Öku|me|ne 〈f. 19; unz.〉 die bewohnte Erde, die Erde als Lebensraum der Menschen [<kirchenlat. oecumene <grch. oikoumene „die (von Griechen) bewohnte Erde“, zu oikos „Haus“] Siehe auch Info-Eintrag: Ökumene - info!
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Öku|me|ne, die; -, -n <Pl. selten> [(spät)lat. oecumene < griech. oikouménē (ge̅̓) = bewohnt(e Erde), zu: oikeĩn = bewohnen, zu: oĩkos, ↑ Ökonom]:
1. (Geogr.) von naturgegebenen Grenzen bestimmter Lebens- und Siedlungsraum des Menschen auf der Erde.
2. (Theol.)
a) Gesamtheit der Christen u. der christlichen Kirchen;
b) Bewegung der christlichen Kirchen u. Konfessionen zur Einigung in Fragen des Glaubens u. zum gemeinsamen Handeln.
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Ökumene
[(spät)lateinisch oecumene, von griechisch oikouménē (ge̅́) »bewohnt(e Erde)«, zu oĩkos »Haus«] die, -, im christlichen Sprachgebrauch die Bezeichnung für die Gesamtheit der christlichen Kirchen und für ihr Bestreben, auf der Grundlage des gemeinsamen christlichen Glaubens zusammenzuarbeiten, um in dieser Zusammenarbeit die eine weltweite (»ökumenische«) christliche Gemeinschaft sichtbar und erfahrbar werden zu lassen.
Begriffsentstehung und Begriffsinhalt
Das Wort »Ökumene« bezeichnet im Griechischen zunächst im geographischen Sinn »die ganze (bewohnte) Erde« (so auch noch heute im Gegensatz zur Anökumene), dann aber auch - in Abgrenzung zur Welt der »Barbaren« - den Einflussbereich der hellenistischen Kultur und Zivilisation. Die lateinische Übersetzung »orbis terrarum« meint darüber hinaus auch das römische Weltreich mit seiner imperialen Ordnung, die durch »freiwillige« Unterwerfung oder mit Waffengewalt durchgesetzt wurde. Dieser politische Nebensinn klingt (mit eher polemischem Beigeschmack) auch im Neuen Testament an (Lukas 4, 5), das überwiegend jedoch den neutral-geographischen Ursinn bevorzugt, ihn allerdings durch eine wichtige theologische Bedeutungskomponente ergänzt: Ökumene ist der Raum missionarischer Verkündigung (Matthäus 24, 14) oder, eschatologisch verstanden, der Raum des endgültigen Sieges Jesu Christi nach dem Abschluss der Mission (Hebräerbrief 2, 5). Im Gefolge der Ausbreitung des christlichen Glaubens bezeichnet Ökumene seit dem 2. Jahrhundert immer häufiger den Ausdehnungsbereich der Kirche und schließlich die Kirche in ihrer Gesamtheit oder die ganze christliche Welt.
Im 4. Jahrhundert verschmolzen das geographische, das kirchlich-christliche und das politisch-kulturelle Bedeutungselement zu einer Einheit. Da infolge des durch die konstantinische Wende geschaffenen Verhältnisses von Kirche und römischem Staat das kanonische Recht zu einem Bestandteil auch des Reichsrechts wurde, bezeichnete der Ökumenebegriff vornehmlich den staatlich-kirchlichen Rechtsbereich. So erhielt etwa ein Konzil als kirchliche Versammlung erst durch die Zustimmung des Kaisers zu seinen Beschlüssen »ökumenische« Verbindlichkeit. Der Bischof von Konstantinopel, der im Einklang mit dem Reichsrecht (und in Unterordnung unter dieses) die kirchlichen Belange zu vertreten hatte, erhielt den Titel Ökumenischer Patriarch.
