Kom|mu|nal|po|li|tik 〈f.; -; unz.〉 Gesamtheit aller polit. Entscheidungen, Vorhaben u. Entwicklungen auf Gemeindeebene; Sy Lokalpolitik
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Kom|mu|nal|po|li|tik, die:
Dazu:
Kom|mu|nal|po|li|ti|ker, der;
Kom|mu|nal|po|li|ti|ke|rin, die;
kom|mu|nal|po|li|tisch <Adj.>.
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Kommunalpolitik,
Sammelbegriff für politisches Handeln überwiegend in Städten, Gemeinden und Landkreisen, aber auch durch Städte, Gemeinden und Kreise jeweils im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung. Das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung ist die Grundvoraussetzung für Kommunalpolitik, weil allein durch dieses Prinzip ein durch den Rahmen der staatlichen Gesetze definierter und begrenzter Freiraum der Eigenverantwortung eröffnet wird, der von der Kommunalpolitik gefüllt wird. Kommunalpolitik in den Kommunen - gleichsam die kommunale Innenpolitik - wird geprägt vom Kräfteverhältnis zwischen Rat und Verwaltung, den politischen Parteien, den örtlichen Wählergruppen und der direkten Mitwirkung der Bürger an örtlichen Entscheidungen auch außerhalb der Kommunalwahlen durch Bürgerbegehren, Bürgerinitiativen, Bürgerentscheide und auch durch ungeregelte Einmischung von Individuen, Vereinen und Verbänden in das örtliche Geschehen. Kommunalpolitik durch Städte, Gemeinden und Kreise vollzieht sich im Rahmen der Mitwirkung der Kommunen als Körperschaften des öffentlichen Rechts - also als eigenständige juristische Personen - an politischer Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen des Staatsaufbaus, häufig vertreten durch kommunale Spitzenverbände.
Geschichtliche und rechtliche Entwicklungen
Das Recht der Bürger einer Stadt, ihre Angelegenheiten im Rahmen einer staatlichen Ordnung selbst zu regeln, gab es (begrenzt auf das Besitzbürgertum) schon im Mittelalter für zahlreiche europäische Städte. Züge genossenschatlicher Gemeindefreiheit haben sich in der Schweiz erhalten, wo Bürgerversammlungen unmittelbar entscheiden und örtliche sowie kantonale Volksabstimmungen üblich sind, deren Ergebnisse die Politik auf allen Ebenen des Staates wesentlich mitbestimmen. Auch das von Staats wegen formulierte Selbstverwaltungsprinzip, wie es Preußen im 19. Jahrhundert durch Heranziehen der Bürger zu ehrenamtlichem Mitwirken bei städtischen Angelegenheiten prägte, gab Raum für örtliche Politik. Aus anderem Staatsverständnis entwickelte sich in Großbritannien eine starke örtliche Eigenständigkeit unter dem Begriff Local Government. Die zentralistische Ordnung des Nationalstaates räumte dagegen in Frankreich, Spanien, Italien eigenständigen örtlichen Entscheidungen wenig Raum ein. In den USA war und blieb die kommunale Entscheidung innerhalb der Einzelstaaten bei den örtlichen Autoritäten mit weitgehend freier Bestimmung der Organisationsformen (Vielfalt von Zweckverbänden). Russland war bis zum Umsturz 1917 ein monarchisch-autokratischer Staat, danach herrschte bolschewistischer Zentralismus. Im Nationalsozialismus blieb die kommunale Selbstverwaltung in der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 nur pro forma erhalten.
