Mensch und Maschine
Die Maschine sei der Genius der modernen Welt, bekannte der französische Maler Francis Picabia emphatisch, nachdem er zu Beginn des 20. Jahrhunderts Amerika als künftige Heimat der modernen Kunst »entdeckt« hatte. Neben Marcel Duchamp gehörte er zu den Wegbereitern avantgardistischer Kunstformen, die ihre Bindungen an die kanonisierten und musealen Kunstbegriffe des alten Europas abstreifen und sich vorurteilslos dem »American way of life« der Großstädte öffnen wollten. Vor allem die Bauhaus-Architekten ließen sich von der Idee einer funktionalen Organisation des menschlichen Lebens beeindrucken, wie sie zum Beispiel in den Fließbandhallen großer Fabriken zum Ausdruck kam. Leistungswille, Chancengleichheit und eine rasante Zeitökonomie faszinierten die ästhetisierenden Betrachter. Die italienischen Futuristen glaubten sogar, dass mit dem neu konzipierten Stil einer Maschinenkunst und -ästhetik zugleich ein Reformmodell für Staat und Gesellschaft verbunden sei. Im Zuge des aufkommenden Faschismus und Nationalsozialismus setzte sich dann aber in Italien und Deutschland ein Politikverständnis durch, das das Erbe der europäischen Aufklärung abschüttelte und den Staat in eine nach innen und außen gerichtete Kriegsmaschinerie verwandelte. Gleichschaltung und Ausschaltung lautete die der Maschinenmetapher entsprechende Politik, die ein reibungsloses Funktionieren im Staat gewährleisten sollte. Als »entartet« verachtete Künstler, die im »modernistischen« Staatsapparat funktionslos geworden waren, emigrierten oder wurden Opfer der Massenvernichtung in den Konzentrationslagern.
Auf Maschinen haben die Menschen seit jeher mit Begeisterung, aber auch mit Angst reagiert. Das liegt vor allem daran, dass Maschinen Macht symbolisieren. Maschinen bringen zum Ausdruck, in welcher Weise die Beziehungen des Menschen zu seiner Umwelt, zu anderen Menschen und zu sich selbst beherrscht werden können. Aus dieser Erfahrung entstehen oftmals Gefühle der Sicherheit, der Selbstgewissheit bis hin zu Omnipotenzfantasien, aber auch Gefühle des Unterworfenseins und sogar der Ohnmacht. Die Geschichte der Beziehung von Mensch und Maschine ist daher auch immer eine Geschichte der symbolischen Deutung und Gestaltung dieser Beziehung. Niemals lässt sich diese Beziehung lediglich auf Fragen der technischen Beherrschbarkeit der Lebenswelt reduzieren. Stets werden auch Fragen der ethischen Praxis, also des Sollens und des Dürfens, aufgeworfen. Hieraus ergibt sich ein sehr enger Zusammenhang zur Philosophie beziehungsweise zur Ethik und Moral. Auch wenn das soziotechnische Umfeld der Entwicklung von Maschinen insbesondere in modernen Gesellschaften äußerst komplex ist - wie die modernen Maschinen selbst zunehmend komplexer werden - und der Begriff der Maschine als unmittelbar anschauliches Objekt zunehmend vom Begriff des großen technischen Systems (GTS) oder des Informationsnetzwerks abgelöst wird, so ist es gerade aufgrund des hohen mikro- und makrologischen Wirkungsgrads moderner Maschinen lebenswichtig, die Fragen der Steuerung und der Kontrolle der Maschinen nicht lediglich als technische Problemstellung, sondern - vor allem in Hinblick auf die Lebensbedingungen zukünftiger Generationen - als Themen einer Ethik der Verantwortung zu betrachten. Bei der Definition der Maschine als Mittel zur Realisierung von Zielen darf nicht übersehen werden, dass das Mittel die Mitte (Hegel) darstellt, die die subjektiven Absichten und objektiven Realitätsfaktoren verbindet und so das Leben der Menschen prägt.
In der griechischen Antike gehört der Maschinenbegriff dem Bedeutungsfeld des Verständnisses von Technik an und teilt dessen kulturelle Geringschätzung als künstliches, nicht der Natur zugehörendes Objekt. Dass die handwerklich ausgeübten Fähigkeiten der Menschen die wahre Natur des Kosmos und der Polis beeinflussen könnten, lag dem Denken der damaligen Menschen fern. Dagegen entstand im Spätmittelalter ein neues Denken, das sich von der Vorstellung einer ewigen und vollkommenen Natur löste und im Zuge christlicher Schöpfungsmythen die Fähigkeit des Menschen betonte, Neues zu schaffen. Eine »Umwertung der Werte« setzte ein, in deren Folge die Originalität der menschlichen Erzeugnisse zunehmend zum Kriterium der Wertschätzung erhoben wurde. Allerdings hat in der Renaissance niemand vermutlich ermessen können, welche gigantischen Mittel zur Beherrschung von Mensch und Natur noch geschaffen würden. Handel und freiere Lebensformen insbesondere in den Stadtstaaten Italiens, der auf Repräsentation ausgerichtete Lebensstil der Höfe und der Kirche sowie die Eroberung alter und neuer Welten bildeten zugleich die Rahmenbedingungen und Ausdrucksformen der neuen Zeit. Zwar verstand sich diese Epoche als Wiedergeburt der Antike und ihrer wissenschaftlichen und literarischen Entwürfe. Tatsächlich aber stand ein eigenständiges, schöpferisches Denken im Vordergrund. Typisch für den Durchbruch der Neuzeit war, dass sich die Kunst und die Technik in ihrem Selbstverständnis allmählich wandelten, sich miteinander verbanden und der Entwicklung der Wissenschaften wesentliche Impulse gaben.
