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Lothringen
Loth|rin|gen; -s:
Region in Nordostfrankreich.

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I
Lothringen,
 
Hochadelsgeschlecht, das von einem Grafen Gerhard (✝ 1070) abstammt, dessen Söhne Dietrich II. (✝ 1115) den Herzogstitel von Lothringen, Gerhard IV. (✝ 1120) den Grafentitel von Vaudémont erbten. 1394 vereinigten sich die Zweige durch die Ehe Friedrichs V. von Lothringen mit Margarethe von Vaudémont wieder; 1470 folgte der Stamm Vaudémont mit René II. (* 1451, ✝ 1508) in der herzoglichen Würde. Claude, ein Bruder Herzog Antons II., des Guten, von Lothringen, gründete das Haus Lothringen-Guise (1527-1675). Durch die Ehe Herzog Franz Stephans von Lothringen (seit 1745 als Franz I. Kaiser) mit Maria Theresia, Tochter Kaiser Karls VI., entstand 1745 das Haus Habsburg-Lothringen. Das Haus Lothringen erlosch mit Herzog Franz Stephans Bruder Karl Alexander (* 1712, ✝ 1780), Statthalter der Österreichischen Niederlande und Hochmeister des Deutschen Ordens.
 
Literatur:
 
E. Hlawitschka: Die Anfänge des Hauses Habsburg-L. (1969).
 
II
Lothringen,
 
französisch Lorraine [lɔ'rɛn], Region in Nordostfrankreich, umfasst die Départements Meurthe-et-Moselle, Meuse, Moselle und Vosges, 23 547 km2, 2,31 Mio. Einwohner, Hauptstadt ist Metz. Lothringen liegt im Gebiet der oberen Maas und Mosel im Ostteil der Schichtstufenlandschaft des Pariser Beckens zwischen Champagne, Vogesen, Ardennen und dem Abfall der Monts Faucilles zur Saône-Furche. Mächtige Landstufen wie die Moselhöhen (Côtes de Moselle, bis 400 m über dem Meeresspiegel) und die Maashöhen (Côtes de Meuse, 100 m über dem Meeresspiegel), auch Côtes Lorraines genannt, wechseln ab mit Plateaus (Lothringer Plateau), die im Verbreitungsgebiet des Buntsandsteins Wald, im Bereich der Muschelkalkschichten v. a. Ackerbau aufweisen. In der tonigen, feuchten Woëvre-Niederung (am Fuß der Côtes de Meuse) zahlreiche Teiche (Fischzucht), entstanden durch Auslaugung von Salz- und Gipsschichten im Untergrund.
 
Weder vom Boden noch vom Klima her weist Lothringen besonders günstige Voraussetzungen für die Landwirtschaft auf. Traditionelles Anbauprodukt ist Getreide, jedoch hat sich in den vorherrschend gemischtwirtschaftlichen Betrieben das Schwergewicht zunehmend auf Milchwirtschaft verlagert; östlich der Mosel wird auch Schafweidewirtschaft betrieben. Der Weinbau (v. a. im Moseltal) wird mehr und mehr durch Obstbau verdrängt. Lothringen ist reich an Wäldern (33 % der Oberfläche).
 