In den parlamentarischen Demokratien wird die kommunale Ebene mit Recht als Sockel des Staates angesehen; die Parteien betrachten die Kommunalpolitik als wichtigen Programmteil. Die Entscheidungsfreiheit der Kommunalpolitik wurde und wird allerdings überlagert durch die immer dichter werdende staatliche Gesetzgebung (Daseinsvorsorge durch Leistungsgesetze, Vorbehalt des Gesetzes für alle Ordnungsmaßnahmen). In den 1970er-Jahren wurden zur Rationalisierung und zur Stärkung der örtlichen Verwaltungskraft kommunale Gebietsreformen mit Zusammenlegung kleinerer Gemeinden durchgeführt. Die Zahl kommunaler Einheiten (z. B. in Großbritannien, Deutschland, Österreich, auch in Skandinavien) ist dadurch beträchtlich vermindert worden; das hat das Gewicht der Kommunalpolitik in diesen Ländern zwar kaum verändert, aber Probleme der größeren Distanz zwischen Bürger und Behörde (weitere Wege) sowie Identitätsverluste für die kleinen Gemeinden im ländlichen Raum mit sich gebracht. Bei der seit 1990 durchgeführten Gebietsreform in den neuen Ländern Deutschlands versucht man, durch Vermeidung radikaler Schnitte diese Erfahrungen zu berücksichtigen.
Verfassungsrechtliche Reformen zugunsten kommunaler Selbstverwaltung und politischer Dezentralisation gab es in jüngerer Zeit in Italien, Spanien und Frankreich, wo besonders während der 1980er-Jahre der überkommene Zentralismus wesentlich gelockert wurde. Im ehemals kommunistischen Osteuropa wird die Einführung einer kommunalen Selbstverwaltung nach dem ökonomischen und politischen Zusammenbruch der zentralistisch gesteuerten Staatspraxis überall angestrebt. Die praktische Ü berwindung der allmächtigen »Steuerung von oben« wird allerdings noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Kräfte der örtlichen Selbstregulierung sind vielfach noch schwach und ungeübt.
Problemfelder und Machtstrukturen
Formen und Verfahren
der Kommunalpolitik werden überwiegend geprägt durch die staatlich vorgegebenen Kommunalverfassungen (Gemeindeordnungen, Kreisordnungen u. Ä.), die das Organisationsgefüge, die Aufgaben von Gremien und Amtsträgern regeln. Das von Land zu Land unterschiedliche System zur Wahl der Vertretungskörperschaften bringt weitere Varianten. Staatsform, vorherrschende politische Grundauffassungen und regionale Tradition sind maßgeblich für Art und Rang der Kommunalpolitik (z. B. Einfluss von Wählergemeinschaften, Stärke der Bürgermeisterposition, Umfang der zentralstaatlichen Kontrolle mit Genehmigungsvorbehalten oder nur Rechtmäßigkeitsaufsicht). Die leitenden Positionen der örtlichen Verwaltung (Bürgermeister) werden häufig von der Bürgerschaft unmittelbar mittels Wahl besetzt; die Kommunalparlamente leiten und kontrollieren deren Amtsführung und die gesamte Kommunalverwaltung. Bürgerentscheide spielen in der Schweiz eine große Rolle, sie sind in anderen Kommunalverfassungen eher von begrenzter, punktueller Bedeutung. Die vielfach geübte Praxis, alle Gruppierungen (Fraktionen) der Vertretungskörperschaft proportional an den exekutiven Führungspositionen (Dezernenten, Beigeordnete) zu beteiligen, soll den Konsens in der Kommunalpolitik verbreitern und Machtansprüche der Mehrheit mindern; diese Bemühungen können sich jedoch durch das Entstehen einer auf Proporz gegründeten Pfründenwirtschaft auch nachteilig auswirken.
