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Sein
Existenz; Dasein; Vorhandensein; Anwesenheit; Vorliegen

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1sein [zai̮n], ist, war, gewesen:
1. <itr.; ist
a) dient in Verbindung mit einer Artangabe dazu, einer Person oder Sache eine bestimmte Eigenschaft, Beschaffenheit oder dergleichen zuzuschreiben: die Frau, die Rose ist schön; das Wetter war schlecht; sie ist alles andere als zufrieden; ihr seid wohl verrückt, besoffen!; wie ist der Wein?; wie alt bist du?; die Reise war anstrengend; das, sie ist mir nicht geheuer; <unpers.> wie war es in Paris?; es war kalt, noch dunkel, schon hell; mir ist [es] übel, nicht gut, warm; bei der Sache ist mir nicht wohl; so ist es (so verhält es sich) nun mal;
jmdm. ist, als …: jmd. hat das unbestimmte Gefühl, dass …:
mir ist, als ob ich einen Schrei gehört hätte/als hätte ich einen Schrei gehört.
Syn.: jmd. denkt, dass…; jmd. glaubt, dass…; jmd. hat das Gefühl, dass…; jmd. hat den Eindruck, dass…; jmd. meint, dass…; jmdm. kommt es so vor, als…;
jmdm. ist nach etwas: jmd. hat Lust zu etwas:
mir ist nicht nach Feiern.
Syn.: jmd. hat Bock auf/zu etwas (ugs.), jmd. hat Lust auf/zu etwas.
b) dient in Verbindung mit einem Gleichsetzungsnominativ dazu, jmdn. oder etwas als etwas Bestimmtes, als einer bestimmten Kategorie zugehörend zu kennzeichnen: er ist Bäcker; sie ist Französin, Künstlerin; wir sind Studenten; du bist ein Lügner; die Katze ist ein Haustier; Löwen sind Raubtiere; das ist eine Gemeinheit; wenn ich du wäre, würde ich …; das ist mein Hut; das ist meiner; zwei plus, mal, hoch zwei ist (ist gleich) vier;
es sein: es getan haben; der Schuldige, Gesuchte sein:
ich weiß, dass du es warst; nachher will es wieder keiner gewesen sein.
c) sich (an einem bestimmten Ort) befinden, aufhalten:
sie ist im Garten, zu Hause; er ist in Urlaub, im Kino; wo warst du?; was ist in der Tasche?; ich bin heute zum ersten Mal hier; ich bin gern in Deutschland.
Syn.: bleiben, geblieben sein, leben, liegen, sitzen, stehen, verweilen (geh.), weilen (geh.), wohnen.
d) (irgendwoher) stammen:
seine Frau ist aus Köln; der Wein ist aus Italien, von der Mosel; das Kind ist nicht von ihm; sie ist aus reichem Hause.
Syn.: kommen.
e) dient in Verbindung mit einer Präpositionalgruppe dazu, einer Person oder Sache einen bestimmten Zustand oder dergleichen zuzuschreiben: in Bewegung, beim Essen, am Arbeiten sein; ich bin gerade dabei, einen Brief zu schreiben; es, er ist in Ordnung; sie ist im Recht, in Not, mit den Nerven am Ende; das Gesetz ist in Kraft (ist gültig).
f) <unpers.> dient dazu, Zeitangaben oder Angaben über gegebene Umstände zu machen: es ist spät, noch zu früh, Mitternacht, kurz nach drei, halb zwölf; heute ist der dritte Mai, Dienstag; wie viel Uhr, wie spät ist es?; es ist Nacht, Tag, Sommer, Ebbe, Hochwasser.
2. <itr.; ist
a) sich ereignen, geschehen, stattfinden:
das Erdbeben war im Sommer 1964; wann ist das Konzert?; morgen ist Premiere; wo war das noch?; nächsten Sonntag sind in Hessen Kommunalwahlen; wann sind [die] Osterferien?; Ostern ist im April; es braucht nicht sofort zu sein; was sein muss, muss sein; das kann nicht sein (das ist unmöglich).
Syn.: ablaufen, sich begeben (geh.), eintreten, erfolgen, kommen, passieren, über die Bühne gehen (ugs.), vonstattengehen, vor sich gehen.
b) da sein, existieren, bestehen, leben:
alles, was ist, braucht nicht ewig zu sein; was nicht ist, kann noch werden; wenn sie nicht gewesen wäre, hätte es eine Katastrophe gegeben; sie ist nicht mehr (sie ist gestorben); das war einmal (das ist längst vorbei); was ist denn? (ugs.; was ist denn los?).
Syn.: vorhanden sein, vorkommen.
3. <itr.; ist; mit Infinitiv mit »zu«>
a) entspricht einem mit »können« verbundenen Passiv: das ist nicht mit Geld zu bezahlen (kann nicht mit Geld bezahlt werden).
b) entspricht einem mit »müssen« verbundenen Passiv: am Eingang ist der Ausweis vorzulegen (muss der Ausweis vorgelegt werden).
  2sein [zai̮n], ist, war, gewesen <Hilfsverb>:
a) dient in Verbindung mit dem 2. Partizip der Perfektumschreibung: sie ist gestern angekommen; die Eintrittskarten sind verfallen.
b) dient in Verbindung mit dem 2. Partizip der Bildung des Zustandspassivs: wir sind gerettet; damit ist die Sache erledigt, entschieden; die Rechnung ist längst bezahlt.
  3sein [zai̮n] <Possessivpronomen>:
bezeichnet ein Besitz- oder Zugehörigkeitsverhältnis einer (in der dritten Person stehenden) Person oder Sache: sein Hut ist mir zu groß; seine Sorgen kann ich verstehen; ich hatte mein Feuerzeug vergessen und benutzte das seine; alles, was sein ist (geh.; ihm gehört).