Im Zuge der Ende des 15. Jahrhunderts einsetzenden Kolonisierung der nichteuropäischen Welt durch die europäischen Großmächte und infolge des damit verbundenen zivilisatorischen Eurozentrismus trat erneut das Moment des Imperialen stärker in den Vordergrund: Die Bekehrung der »Heiden« fiel zusammen mit der Aufgabe, ihnen die als überlegen empfundene christlich-abendländische Kultur zu vermitteln. Mit dem Ende des Kolonialismus alten Stils hat der Begriff »Ökumene« jedoch zwei neue Bedeutungsnuancen gewonnen: die Bezugnahme auf die Realität der Konfessionen und der Nationalstaaten. »Ökumenisch« gesinnt sein beinhaltet jetzt wesentlich auch den Willen und das Bestreben, die konfessionellen und nationalen Grenzen zu überwinden. Beides gehört im Ökumeneverständnis des 20. Jahrhunderts, dessen wesentlicher Träger die ökumenische Bewegung ist, von Anfang an untrennbar zusammen.
Während sich in der Vergangenheit die christlichen Ökumene nie wirklich über die gesamte Erde erstreckte, existieren heute überall auf der Welt christlicher Kirchen, Gemeinschaften und Gemeinden in einer großen konfessionellen Vielfalt. Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK), der sich als organisatorisches Instrument des ökumenischen Dialogs und der interkonfessionellen Zusammenarbeit versteht, zählt (2001) 342 Mitgliedskirchen. Hinsichtlich der Konfessionsstruktur gehören von den weltweit fast zwei Mrd. Christen rd. 52 % der katholischen Kirche an (eingeschlossen die unierten Ostkirchen), rd. 20 % den protestantischen Kirchen, rd. 10 % der orthodoxen Kirche, rd. 2 % den orientalischen Nationalkirchen, rd. 4 % den anglikanischen Kirchen; der übrige prozentuale Anteil verteilt sich auf eine Vielzahl unabhängiger Kirchen überwiegend protestantischer Herkunft (v. a. in Afrika).
Die katholische Kirche als die zahlenmäßig größte und im Unterschied zu den anderen christlichen Kirchen über eine weltweite, im Papstamt zentrierte, einheitliche Organisationsstruktur verfügende christliche Kirche, arbeitet als Institution seit dem 2. Vatikanischen Konzil in der ökumenischen Bewegung mit (Ökumenismus), gehört jedoch nicht dem ÖRK an. Die Gruppe der protestantischen Kirchen innerhalb der Ökumene, die auch die innerhalb des Protestantismus eine gewisse Sonderstellung einnehmenden anglikanischen Kirchen einschließt, besteht aus sieben konfessionellen »Weltfamilien« (so die heute übliche Selbstbezeichnung): Anglikaner, Baptisten, Kongregationalisten, Lutheraner, Methodisten, Presbyterianer (reformierte Kirchen) und »Disciples of Christ«, die sich jeweils durch einen hohen Grad innerer Differenzierung auszeichnen. So gibt es z. B. allein in den USA rd. 1 200 Denominationen. Die Gruppe der Ostkirchen umfasst die orthodoxe Kirche, die orientalischen Nationalkirchen, die ostsyrische Kirche (Nestorianer) und die mit der katholischen Kirche verbundenen (unierten) Ostkirchen.
