaaten. 5) Das Stadium der Nachklassik wird bestimmt durch militärische Eroberungen seitens der weißen Siedler.
 
Die Schätzungen für die Zahl der Indianer zur Entdeckungszeit liegen zwischen 15 Mio. und mehr als 100 Mio.; die höchsten Bevölkerungsdichten fanden sich in den Hochkulturgebieten und in Küstenregionen. Die seuchenartige Ausbreitung von Krankheiten, die in Amerika unbekannt gewesen waren, führte unmittelbar nach dem Kontakt mit Europäern zu katastrophalem Bevölkerungsschwund, der später durch Kriege, Kulturverlust und Assimilation verstärkt wurde.
 
Die Indianer Nordamerikas (nördlich von Mesoamerika) zählten ursprünglich wohl zwischen 3 und 5 Mio. Kulturell unterscheidet man insbesondere die Seesäugerjäger der Arktis (Eskimo); die Karibu- und Elchjäger der kanadischen Subarktis; die Rodungsfeldbauern des östlichen Waldlands, bei denen es zu stammesübergreifenden Zusammenschlüssen (Irokesen) und Ansätzen zu einer Staatenbildung kam (z. B. bei den »Fünf Zivilisierten Stämmen« des Südostens); die Bisonjäger der westlichen Grassteppen (Prärie- und Plains-Indianer), die sich durch Übernahme des Pferdes und des Gewehrs von den Europäern von nomadisierenden Kleingruppen zu gefürchteten Reiterkriegerstämmen entwickelten; die sesshaften Fischervölker der Nordwestküste; die mobilen Sammler des intermontanen Beckens; die sesshaften Fischer und Sammler Kaliforniens; die alteingesessenen Bewässerungsfeldbauern des trockenen Südwestens (darunter die Puebloindianer) und ihre kürzlich zugewanderten Nachbarn (Apachen, Navajo).
 
Unter dem Einfluss der europäischen Kolonisation kam es zu dramatischen Veränderungen der Lebensbedingungen. Während in den meso- und südamerikanischen Hochkulturgebieten nach Vernichtung oder Integration der alten Eliten die verbliebenen Volkskulturen unter spanischer Herrschaft viel zur Entstehung einer kolonialen Mischkultur beitrugen, wurden die nordamerikanischen Indianer entweder zu Opfern des Kulturkontakts oder konnten sich zum Teil bis heute eine eigene Identität erhalten. Anfangs profitierten die Indianer oft vom Warenaustausch (insbesondere dem Pelzhandel) mit den Europäern und von den neuen Zivilisationsgütern (Eisengeräte, Feuerwaffen, Tuchstoffe, Glasperlen usw.), gerieten aber später in eine unlösbare Abhängigkeit von der Wirtschaftsweise der weißen Eroberer. Überdies wurden die Indianer ab dem 17. Jahrhundert in den Kampf der konkurrierenden Kolonialmächte (v. a. Engländer, Franzosen und Spanier) verwickelt. Die von den Briten (und später Amerikanern) betriebene Siedlungskolonisation war Anlass für militärische Konflikte (so genannte Indianerkriege) um Landnutzungsrechte und führte zur Abdrängung der Indianer nach Westen und auf Indianerreservationen. Der letzte große Sieg der Indianer gegen die Armee der USA war die Schlacht der Sioux und anderer Stämme unter Führung von Crazy Horse und Sitting Bull am Little Big Horn River 1876. Mit dem Massaker am Wounded Knee 1890 war der indianische Widerstand gebrochen.
 
Ziel der amerikanischen Politik war letztlich immer die Integration der Indianer nach erfolgter »Zivilisierung« (Übernahme von bäuerlicher Lebensform, Privateigentum, Christentum). Die seit Jahrhunderten betriebene christliche Missionierung hat ihr Ziel nur teilweise erreicht, aber auch zur Entstehung synkretistischer Neureligionen beigetragen (z. B. Peyotekult) oder zum Aufbau einer sich vereinheitlichenden Festkultur (Powwow) geführt.
 
Die Bevölkerungszahl der nordamerikanischen Indianer nahm bis etwa 1890 kontinuierlich auf etwa eine halbe Mio. ab, wobei die Assimilation von autochthonen Bevölkerungen und ihre Vermischung mit Weißen und Afroamerikanern eine eindeutige Zählung erschwert. In den letzten hundert Jahren ist die Zahl durch bessere Gesundheit und höhere Lebenserwartung, zuletzt auch durch »Identitätsmigration« (Veränderung der Selbstzuordnung), wieder stark gewachsen. Von den in den USA in der Volkszählung von 1990 erfassten 1 937 391 Indianern (einschließlich Eskimo) lebte mehr als die Hälfte außerhalb des Stammeslands. Der Bevölkerungszuwachs betrug 237 % seit 1970 und 543 % seit 1950. In Kanada zählte man 1991 783 980 Indianer, von denen nur die Hälfte staatlich anerkannt sind (»Status Indianer«); dazu kommen noch 49 255 Inuit (Eskimo) und 212 650 als Autochthone anerkannte Mischlinge (Métis).
 
