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China \(589 bis 1644\): Trennung und Fremdherrschaft
China (589 bis 1644): Trennung und Fremdherrschaft
 
Die Reichseinigung unter der Suidynastie (581—618)
 
Mit Gründung der Suidynastie endete die Jahrhunderte währende Zersplitterung Chinas. Dies war vor allem dem politischen und militärischen Geschick von Yang Jian, als Kaiser Wendi, zu danken. Er hatte 581 im bereits wieder vereinten Norden, der vordem von Fremdvölkern wie den Xianbi, den Toba und den Xiongnu beherrscht worden war, die Macht an sich gerissen. 589 dehnte er sein Reich mithilfe eines etwa 500000 Mann starken Heeres, unterstützt von zahlreichen Schiffen der Binnenmarine, auf den zuletzt von der Sippe Chen beherrschten Staat aus, der Südchina und das heutige nördliche Vietnam umfasste. Ebenso wie sein berühmt-berüchtigter Nachfolger Yangdi unternahm er alle Anstrengungen, das neue Einheitsreich, das sich im Westen wieder bis in das Tarimbecken erstreckte und eine Bevölkerung von etwa 48 Millionen aufwies, zu konsolidieren.
 
In wirtschaftlicher Hinsicht geschah dies unter anderem durch die Neuverteilung von individuell zugemessenem Ackerland, durch Reduzierung der Steuern und der jährlich für den Staat zu erbringenden Dienstpflicht sowie durch die Wiedereinrichtung einer einheitlichen Münzwährung und einheitlicher Maß- und Gewichtseinheiten zur Förderung des Handels. Politisch suchten die Himmelssöhne eine Stabilisierung zu erreichen, indem sie zum Beispiel nach den vielen Jahren des Polyzentrismus die Machtbefugnisse der nun effektiver bis zur lokalen Ebene hinunterreichenden zentralen Administration erweiterten, das Prüfungssystem für Beamte neu belebten oder auch die Neufassung eines einheitlichen, für einschlägige spätere Werke vorbildlichen Gesetzeskodex anordneten.
 
Aber wie schon der Erste Erhabene Göttliche, der Gründungskaiser der Qindynastie, zuvor erlagen die Suikaiser der Versuchung, zu viel zu schnell realisieren zu wollen. Vor allem waren es ihre monumentalen Unternehmungen, von denen etliche langfristig gesehen zwar von großem Nutzen für das Land waren, kurzfristig jedoch die Leidensfähigkeit der Menschen und die volkswirtschaftlichen Möglichkeiten überstiegen. Stellvertretend seien hier nur die Verlängerung der Großen Mauer um Hunderte von Kilometern sowie die Anlage des etwa 60 m breiten Kaiserkanals samt den ihn säumenden Straßen genannt, mit jeweils Millionen der Wirtschaft entzogener Dienstverpflichteter und einer bis zu 50-prozentigen Todesrate unter Letzteren. Die neue Wasserstraße verknüpfte die (Haupt-)Städte am Gelben Fluss und am Weihe mit Yuhang (Hangzhou) und Zhuo (Peking), mithin den politisch und demographisch dominanten Norden mit dem bald zum Reisüberschussgebiet avancierenden Süden. Drei zu Wasser und zu Lande mit zeitweilig über 1,1 Millionen Mann vorgetragene Feldzüge gegen Korea überforderten die Untertanen durch gewaltige Kriegskontributionen und endeten mit dem Tod von 80 bis 90 Prozent der Invasoren sowie ungeheuren materiellen Verlusten. Das Maß war voll, allenthalben brachen Aufstände los. Der Kaiser wurde im Frühjahr 618 durch einen seiner revoltierenden Offiziere erdrosselt, weil er Angst vor dem Tod durch das Schwert geäußert hatte und der erbetene Gifttrank ihm verweigert worden war.
 