Die konfessionelle Vielschichtigkeit wird allerdings mit dem Hinweis auf die Vielzahl und Vielfalt christlicher Gemeinschaften nur unzureichend erfasst. Deutlich wird die ihr innewohnende Problematik u. a. darin, dass innerhalb der Gesamtchristenheit diese zum Teil weltweit verbreiteten Körperschaften meist nicht einfach neben- und miteinander leben, sondern sich in zurückliegender Zeit in nicht wenigen Fällen gegenseitig ihre Christlichkeit oder ihren Charakter als Kirche abgesprochen haben und dies in einigen Fällen auch heute noch tun. Die einzige Gemeinsamkeit, die alle christliche Kirchen und Gemeinschaften teilen, stellt die Taufe dar, deren Gültigkeit allerdings ebenfalls über lange Zeit hinweg wechselseitig bezweifelt wurde, sodass bei Übertritten eine Neutaufe erforderlich war. Zudem haben sich, nicht zuletzt unter dem Einfluss des jeweiligen gesellschaftlichen, politischen oder kulturellen Umfeldes, die Konfessionen unterschiedlich entwickelt und je eigene Denkweisen, Frömmigkeitsstile, kirchliche Strukturen und liturgische Traditionen herausgebildet. Daraus erklärt sich etwa die völlige Andersartigkeit der konfessionellen Verhältnisse in den USA im Vergleich zu Europa, das seinerseits von Land zu Land erhebliche Differenzen aufweist. Im Einzelnen geht es dabei z. B. um die Stellung des Religionsunterrichts, den Status kirchlicher Hochschulen, die Organisation kirchlicher Sozialarbeit, die Bedeutung von Konfessionsschulen und den Geltungsbereich der kirchlichen Ehegesetzgebung und des kirchlichen Arbeitsrechts.
Die »Ökumene vor Ort«, das heißt die Ökumene in einem Land oder einer Region, wird im starken Maße auch durch das jeweilige zahlenmäßige Verhältnis der Konfessionen sowie dasjenige zwischen Christen und Nichtchristen beeinflusst. Während Situationen eines relativen Gleichgewichts das kirchliche und gesellschaftliche Zusammenleben begünstigen, ist der konfessionelle Minderheitenstatus beziehungsweise die kirchliche Diasporasituation oft mit der Ausbildung einer Gettomentalität verbunden, die ökumenischen Kontakte erschwert oder auch, weil man in ihnen Gefährdungen der eigenen konfessionellen Identität sieht, gänzlich ablehnt. Andererseits entstehen häufig engere ökumenische Beziehungen, wenn die Christen insgesamt, wie beispielsweise in den meisten asiatischen Ländern, eine religiöse Minderheit bilden. Eine große Bedeutung für die »Ökumene vor Ort« kommt aber auch geistlichen Bewegungen und Kommunitäten zu, die sich in besonderer Weise dem ökumenischen Gedanken verpflichtet wissen. Beispiele hierfür sind die in Italien entstandene Fokolar-Bewegung, eine der neuen geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen der katholischen Kirche und die von dem schweizerischen evangelischen Theologen Roger Schutz gegründete ökumenische Bruderschaft von Taizé.
Schwerpunkte der gegenwärtigen ökumenischen Entwicklung
Die gegenwärtige Gestalt der Ökumene prägen vor allem die konfessionellen Weltbünde als die übergreifenden Organe der konfessionellen »Weltfamilien«, regionale ökumenische Organisationen sowie zahlreiche durch den ÖRK koordinierte ökumenische Initiativen. Die bedeutendsten konfessionellen Weltbünde sind der Reformierte Weltbund, der Lutherische Weltbund, der Weltrat methodistischer Kirchen (Methodisten), der Weltbund der Baptisten und die anglikanische Lambeth-Konferenz; eine wichtige regionale ökumenische Organisation ist die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK). Unter den ökumenischen Institutionen sind besonders die heute in rund 100 Ländern bestehenden regionalen, nationalen und lokalen Christen- und Kirchenräte hervorzuheben sowie zahlreiche dem ökumenischen Gedanken verpflichtete Gremien und Einrichtungen; in Deutschland besonders die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland e. V. und die Ökumenebeauftragten der katholischen Bistümer und der evangelischen Landeskirchen, in Österreich u. a. die kirchliche Stiftung Pro Oriente zur Förderung und Pflege der ökumenischen Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und den Ostkirchen. An vielen Universitäten und Hochschulen wird ökumenische Theologie gelehrt; im deutschen Sprachraum in der Regel in Verbindung mit einer bestimmten theologischen Disziplin (so in Graz, Halle-Wittenberg, Innsbruck, München und Salzburg) sowie an einem besonderen Lehrstuhl in Münster. Ökumenische Institute bestehen in Deutschland an den Universitäten Bochum, Bonn, Heidelberg, Münster und Tübingen und in der Schweiz an der Universität Freiburg im Üechtland. Im außeruniversitären Bereich widmen sich in Deutschland besonders das katholische Johann-Adam-Möhler-Institut in Paderborn, das über die größte ökumenische Spezialbibliothek des deutschsprachigen Raums verfügt, und das evangelische Konfessionskundliche Institut in Bensheim wissenschaftlichen Forschungen zur Ökumene.