Die spezifischen Rechte der Indianer in den Nationalstaaten USA und Kanada beruhen auf Verträgen und Gesetzen (in Kanada auch auf der Verfassung von 1982) und werden von einer staatlichen Verwaltung (USA: Bureau of Indian Affairs, seit 1824; Kanada: Department of Indian Affairs) kontrolliert. Steuerfreiheit, Jagd- und Fischereirechte sind Ausdruck eines Restes der ursprünglichen Souveränität dieser Völker. Außerdem sind die Indianer Staatsbürger der Nationalstaaten (in den USA allgemein seit 1924, in Kanada Wahlrecht seit 1960). Das gemeinsame Schicksal hat im Laufe der Zeit Ansätze eines panindianischen Bewusstseins entstehen lassen, das durch die zunehmende Urbanisierung der Indianer im 20. Jahrhundert zusätzlich gefördert wurde. Die steigende Bevölkerungszahl widerspiegelt ein wieder erwachtes Selbstbewusstsein und den Willen zur Bewahrung einer eigenen Identität. Dies führte Ende der 60er- und in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts zum Aufkommen einer militanten Indianerbewegung (Redpower, 1968 Gründung der Protestorganisation »American Indian Movement«); sie wandte sich gegen Diskriminierung in den Städten und setzte sich für die Durchsetzung vorenthaltener Rechte und die Wiederbelebung von Traditionen ein (Bürgerrechtsbewegung in den USA). Gleichzeitig stieg das Ausmaß der Selbstverwaltung in den Reservationen (z. B. im Schulwesen), während die wirtschaftliche und soziale Lage unverändert schlecht blieb (hohe Arbeitslosigkeit, Armut und Alkoholismus).
 
Ebenso wie in Nordamerika ist die indianische Geschichte in Mittel- und Südamerika das Resultat vielfältiger kultureller Wandlungsprozesse. Spanier und Portugiesen hatten früher mit der Eroberung des Kontinentes begonnen als Engländer und Franzosen. Zudem begünstigte ihre Politik im Gegensatz zur angelsächsischen die Bildung von Mischkulturen, die als Verbindungsglieder zwischen europäischer und indianischen Welt wirkten. Im östlichen Südamerika, v. a. im Schutz der Regenwaldgebiete Brasiliens und Perus, leben aber bis heute Indianer mit fast unberührter Kultur und sogar kleine Gruppen, die sich vor den Weißen verstecken oder erst in den letzten Jahren Kontakt aufnahmen. Andere, z. B. die Reiterjäger der Pampas, die nach Übernahme des Pferdes ein ähnliches Kulturmuster und den gleichen kämpferischen Geist wie die Prärie- und Plains-Indianer aufwiesen, wurden in entsetzlichen Massakern fast völlig ausgerottet.
 
Wo sich Gesellschaften mit staatlicher Ordnung, sozialer Schichtung, intensiver Landwirtschaft (Terrassierung, Chinampas u. a.) und straffer Arbeitsteilung entfaltet hatten, konnten in vorkolonialer Zeit viele Menschen ernährt werden (Maya, Azteken, Inka u. a.). Ihre Nachkommen bilden in Teilen Mexikos und Perus, in Guatemala, Kolumbien und Bolivien noch immer die Bevölkerungsmehrheit. Die spanische Conquista unterbrach die Entwicklung der alten indianischen Zivilisationen mit der Vernichtung der geistigen Kultur und durch die Degradierung der Menschen zu Dienern einer fremdbestimmten Wirtschaftsordnung, die die Arbeitskraft der Kolonisierten noch schamloser ausbeutete als die früheren Herrscher. Dass der Kulturwandel aber nicht nur destruktiv war, sondern auch aktive Versuche vitaler menschlicher Gemeinschaften, sich durch innovative Anpassung in veränderter sozialer und wirtschaftlicher Umwelt neu einzurichten, hervorbrachte, zeigt die Verschmelzung traditioneller Glaubensformen mit denen der Eroberer ebenso wie die Integration kolonialspanischer Elemente in Musik, Tracht und Kunsthandwerk. Das indianisch-spanische Kulturerbe ist auf dem Lande noch immer lebendig und widerstandsfähig, die zunehmende Zahl der in die Städte ziehenden Indianer aber sieht sich mit einer uniformierenden Einheitskultur konfrontiert, deren Umrisse von den politischen und ökonomischen Interessen der herrschenden (nichtindianischen) Eliten bestimmt werden.
 
