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Wehrrecht
Wehr|recht 〈n. 11; unz.〉 alle Vorschriften über Wehrdienst u. Wehrpflicht, Streitkräfte, Rechte u. Pflichten der Soldaten usw.

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Wehr|recht,
 
Militär|recht, die Rechtsvorschriften über die Stellung der Streitkräfte, die Wehrpflicht und den Wehrdienst, die Rechte und Pflichten der Soldaten, die Wehrleistungen, das Wehrstrafrecht, die Versorgung. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des deutschen Wehrrechts wurden durch drei Gesetze zur Ergänzung des GG vom 26. 3. 1954, 19. 3. 1956 und 24. 6. 1968 geschaffen. Auf dieser Grundlage wurde eine Vielzahl von Wehrgesetz erlassen.
 
Der Einsatz der Streitkräfte ist vorgesehen 1) im Verteidigungsfall (Art. 115 a GG), für dessen Feststellung der Bundestag zuständig ist (Notstandsverfassung); 2) bei innerem Notstand zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutz von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter, militärisch bewaffneter Aufständischer; 3) bei Katastrophennotstand. Der Auslandseinsatz bewaffneter Streitkräfte im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit (NATO, Vereinte Nationen) ist zulässig, soweit dazu die vorherige Zustimmung des Bundestages eingeholt worden ist (Art. 24 Absatz 2 GG, Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. 7. 1994).
 
Oberbefehlshaber
 
ist, im Unterschied zu den meisten Staaten, nicht der Bundespräsident als Staatsoberhaupt, vielmehr steht die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte dem Bundesverteidigungsminister, mit der Verkündung des Verteidigungsfalls dem Bundeskanzler zu (Art. 65 a GG, Art. 115 b GG). Wie jeder andere Bundesminister trägt der Bundesverteidigungsminister für seinen Geschäftsbereich einschließlich der Ausübung der Befehls- und Kommandogewalt die Verantwortung; er kann nicht durch ein gesondertes Misstrauensvotum des Parlaments zum Rücktritt gezwungen werden. Ihm unterstehen als oberste militärische Dienststelle der Generalinspekteur der Bundeswehr für die Streitkräfte und die Inspekteure für Heer, Marine und Luftwaffe sowie für das Sanitäts- und Gesundheitswesen. Die Streitkräfte sowie der Bundesverteidigungsminister beziehungsweise der Bundeskanzler als Träger der Befehls- und Kommandogewalt unterstehen der vollen Aufsicht des Parlaments. Zusätzliche Kontrollorgane sind der Verteidigungsausschuss des Bundestags, der auch die Rechte eines Untersuchungsausschusses hat (auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder muss er eine Angelegenheit zum Gegenstand einer Untersuchung machen, Art. 45 a GG), und der Wehrbeauftragte des Bundestages.
 
Die Verwaltung der Bundeswehr ist bundeseigen mit eigenem Verwaltungsunterbau (Art. 87 b GG). Aufgaben des Bauwesens und der Beschädigtenversorgung können der Bundeswehrverwaltung nur mit Zustimmung des Bundesrats durch Bundesgesetze übertragen werden. Der Zustimmung des Bundesrats bedürfen ferner alle Gesetze (ausgenommen über Personalwesen), die die Bundeswehrverwaltung zu Eingriffen in Rechte Dritter ermächtigen. Andere Bundesgesetze, die der Verteidigung einschließlich des Wehrersatzwesens und des Schutzes der Zivilbevölkerung dienen, können mit Zustimmung des Bundesrats bestimmen, dass sie ganz oder zum Teil in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau oder von den Ländern in Bundesauftragsverwaltung ausgeführt werden.
 
Nach dem Soldatengesetzen in der Fassung vom 15. 12. 1995 ist Soldat, wer aufgrund der Wehrpflicht oder freiwilliger Verpflichtung in einem Verhältnis gegenseitiger Treue zum Staat steht (Wehrdienstverhältnis). Die Menschen- und Truppenführung wird vom Grundsatz der Inneren Führung bestimmt. Vorgesetzter ist, wer befugt ist, einem Soldaten Befehle zu erteilen. Die Ernennung liegt für Berufssoldaten, Soldaten auf Zeit und Offiziere der Reserve beim Bundespräsidenten, im Übrigen beim Bundesverteidigungsminister; das Ernennungsrecht kann übertragen werden. Dem Bundespräsidenten steht das Gnadenrecht bei Verlust der Soldatenrechte zu.
 
Rechte und Pflichten des Soldaten:
 
Der Soldat hat die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere; diese Rechte sind jedoch durch seine gesetzlich begründeten Pflichten beschränkt. Der Soldat muss die freiheitliche demokratische Grundordnung anerkennen und für sie eintreten. Er muss sich durch Eid oder feierliche Gelöbnis (Fahneneid) verpflichten, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Der Soldat ist dem Vorgesetzten zum Gehorsam verpflichtet; doch darf ein Befehl nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen oder gegen die Menschenwürde verstoßen würde. Der Soldat ist zur Wahrheit und zur Verschwiegenheit verpflichtet. Politische Betätigung im Dienst ist verboten; die Freiheit der politischen Meinungsäußerung ist gewährleistet, jedoch durch die Grundregeln der Kameradschaft beschränkt, d. h. insbesondere, dass die gegenseitige Achtung nicht gefährdet werden darf. Das innerdienstliche Werben für eine politische Gruppe durch Ansprachen, das Verteilen von Schriften oder das Arbeiten als Vertreter einer politischen Organisation ist ebenso untersagt wie das Tragen von Uniform bei politischen Veranstaltungen. Das aktive Wahlrecht ist nicht beschränkt, im Grundsatz auch die Wählbarkeit nicht; ein Soldat, der in den Bundestag, einen Landtag oder das Europäische Parlament gewählt wird, ist zu entlassen. Als Interessenvertreter von Soldaten werden nach den Bestimmungen des Soldatenbeteiligungsgesetzes in der Fassung vom 15. 4. 1997 Vertrauenspersonen, Gremien der Vertrauenspersonen oder Personalvertretungen tätig, die zu einer effektiven Dienstgestaltung und einer fürsorglichen Berücksichtigung der Belange des Einzelnen beitragen sollen.
 