Der interkonfessionelle Dialog
Die zahlreichen interkonfessionellen Gespräche haben eine kaum noch überschaubare Fülle von Konsens- und Konvergenztexten hervorgebracht. Beispiele sind im anglikanisch-katholischen Dialog der so genannte »Malta-Bericht« (1968) und die Erklärungen von Windsor (1971), Salisbury (1979), Canterbury (1973) und Venedig (1976). Zentrale Aussagen des orthodox-katholischen Dialogs sind in den anlässlich der Begegnungen von Patriarch Athenagoras I. und Papst Paul VI. (1965) und von Patriarch Bartholomaios I. und Papst Johannes Paul II. (1995) abgegebenen gemeinsamen Erklärungen niedergelegt. Das wichtigste Ergebnis der seit 1971 beziehungsweise 1985 geführten offiziellen orientalisch-katholischen und orientalisch-orthodoxen Lehrgespräche liegt in den Übereinkünften über ein gemeinsames Verständnis der Christologie vor, in denen fast 1 500 Jahre bestehende Lehrdifferenzen und -verurteilungen (Monophysitismus) ausgeräumt werden konnten. Ebenfalls theologiegeschichtliche Bedeutung kommt der in Verantwortung des Lutheren Weltbundes und des Päpstlichen Rates für die Förderung der Einheit der Christen erarbeiteten und 1999 von beiden Seiten unterzeichneten »Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre« zu (Rechtfertigung), die als eines der wichtigsten Ergebnisse der seit 1967 auf ökumenischer Ebene geführten lutherisch-katholischen Lehrgespräche gilt.
Hoffnungen und Belastungen
Offiziell sind allerdings bislang nur wenige dieser Dokumente von den beteiligten Kirchen angenommen und somit zur Grundlage einer verbindlicheren Gemeinschaft zwischen ihnen geworden. Beispiele hierfür sind die Leuenberger Konkordie (1973) und die Porvoo-Erklärung (1996).
Hauptprobleme, die einer verbindlicheren Kirchengemeinschaft, wie sie in der ökumenischen Bewegung von Anfang ihres Bestehens an angestrebt wird, nach wie vor entgegenstehen, sind die unterschiedlichen Kirchenbegriffe der einzelnen Kirchen und die Frage der gegenseitigen Anerkennung der kirchlichen Ämter, dabei v. a. der nach dem Verständnis der katholischen Kirche mit dem römischen Bischofsamt verbundene Anspruch der päpstlichen Unfehlbarkeit und der Wahrnahme des »Petrusamtes« im Sinne des Primats des Papstes, aber auch die Frage der Frauenordination. Diese Problematik im Hintergrund, wird die mögliche Funktion des Papstamtes in einer künftigen Gemeinschaft der Kirchen im gegenwärtigen ökumenischen theologischen Gespräch als »Petrusdienst an der Einheit aller Getauften« beschrieben. Seitens der katholischen Kirche steht besonders die 1995 veröffentlichte Ökumeneenzyklika Ut unum sint (»Damit sie eins seien«) Papst Johannes Pauls II. für den Wunsch nach einer Vertiefung und neuen Qualität der Beziehungen zwischen den christlichen Kirchen. Hinsichtlich der konkreten Form einer künftigen verbindlicheren Gemeinschaft der Kirchen spricht der ÖRK vorrangig von einer »konziliaren Gemeinschaft«, während die konfessionellen Weltbünde die Bezeichnung »Einheit in Vielfalt« bevorzugen. Die katholische und die orthodoxe Kirche verwenden für die anderen christlichen Kirchen die Bezeichnungen »Schwesterkirchen« und »kirchliche Gemeinschaften«; die katholische Kirche zuletzt in der 2000 von der Glaubenskongregation veröffentlichten Erklärung »Dominus Iesus«, deren zwischen »Schwesterkirchen« und »kirchlichen Gemeinschaften« theologisch unterscheidender Kirchenbegriff protestantischerseits Irritationen ausgelöst hat und dort vielfach als Gefährdung des im ökumenischen Gespräch bereits Erreichten angesehen wurde.