Im östlichen Südamerika, aber auch in Teilen Zentralamerikas und in Nordmexiko erlaubte die einfache Subsistenzwirtschaft der Indianer nur niedrige Bevölkerungszahlen, die seit der Kolonialzeit, zum Teil bis in die Gegenwart, durch Völkermord, Vertreibung oder erzwungene Assimilierung weiter drastisch reduziert wurden (in Brasilien von rd. 1,5 Mio. um 1500 auf 185 500 im Jahre 1980). Die Indianer produzierten hier kaum Überschüsse, die sie an die Kolonialherren hätten abgeben können. Auch ihre überwiegend egalitäre Sozialorganisation mit großer Unabhängigkeit der Einzelfamilie stand der Unterordnung im Kolonialsystem entgegen. Viele Gruppen der gegenwärtig etwa 1,5-2 Mio. außerhalb der Zentralanden lebenden Indianer kämpfen noch um physisches Überleben, u. a. gegen von Weißen eingeschleppte Krankheiten. Sie haben Mühe, ihre an die jeweiligen Ökosysteme angepasste Wirtschafts- und Sozialordnung über die massive Umweltveränderung (Straßen- und Staudammbauten, Entwaldung zugunsten von Viehzuchtprojekten, großflächiger Abbau von Bodenschätzen) hinwegzuretten. Ihre Aufsplitterung in oft sehr kleine Gruppen (östlich der Anden gab es selten politische Zusammenschlüsse über das Dorf hinaus) erschwert ihr politisches und kulturelles Überleben. Ein größerer Einbruch in die (zum Teil mit Keule, Pfeil und Lanze verteidigte) Kulturtradition gelang in den letzten Jahrzehnten der intensivierten christlichen (häufig fundamentalistisch-protestantischen) Mission.
 
Eigene politische Zusammenschlüsse werden durch mangelhafte (europäische) Bildung, die autoritären Strukturen der meisten lateinamerikanischen Staaten und die Aufsplitterung der Ethnien erschwert. Gefordert wird v. a. die Sicherung indianischer Landrechte sowie die Erhaltung des tropischen Regenwaldes. Damit soll eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit der indianischen Kleinbauern gesichert werden, die als Voraussetzung für eine kulturelle Eigenständigkeit betrachtet wird. Als Teilerfolg ist zu werten, dass die neuen Verfassungen Brasiliens (1988), Kolumbiens (1991) und Perus (1993) nunmehr indianische Eigenart anerkennen und Möglichkeiten der demokratischen Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen versprechen.
 
Literatur:
 
Handbook of South American Indians, hg. v. J. H. Steward, 7 Bde. (New York 1963);
 E. H. Spicer: A short history of the Indians of the United States (New York 1969);
 H. D. Disselhoff u. O. Zerries: Die Erben des Inkareiches u. die Indios der Wälder (1974);
 
Die Situation der Indios in Südamerika, hg. v. W. Dostal, 3 Bde. (1975-76);
 C. Feest: Das rote Amerika (Wien 1976);
 
Handbook of North American Indians, hg. v. W. C. Sturtevant, auf 20 Bde. ber. (Washington, D. C., 1978 ff.);
 A. B. Kehoe: North American Indians (Englewood Cliffs, N. J., 1981);
 
Die I. Kulturen u. Gesch., bearb. v. W. Lindig, 2 Bde. (31985);
 F. P. Prucha: Atlas of American Indian affairs (Neudr. Lincoln, Nebr., 1991);
 O. P. Dickason: Canada's first nations. A history of founding peoples from earliest times (Norman, Okl., 1992);
 The native North American almanac, hg. v. D. Champagne (Detroit, Mich., 1994);
 H. Läng: Kulturgesch. der I. Nordamerikas (Neuausg. 1994);
 Wolfgang Müller: Die I. Amazoniens. Völker u. Kulturen im Regenwald (1995).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
 
Vereinigte Staaten von Amerika: 1865 bis 1917
 
II
Indianer,
 
Ịnder, lateinisch Ịndus, Abkürzung Ind, ein Sternbild am Südhimmel.
 

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In|di|a|ner, der; -s, - [nach lat. Indianus, eigtl. = indisch; 1: Ureinwohner Amerikas; so benannt aufgrund des Missverständnisses von Kolumbus, der glaubte, in Indien gelandet zu sein]: 1. Angehöriger der in zahlreiche Stämme verzweigten Ureinwohner Amerikas mit glänzend schwarzem Haar u. rötlich brauner bis gelblicher Hautfarbe: die nordamerikanischen I. leben meist in Reservaten; R ein I. kennt keinen Schmerz (scherzh.; man muss tapfer, darf nicht wehleidig sein). 2. (österr.) kurz für ↑Indianerkrapfen. 3. (Jargon) Späher, Kundschafter in geheimdienstlichem Auftrag: Unter einem I. ... verstehen wir einen Kundschafter im Feindeinsatz (Zwerenz, Quadriga 289).

Universal-Lexikon. 2012.