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Wissensgesellschaft
Wịs|sens|ge|sell|schaft 〈f. 20; Pl. selten〉 Gesellschaft, in der das Wissen u. die wissenschaftliche Forschung einen zentralen Stellenwert besitzen (auch zum Zweck der Förderung u. Verbesserung der wirtschaftlichen Produktivkraft) ● den Übergang in die \Wissensgesellschaft einleiten

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Wịs|sens|ge|sell|schaft, die (Soziol.):
Gesellschaft, in welcher [durch kognitive und emotionale Verarbeitung von Informationen] erworbenes Wissen als grundlegendes Kapital gilt u. die gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse wesentlich prägt:
unsere W. baut auf Bildung auf, zu der alle Schichten gleichermaßen Zugang haben sollten.

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Wissensgesellschaft,
 
Bezeichnung für eine postindustrielle Wirtschafts- und Gesellschaftsform, in der Wissen einen erstrangigen Faktor bildet, der die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen entscheidend mitbestimmt.
 
 Begriffsentstehung und Begriffsinhalt
 
Wissensgesellschaft ist ein vergleichsweise junger sozialwissenschaftliche Begriff. Seinen Entstehungshintergrund bildete die in den 1990er-Jahren in Gang gekommene Diskussion über Hauptentwicklungstrends postindustrieller Gesellschaften. Grundlegende Thesen dieses zunächst von Sozialwissenschaftlern geführten Diskurses wurden mehr und mehr auch von den Medien und der Politik aufgegriffen, was dazu führte, dass sich der Begriff - auch als politisches Schlagwort - endgültig etablieren konnte. Gesellschaftstheoretisch ist das Konzept der Wissensgesellschaft eng mit dem Konzept der Informationsgesellschaft verbunden, dessen theoretische Grundaussagen in die 1970er-Jahre zurückreichen. Das Konzept der Informationsgesellschaft wird dabei in Bezug auf grundsätzlichen Fragen entfaltet, die im Übergang der fortgeschrittenen Industriegesellschaften zu postindustriellen Gesellschaften im Zusammenhang mit der exponentiell wachsenden Produktion von Information (»Wissensproduktion«) zentrale gesellschaftliche Bedeutung gewinnen. Materiale Basis sind breit gefächerte sozialwissenschaftliche Untersuchungen der modernen Industriegesellschaften und ihres Wandels sowie Analysen der Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien; integriert sind ebenso Aussagen teils kulturkritischer, teils fortschrittsoptimistischer Gesellschaftsentwürfe. In seiner inhaltlichen Zusammenfassung steht der Begriff Wissensgesellschaft für die Aussage, dass sich die Bedeutung des gesellschaftlich erzeugten, vermittelten und abgerufenen Wissens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften (namentlich denen Nordamerikas, Westeuropas und Japans) so stark verändert hat, dass Wissen heute als grundlegender Produktionsfaktor der Industriegesellschaft beim Übergang zur postindustriellen Gesellschaft und politisch-kulturell als entscheidende Triebkraft des gesellschaftlichen Wandels beschrieben werden kann. Die Vertreter des Konzepts der Wissensgesellschaft stellen drei Aspekte fortgeschrittener Industriegesellschaften heraus: 1) Ökonomisch verlagert sich der Schwerpunkt der Beschäftigung und der Wertschöpfung aus dem sekundären Wirtschaftssektor in den tertiären Sektor, und dort in den Bereich der Herstellung, des Vertriebs, der Vermittlung und der Anwendung von Wissensprodukten. 2) Informations- und kommunikationstechnologisch werden immer umfangreichere Wissensbestände über digitale Speicher- und Kommunikationsmedien (Computer, Internet, Datennetze) präsentiert und durch eine ständig wachsende Zahl von Abnehmern genutzt, die ihrerseits wiederum als Informationsanbieter und -vermittler (Homepages, Links) in Erscheinung treten können. 3) Bildungspolitisch werden die Kompetenz des Einzelnen, Informationsangebote zu rezipieren und zu verarbeiten und seine finanziellen und zeitlichen Möglichkeiten, am Informationsaustausch teilzunehmen (technische Ausstattung, Netznutzung, Zeitbudget), zu wichtigen politischen Handlungsfeldern, wobei die zentrale gesellschaftliche Aufgabe steht, Voraussetzungen zu schaffen, die prinzipiell jedes Gesellschaftsmitglied in die Lage versetzen, sich kritisch und selbstbewusst mit Informationsangeboten auseinander zu setzen.
 