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sein1
I 〈Possessivpron.〉
1. zu ihm gehörig, ihm gehörend
2. 〈fig.〉 ihm zur Gewohnheit geworden
● \seine Angehörigen; \sein Vater; \seine Mutter; \seine Kinder; das ist \seine Angelegenheit ich habe damit nichts zu tun; \sein Buch, 〈od.〉 das Buch ist \seins, 〈od. regional〉 es ist \sein; er hat \seinen Bus verpasst 〈umg.〉 den, mit dem er gewöhnlich fährt; Seine 〈Abk.: Se.〉 Durchlaucht, Exzellenz, Heiligkeit, Hoheit, Magnifizenz, Majestät; einer \seiner Freunde war hier; ist das dein Hut? Nein, das ist \seiner, 〈od. geh.〉 der \seine; \seiner Meinung nach; der Fluss hat gut \seine 20 Meter Breite 〈umg.〉; er hat heute \seinen schlechten Tag; er hat vergessen, \seine Tropfen zu nehmen; alles zu \seiner Zeit zur passenden Zeitsein: ich bin \sein 〈poet.〉 ich gehöre fest zu ihm; alles, was \sein ist, hat er mitgenommen was ihm gehört
II 〈Gen. des Personalpron. „er“; veraltet〉 gedenke \sein, 〈od.〉 \seiner; er ist \seiner nicht mehr mächtig er hat die Fassung verloren
[<mhd., ahd. sin <got. seins, germ. *sina- <idg. *s(u)eino-s;dein2, mein, sich]
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sein2 〈V. 236
I 〈Hilfsverb zur Bildung des Passivs, des Perfekts, des Plusquamperfekts u. in Verbindung mit „werden“ zur Bildung des Futur II〉
I.I 〈Passiv〉 die Briefe sind bereits geschrieben; der Tisch war schon gedeckt, als ...
I.II 〈Perfekt〉 ich bin dort gewesen; bist du angekommen?; wenn du das tust, dann sind wir Freunde gewesen!
I.III 〈Plusquamperfekt〉 er war schon eingetroffen, als ich kam; ihr wart gegangen
I.IV 〈Futur II〉 wenn ihr kommt, werden wir schon gegangen \sein
II Vollverb; V. intr.〉
II.Ipersönlich; mit Pron. u. Subst.〉
1. existieren, vorhanden sein, bestehen
2. stattfinden, geschehen
3. sich (an einem Ort) befinden, aufhalten
4. sich in einem bestimmten Zustand befinden
5. stammen (aus)
6. ausmachen, bilden
7. vorstellen, darstellen
8. gehören, zugehörig sein
● ich denke, also bin ich (Descartes); ich bin es; ich bin auf ewig dein; so ist es! 〈bestätigend〉 das ist richtig; das ist es ja gerade!; wenn dem so ist; die Sache ist die: ...; alles, was war, was ist und noch \sein wird; keiner will es gewesen \sein; es sei!; sei es nun, dass ... oder dass ...; sei dem, wie ihm wolle ● es ist Abend, Morgen, Nacht, Vormittag; er ist Arzt, Geschäftsmann; ich bin Berliner, Deutscher; voller Erwartung, Hoffnung, Spannung \sein; wir sind Freunde, Kollegen, Nachbarn; Zeit ist Geld; reinen Herzens \sein; gestern war es ein Jahr; heute ist der 1. Januar; es war einmal eine Königin, die hatte ... (Beginn eines Märchens); ich bin ein ganz anderer Mensch, seit ...; heute ist Mittwoch; er ist des Todes todgeweiht; es ist 12 Uhr mittags ● es braucht nicht gleich, sofort zu \sein es eilt nicht; etwas darf, kann, mag, muss, soll \sein; kann \sein! 