Als Belastung der ökumenischen Beziehungen seitens der Kirche von England stellt sich für die katholische Kirche und die orthodoxe Kirche die in dieser seit 1994 mögliche Priesterweihe von Frauen dar. Die seit Anfang der 1990er-Jahre in der orthodoxen Kirche - besonders in Russland - zu beobachtenden antiökumen. Tendenzen stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Rekonstitution der unierten katholischen Ostkirchen und der Neuorganisation der katholischen Kirche in den ehemals kommunistischen Staaten Südost- und Osteuropas und der nach 1990 dort einsetzenden protestantischen Missionstätigkeit, worin orthodoxerseits die »Errichtung kirchlicher Parallelstrukturen« und »Proselytenmacherei« in traditionell ihren orthodoxen Landeskirchen zugehörigen Territorien gesehen wird.
Ökumenische Initiativen »vor Ort«
Die ökumenische Praxis der Kirchen »vor Ort« hat ihre Grundlage in ökumenischen Kontakten und Projekten auf der Ebene der Ortsgemeinden, sie hat darüber hinaus jedoch auch besondere ökumenische Formen kirchlichen Handelns ausgebildet. Beispiele hierfür sind alljährlich weltweit begangene ökumenische Veranstaltungen wie die Gebetswoche für die Einheit der Christen und der »Weltgebetstag der Frauen«, der für das Jahr 2003 geplante erste gesamtkirchliche Ökumenische Kirchentag in Deutschland, ökumenische Gottesdienste und Trauungen, der Gebrauch gemeinsamer Bibelübersetzungen, z. B. der deutschen Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, und nicht zuletzt gemeinsame Stellungnahmen zu sozialethischen Fragen, z. B. das 1997 von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Rat der EKD gemeinsam veröffentlichte kirchliche »Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland«. Als ebenso wichtig wird die praktische Zusammenarbeit bei der Lösung politischer und gesellschaftlicher Probleme angesehen. Diese reicht von der gemeinsamen Flüchtlings- und Nothilfe über den Widerstand gegen Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen und die gemeinsame Ausarbeitung entwicklungspolitischer Programme und Projekte bis hin zur Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse.
Ökumenische Perspektiven
In kirchlich-konfessioneller Hinsicht erscheinen als grundlegende Aufgaben in der Ökumene die Weiterarbeit auf das Ziel sichtbarer Kirchengemeinschaft hin und die Umsetzung allgemeiner ökumenischer Vorstellungen in praktikable Einigungsmodelle. Ein wichtiger Schritt ist dabei die offizielle kirchliche Rezeption der vorliegenden theologischen Konsenstexte, insbesondere der Konvergenzerklärungen über Taufe, Eucharistie und Amt. Ziel dieses v. a. mit der Lima-Erklärung (1982) angestoßenen Prozesses ist die wechselseitige Anerkennung der Konfessionen als Kirchen im dogmatischen Sinn. In Wechselbeziehung zu diesem theologischen Prozess steht der Prozess des ökumenischen Lernens, der durch persönliche Begegnungen und intensiven Erfahrungsaustausch Vorurteile überwinden und bisher trennende Gegensätze in das Zusammenleben bereichernde Unterschiede umwandeln will.