 Die Wissensgesellschaft - Geschichte eines gesellschaftlichen Konzepts
 
Die Allgegenwärtigkeit des Wissens in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften stellt sich nicht allein als Überhang von Wissengütern gegenüber anderen Waren und Dienstleistungen dar, sondern stellt zugleich herkömmliches, in Sitten, Bräuchen, Traditionen, Gesetzen und Einstellungen gespeichertes Wissen infrage. Man könnte auch sagen, das jeweils aktuelle Wissen wird in der Geschwindigkeit, mit der Wissen hergestellt und ausgetauscht werden kann, durch jeweils noch aktuelleres Wissen relativiert und auch entwertet. Zum anderen wächst mit der Menge des Wissens auch die Menge des Nicht- beziehungsweise Noch-Nicht-Wissens. In diesem Sinne stellt die Wissensgesellschaft für die »Wissbegierigen« eine Risikogesellschaft dar: »Je mehr man weiß, desto komplexer und unüberschaubarer wird die Welt.« (M. Heidenreich).
 
Unter dem Begriff Wissensgesellschaft selbst ist die wirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Herstellung, Verteilung und Anwendung von Wissen erstmals in den 1960er-Jahren in den USA im Rahmen von Studien zur Managementtheorie und zum sozialen Wandel zusammengefasst worden. 1966 prägte der amerikanische Soziologe Robert E. Lane den Begriff der »knowledgeable society«; 1969 kennzeichnete der amerikanische Managementtheoretiker Peter F. Drucker in seinem Buch »The age of continuity« die Wissensgesellschaft als eine Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, in der nicht mehr Arbeit, Rohstoffe oder Kapital die wichtigsten Produktionsfaktoren darstellen, sondern Wissen. Grundlage seiner Befunde war zum einen das damals in den USA zu beobachtende, so noch nie vorher dagewesene Wachstum der Ausgaben für Forschung und Entwicklung (Abkürzung FuE), zum anderen die zunehmende Verschiebung der Beschäftigtenstruktur vom Sektor der industriellen Produktion hin in den Dienstleistungssektor, und hier in Bereiche, in denen wissensgestützte Wirtschaftsaktivitäten den Vorrang hatten. So hatte sich in den USA in der Zeit zwischen 1934 und 1967 der Anteil der Ausgaben für FuE am Bruttosozialprodukt - nicht zuletzt unter dem Eindruck des Rüstungswettlaufs nach 1950 - verfünffacht; in Japan und in der UdSSR - auf niedrigerem Niveau - sogar verzehnfacht. Ende der 50er-Jahre lagen die Anteile wissensbasierter Tätigkeiten am Bruttoszialprodukt der USA bereits zwischen 29 % und 47 %, wobei in der letzteren Zahl auch die nicht marktvermittelten Informationsdienstleistungen (besonders des öffentlichen Dienstes) Berücksichtigung finden. Dieser wirtschaftsgeschichtliche Hintergrund war ausschlaggebend dafür, dass das Konzept der Wissensgesellschaft zunächst eng an die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den USA gebunden war, von wo aus es seit Anfang der 1970er-Jahre, korrespondierend mit der Entwicklung in den anderen Industriestaaten, seine Verbreitung fand.
 