〈umg.〉 vielleicht, es ist schon möglich; das kann doch nicht \sein! das ist unmöglich!; den lieben Gott einen guten Mann \sein lassen; 〈aber〉 \sein lassen = seinlassen; Ordnung muss \sein; muss das \sein? ist das unbedingt nötig?; was \sein muss, muss \sein; das soll nicht \sein ist vom Schicksal nicht vorgesehen ● zwei und zwei ist vier (2 + 2 = 4); alt, jung, krank, schlank, sportlich \sein; sie ist acht Jahre alt; angesehen, bekannt, berühmt, geachtet, geehrt, umworben \sein; sei doch nicht so ängstlich!; er war ärgerlich, wütend, zornig; sei er auch noch so arm, reich; es ist besser so; es wäre besser, wenn wir ...; er ist blind; ich bin ihm böse, 〈od.〉 böse mit ihm; er war durstig, hungrig; er ist zu allem fähig; seien Sie so freundlich, gut, nett und helfen Sie mir bitte helfen Sie mir; sie ist geschieden, ledig, verheiratet; das kann dir doch ganz gleich \sein!; wie ist dieser Salat?, er ist gut; hier ist gut \sein hier kann man sich wohlfühlen; mehr \sein als scheinen; es ist möglich, dass ...; wäre es dir recht, wenn ...?; sei ruhig!; das wäre ja noch schöner!; das ist schade; es ist schon spät; das ist (nicht) wahr ● jetzt ist es an dir, zu handeln jetzt bist du an der Reihe; das Kino ist aus; er ist aus guter Familie, aus gutem Haus, aus Italien; der Tisch ist aus Holz; um 8 Uhr bin ich bei Ihnen; da ist er!; ich bin dafür, dagegen, dass wir schon gehen; mir ist nicht danach (zumute); es sei denn, dass ...; das ist doch ...! (die Höhe!, nicht zu glauben! usw.); das ist für mich; hier ist es; es war im Frühjahr, im Sommer; sie sind in München; was ist mit ihm? wie geht es ihm, was ist mit ihm vorgefallen?; ist nicht! 〈umg.〉 (das) gibt's nicht, das geht nicht; er ist nichts er hat es zu nichts gebracht; es ist nichts es hat nichts zu bedeuten, ist unerheblich; Hunde sind an der Leine zu führen; es ist nicht zu glauben; es ist zu hoffen, dass ...; es ist nichts zu machen ● wann ist es? (das Fest); was ist (geschehen, los)?; was ist das?; was ist dir?; wer ist es?; wie ist Ihnen (zumute)?; wie wäre es, wenn ...? ● das Seiende das Sein, das, was ist, existiert; das Gewesene das Vergangene, das, was vorbei ist; Gewesenem soll man nicht nachtrauern; was gewesen ist, soll man ruhenlassen; der gewesene Präsident der frühere
II.II 〈unpersönl.〉 sich fühlen ● mir ist schon wieder besser; mir ist (nicht) gut, schlecht, übel; mir ist kalt, warm ● mir ist heute nicht nach Arbeiten 〈umg.〉 ich habe heute keine Lust dazu; es ist mir (so), als ob ich einen Hilferuf gehört hätte ich glaube, ich habe einen H. gehört; mir ist (so), als ob er das damals gesagt hätte ich erinnere mich dunkel daran; ihr ist es nur um sein Geld zu tun sie will nur sein Geld
[<mhd., ahd. sin; zu idg. *es- „sein“; → Wesen]