 Die Tangdynastie (618—907)
 
Aus den Unruhen, die schon nach 610 eingesetzt hatten, ging schließlich der eigentlich als Regent im nördlichen Taiyuan eingesetzte, aus einer Aristokratensippe mit vielen Tobavorfahren stammende Li Yuan als Sieger hervor. An der Spitze eines ihm früher zur Bekämpfung der benachbarten Osttürken anvertrauten großen Heeres eroberte er, tatkräftig unterstützt von seinem Sohn Li Shimin, Chang'an und bestieg 618 als Gründungskaiser der berühmten Tangdynastie den Thron. Entschlossen wurden zunächst alle Rivalen, von denen sich einige auch zum Kaiser erklärt hatten, entweder durch lukrative Pfründenangebote integriert oder mit militärischer Gewalt beseitigt. Den als Kaiser Gaozu und Taizong genannten ersten beiden Herrschern gelang es, die mannigfachen Vorleistungen der untergegangenen Dynastie effektiv in ihre von staatsmännischem Geschick und Weitblick zeugende Innen- und Außenpolitik einzubeziehen. China wurde innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem wirtschaftlich blühenden, stabilen und mächtigen Reich, das sich auch an seinen vor allem durch Türkvölker und Tibeter gefährdeten Grenzen im Norden und Westen mit einer klugen Bündnispolitik und erfolgreichen Militäraktionen nachhaltig Respekt verschaffte. Daran änderte selbst die Machtusurpation der ebenso tüchtigen wie skrupellosen ehemaligen kaiserlichen Nebenfrau Wu Zetian nichts, die unter dem Namen »der weise und heilige Kaiser« von 690 bis 705 erfolgreich regierte und während dieser Zeit die Tangdynastie in Zhoudynastie umbenannte. Sie blieb die einzige Frau in Chinas langer Geschichte, die je offiziell als »huangdi« (Kaiser) inthronisiert wurde.
 
Neues Leben pulsierte auf der Seidenstraße, über die vor allem hochwertige chinesische Erzeugnisse wie zum Beispiel das blassgrüne Seladonporzellan, Sancai-(Drei-Farben-)Keramiken und Seidenbrokate in den Westen gelangten, aber auch alle damals bekannten Weltreligionen, einschließlich des nestorianischen Christentums, in das weltoffene China kamen. Der erfolgreichste ausländische Glaube, der Buddhismus, erlangte in seiner sinisierten Form, den Schulen Jingtu (»Reines Land«) und Chan (japanisch Zen), bald auch über China hinaus große Bedeutung. Durch das Wohlwollen von Kaiserhäusern erreichte diese Religion zeitweilig den Rang einer Staatsreligion, zum Beispiel im 5./6. Jahrhundert, war aber auch verschiedentlich, wie Mitte des 9. Jahrhunderts, existenzgefährdenden Verfolgungen ausgesetzt, als 45000 ihrer Sakralbauten zerstört wurden.
 
Die schönen Künste florierten, besonders die Dichtkunst, die wir noch heute in einer Anthologie mit knapp 50000 Gedichten genießen können. Am berühmtesten wurden die Verse des weinseligen Li Bai, des mitfühlenden Du Fu oder des schon zu Lebzeiten äußerst populären Bai Juyi. Yan Liben, Wu Daozi und Wang Wei waren die überragenden, auf lebensnahe Personendarstellungen bzw. Landschaften spezialisierten Maler. Erst die Archäologie machte die herrlichen Wandmalereien und Skulpturen anonymer Künstler bekannt, die in Aristokratengräbern sowie in den buddhistischen Höhlentempeln von Longmen, Dunhuang und anderen geschaffen wurden.
 
 Der Niedergang der Tangdynastie und der Zerfall des Reichs in der Wudaizeit (bis 960)
 
Als fataler politischer Fehler sollte sich die Einsetzung von »jiedushi« (Militärgouverneure) im Jahre 711 erweisen, mit denen man die Kontrolle der Grenzregionen und strategisch bedeutsamer Zentralgebiete optimieren wollte. Im Laufe der Jahre geboten viele in ihrem Amtsbereich nicht wie vorgesehen nur über das Militär, sondern auch über Finanzen und zivile Verwaltung oder beanspruchten gar die Erblichkeit ihrer Ämter, ohne dass es wirksame Gegenstrategien gegeben hätte. Einer von ihnen, An Lushan, rebellierte 755, eroberte die Hauptstadt und zwang Kaiser und Hof zur Flucht. Der jahrelange Aufruhr konnte schließlich nur mithilfe verbündeter uigurischer Truppenkontingente erstickt werden. Die Dynastie wurde zwar gerettet, doch der Preis war — abgesehen von Elend und Verwüstung — eine nachhaltige Schwächung der kaiserlichen Zentralgewalt. Sie wurde zu allem Überfluss auch noch durch Cliquenkämpfe bei Hof unterminiert, bei denen in hohe Ämter berufene Eunuchen eine besonders unrühmliche Rolle spielten.
 