Eine große gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung von Wissen lässt sich allerdings auch schon weitaus früher belegen. So können z. B. die altägyptische Gesellschaft, in der Herrschaft auf der Basis religiös-astronomischen und agrarischen Wissens begründet war, und die sich in der hebräischen Bibel (christlich dem Alten Testament) widerspiegelnde jüdische Gesellschaft mit ihrem auf der Thora basierenden Gesetzeswissen durchaus als frühe Formen primär wissensbasierter Gesellschaften angesehen werden. Der Begriff Wissensgesellschaft selbst, in seiner Konzentration auf das Verhältnis von Wissen und Gesellschaft sowie Arbeit und Fortschritt, hat seine geschichtlichen Wurzeln in jenem Entwicklungsprozess, den das neuzeitliche Europa seit der Formulierung empirischer Forschungskonzeptionen durch F. Bacon (»Wissen ist Macht«), der Mathematisierung von Erkenntnisansprüchen durch R. Descartes und der Ausbildung der Wahrscheinlichkeitsrechnung durch B. Pascal genommen hat. Entsprechendes ließe sich für die Geschichte der »Wissensarbeiter« aufzeigen, als deren Vorgänger die mittelalterlichen Mönche (auch als Vorläufer der heutigen Intellektuellen), neuzeitliche Hofgelehrte und Humanisten, schließlich Schriftsteller, Journalisten und Forscher im Zeitalter der Aufklärung gelten können. Im institutionellen Bereich stellen die im 17. Jahrhundert eingerichteten Akademien, Raritätenkabinette und Kanzleien Vorstufen jener Institutionen dar, die als Forschungsinstitute, Verwaltungseinheiten, Werbeagenturen, Verlagshäuser und Sofware-Designer die Wissensgesellschaft der Gegenwart repräsentieren. Aus mediengeschichtlicher und kultursoziologischer Perspektive lassen sich die Buchproduktion und -distribution in Frankreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, namentlich die 1751 von Diderot und d'Alembert begonnene Herausgabe der »Encyclopédie« (Enzyklopädie), als der Anfang des Weges zu einer wissensgeleiteten Gesellschaftsordnung beschreiben, die praxisrelevantem Wissen einen hohen Stellenwert einräumt. Waren die Unternehmungen der Aufklärer im Wesentlichen noch darauf ausgerichtet, Übersichten und Inventarverzeichnisse des vorhandenen Wissens (bei der »Encyclopédie« ausdrücklich unter Einbeziehung der Handwerke und auch schon der Fabrikarbeit) zu erstellen, so ist nach der Französischen Revolution und im Angesicht der heraufziehenden Industriegesellschaft das philosophische Werk G. W. F. Hegels nicht allein dem Anspruch verpflichtet, das Wissen der Zeit in seiner Systematik und Dynamik zu erfassen, sondern zugleich das Zeitalter selbst als Wissen der Gesellschaft zu erschließen, die Gesellschaft als Ausdruck von Wissensvorräten zu verstehen. Hieran knüpfen in verschiedener Weise die frühen Sozialtheoretiker des 19. Jahrhunderts an. Ging es Hegel um die Darstellung der Arbeit des Geistes, so interpretierte K. Marx nunmehr geistige Tätigkeiten als gesellschaftlich strukturierte Arbeit und rückt damit sowohl die gesellschaftlichen als auch die ökonomischen und ideologischen Grundlagen der Wissensproduktion und des Gebrauchs von Wissen in modernen Gesellschaften in den Blick. Auf dem solchermaßen gelegten Grund konnten in der Folge wirtschafts- und kulturgeschichtlicher Untersuchungen zum Werdegang der kapitalistischen Industrie, zur modernen Technik und Bürokratie und zu den Funktionen des Unternehmertums (z. B. von M. Weber, W. Sombart und J. A. Schumpeter) ebenso aufbauen wie soziologisch ausgerichtete Studien, die sich mit dem Bewusstsein der modernen »Bewusstseinsarbeiter« und ihrer sozialen Lage und der Angestelltenkultur befassten (S. Kracauer, K. Mannheim, J. Benda, T. Geiger) und ihrerseits Studien zur sozialen Bedeutung gesellschaftlichen Wissens und seiner Produktion angeregt haben. In diesem Zusammenhang stellen die oben genannten amerikanischen Studien der 1960er-Jahre in ihrer Konzentration auf Wirtschaftssektoren und Wertschöpfung eine ökonomisch akzentuierte Verengung des Gesamtzusammenhangs der Wissensgesellschaft dar; auch schränken sie den Begriff Wissen sehr deutlich auf wissenschaftlich produziertes Wissen ein, wodurch nicht nur ältere traditionsbestimmte Wissensformen in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung ausgeblendet werden, sondern auch die Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Wissensreservoiren, Erfahrungsräumen und sozialen Akteuren vergleichsweise einseitig interpretiert werden (z.B. als zunehmende Rationalisierung von Verhaltensmustern unter dem Vordringen wissenschaftlicher Erkenntnisse und Anerkennung des Vorrangs von Experten). Tatsächlich stellen die in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre einsetzenden gesellschaftlichen Umbruchs- und Reformprozesse den Anfang einer seither anhaltenden Entwicklung dar, deren markantes Kennzeichen die Ausweitung der gesellschaftlichen Bedeutung von Wissen ist.
 