Für die wirtschaftliche Entwicklung wurden die lothringischen Steinkohlevorkommen (südliche Fortsetzung der Saarsteinkohlenlager) sowie die oolithischen Eisenerze (wegen ihres geringen Eisengehalts »Minette« genannt) im Verlauf des 19. und frühen 20. Jahrhundert richtungweisend. Lothringen wurde auf dieser Grundlage zu einem der bedeutendsten Bergbau- und Schwerindustriereviere Frankreichs. Seit 1974 befindet sich die Schwerindustrie Lothringens jedoch in einer Krise. 1960 wurden 62 Mio. t Eisenerz abgebaut, 1988 noch 9,3 Mio. t, 1995 lediglich 1,5 Mio. t. Von (1974) 31 Bergwerken war 1995 nur noch eines in Betrieb. Die Zahl der Beschäftigten im Eisenerzbergbau ging von über 100 000 zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf (1995) 250 zurück. Die gleiche Entwicklung zeichnet sich für die Eisen- und Stahlindustrie ab. 1974 wurden 53 % des französischen Rohstahls in Lothringen erzeugt, 1994 nur noch 22 %. Die Zahl der Beschäftigten dieses Sektors beträgt (1995) nur noch 10 680 (1974: 81 000). Gegenüber 50 Hochöfen im Jahre 1950 waren 1995 lediglich noch vier in Betrieb. Ähnlich verlief die Entwicklung im Steinkohlenbergbau. In vier verbliebenen Förderstandorten wurden (1994) 6,4 Mio. t Steinkohle gefördert. Die Zahl der Beschäftigten dieses Sektors betrug 12 350 und ist weiter rückläufig. In zunehmendem Maße wird versucht, die Montanindustrie Lothringens durch Unternehmenszusammenschlüsse sowie Förderung der verarbeitenden Industrie zu sanieren. Neben der Automobilindustrie siedelten sich auch Unternehmen der Unterhaltungselektronik an.
 
In Anlehnung an die Erzlagerstätten in zwei Becken, zwischen Longwy und Pont-à-Mousson sowie westlich von Nancy, konzentriert sich die Schwerindustrie auf die beiden Départements Moselle und Meurthe-et-Moselle. Hier liegen auch die größten Städte Nancy, Metz, Thionville, Épinal und Longwy; ansonsten ist Lothringen arm an größeren Städten.
 
Neben Kohle und Eisenerz besitzt Lothringen östlich von Nancy reiche Vorkommen an Steinsalz, Basis einer bedeutenden chemischen Industrie mit den Standorten Dombasle, Dieuze, Sarralbe und Château-Salins.
 
Ein weiterer wichtiger traditioneller Industriezweig Lothringens ist die Baumwollspinnerei und -weberei, v. a. in den Vogesentälern. Sie hat seit dem Zweiten Weltkrieg starke Einbußen erfahren; die Zahl der Beschäftigten fiel von (1939) 60 000 auf (1993) unter 18 000. Dennoch liegt die Baumwollverarbeitung mit (1994) 42 % an 1. Stelle unter den französischen Regionen. Bedeutend sind auch Holz-, Möbel-, Nahrungsmittel-, Lederwaren- und Glasindustrie sowie die großen Brauereien.
 
Bevölkerung
 
und Besiedlung: Die Lothringer sind ein mit Alemannen gemischter Teil des fränkischen Stammes auf keltoromanischer Grundlage. Sie sind meist katholisch. Der westliche Teil Lothringens sowie die Städte sind völlig französisiert. Die ländliche Bevölkerung des östlichen Teils hat ihre deutsche Tradition zum Teil bewahrt. Sprachlich werden die Lothringer im nördlichen Teil dem Moselfränkischen, im südlichen dem Rheinfränkischen zugeordnet, doch zeigen sich hier auch alemannische Relikte. Als Folgen der beiden Weltkriege und, bedingt durch Schule und Militärdienst, verschiebt sich die alte deutsch-französische Sprachgrenze weiter nach Osten, löst sich innerhalb Lothringens mehr und mehr auf und fällt heute weitgehend mit der deutsch-französischen Grenze zusammen. Die Départements Meurthe-et-Moselle und Moselle sind wesentlich dichter besiedelt als das Département Meuse.
 