Die zurückgehenden Staatseinkünfte begann man einerseits durch Errichtung eines Monopols auf Salz, Alkohol und den populärer werdenden Tee in der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts zu mehren. Andererseits löste man, auch im Sinne von mehr Steuergerechtigkeit, die aus Getreide, Tuch und Dienstleistungen bestehende Kopfsteuer ab zugunsten der im Sommer und Herbst fällig werdenden, an Landbesitz und Eigentum orientierten »Zweiersteuer«. Letztlich vereitelten aber die dadurch vornehmlich betroffenen aristokratischen Großgrundbesitzer und die Militärgouverneure mit ihren separatistischen Neigungen den landesweiten Erfolg der Maßnahmen, während gleichzeitig die oft illegale, lokal verfügte Besteuerung für den »kleinen Mann« ins Unerträgliche wuchs. Die Spannung entlud sich schließlich in dem weite Landesteile verheerenden Aufstand des Huang Chao (✝ 884). Der »himmelstürmende Heerführer«, so seine Eigenbezeichnung, nahm 880/881 mit 600000 Mann erst Luoyang, dann Chang'an ein. Wieder flüchtete der Himmelssohn und trat ein vierjähriges Exil in Sichuan an, wieder wurde das Kaiserhaus dank fremder, diesmal türkischer Truppen gerettet. Eine Restauration der Zentralgewalt misslang jedoch trotz großer Anstrengungen, und die Dynastie erlosch 907.
 
Das Reich zerfiel bis 960 in unabhängige, von regionalen Machthabern kontrollierte Gebiete. Diese Periode heißt in der traditionellen Geschichtsschreibung Wudai(Fünfdynastien-)zeit, da das »Mandat des Himmels« in fünf nacheinander in Nordchina sich gewaltsam ablösenden Herrscherhäusern angeblich weitergereicht worden war. Die im übrigen China gegründeten »Zehn Reiche« wurden als unrechtmäßig stigmatisiert. Hinsichtlich des Einheitsreichs war diese Zeit sicherlich ein Malheur, nicht so für große Teile der unteren Bevölkerungsschichten, denen es — ähnlich wie heute — in manchen der küstennahen Gebiete im Süden besser ging als den Untertanen des »legitimen« Himmelssohns im Norden.
 
 Die Songdynastie (960—1279)
 
Der von dem hohen Militär Zhao Kuangyin (postumer Name Taizu) unternommene Putsch gegen die letzte Dynastie der Wudaizeit führte zur Gründung der Songdynastie. Taizu formulierte die sympathische, berühmt gewordene Maxime »das Zivile stark, das Militärische gering gewichten«, auch wenn er und sein Nachfolger, flankiert von gewandter Diplomatie, bei dem fast 20 Jahre währenden Ringen um die neuerliche Einheit des Landes auf starke Armeen nicht verzichten konnten. Die völlige Wiederherstellung des Reichs in den tangzeitlichen Grenzen gelang nicht. Teilgebiete blieben im Norden beim militärisch ebenbürtigen Kitan- oder Liaoreich (916—1125) und im Nordwesten beim Xi Xia- oder Tangutenreich (1038—1227). Besonders schmerzlich war, dass ganz Nordchina bis zur Höhe des Huai He nach 1127 von den Reiterheeren des Jin- oder Dschurdschenreichs (1115—1234) erobert wurde, die vordem schon das Liaoreich überrannt hatten. Diese Zäsur ist im Übrigen gleichbedeutend mit dem Untergang der Nördlichen Songdynastie. Abkömmlingen des Herrscherhauses Zhao gelang jedoch im selben Jahr die Etablierung der über das verbliebene Rumpfchina gebietenden Südlichen Songdynastie.
 