Die Aufgaben der Kommunalpolitik liegen in der politischen Steuerung der kommunalen Aufgabenerfüllung. Der Spielraum hängt von den gesetzlichen Vorgaben ab. Weite Bereiche des kommunalen Handelns sind durch Bundes- und Landesgesetze relativ strikt geregelt. Das betrifft insbesondere die Einnahmeseite der kommunalen Finanzen (also die Erhebung von Steuern, Gebühren und Beiträgen) und die so genannte Ordnungsverwaltung (Einwohner- und Meldeamt, Ordnungsamt, Standesamt). Wo mehr Freiraum besteht - wie in der kommunalen Jugendpolitik, der Sportförderung und der kommunalen Kulturpolitik -, werden die Grenzen häufig durch die Engpässe der Finanzierbarkeit gesetzt. Öffentliche Zuschüsse des Staates werden oft an bestimmte Bedingungen geknüpft und wirken so als »goldener Zügel« der Kommunalpolitik. Die Hauptfelder der Kommunalpolitik liegen im Bereich der »sechs Hoheiten« der kommunalen Selbstverwaltung: der Finanzhoheit (die kommunale Vertretungskörperschaft beschließt über den Haushaltsplan und den Stellenplan); der Personalhoheit (die kommunalen Spitzenbeamten werden vor Ort gewählt, die Kommune ist Dienstherr aller Beschäftigten); der Organisationshoheit (das Gefüge der Dezernate und Ämter unterliegt der kommunalen Beschlussfassung, wenngleich in Deutschland aufgrund der Organisationsvorschläge der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung [KGSt] in Köln starke Übereinstimmung im Grundgerüst der Ämterorganisation besteht); der Gebietshoheit (die Kommune erfüllt in ihrem Gebiet alle öffentlichen Aufgaben im Rahmen und nach Maßgabe der Gesetze); der Satzungshoheit (die Kommunen besitzen das Recht, Ortsgesetze zu erlassen, z. B. über einen Anschluss- und Benutzungszwang an Einrichtungen der kommunalen Infrastruktur wie die Wasser- und Energieversorgung); der Planungshoheit (die Städte und Gemeinden stellen die Bauleit- und Landschaftspläne für ihr Gebiet in eigener Verantwortung auf).
Die Ziele der Kommunalpolitik hängen von den örtlichen Machtstrukturen ab. Es gibt aber Übereinstimmung bei der Wahrnehmung mancher Probleme. Sie liegen in steigenden Umweltbelastungen, teilweise umstrittenen Maßnahmen der Stadt- und Dorfsanierung, der Planung und Durchführung von Großprojekten des Straßen- und Eisenbahnbaus, des Luftverkehrs, der Abfallbeseitigung. Den negativen Folgen sucht man durch ökologische Kommunalpolitik, neuerdings auch durch Anwendung des Prinzips der nachhaltigen Entwicklung (Substainable Development) zu begegnen. Der Begriff der nachhaltigen Entwicklung wurde vom so genannten Brundtland-Bericht, der von der Generalversammlung der UN 1983 in Auftrag gegeben wurde, in das öffentliche Bewusstsein gebracht und von der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro zum Leitmotiv erhoben. Das Prinzip soll gewährleisten, dass die natürlichen Ressourcen nicht stärker verbraucht beziehungsweise belastet werden, als für selbstregulierende Ergänzung beziehungsweise Reinigung gesorgt ist. In der Kommunalpolitik werden dementsprechende Programme in Nachahmung der UNCED-Beschlüsse von Rio des Janeiro als »lokale Agenda 21« beschlossen.
Die Machtstrukturen in der Kommunalpolitik variieren je nach Größenklasse der Kommune, Kommunalverfassung und örtlichen Verhältnissen; sie sind auch stark abhängig von den handelnden Personen. Unabhängig von der Größe und der Zahl der Einwohner herrscht in kommunalen Parlamenten das Prinzip der Ehrenamtlichkeit; in den Ausschüssen wirken sachkundige Bürger zusätzlich mit. Die hauptberuflichen Führungskräfte werden auf Zeit gewählt, sie stehen an der Spitze der Kommunalverwaltung und ihrer Ressorts. Der Einfluss der politischen Parteien, auch von rein örtlichen Wählergemeinschaften und »Rathausparteien«, ist fast überall groß. Die einstige Macht der Honoratioren, der besonders angesehenen Bürger des Ortes, ist weitgehend auf andere Eliten übergegangen, die fest mit den Parteien, Berufsverbänden u. a. organisierten Interessen verbunden sind (Lobbyismus). Die Kommunalwahlen werden nur zum Teil von lokalen Problemen bestimmt, eher von den Parteien und den Kandidaten für kommunale Spitzenämter, zuweilen auch von den Bürgerinitiativen; die Wahlbeteiligung ist fast immer geringer als für staatliche Parlamente, dennoch werden Kommunalwahlergebnisse als innenpolitische Tests für die landesweiten Parteien und auch als Signale für veränderte Problemgewichtungen und für Chancen neuer politischer Strömungen gewertet.