Die gängige Siedlungsform ist die der Haufen- und Straßendörfer. Den Hausbau beherrscht das Einhaus, das in zwei Varianten vorkommt. Die westliche Form, das altlothringische Haus, ein schmuckloser Steinbau mit flach geneigtem, von Hohlziegeln bedecktem Dach, weist Tiefenstaffelung auf. Haus steht an Haus, durch dicke Brandmauern getrennt. Die östliche Form mit Flachziegel- oder Schiefersteildach ist mit der Traufe breit zur Straße gelagert und zeigt Breitenstaffelung. Im Süden findet sich im Anschluss an das alemannische Gebiet Fachwerkbau. Volksfeste gibt es noch heute in reicher Zahl: in Épinal am Gründonnerstag die »Champs Golots«, ein Winteraustreiben, an den »côtes« der Flüsse am 23. 6. die Johannisfeuer, am 25. 7. Wallfahrt und Wagensegnen in Vic-sur-Seille, am 5. und 6. 12. Feste zu Ehren des Sankt Nikolaus. Die Lothringer verfügen noch heute über einen reichen Schatz an Volksliedern und -erzählungen.
 
Geschichte:
 
Bei der Teilung des Mittelreiches Lothars I. erhielt sein Sohn Lothar II. 855 das geographisch, kulturell und ethnisch uneinheitliches Gebiet zwischen Schelde-Maas-Saône und dem Rhein. Dieses Lotharịngien (Regnum Lotharii) wurde bereits 870 (Vertrag von Meerssen) wieder geteilt, fiel aber 880 (Vertrag von Ribemont) unter Ludwig III., der Jüngere, ganz an die ostfränkischen Karolinger. Arnulf von Kärnten setzte seinen Sohn Zwentibold (895-900) zum Unterkönig in Lothringen ein. Nach dem Tod des letzten ostfränkischen Karolingers, Ludwigs des Kinds, schlossen sich die lothringischen Großen dem westfränkischen Karolinger Karl dem Einfältigen an. König Heinrich I. vereinigte Lothringen wieder mit dem (deutschen) Reich. 959 übertrug Otto I. das Herzogtum seinem Bruder Bruno, Erzbischof von Köln, der Unterherzöge für Ober- und Niederlothringen einsetzte. Da das Gesamtherzogtum nach Brunos Tod nicht mehr besetzt wurde, gab es von nun an zwei Herzöge von Lothringen.
 
Niederlothringen, etwa die heutigen Niederlande, ein Teil der Rheinlande und Belgien ohne Flandern, kam 977 an die letzten westfränkischen Karolinger Karl (✝ nach 991) und Otto (✝ 1006 oder 1012). Bis 1100 folgte das Haus der Ardennergrafen, das 1033-44 unter Gozelo I. (✝ 1044) noch einmal beide Lothringen vereinigte.
 
Die Grafen von Limburg und von Löwen (auf die die Herzogswürde 1139 überging) konnten sich gegenüber den aufstrebenden weltlichen und geistlichen Gewalten nicht durchsetzen. Ihre Hauptgegenspieler waren die lothringischen Pfalzgrafen aus dem Hause der Ezzoniden, die, von der Aachener Pfalz ausgehend, durch zahlreiche Erwerbungen am Niederrhein und in der Eifel und durch Verschwägerung mit dem Königshaus in die vorderste Reihe der Reichsfürsten rückten. Mit ihrem Aussterben wanderte der Schwerpunkt der pfalzgräflichen Macht zum Mittel-, später zum Oberrheinischen Im Bereich des niederlothringischen Teilherzogtums entstanden das Erzstift, später Kurfürstentum Köln, das Fürstbistum Lüttich und große weltliche Machtbereiche wie Geldern, Kleve, Jülich, Berg, Namur, Hennegau.
 
Die Bezeichnung Lothringen haftete später nur an Oberlothringen, dem Land zwischen Saône, Vogesen, Eifel und Maas. Nach dem Erlöschen des Ardennerhauses (Linie Bar), dessen Machtschwerpunkt zwischen Mosel und Maas lag, kam das Hausgut an die Grafen von Bar-Mömpelgard, die Herzogswürde und das Amtsgut aber wurden durch Kaiser Heinrich II. 1047 einem Grafen Adalbert (✝ 1048), 1048 seinem Bruder Gerhard übertragen, aus einer bis ins 9. Jahrhundert in Lothringen zurückzuverfolgenden Familie mit Stammgütern an der Nied und um Vaudémont. Das »Haus Lothringen« war auf Dauer zu schwach, um den Aufstieg der Bischöfe von Metz, Toul, Verdun und die Entwicklung von Bar, Vaudémont, Metz-Lunéville, Saarbrücken, Saarwerden, Salm zu selbstständigen Territorien zu verhindern.
 