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1sein <unr. Verb; bin, ist, sind, seid; war; ist gewesen [mhd., ahd.n; das nhd. Verb enthält drei verschiedene Stämme: 1. mhd., ahd. bin, urspr. = werde, wachse; 2. mhd., ahd. ist, sint; 3. mhd. was, wāren, ahd. was, wārun, urspr. = war(en) da, verweilte(n), zu ahd. wesan, wesen]:
1.
a) sich in einem bestimmten Zustand, in einer bestimmten Lage befinden; sich bestimmten Umständen ausgesetzt sehen; eine bestimmte Eigenschaft, Art haben:
gesund, müde, lustig s.;
sie war sehr freundlich;
das kann doch nicht wahr s.!;
wie ist der Wein?;
wie alt bist du?;
er war bei ihnen zu Gast;
sie wollte ihn Sieger s. lassen;
<unpers.:> es ist dunkel, kalt hier;
es war (herrschte) Krieg, herrliches Wetter;
es ist besser so;
wie war es denn?;
R dem ist [nicht] so (die Sache verhält sich [nicht] so);
sei es, wie es wolle; sei dem/dem sei, wie ihm wolle; wie dem auch sei (wie immer es sich auch verhält; gleichgültig, ob es sich so oder so verhält);
es sei denn, [dass] (ausgenommen, außer wenn: ich bin um 8 Uhr da, es sei denn, der Zug hat Verspätung);
nicht so s. (ugs.; sich großzügig, nachsichtig zeigen: ach, sei doch nicht so und gib es mir);
b) jmds. Besitz, Eigentum darstellen; jmdm. gehören:
das ist meins/(landsch. ugs.:) mir;
Ü ich bin dein (geh. veraltend; bin dir in Liebe verbunden);
c) <unpers.> von jmdm. als bestimmtes eigenes Befinden festgestellt werden:
mir ist [es] kalt, schlecht, übel;
ist dir etwas? (ugs.; fehlt dir etwas, fühlst du dich nicht wohl?);
jmdm. ist, als [ob] … (jmd. hat das [unbestimmte] Gefühl, den Eindruck, als [ob] …: mir ist, als hätte ich ihn gesehen/als ob ich ihn gesehen hätte);
jmdm. ist [nicht] nach etw. (ugs.; jmd. hat im Augenblick [keine] Lust auf, zu etw.: mir ist heute nicht nach Feiern);
d) <in Verbindung mit einem Gleichsetzungsnominativ> drückt die Identität od. eine Klassifizierung, Zuordnung aus:
du bist ein Schuft;
ihr seid Lügnerinnen;
das ist die Hauptsache;
ich bin Paul und das ist meine Schwester Maria;
R das wärs (das ist alles [was ich sagen, haben wollte, was getan werden musste]);
es s. (es getan haben; der Schuldige, Gesuchte sein: am Ende will es keiner gewesen s.);
wer s. (ugs.; es zu etwas gebracht haben, Ansehen genießen: im Fußball sind wir [wieder] wer);
e) (in Bezug auf das Ergebnis einer Rechenaufgabe) zum Resultat haben, ergeben:
dreißig weniger neun ist/(ugs.:) sind einundzwanzig;
f) <unpers.> (aufgrund der Zeit) als Umstand, Zustand o. Ä. gegeben sein:
gestern war der fünfte Mai;
bis dahin wird [es] wieder Herbst s.;
dafür ist es jetzt, nie zu spät.
2.
a) sich irgendwo befinden, aufhalten:
in Hamburg, in Urlaub s.;
wo warst du denn die ganze Zeit?;
Bier ist im Kühlschrank;
seine Wohnung ist (liegt) im dritten Stock;
sie ist in/zur Kur (ist zu einer Kur verreist);
sie sind einkaufen (sind zum Einkaufen weggegangen);
b) stammen, kommen:
das Paket ist von Mutter;
die Milch ist von heute;
das Kind ist von ihm (er ist der Vater des Kindes).
3.
a) an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit stattfinden, vonstattengehen:
die erste Vorlesung ist morgen;
der Vortrag ist in der Stadthalle;
nicht s. (ugs.; nicht erlaubt, möglich o. Ä. sein, nicht geduldet werden: Rauchen ist [bei mir] nicht);
b) an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit, unter bestimmten Umständen geschehen, sich ereignen:
die meisten Unfälle sind nachts;
das letzte Erdbeben war dort 1906;
<auch unpers.:> es war im Sommer letzten Jahres;
mit etw. ist es nichts (ugs.; etw. läuft nicht so ab, findet nicht so statt, wie es geplant, beabsichtigt o. Ä. war: als sie von seiner Vergangenheit hörte, war es nichts mehr mit [der] Heirat);