Hinsichtlich der gesellschaftlichen Seite der Ökumene zeichnet sich besonders ein wachsendes zahlenmäßiges Übergewicht des außereuropäischen und nicht nordamerikanischen Teils der Christenheit ab. Das bedeutet für die Ökumene: Sie wird zunehmend »farbiger«, »jünger« und »ärmer«. Gleichzeitig vollziehen sich tief greifende Veränderungen in der Theologie: Der Typus theologischen Denkens, der in Europa jahrhundertelang vorherrschte und über die Mission und die theologische Ausbildung bis weit ins 20. Jahrhundert hinein auch die Denkweise der maßgeblichen Theologen in den außereuropäischen Kontinenten bestimmt hat, bildet heute einen theologischen Denkansatz neben anderen, der gegenüber den neuen autochthonen (»inkulturierten«) Theologien in Lateinamerika, Afrika und Asien immer mehr an Bedeutung verliert (Kontextualisierung). Charakteristisch für die jüngsten Entwicklungen in der Ökumene ist die weltweite Bewegung für »Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung«, für die die 6. Vollversammlung des ÖRK in Vancouver 1983 den Anstoß lieferte. Sie geht von der Einsicht aus, dass die vielfältigen und wachsenden Bedrohungen der Menschen und ihrer (Über-)Lebensbedingungen eine radikale Umkehr im Denken und Verhalten erfordern und die Christen gerufen sind, diese exemplarisch vorzuleben. In der Folge entstand eine Reihe von ökumenischen Initiativen, deren Mitglieder diesen »konziliaren Prozess« vorantreiben wollen. Von besonderer Bedeutung waren in diesem Zusammenhang die beiden bisher durchgeführten »Europäischen Ökumenischen Versammlungen« in Basel (1989) und in Graz (1997), an denen Delegierte aus den Mitgliedskirchen der Konferenz Europäischer Kirchen, den im Rat der Europäischen Bischofskonferenzen zusammengeschlossenen katholischen Bischofskonferenzen Europas sowie aus zahlreichen kirchlichen Initiativgruppen und Netzwerken teilnahmen. Das ökumenische Treffen in Basel fand noch vor den politischen Umbrüchen in Mittel-, Südost- und Osteuropa statt und stand unter dem Leitthema »Frieden in Gerechtigkeit«. Thematische Schwerpunkte der »Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung«, die sich das Leitthema »Versöhnung - Gabe Gottes und Quelle neuen Lebens« gegeben hatte, waren die Suche nach der sichtbaren Einheit der Kirche, der Dialog mit den Religionen und Kulturen, der weltweite Einsatz für Gerechtigkeit und Fragen einer globalen ökologischen Ethik. Als besonders wichtig wurde die so - d. h. ohne politische Rücksichtnahmen - noch in Basel nicht mögliche Begegnung zwischen den westlichen Kirchen und den Ostkirchen empfunden, die mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen Aleksij II. und dem Katholikos der armenischen Kirche Karekin I. führende Vertreter nach Graz entsandt hatten.
Die »Charta Oecumenica«
Einen neuen Meilenstein haben die europäischen Kirchen am 22. April 2001 in Straßburg gesetzt. An diesem Tag unterzeichneten der Präsident der Konferenz Europäischer Kirchen und der Präsident des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen die »Charta Oecumenica«, deren Text Leitlinien für die kirchliche Zusammenarbeit in Europa geben will und die wichtigen gemeinsamen Aufgaben der europäischen Kirchen formuliert: das Eintreten für eine verbindlichere Gemeinschaft der Kirchen, die Förderung von Frieden, sozialer Gerechtigkeit und nachhaltiger Entwicklung auf dem europäischen Kontinent und die Suche und Pflege der Begegnung und des Gesprächs mit anderen Weltreligionen und Weltanschauungen. Angeregt worden war die Charta, deren feierliche Unterzeichnung den Abschluss der sechsten »Europäischen Ökumenischen Begegnung« bildete, 1997 auf der »Zweiten Europäischen Versammlung« in Graz. Mit ihrer Unterzeichnung liegt zum ersten Mal ein Dokument vor, in dem sich die beiden großen institutionellen Gremien der europäischen Kirchen gemeinsam zur ökumenischen Verantwortung der Kirchen bekennen und ihre Mitgliedskirchen zu gemeinsamen ökumenischen Handeln auffordern. Im Einzelnen fasst die »Charta Oecumenica« ihr Anliegen in 26 ökumenischen »Verpflichtungen« zusammen, deren Annahme den europäischen Kirchen im Sinne der Selbstverpflichtung empfohlen wird.