Als 1431 die Herzöge mit Karl I. (II.) im Mannesstamm erloschen, folgte René I. von Anjou, Herzog von Bar. 1473 erlosch das Haus Anjou in Lothringen; es folgte René II. von Vaudémont (* 1451, ✝ 1508), der die Herzogtümer Lothringen und Bar und die Grafschaft Vaudémont zu einem Großterritorium vereinigen und mit Unterstützung der Eidgenossen und einiger elsässischen Reichsstände gegen den Herzog Karl den Kühnen von Burgund behaupten konnte (Schlacht bei Nancy 1477). René II. und sein Sohn Anton der Gute vergrößerten das Herzogtum auf Kosten der Bistümer Metz, Toul und Verdun. Die Reichsstädte Metz, Toul und Verdun kamen 1552 unter französischer Herrschaft. Anton wehrte das Übergreifen der Reformation auf Lothringen ab und schlug 1525 bei Zabern die aufständischen elsässischen und lothringischen Bauern. Durch den Vertrag von Nürnberg (1542) lockerte er die Bindungen Lothringens an das Reich zugunsten einer größeren Unabhängigkeit. Sein jüngerer Bruder Claude, Erbe der Besitzungen in der Normandie, Picardie, Flandern und im Hennegau, wurde Stammvater der Herzöge von Guise.
 
Unter Karl III. (Herzog 1545-1608) erlebte Lothringen seine größte Blüte. Im Dreißigjährigen Krieg zog sich Herzog Karl IV. wegen seines Anschlusses an Kaiser, Liga und französische Fronde die Feindschaft Richelieus zu. In mehreren Etappen wurde das Herzogtum von den Franzosen besetzt, blieb vom Westfälischen Frieden ausgeschlossen und verlor im Frieden von Vincennes (1661) strategisch wichtige Punkte an Frankreich. 1670 wurde Lothringen erneut von französischen Truppen besetzt und erst im Frieden von Rijswijk (1697) verkleinert an Herzog Leopold zurückgegeben. Sein Sohn Franz Stephan, Gemahl der Habsburgerin Maria Theresia, willigte im Vertrag von Wien (1735) in den Tausch Lothringens gegen das Großherzogtum Toskana ein. Lothringen fiel als Entschädigung an Stanislaus I. Leszczyński, nach dessen Tod 1766 als Provinz an Frankreich.
 
Der nordöstliche Teil der Region (Teile der Départements Meurthe-et-Moselle und Moselle) wurde 1871 vom Deutschen Reich annektiert und dem Reichsland Elsass-Lothringen zugeschlagen (bis 1918).
 
Literatur:
 
Verklingende Weisen. Lothringer Volkslieder, hg. v. L. Pinck u. a., 5 Bde. (1926-39, Nachdr. 1962-63);
 E. Hlawitschka: Lotharingien u. das Reich an der Schwelle der dt. Gesch. (1968);
 W. Mohr: Gesch. des Herzogtums L., 4 Tle. (1974-86);
 É. Juillard: Atlas et géographie de l'Alsace et de la Lorraine (Paris 1977);
 W. Habicht: Dorf u. Bauernhaus im deutschsprachigen L. u. im Saarland (1980);
 F. Reitel: Krise u. Zukunft des Montandreiecks Saar-Lor-Lux (1980);
 F. Reitel: La Lorraine (Paris 1982);
 
L. Gesch. eines Grenzlandes, bearb. v. M. Parisse (a. d. Frz.; 1984);
 
Lotharingia. Eine europ. Kernlandschaft um das Jahr 1000, hg. v. H.-W. Herrmann u. R. Schneider (1995).
 

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Loth|rin|gen; -s: Region in Nordostfrankreich.

Universal-Lexikon. 2012.