Der Wehrdienst wird geleistet aufgrund freiwilliger Verpflichtung oder aufgrund der gesetzlichen Wehrpflicht. Der freiwillige Wehrdienst ist Dienst auf Lebenszeit (Berufssoldaten) oder auf bestimmte Zeit (Soldaten auf Zeit). Die Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit erhalten Dienstbezüge nach dem Bundesbesoldungsgesetz, die als Wehrpflichtige dienenden Soldaten Wehrsold und weitere Leistungen nach dem Wehrsoldgesetz. Außerdem erhalten einberufene Wehrpflichtige und ihre Familienangehörigen Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfs nach dem Unterhaltssicherungsgesetz (Unterhaltszahlungen, Überbrückungsgeld, Krankenhilfe, Mietbeihilfe, Aufwendungsersatz für Ersatzkräfte oder Vertreter).
 
Die Versorgung der ausgeschiedenen Soldaten regelt das Soldatenversorgungsgesetz in der Fassung vom 19. 1. 1995, zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. 6. 1998. Es gewährt den Soldaten auf Zeit (»Längerdienende«) eine Berufsförderung (Ausbildung und Weiterbildung für das spätere Berufsleben) und Dienstzeitversorgung (Übergangsgebührnisse, Ausgleichsbezüge und Übergangsbeihilfen). Je nach Länge der Dienstzeit betragen die Übergangsgebührnisse 75 % der Dienstbezüge des letzten Monats für sechs Monate bis drei Jahre. Die Berufssoldaten erhalten Ruhegehalt oder Unfallruhegehalt, die (abweichend vom Beamtenrecht) kapitalisiert werden können, Unterhaltsbeitrag, Übergangsgeld und Ausgleich; eine Berufsförderung ist vorgesehen. Auf die Versorgung von Hinterbliebenen aller Soldaten finden die Vorschriften des Beamtenrechts entsprechende Anwendung.
 
Disziplinarrecht:
 
Die Soldaten unterstehen nicht dem allgemeinen Disziplinarrecht, sondern einem eigenen Disziplinarrecht nach der Wehrdisziplinarordnung in der Fassung vom 4. 9. 1972 (Disziplinarverfahren). Zum wehrstrafrechtlichen Bereich Wehrstrafrecht.
 
Für Klagen der Soldaten aus dem Wehrdienstverhältnis ist, sofern keine besondere Zuständigkeit besteht, der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
 
In Österreichist das Bundesheer, dem in die militärische Landesverteidigung obliegt, nach dem Milizsystem organisiert (Art. 79 B-VG). Gemäß Art. 9 a Absatz 3 der Verfassung besteht allgemeine Wehrpflicht für männliche österreichische Staatsangehörige. Den (formalen) Oberbefehl über das Bundesheer führt der Bundespräsident Gemäß Art. 84 B-VG ist die Militärgerichtsbarkeit aufgehoben; die Strafbestimmungen des Militärstrafgesetzen 1970 werden von den ordentlichen Gerichten vollzogen. Das Zivildienstgesetz 1986 garantiert (durch die Verfassungs-Bestimmung des § 2) ein Grundrecht auf Wehrersatzdienst.
 
In der Schweiz ist das Wehrrecht geregelt einerseits in der Bundesverfassung, in der die Zuständigkeit des Bundes für das Heerwesen (Art. 20) und zentrale Grundsätze enthalten sind, wie die Statuierung der allgemeinen Wehrpflicht (Art. 18), die Verbote, stehende Truppen zu halten (Art. 13) oder Militärkapitulationen zu schließen (Art. 11), andererseits im Bundesgesetzen über die Armee und die Militärverwaltung vom 3. 2. 1995. Die Verwaltung obliegt dem Eidgenössischen Militärdepartement. Die Armee ist eine Milizarmee, die Soldaten haben die Grundausrüstung mit einer persönlichen Waffe bei sich zu Hause. Oberbefehlshaber in Kriegszeiten ist ein von der Bundesversammlung gewählter General. Militärdienstverweigerer und während des Militärdienstes die Armeeangehörigen unterstehen auch in Friedenszeiten der Militärstrafgerichtsbarkeit. Militärdienstpflichtige, die glaubhaft darlegen, dass sie den Militärdienst mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können, leisten einen zivilen Ersatzdienst. Dieser hat die 1,5fache Länge der noch nicht geleisteten militärischen Ausbildungsdienste.
 
Literatur:
 
Hb. des W., begr. v. E. Brandstetter, hg. v. H.-G. Schwenck u. a., Losebl. (21982 ff.);
 
Soldaten-Ges., begr. v. W. Scherer, fortgef. v. R. Alff u. a. (61988);
 
W., hg. v. F. Ermacora u. a. (Wien 21990);
 H. J. Wipfelder: W. in der Bundesrepublik Dtl. (1991);
 
Mein Recht als Wehrpflichtiger, bearb. v. J. Kohlheim u. a. (71992);
 H. Johlen: Wehrpflichtrecht in der Praxis (41996).

Universal-Lexikon. 2012.