 Die Wissensgesellschaft - Herausbildung eines neuen Gesellschaftsmodells
 
Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien, in derem Gefolge in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften immer mehr Menschen immer rascher und leichter Zugang zu immer mehr Informationen haben, betonen Vertreter des Konzepts der Wissensgesellschaft, dass diese nicht durch die Informationsfülle und deren allgemeine Verfügbarkeit per se begründet werde. Sie setze vielmehr die kognitive und emotionale Verarbeitung der Informationsinhalte durch die Menschen voraus, wodurch Information erst zu Wissen werde, das dem Einzelnen zur aktiven Verfügung stehe. Damit beschreiben sie die Wissensgesellschaft als gesellschaftliche Zielvorstellung, die ihre Grundlagen aus dieser Auseinandersetzung - dem reflektierten und bewerteten Wissen - gewinnt.
 
Am Anfang des Weges in die Wissensgesellschaft stand der Aufbau neuer Mediensysteme in den 1970er-Jahren. Diese bedienten sich zunächst - Beispiele sind Funkkollegs und Sprachlabors - weiter der herkömmlichen elektronischen Trägersysteme, haben jedoch die Nachfrage nach wissensbasierten Dienstleistungen erheblich gesteigert. Der Aufbau weltweiter Kommunikationsnetze und die wachsende Ausstattung der Privathaushalte mit Personalcomputern seit den 1980er-Jahren, besonders aber die Entwicklung des Internet zum Massenmedium in den 1990er-Jahren eröffneten eine neuen Blick auf die Wissensgesellschaft und ließen sie vom sozialwissenschaftlichen Denkmodell zur realen gesellschaftlichen Option werden. Seither wird die Wissensgesellschaft auch als politisch zu gestaltende Aufgabe diskutiert, wobei der Bildungspolitik eine Schlüsselstellung zugewachsen ist. Sie ist mehr denn je gefordert, innovative Konzepte zu entwickeln, die prinzipiell jedes Gesellschaftsmitglied in die Lage versetzen, von den kommunikationstechnologischen Errungenschaften einen bewussten und lebenserleichternden Gebrauch zu machen und sich kritisch und selbstbewusst mit Informationsangeboten auseinander zu setzen.
 
Wissen und Wirtschaft
 
In wirtschaftswissenschaftlicher Betrachtung steht der Begriff Wissensgesellschaft zuallererst für einen bedeutsamen Strukturwandel: die Verlagerung von Erwerbstätigkeit, Wertschöpfung und sozialer Anerkennung vom güterproduzierenden Sektor in den Bereich der Dienstleistungen. Während sich arbeitsintensive Güterproduktionen in Länder mit niedrigeren Lohnkosten verlagern, konzentrieren sich in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften »wissensintensive« produktionsbegleitende Dienstleistungen (z. B. Verwaltung, Forschung, Entwicklung, Service, Beratung, Design, Marketing, Finanzierung und Logistik). Ein markanter Ausdruck der Wissensgesellschaft ist auch die wachsende Bedeutung der globalen Finanzmärkte. Diese sind heute zum einen unabdingbar an das Vorhandensein und den Ausbau digitaler Kommunikationsmedien geknüpft; zum anderen sind auf ihnen Wissensanbieter und Wissensprodukte äußerst wichtige Marktakteure und Handelsobjekte, wofür besonders Stichworte wie Neuer Markt, elektronische Wertpapierhandelssysteme (Xetra®) und New Economy (Neue Ökonomie) stehen. In diesem Rahmen gilt Wissen in mehrfacher Hinsicht als unmittelbarer Produktionsfaktor. Zum einen sind die Organisations-, Management-, Verwaltungs- und Verteilungsstrukturen selbst Ausdruck und Ergebnis eines bestimmten Wissens, zum anderen werden Aktien und Renditen u. a. danach bewertet, welche Wissenspotenziale den entsprechenden Unternehmen zugeschrieben werden; schließlich gelten Orientierung und Kompetenz auf diesen Märkten selbst als Resultate vorhandenen qualifizierten Wissens und stellen als Dienstleistungen wiederum eine Ressource für Wertschöpfung und Spekulation dar. In entsprechender Weise stellte die OECD 1996 die wirtschaftliche Bedeutung der Wissensgesellschaft vor allem in den Bereichen der Hochtechnologie und der bildungspolitischen Initiativen heraus, die gleichsam stellvertretend für zwei Säulen der Wissensgesellschaft schlechthin stehen: die Wissensproduktion und die Wissensvermittlung. In diesem Zusammenhang sind auch die wachsenden Ausgaben der fortgeschrittenen Industrieländer in den Bereichen FuE zu sehen. 1999 betrugen die Gesamtausgaben hierfür in Deutschland 92,634 Mrd. DM, was rd. 2,41 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entsprach; der Anteil der Ausgaben für FuE am BIP betrug im gleichen Zeitraum in den USA 2,65 % und für das Jahr 1998 in Frankreich 2,18 % und in Japan 3,04 %. Über den Ausweis der direkten Produktion und Distribution von Wissen hinaus ist als für die Wirtschaft wichtiger Faktor auch das »latente«, nicht unmittelbar in den Wirtschaftsprozess eingebundene (Allgemein-)Wissen der Menschen in die Betrachtung einzubeziehen, das kontinuierlich in den Alltag der Gesellschaft einfließt und deren soziale, kulturelle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit maßgeblich beeinflusst.
 