c) <meist im Inf. in Verbindung mit Modalverben> geschehen, vor sich gehen, passieren:
muss das s.?;
das kann doch nicht s.! (das ist doch nicht möglich!);
war während meiner Abwesenheit irgendwas? (ugs.; ist während meiner Abwesenheit etwas Erwähnenswertes vorgefallen?);
<auch unpers.:> es sei!, so sei es denn! (es möge, soll, kann so geschehen!);
R was s. muss, muss s. (es ist unvermeidbar);
seis drum (es ist schon gut, es macht nichts);
sei es … sei es; sei es … oder (entwederoder; kann, mag sein [dass] … oder [dass]; ob … oder [ob]: eine muss einlenken, sei es die Mutter oder die Tochter; das Prinzip ist das gleiche, sei es in der Luft, sei es im Wasser).
4. da sein; bestehen; existieren:
alles, was einmal war, heute ist oder einmal s. wird;
in diesem Bach sind (gibt es) viele Fische;
die Königin ist nicht mehr (geh.; ist gestorben);
das war einmal (gehört der Vergangenheit an, besteht nicht mehr);
ist [irgend]etwas? (ugs.; gibt es etw. Besonderes, einen Grund zur Beunruhigung?);
sind (gibt es) noch Fragen?;
R was nicht ist, kann noch werden (das kann immer noch in der Zukunft Wirklichkeit werden);
<subst.:> das menschliche Sein (Leben, Dasein);
Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage (hier geht es um eine ganz wichtige Entscheidung; hierbei handelt es sich um eine existenzielle Frage; nach der Übersetzung der Stelle im Drama »Hamlet« [III, 1] von W. Shakespeare [1564–1616]: To be or not to be, that is the question).
5. <mit Inf. mit »zu« als Hilfsverb>
a) entspricht einem mit »können« verbundenen Passiv; … werden können:
sie ist durch niemanden zu ersetzen (kann durch niemanden ersetzt werden);
die Schmerzen waren nicht zu ertragen (waren unerträglich);
b) entspricht einem mit »müssen« verbundenen Passiv; … werden müssen:
der Ausweis ist unaufgefordert vorzuzeigen.
2sein <mit einem 2. Part. als Hilfsverb> [1sein]:
1. dient der Perfektumschreibung:
er ist gestorben;
wir sind [über den See] gerudert;
<mit Ellipse eines Verbs der Bewegung im Übergang zum Vollverb:> sie sind mit dem Wagen in die Stadt (ugs.; sind in die Stadt gefahren).
2. dient der Bildung des Zustandspassivs:
das Fenster ist geöffnet;
damit waren wir gerettet;
sie sagt, die Rechnung sei längst bezahlt.
3sein <Possessivpron.; bezeichnet die Zugehörigkeit zu einer Person od. Sache, die mit einem Maskulinum (a) od. Neutrum (1 b) bezeichnet wird> [mhd., ahd. sīn]:
1.
a) <vor einem Subst.>
s. Hut;
-e Jacke;
-e Kinder;
(geh.:) Seine Majestät, der Kaiser;
einer seiner Freunde/von seinen Freunden;
er hat -en Zug (den Zug, mit dem er fahren wollte, mit dem er zu fahren pflegt) verpasst;
sie geht in -e Klasse (in die Klasse, in die auch er geht);
er mit -em (ugs.; mit dem von ihm gewohnten) ewigen Genörgel;
b) <o. Subst.:> das Buch ist s. (landsch.; gehört ihm);
das ist nicht mein Messer, sondern -s/(geh.:) -es.
2. <mit Art.> (geh.):
ich hatte meine Werkzeuge vergessen und benutzte die seinen;
er fuhr zu den Seinen/seinen (zu seiner Familie, seinen Angehörigen);
er hat das Seine/seine (sein Teil; das, was er tun konnte) getan;
R jedem das Seine/seine (jeder soll haben, was ihm zusteht, was er gerne möchte; vgl. suum cuique);
den Seinen/seinen gibts der Herr im Schlaf (manche Leute haben so viel Glück, dass sie ohne Anstrengung viel erreichen; Ps. 127, 2)
Die Redewendung jedem das Seine, die in ihrer lateinischen Fassung suum cuique wahrscheinlich auf Cicero zurückgeht, wurde vom nationalsozialistischen Regime als Verhöhnung der Gefangenen im Konzentrationslager Buchenwald zynisch missbraucht: Man ließ sie nur von innen lesbar in das Eingangstor des KZ schmieden.
4sein [mhd., ahd. sīn] (dichter. veraltet):
er, 1es.