W. A. Visser t'Hooft: Der Sinn des Wortes »Oekumenisch« (a. d. Niederländ., 1954);
F. W. Kantzenbach: Einheitsbestrebungen im Wandel der Kirchengesch. (1979);
Hb. der Ökumenik, hg. v. H. J. Urban u. a., 4 Tle. (1985-87);
E. Lange: Die ökumen. Utopie oder Was bewegt die ökumen. Bewegung? (21986);
Reihe »Arbeitsbuch Ö.« (1986 ff.);
Am Beginn des theolog. Dialogs, hg. v. A. Stirnemann (Innsbruck 1987);
Orientierung Ö. Ein Hb., hg. v. H.-M. Moderow (Berlin-Ost 1987);
Es begann in Amsterdam. Vierzig Jahre Ökumen. Rat der Kirchen, hg. vom Ökumen. Rat der Kirchen (1989);
K. Raiser: Wir stehen noch am Anfang. Ö. in einer veränderten Welt (1994);
Dokumente wachsender Übereinstimmung. Sämtl. Berichte u. Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene. 1931-1982, hg. v. Harding Meyer, auf 3 Bde. ber. (1-31992 ff.);
R. Frieling: Der Weg des ökumen. Gedankens. Eine Ökumenenkunde (1992);
C. Bundschuh-Schramm: Einheit u. Vielfalt der Kirchen. Ö. im konziliaren Prozeß (1993);
H. Gutschera u. a.: Kirchengesch. - ökumenisch, 2 Bde. (1995);
A. Karrer: Bekenntnis u. Ö. Erträge aus den ersten Jahrzehnten der ökumen. Bewegung (1996);
H. Meyer: Ökumen. Zielvorstellungen (1996);
F. R. Gahbauer: Der orthodox-kath. Dialog (1997);
Papstamt u. Ö.Zum Petrusdienst an der Einheit aller Getauften, hg. v. P. Hünermann (1997);
P. Neuner: Ökumen. Theologie. Die Suche nach der Einheit der christl. Kirchen (1997);
Wege der Kirchen im Umbruch der Gesellschaft. Eine ökumen. Bilanz, hg. v. G. Feige u. U. Kühn (1998);
Versöhnung - Gabe Gottes und Quelle neuen Lebens. Dokumente der Zweiten Europ. Ökumen. Versammlung in Graz, hg. v. R. Noll u. S. Vesper (Graz 1998);
K. Raiser Ernstfall des Glaubens. Kirche sein im 21. Jh. (a. d. Engl., 1998);
R. Frieling: Charta Oecumenica. Eine Einf. in ihre Intentionen u. die Hintergründe ihrer Entstehung, in: Materialdienst des Konfessionskundl. Instituts Bensheim, Jg. 52 (2001);
Konsensdruck ohne Perspektiven? Der ökumen. Weg nach »Dominus Iesus«, hg. v. U. Rieske-Braun (2001).
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Öku|me|ne, die; - [(spät)lat. oecumene < griech. oikouménē (ge̅́) = bewohnt(e Erde), zu: oikeīn = bewohnen, zu: oīkos, ↑Ökonom]: 1. (Geogr.) von naturgegebenen Grenzen bestimmter Lebens- und Siedlungsraum des Menschen auf der Erde. 2. (Theol.) a) Gesamtheit der Christen u. der christlichen Kirchen; b) Bewegung der christlichen Kirchen u. Konfessionen zur Einigung in Fragen des Glaubens u. zum gemeinsamen Handeln: eine Konferenz von Vertretern der Ö.
Universal-Lexikon. 2012.