Trotz der territorialen Beschneidungen, trotz der Last eines militärisch selten erfolgreichen, zeitweilig auf 1,4 Millionen Mann anschwellenden stehenden Heeres — im Gegensatz zur Tangdynastie unter wechselndem Oberbefehl von überwiegend zivilen Beamten — und trotz vieler anderer Widrigkeiten prosperierte das Songreich, wurde zum fortschrittlichsten Staat der damaligen Welt. Schon 10 Prozent der nun rund 100 Millionen zählenden Bevölkerung lebten in Städten mit ihren Zünften, die beiden Songmetropolen Kaifeng und Hangzhou waren Millionenstädte. Im Rahmen der staatlichen Armenfürsorge gab es Waisenhäuser, Altersheime und Krankenhäuser, im Idealfall bis hinunter zur Kreisstadtebene. Die Administration oblag Beamten, die durch Staatsexamen und nicht mehr wie bisher durch bloße Empfehlung und aristokratische Herkunft qualifiziert waren. Die schnelle Übermittlung von Anordnungen aus der Hauptstadt in alle Landesteile wurde durch zahlreiche Kuriersta- tionen sichergestellt, welche die Hauptverkehrsstraßen des dichten Straßennetzes säumten. Der rege Buchdruck ermöglichte die Publikation des buddhistischen und daoistischen Kanons mit Hunderttausenden von Seiten, von (neo) konfuzianischen Schriften, die Chinas Geistesgeschichte und Staatsdoktrin so tief prägten, von umfangreichen historischen und enzyklopädischen Werken, von Fachbüchern zur Medizin, Landwirtschaft und Technik und schließlich im 11. Jahrhundert von staatlichen und privaten Zeitungen. Der zur Vorbeugung gegen Inflation auf Kupferkuranten basierende Geldumlauf erreichte gigantische Dimensionen. Er musste ständig, vor allem wegen des illegalen Abflusses ins Ausland — in Japan war zu dieser Zeit chinesisches Hartgeld das übliche Zahlungsmittel — und wegen verbotenen Umschmelzens zu buddhistischen Skulpturen, ergänzt werden: um 1070 zum Beispiel jährlich mit etwa 5 bis 6 Milliarden der runden Münzen mit viereckigem Mittelloch. Den Handel erleichterten gedruckte Banknoten, von denen um 1232 über 300 Millionen Stück zirkulierten. Über den ökonomisch und kulturell blühenden Südsongstaat brach ab 1235 der Mongolensturm herein, dem schon das Tanguten- und Dschurdschenreich zum Opfer gefallen waren. Anders als auf ihren Feldzügen nach Innerasien und Europa mit außergewöhnlichen Landgewinnen in relativ kurzer Zeit brauchten die Herren der Steppe zur Eroberung Rumpfchinas über 40 Jahre. Die von brutaler Disziplin zusammengehaltene, alles niederwalzende Kavallerie der Mongolen konnte ihre Überlegenheit im für sie geomorphologisch ungünstigen Süden (bergig, fluss- und seenreich) und in den ihr aufgezwungenen Belagerungskriegen gegen die hervorragend gesicherten Stadtfestungen kaum entfalten. Der schauerlich loyale Songminister Lu Xiufu ertränkte nach einem letzten Gefecht sich und den amtierenden achtjährigen Kindkaiser, den er sich auf die Schultern gesetzt hatte, 1279 beim heutigen Macao im Meer, um ihm die schmachvolle Absetzung zu ersparen.
 
 Die Herrschaft der Mongolen (1271—1368)
 
Die Eroberer hatten schon Ende 1271 unter Kubilai, als Kaiser Shizu, die Yuandynastie ausgerufen. Peking wurde unter der Bezeichnung Daidu erstmalig Hauptstadt des Reichs und durch einen neuen, den heute noch genutzten, fast meridional verlaufenden Kaiserkanal an die agrarischen Überschussgebiete der Jangtse-Tieflandkammern angebunden. Die Mongolen errichteten eine Art Militärdiktatur, unter der durch diskriminierende Gesetze die hierarchische Sonderstellung der neuen Oberschicht samt ihren Privilegien fixiert wurde. Der ursprüngliche Plan, riesige Agrarflächen Nordchinas in Pferdeweiden zu verwandeln, wurde nur deswegen aufgegeben, weil die Ausbeutung des Landes mithilfe der übernommenen, überwiegend willig für die neuen Herren arbeitenden Bürokratie höheren Nutzen versprach.
 