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Sein,
 
griechisch On, lateinisch Ẹsse, zentraler Begriff der Ontologie und Metaphysik (Metaphysica generalis) seit der Antike wie auch der Existenzphilosophie und Fundamentalontologie des 20. Jahrhunderts, Gegenbegriff zum Nichts; er bestimmt entsprechend seiner idealistischen oder materialistischen Auslegung die Hauptrichtungen und großen Einzelsysteme der Philosophiegeschichte. Dem Begriff des nichtgegenständlichen Seins steht der des Seienden als konkretes Dasein eines Gegenstandes in der Zeit gegenüber.
 
Für Aristoteles ist die Frage nach dem Wesen des Seienden wie die nach dem »Sein des Seienden« (der Substanz, griechisch »usia«) gleichbedeutend mit der Grundfrage der Philosophie. »Die Frage, die immer schon und auch heute noch und immer wieder gestellt wird und ein Gegenstand der Ratlosigkeit bleiben wird, ist nämlich die, was das Seiende sei. ..« Ähnlich argumentiert im 20. Jahrhundert M. Heidegger: »Das Denken ist das Denken des Seins« Er wirft der abendländischen Philosophie »Seinsvergessenheit« vor, d. h., dass sie nicht den Sinn des Seins selbst (Seinsverständnis), sondern immer nur das Seiende thematisiert habe. Für ihn wie für J.-P. Sartre erschließt sich der Zugang zum Sein nur über das menschliche Dasein (Existenz).
 
Sein ist der mit Abstand umfassendste, aber auch unbestimmteste aller philosophischen Begriffe. Dies hat die sprachanalytische Philosophie des 20. Jahrhunderts, deren Analysen viel zur Differenzierung und Präzisierung des Seinsbegriffs beigetragen haben, zu der Auffassung des Seins als »sein« geführt; alle metaphysischen und ontologischen Seinsprobleme der traditionellen Philosophie sind demzufolge auf die unterschiedliche Verwendungsweisen des »sein« (»ist«) zurückführbar. Bereits Aristoteles stellte fest, dass das Seiende »in vielfachen Bedeutungen« ausgesagt werde. Die Seinsproblematik wird bei ihm in sprachlogischer Hinsicht analysiert. Er nennt die klassischen Seinsarten Wirklichsein, Möglichsein und Notwendigkeit, die Bedeutungen Wahrsein und Falschsein sowie die zehn kategorialen Aussageweisen (Substanz, Quantität, Qualität usw.), die bei ihm zugleich ontologische Bestimmungen sind. - Den sprachanalytischen Untersuchungen des 20. Jahrhunderts zufolge dient »sein« u. a. zur Aussage der Existenz, von Eigenschaften oder Zusammenhängen der Gleichheit (Mathematik) und der Identität.
 