Wissen und Bildung
 
Wichtige - wenn nicht gar die wichtigsten - sozialen Handlungsfelder innerhalb der Wissensgesellschaft sind Bildung und Bildungspolitik. Ihre Bedeutung besteht darin, dass den Bereichen Bildung, Aus- und Weiterbildung eine gesellschaftliche Schlüsselfunktion zukommt, wofür in besonderer Weise die Herausforderung lebenslangen Lernens und die Forderung, dieses gesellschaftlich zu ermöglichen, stehen. Im Vergleich zur früheren Industriegesellschaft wachsen damit freilich die Anforderungen an die gesellschaftlichen Akteure im Allgemeinen und an die im Arbeitsprozess Stehenden im Besonderen. Neben dem Güterhersteller der klassischen Industriegesellschaft und den personenbezogenen Dienstleistern gewinnt zunehmend der »Symbolanalytiker« (Robert Reich) an Bedeutung, dessen Aufgabe in der kommunikativen Erschließung von Problemen und in der Organisation von Beziehungen - auf der Basis von Wissen, wozu gesteigert auch Orientierungs- und Methodenwissen zählt - liegt. Damit werden allerdings auch Fähigkeiten gefordert, für die herkömmlichen Ausbildungsgänge und Berufsbilder vielfach noch keine Qualifikationen anbieten, so dass im Zuge einer sich durchsetzenden Wissensgesellschaft beruflicher Qualifikationen und Kompetenzen entweder neue beziehungsweise anders strukturierte Ausbildungsgänge erforderlich machen oder aber die bestehenden Abschlüsse zugunsten neuer Dienstleistungen und Tätigkeitsprofile entwertet werden. Auch hinsichtlich der Mobilität und Arbeitszeitstrukturen sind die Beschäftigten neuen Anforderungen ausgesetzt. Im Rahmen der immer stärker deregulierten Arbeitsverhältnisse kann es einerseits zu einer »Verbetrieblichung« der gesamten Lebensführung kommen, andererseits werden aber auch neue, individuell zugeschnittene Formen der Arbeits- und Lebensgestaltung ermöglicht.
 
Wissen und gesellschaftliches Handeln
 
Auf der Ebene des gesellschaftlichen Handelns ist festzustellen, dass sich in der Wissensgesellschaft nicht allein die Rahmenbedingungen für den Umgang mit Wissen ändern, wobei besonders auf die zum Teil ausgesprochen kapitalintensiven Voraussetzungen für die Erschließung von Wissensbeständen hinzuweisen ist. Verändert werden durch die mit der Digitaltechnik verbundenen Schnelligkeit und Vielfachnutzung von Wissen ebenfalls dessen Strukturen und Darstellungsformen. Dies erfordert nicht nur neue Formen und Ziele hinsichtlich der Regulierung und Deregulierung gesellschaftlicher und politischer Prozesse und eine Beschäftigung mit den damit verbundenen neuen Arbeitsstrukturen: Neben den klassischen Betrieben formieren sich überbetriebliche Netzwerke mit entsprechenden sozialen Strukturen. Es wird von den Individuen, sozialen Gruppen und größeren Organsiationseinheiten (»lernenden Organisationen«) auch eine »experimentelle Haltung« (Jeanette Hofmann) zu den technischen Artefakten verlangt, als die sich Wissensprodukte in der Wissensgesellschaft darstellen: die Fähigkeit, mit wachsenden Wissensmengen, der Notwendigkeit weiteren Wissensbedarfs und der Einsicht vom lebenslangen Anhalten dieses Prozesses leben und arbeiten zu können.
 