Schon im 16. Jahrhundert wurde die erste Werkzeugmaschine, eine Gewindedrehbank, entwickelt, die einen ersten Schritt auf dem Weg zur Fertigung von standardisierten Produkten darstellte. Mithilfe der (neuen) Druckerpresse entstanden die für die Zeit typischen »Maschinen-Bücher«, die umfangreiche Beschreibungen und Konstruktionspläne von Maschinenmodellen festhielten. Im 17. und 18. Jahrhundert konnten daher die noch spielerischen Visionen der Renaissance ausgearbeitet werden. Descartes unterscheidet dann zwischen der unbeseelten, ausgedehnten, »deterministischen« Welt und dem Denken des Ichs. Dabei wird der Mensch einerseits als Subjekt und Bezugspunkt aller Erkenntnis angesehen, andererseits wird der menschliche Körper zur »Gliedermaschine«, zum Gegenstand mechanischer Forschungen und Vermessungen. Galilei und Newton sahen das Universum als eine riesige Maschine an, die, einmal in Gang gesetzt, sich selbst organisiert. Ein Perpetuum mobile als in sich geschlossener mechanischer Automatismus symbolisierte Rationalität und Funktionalität natürlicher und gesellschaftlicher Prozesse.
Mit Blick auf die Arbeits- und Wirtschaftsprozesse im 18. Jahrhundert, die sich aus der absolutistischen Umklammerung befreiten, schreibt der Nationalökonom Adam Smith: »Ein System ist eine imaginäre Maschine, die wir erfinden, um in Gedanken die verschiedenen Bewegungen und Wirkungen miteinander zu verbinden, die bereits in der Wirklichkeit vorhanden sind.« Die bürgerlichen Revolutionen mit den Forderungen nach Abschaffung der Feudalordnung sowie nach freier Verfügung des Menschen über seine Arbeitskraft schufen in den jeweiligen Ländern historische Voraussetzungen für das Einsetzen der industriellen Revolution. Die handwerkliche Produktion gesellschaftlicher Güter in der Landwirtschaft, in den Zünften und Manufakturen wurde durch arbeitsteilige, technisch-maschinelle Formen der betrieblichen Organisation der Arbeit umgestaltet - ein Prozess, der in Großbritannien begann und sich bis heute weltweit fortsetzt und wiederholt. Die Produktivität der Arbeit stieg, und die Bildung von Kapital im nationalen Rahmen führte zu einer wachsenden Nachfrage nach Innovationen. Universitäten, Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen wurden geschaffen und trieben die wissenschaftlich-technische Rationalisierung der Arbeitsprozesse voran. Bevölkerungswachstum, Verstädterung, Trennung von Haus- und Arbeitssphären, Bildung von Kleinfamilien kennzeichneten die Lebensverhältnisse der sozialen Klassen und Schichten. Die sozialen Folgen der maschinell organisierten Industriearbeit, wachsende Ungleichheit zwischen Kapitalbesitzern und Arbeitern, Verarmung durch Arbeitslosigkeit, unzureichende Entlohnung und Arbeitsbedingungen kristallisierten sich als zentrale Themen der Industriegesellschaften heraus. Die auf die Analysen von Karl Marx sich gründende Arbeiterbewegung, die in der menschlichen Arbeitskraft die Quelle der Wert- und Wohlstandsbildung sah, forderte daher auch konsequent, dass die Arbeiter die Maschinen, die gesellschaftlichen Produktivkräfte, statt zu stürmen aus ihrer privaten Aneignung »befreien« und in das Eigentum der Arbeiterklasse übertragen sollten. Die Erfahrung mit den sozialistischen Regimen zeigt jedoch, dass dort aufgrund des bürokratischen Rationalisierungsdrucks und der verordneten Maschinenbegeisterung mit Vorliebe entindividualisierende Systeme der standardisierten Massenproduktion eingeführt wurden. Das industrielle Zeitalter der Maschinen hat sich auch als Zeitalter der Ideologiebildung und des Heilsversprechens erwiesen. Die Vorstellung eines kommunistischen Paradieses der Versöhnung von Mensch, Natur und Technik bleibt der Maschinenmetapher verhaftet, da ein ohne Konflikte funktionierendes, die Teile subsumierendes Ganzes unterstellt wird.