Begünstigt durch die mongolischen Eroberungen in Eurasien blühte der Fernhandel auf, und Kaufleute wie Marco Polo waren gern gesehene Gäste. Toleranz praktizierte die Fremddynastie gegenüber allen Religionen, auch wenn ihre Angehörigen meist dem Buddhismus in Gestalt des Lamaismus zugetan waren. Das Reich der Mitte erreichte unter der Yuandynastie seine größte Ausdehnung. Alle seit der Tangzeit verlorenen Gebiete eroberten die Steppennomaden für China zurück, ergänzt um das 316 Jahre eigenständige Reich Nanzhao (ein späterer Name Dali) mit seinem Kernraum im heutigen Yunnan.
 
In der ländlichen Bevölkerung, die vielerorts in die Leibeigenschaft gezwungen wurde, um auf den von den mongolischen Aristokraten konfiszierten Ländereien zu schuften, hatte es nie — anders als unter der letzten Mandschu-Fremddynastie — das Maß an Zustimmung gegeben, das für eine längerfristige effektive Herrschaftsausübung unerlässlich gewesen wäre. Kleinere und größere, zum Teil durch messianische Lehren inspirierte Aufstände waren vor allem in Südchina an der Tagesordnung. Enorme volkswirtschaftliche Probleme, unter anderem hervorgerufen durch die Auswirkungen zerstörerischer Hochwasser- und Dürrekatastrophen, eine nicht beherrschbare Inflation des zum alleinigen Zahlungsmittel erklärten Papiergeldes, heftiger Dauerzwist im tonangebenden mongolischen Hochadel besonders wegen der Thronfolge, all dies und mehr ließ das »Mandat des Himmels« unaufhaltsam verblassen. Den Todesstoß gegen die Yuandynastie führte ein nach konfuzianischen Maßstäben ungebildeter Emporkömmling, der mit untrüglichem Machtinstinkt und Fortune ausgestattete Zhu Yuanzhang, als Kaiser Taizu.
 
 Die Mingkaiser (1368—1644)
 
Taizu jagte aber nicht nur die Steppenaristokraten davon und gründete 1368 in Nanking (erst ab 1421 war Peking wieder Metropole) die einheimische Mingdynastie, sondern beseitigte auch die drohende Gefahr eines neuerlichen Partikularismus in Form regionaler Kriegsherren, die das Erschlaffen der Yuan-Zentralgewalt nach 1350 nutzen wollten. Taizu ließ auch alte hochrangige Mitstreiter, die er einer Auflehnung für fähig hielt, reihenweise umbringen. Stets misstrauisch gegenüber der Elite mit Staatsexamen, begründete er die Tradition, die übernommene zentralistische Administration einzig auf den Himmelssohn auszurichten. Schon immer mit Weisungskompetenzen ausgestattete Spitzenbeamte degradierte er zu reinen Beratern. Ungeachtet dieser ausgeprägten Autokratie erlebte das Reich mit seinen rund 150 Millionen Einwohnern Ende des 16. Jahrhunderts eine längere wirtschaftliche Blüte. Die Grundlage hierfür schufen unter anderem Steuerprivilegien für die Inkulturnahme von Brachland, eine erfolgreiche Wasserbau- und Bodenverbesserungspolitik zur Steigerung der Ernteerträge (neben dem traditionellen Getreide jetzt häufiger auch Mais, Bataten, Erdnüsse und Baumwolle), mäßige Abgaben an den Staat sowie ein reger Handel mit Textilprodukten, Porzellan- und Lackwaren.
 
Im Geistesleben brachte es der in Umgangssprache verfasste Roman zu großer Popularität, der Welt größte Enzyklopädie mit dem Gesamtwissen des damaligen China wurde zusammengestellt, und Wang Yangming belebte den zur Orthodoxie erstarrten Neokonfuzianismus. Im 16. Jahrhundert kamen nach den oft rüpelhaft auftretenden europäischen Kaufleuten christliche Missionare wie zum Beispiel der sinophile Matteo Ricci ins Land, ohne allerdings je Bekehrungserfolge wie etwa die Buddhisten verbuchen zu können.
 