Bürgerbeteiligung und Interessenvielfalt
Die Bürgerbeteiligung hat in der Kommunalpolitik zum Teil vom Gesetz vorgeschrieben - an Bedeutung gewonnen. Die Partizipation an Diskussionen und Vorentscheidungen hat zunächst viel Hoffnung geweckt, später trat Ernüchterung ein, weil im repräsentativen System die Entscheidungen letztlich den gewählten Vertretungen überlassen bleiben müssen. Die Repräsentativität der Kommunalparlamente bei der Vertretung der Gemeindeeinwohner wurde seit 1994 in der EU dadurch erhöht, dass alle Bürger der EU am Ort ihres ständigen Aufenthalts innerhalb der EU bei Kommunalwahlen aktiv (und mit gewissen Einschränkungen auch passiv) wahlberechtigt sind. Die Forderung nach einem Wahlrecht für alle ortsansässigen Ausländer auf kommunaler Ebene hat sich nicht durchgesetzt. Es gibt jedoch vielerorts Ausländerbeiräte als spezifische Form der Betroffenenbeteiligung.
Besondere Bedeutung für jegliche Kommunalpolitik hat die lokale Öffentlichkeit. Die örtliche oder regionale Presse, manchmal das regionale Fernsehen oder auch der lokale Hörfunk, stehen hier im Vordergrund. Die Zeitungen am Ort haben meist hohen Einfluss, sie gehören zur kommunalen Machtstruktur, denn sie liefern die meisten Informationen, bilden - gewollt oder ungewollt - Meinungen, fördern Initiative, Kritik, Kontrolle oder stützen die jeweilige Rathausmehrheit. Regionale und kommunale Pressekonzentration gefährdet Meinungsvielfalt und demokratische Konfliktfähigkeit in der Kommunalpolitik. Trotz der Macht der Parteien in der Kommunalpolitik spielen Persönlichkeit und Position des gewählten Leiters der Verwaltung, also des Bürgermeisters, eine erhebliche Rolle. Bewährung in einem kommunalen Spitzenamt macht populär und öffnet Karrierechancen auch im staatlichen Bereich. Vielfach wird die Kommunalpolitik ohnehin als bestes Übungsfeld für staatspolitisches Wirken, gleichsam als Schule der Demokratie, angesehen.
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
Bürgerinitiative · Gemeinde · kommunale Gebietsreform · kommunale Spitzenverbände · Regionalpolitik · Selbstverwaltung · Wahlrecht · Wirtschaftsförderung
Hb. der kommunalen Wiss. u. Praxis, hg. v. G. Püttner, Bd. 2 (21982);
Hwb. zur K., hg. v. R. Voigt (1984);
Wie funktioniert das ? Städte, Kreise u. Gemeinden, bearb. v. W. Haus u. a. (1986);
Kommunal-Wiss. in der Bundesrepublik Dtl., hg. v. J. J. Hesse (1988);
K. Polit. Handeln in den Gemeinden, hg. v. R. Roth u. a. (1994).
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Kom|mu|nal|po|li|tik, die: die Belange einer ↑Kommune (1) betreffende Politik.
Universal-Lexikon. 2012.