Neuere ländervergleichende Forschungen sprechen von Wellen der Industrialisierung. In Großbritannien nahm neben der Schwerindustrie die Textilindustrie (Spinn- und Webmaschinen) eine Schlüsselstellung der industriellen Revolution ein. Am Ende des 20. Jahrhunderts sind die Produktions- und Fertigungsanlagen dieser Industrien fast völlig in die Schwellenländer abgewandert. Für Deutschland, das im Vergleich zu England und Frankreich erst spät industrialisiert wurde, spielten die elektrotechnische und die chemische Industrie eine impulsgebende Rolle. In den »alten« Industrielandschaften Europas lässt sich derzeit ein Strukturwandel der traditionellen Kernsektoren (Schwerindustrie, Schiffsbau, Bergbau) beobachten. Informations-, Kommunikations- und Biotechnologien sowie die Medien setzen sich als neue Innovationsträger durch, wobei sich die Teilung der Arbeit globalisiert: Aufgaben mit hohem Wertschöpfungsanteil wie Planung, Forschung, Konstruktion und Marketing werden zunehmend in den internationalen Metropolen erledigt, während die Fertigung in periphere »Gebiete« verlagert werden.
Im weltweit entbrannten Konkurrenzkampf um die Eroberung der Absatzmärkte ist zu berücksichtigen, dass die »alten« Industrieländer über eine umfassende technisch-maschinelle Durchdringung von Arbeits- und Lebenswelt mit einer entsprechenden Qualifikation der Bevölkerung verfügen, während die Schwellenländer lediglich bei einigen herausragenden Produktionen führend sind. Jean Fourastié stellte in den Fünfzigerjahren einen globalen Trend der Verdrängung landwirtschaftlicher Arbeit durch Industriearbeit fest, der allerdings wiederum von der Herausbildung des Dienstleistungssektors als Sphäre mit neuen Arbeitsformen und Produktideen überlagert wird. Die damit verbundenen Hoffnungen, dass es eine Grenze der technischen Rationalisierung von personen- und konsumbezogenen Dienstleistungen gäbe, hat sich jedoch nicht erfüllt. Ein Beispiel dafür ist das Bankkonto, das den privaten Sparstrumpf ersetzt hat und von »Bankbeamten« bewacht und umsorgt wurde. Mit der Kreditkarte, dem Bankautomaten oder neuerdings dem »Homebanking« werden diese klassischen Dienstleistungen fast vollkommen technisiert. Der Soziologe George Ritzer stellt am Beispiel der Fast-food-Kette McDonald's die These auf, dass die Fließbandorganisation der Industriearbeit auf die Gastronomie, aber auch auf weitere Bereiche wie die der Erziehung und Pflege übertragen wird und somit als Indiz für eine fortschreitende Entfremdung zu werten ist.
Am Ende des 20. Jahrhunderts ist eine rasante Computerisierung der Arbeits- und Freizeitbereiche zu beobachten. Die digitale Verarbeitung von Informationen ist zur Basis einer eigenen ästhetischen Ausdrucksform avanciert. Dabei wird die »technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks« (Walter Benjamin) selbst als Stilelement begriffen. Der Gewinn von Macht durch ein universell abrufbares Wissen ist eine Vision, die an die Informations- und Kommunikationstechnologien anknüpft. Mit künstlicher Intelligenz, Cyperspace, Robotic, Computer Integrated Manufacturing, World Wide Web wird die Realisierung von Machtfantasien werbewirksam versprochen, die die Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten, über die noch der »Big brother« in George Orwells Roman »1984« verfügt, weit in den Schatten stellen. Die Technikbegeisterung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg hatte ihre Sternstunde 1969, als die Astronauten Edwin Aldrin und Neil Armstrong auf dem Mond landeten.
Mit dem Kernreaktorunfall von Tschernobyl (1986) bekamen Technikkritiker eine starke Gegenstimme. Ihre Argumente beziehen sich auf Kontrolldefizite und Umweltzerstörung. Die Politik legt seitdem Programme zur Risikobewertung, zur Technikfolgenabschätzung und zum Umweltschutz auf. Die Grenze dieser Programme besteht darin, dass die zu Grunde gelegte Datenbasis bereits durch die Einführung der neuen Technologien obsolet wird. Die Technikgeneseforschung zielt dagegen darauf ab, die komplexen gesellschaftlichen Entwicklungen neuer Technologien zu rekonstruieren. Dabei zeigt sich, dass kulturelle Leitbilder eine wesentliche Rolle für die Richtung der Technikentwicklung spielen. Die kulturelle Substitution der Leitmetapher »Maschine« durch Hochleistungscomputer, die die Deutung der menschlichen Lebenspraxis übernehmen, legt den Menschen nahe, funktional zu handeln, blendet aber die Ziele des »Programms« aus, nach denen gehandelt wird. Dagegen bleibt die Kritik an dieser Metapher seitens der Utopie einer technologiefreien Natur ihrer geistesgeschichtlichen Herkunft entsprechend einem romantischen, aber realitätsfernen Ideal verhaftet. Einen Weg zwischen den genannten Extremen einzuschlagen kann nur gelingen, wenn die Menschen sich nicht selbst als Maschine denken, sondern ihre Zuständigkeit und Verantwortung begreifen.
Christiane Bender
Universal-Lexikon. 2012.