 Die Seinsfrage
 
Insgesamt steht der Begriff Sein für jenen absolut selbstvertändlichen Zustand, aus dem heraus wir beständig in die Welt hineinleben. Sein besagt, dass die Gegenstände der Außenwelt, die wir sehen, hören, tasten usw., ebenso wie unsere immanenten Sinnesdaten, dass das, worüber wir sprechen, wie die Sprache selbst, dass unsere Handlungsweisen, Ideen, Fiktionen usw., kurz: dass all das uns Umgebende (Welt, Natur, Kultur) mitsamt unserem je eigenen Ich (Bewusstseinsleistungen) schlicht »ist«. - Sein ist ein nicht mehr zu hinterfragender, universaler Boden, von dem her sich alles begreift. In diesem Sinne ist Sein selbst noch dem Nichts vorgeordnet; denn das Nichts lässt sich nur definieren als ein Nicht-Sein oder ein »Ausfall« des Seins. Da der denkende Mensch selbst Bestandteil des Seins ist, ist in einem umfassenden Sinne alle Philosophie Seinsphilosophie. Sein ist dann der Grund und gleichzeitig der Logos des Denkens. Der klassische »Nichts«-Standpunkt, der Nihilismus, leugnet demnach nicht das Sein schlechthin, sondern bestreitet in der Regel nur die philosophisch überkommenen Wertvorstellungen hinsichtlich des Seienden, z. B. F. Nietzsche, der Gott als Inbegriff allen Seins für tot erklärt, oder Sartre, der im menschlichen Dasein allenfalls eine fragwürdige, jegliche Beständigkeit ermangelnde Existenz sieht.
 
 Geschichte des Seinsbegriffs
 
Die Geschichte der Philosophie hat im Rahmen des traditionellen Gegensatzpaares »Sein-Nichts« bisher nur zwei mögliche »Lösungen« geboten: Entweder das Sein wird ausschließlich gedacht, wie es dem statischen Seinsbegriff des Parmenides entspricht, oder das Sein wird mit dem Nichts dialektisch zu einem ewigen Prozess von Werden und Vergehen verspannt, wie es zuerst das dynamische Weltprinzip Heraklits behauptet hat und insbesondere der Philosophie G. W. F. Hegels zugrunde liegt. Die Dialektik von Sein und Nichts gründet in der rational wohl kaum zu beantwortenden Frage nach der ersten Ursache beziehungsweise dem Anfang allen Seins.
 
Platon hat unterschieden zwischen einem idealen und einem realen Sein: Ideal ist das einzig wahre, sich selbst gleich bleibende und immer währende Sein (die Idee), während das reale Seiende vieles, unbeständig und unvollkommen, nur der Schein des idealen Seins (Höhlengleichnis) und vermöge seiner Teilhabe an diesem »ist«. Das Sein selbst können wir uns nur mithilfe eines idealen Grenzwertes verdeutlichen. Der ontologische Begriff für diesen Grenzwert ist die Vollkommenheit, der auf der Erkenntnisebene Denken, Erkenntnis und Wahrheit entsprechen. Auf der Grundlage der Vorstellung einer graduellen Abstufung des Seins im Seienden hat ähnlich wie schon Platon im 20. Jahrhundert N. Hartmann eine ontologische Schichtenlehre entwickelt. - Aristoteles suchte der Frage der Ursache des Seins theologisch, mit dem Bild eines »unbewegten Bewegers« zu begegnen. Im Neuplatonismus befindet sich das Eine als die höchste Ursache noch »über dem Sein«; aus ihm gehen die Seinsstufen des Kosmos hervor. Für das Mittelalter, so Thomas von Aquino, steht das göttliche Sein (causa essendi) an der Spitze der Natur als geschaffener Seinsordnung. Während Vertreter einer »negativen Theologie« Gott sogar als das sich sprachlicher Bestimmung entziehende »Überseiende«, als absolute Transzendenz, verstehen, sucht Anselm von Canterbury die Existenz Gottes aus dem Gedanken des vollkommensten Wesens, dem folglich auch Sein zukommen müsse, zu beweisen (ontologischen Gottesbeweis).
 