Wie immer gab es viele Gründe für den Untergang der Dynastie. Trotz Neubaus der Großen Mauer und trotz etlicher Siege der Mingfeldarmeen war eine nachhaltige Befriedung der nördlichen Nomaden nicht gelungen. Militäraktionen wie die Unterstützung des »Vasallen« Korea gegen zwei japanische Invasionen, richteten — zusätzlich zum Blutzoll — ebenso wie die Ausplünderung der südostchinesischen Küstenregionen durch japanische Seeräuber beträchtlichen volkswirtschaftlichen Schaden an. Zum wohl größten Problem entwickelte sich letztendlich die Steuereinnahmen mindernde Bodenakkumulation in den Händen weniger bei gleichzeitiger Überdrehung der Abgabenschraube zuungunsten vieler. Hinzu kam ein Verlust an politischer Handlungsfähigkeit, verursacht durch ein von den verhassten Eunuchen mitverschuldetes Kompetenzenchaos im Machtzentrum. Eine in Shaanxi ausbrechende Hungerkatastrophe war das Fanal für den von Li Zicheng geführten Aufstand. Im April 1644 besetzte sein Heer Peking, da ein Großteil des kaiserlichen Militärs zur Abwehr der sich zum Angriff auf China formierenden Mandschuren gebunden war. Der letzte Mingkaiser erhängte sich, doch konnte Li, der sich flugs zum Himmelssohn ernannte, nur kurz seinen Triumph auskosten. Er starb 1645 im Kampf, auf der Flucht vor den Mandschuren, die die letzte, bis 1911 währende Qingdynastie in China gründeten.
 
Prof. Dr. Klaus Flessel
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
China unter den Mandschu (1644 bis 1843): Von der Großmacht zum Spielball der europäischen Mächte
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
China von 221 v. Chr. bis 220 n. Chr.
 
Literatur:
 
Das alte China. Geschichte und Kultur des Reiches der Mitte, herausgegeben von Roger Goepper. München 1988.
 Barfield, Thomas J.: The perilous frontier. Nomadic empires and China. Oxford u. a. 1989.
 
The Cambridge history of China, herausgegeben von Denis Twitchett u. a., auf zahlreiche Bände berechnet. Cambridge 1978 ff.Teilweise Nachdruck.
 Eichhorn, Werner: Kulturgeschichte Chinas. Eine Einführung. Stuttgart u. a. 1964.
 Fairbank, John King: China. A new history. Cambridge, Mass., u. a. 1992.
 
Fischer-Weltgeschichte, Band 19: Franke, Herbert/Trauzettel, Rolf: Das chinesische Kaiserreich. Frankfurt am Main 69.-70. Tausend 1993.
 Franke, Otto: Geschichte des chinesischen Reiches. Eine Darstellung seiner Entstehung, seines Wesens und seiner Entwicklung bis zur neuesten Zeit. 5 Bände Berlin 1-21948-65.
 Gernet, Jacques: Die chinesische Welt. Die Geschichte Chinas von den Anfängen bis zur Jetztzeit. Aus dem Französischen. Taschenbuchausgabe Frankfurt am Main 21994.
 Kuhn, Dieter: Status und Ritus. Das China der Aristokraten von den Anfängen bis zum 10. Jahrhundert nach Christus. Heidelberg 1991.
 Ladstätter, Otto/Linhart, Sepp: China und Japan. Die Kulturen Ostasiens. Wien u. a. 1983.
 Meyer, Milton W.: China. A concise history. Lanham, Md., 21994.
 Needham, Joseph: Science and civilisation in China, auf zahlreiche Bände berechnet. Cambridge u. a. 1954 ff. Teilweise Nachdruck.
 Schmidt-Glintzer, Helwig: Das alte China. Von den Anfängen bis zum 19. Jahrhundert. München 1995.
 Wiethoff, Bodo: Grundzüge der älteren chinesischen Geschichte. Darmstadt 21988.

Universal-Lexikon. 2012.