Anders als Aristoteles, bei dem Substanz ein jedes in seinem »Was« bezeichnete, sieht Thomas von Aquino (in »De ente et essentia«) jedes Seiende als ein aus Sein (Existenz) und Wesen (Form, Washeit) Zusammengesetztes an. Da eine grundlegende ontologische Differenz zwischen dem reinen göttlichen Sein (ipsum esse subsistens) und dem kreatürlichen Seienden besteht, lässt dessen »Sein« sich nur in der Weise einer Analogie (analogia entis) begreifen. Während die Metaphysik des Mittelalters Sein mit Wirklichkeit identifiziert und Gott als reiner Wirklichkeit (actus purus) das Seiende als ein aus Wirklichkeit und Möglichkeit Zusammengesetztes gegenüberstellt, entwickelt im 15. Jahrhundert Nikolaus von Kues einen dynamischen Seinsbegriff. Das Seiende wird von ihm unter dem Aspekt des Können-Seins (posse esse) im Sinne von Möglichkeit gefasst, um damit Grade der Seinsfülle zu bezeichnen. In der Neuzeit leitet R. Descartes das Sein von der subjektiven Selbstgewissheit (»Ich denke, also bin ich«) ab und trifft die Unterscheidung zwischen körperlichem und rein geistigem Sein. Die Empiristen und Sensualisten suchen einen solchen Dualismus zu vermeiden und sehen das sinnlich gegebene Seiende als Grundlage der Erkenntnis an. Für Hegel ist Sein der zunächst abstrakteste und leerste aller Begriffe, als reines Sein äquivalent dem Nichts; er durchzieht aber in einer Dialektik von Sein und Nichts die Reihe aller Begriffsbestimmungen bis zur »absoluten Idee«. Im 20. Jahrhundert wird von M. Heidegger im Rahmen seiner »Fundamentalontologie« die Frage nach dem Sinn von Sein neu gestellt. Dabei fasst er menschliches Dasein als das Seiende auf, dem es »in seinem Sein um dieses Sein selbst geht«. Das In-der-Welt-Sein ist dabei Grundverfassung des Daseins, dessen konkreter Seinsausdruck die Sorge und dessen innerster Seinssinn die Zeitlichkeit (das Sein zum Tode) ist.
 
Ein ausschließlicher Bestimmungsversuch des Seins als Sein mündet zwangsläufig in eine Tautologie, da über das Sein allein nichts weiter ausgesagt werden kann als »Sein ist!« Dies würde gemäß der Behauptung von Aristoteles bedeuten, dass das Sein als Seiendes »Eines« ist. Eine nähere Bestimmung des Seins muss so zwangsläufig auf ein konkretes Seiendes rekurrieren, wobei aber jedes Seiende nur einen bestimmten Teil (Perspektive, Abschattung) des universalen Seins repräsentiert oder dieses nur in einer bestimmten Hinsicht bezeichnet. Dies hat die philosophische Diskussion der Gegenwart dazu geführt, den Begriff des Seins weitgehend zu vermeiden (mit Ausnahme etwa neuthomistischer Ansätze) und die mit dem Sein verbundenen Fragen unter verschiedenen Hinsichten benennenden Begriffen zu behandeln.
 
 
Thomas von Aquin: Über das S. u. das Wesen (a. d. Lat., 21953, Nachdr. 1991);
 J. Seifert: Die versch. Bedeutungen von »S.«, in: Wahrheit, Welt u. S., hg. v. B. Schwarz (1970);
 K. Albert: Das gemeinsame S. (1981);
 Parmenides: Über das S. (Neuausg. 1981, griech. u. dt.);
 N. Hartmann: Die Erkenntnis im Lichte der Ontologie (1982);
 W. Kühne: Abstrakte Gegenstände (1983);
 J. M. Demske: S., Mensch u. Tod (31984);
 G. Keil: Grundr. der Ontologie (21984);
 R. B. Schmitz: S., Wahrheit, Wort (1984);
 G. W. F. Hegel: Wiss. der Logik, 2 Bde. (Neuausg. 1986);
 B. Mikulič: S., Physis, Aletheia (1987);
 E. Schönleben: Wahrheit u. Existenz (1987);
 S. Dangelmayr: Der Riß im S. oder die Unmöglichkeit des Menschen (1988);
 J. Koch: Abschied von der Realität (1988);
 J.-B. Lotz: Die Grundbestimmungen des S. - vollzogen als transzendentale Erfahrung (Innsbruck 1988);
 J. H. Ganz: Begrenztes S. Der metaphys. Determinismus (1990);
 M. Heidegger: S. u. Zeit (171993);
 M. Theunissen: S. u. Schein (Neuausg. 21994);
 J.-P. Sartre: Das S. u. das Nichts (a. d. Frz., Neuausg. 15.-18. Tsd. 1995);
 J. Seifert: S. u. Wesen (1996).

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Sein, das; -s [subst. zu 1sein (I 4)] (Philos.): das Existieren des ideell u. materiell Vorhandenen; die Wirklichkeit, soweit sie dem Daseienden zukommt: das S. und das Seiende; ideales, materiales S.; die logischen Begriffe besitzen ideales S.; die Philosophie des -s; die Lehre vom S.

Universal-Lexikon. 2012.