Gesellschaftlich werden vorrangig zwei Erwartungen mit der Wissensgesellschaft verbunden. Zum einen die Vorstellung, dass sich im Zuge einer verbreiterten Teilhabe an Wissen über die Politik und die Gesellschaft verbesserte gesellschaftliche Handlungsoptionen und eine weitergehende Mitbestimmung der Bürger an demokratischen Entscheidungsprozessen möglich würden; zum anderen besteht die Erwartung, dass durch ein verbreitertes Wissensangebot soziale Ungleichheit zurückgehen und sozialer Aufstieg (soziale Mobilität) für deutlich mehr Menschen als früher möglich werden könnte. Damit wird im Unterschied zu den 1960er-Jahren, als v. a. in Europa die sich abzeichnenden Konturen einer Wissensgesellschaft auch kritisch bis skeptisch als neue autoritäre Gesellschaftsformation (»Expertenherrschaft«) oder gar perfektionierte totalitäre Herrschaftsordnung diskutiert worden waren, die Wissensgesellschaft heute durchaus positiv gesehen, was ökonomisch, politisch und sozial mitunter allerdings auch zu überzogenen Erwartungen führt.
 
An dieser Stelle ist auf die grundlegende, wie in vielen anderen sozialen Prozessen auch zu beobachtende Zwiespältigkeit der Entwicklung hinzuweisen. Nicht nur in Betrachtung der technischen Gegebenheiten (Möglichkeiten zum Aufbau eigener Netzwerke, freie Softwareangebote wie Linux oder FreeBSD, freie individuell bestimmbare Informationsnutzung, aber auch Internetpiraterie, Raubkopien, Computerhacker, Manipulation von Daten und Codes) erscheint die Wissensgesellschaft deshalb als eine eher von einer besonderen »Fragilität« (N. Stehr) gekennzeichnete Lebens- und Wirtschaftsform. So setzen die Dynamik der Wissensproduktion und -distribution und die Ausdehnung des Marktes durch immer mehr Anbieter und Nutzer neue Impulse, die insgesamt erweiterte Ansprüche an die Individuen, Organisationen, Betriebe, an das politische System und an die gesellschaftlichen Institutionen stellen. Erforderlich sind besonders eine auf Bildung und Selbständigkeit aufbauende und lernbereite Urteilskompetenz sowie die Einsicht, dass Wissen in der Wissensgesellschaft keineswegs »Macht« bedeuten muss, sondern die Menschen in ihr ebenso sehr die Ohnmacht und die Grenzen des Wissens erfahren. War im Zuge der aufkommenden Industriegesellschaft die Auffassung formuliert worden, Wissen und Wissenschaften gewährleisteten dauerhaft Sicherheit, so steht die heutige Industriegesellschaft im Übergang zur Wissensgesellschaft auch dafür, dass parallel zum Wachstum von Wissensproduktion und -zirkulation neue Risiken und Unsicherheiten auftreten, die das Lebensumfeld von Individuen, Gruppen und Großorganisationen verändern. Für Individuen wie Institutionen stellt sich die Wissensgesellschaft somit als eine andauernde Folge von »Situationen« dar, in der Handlungsmöglichkeiten jeweils neu ermittelt und erprobt werden können und müssen. Im Unterschied zu früheren gesellschaftlichen Ordnungen repräsentiert die Wissensgesellschaft »eine soziale und ökonomische Welt, in der Ereignisse oder Entwicklungen zunehmend gemacht werden, die zuvor einfach stattfanden« (N. Stehr). Das Leben in der Wissensgesellschaft erfordert, so der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas, den Mut zur »riskanten Selbststeuerung«.
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Computer · Datenbanksystem · Electronic Commerce · Industriegesellschaft · Informationsgesellschaft · Internet · Multimedia · Neue Ökonomie · postindustrielle Gesellschaft · Wissen
 
Literatur:
 
Weder Sozialtechnologie noch Aufklärung? Analysen zur Verwendung sozialwiss. Wissens, hg. v. U. Beck u. W. Bonß (1989);
 N. Stehr: Arbeit, Eigentum u. Wissen. Zur Theorie von Wissensgesellschaften (1994);
 U. Beck u. a.: Reflexive Modernisierung. Eine Kontroverse (1996);
 D. Bell: Die nachindustrielle Gesellschaft (a. d. Amerikan., 1996);
 The Knowledge-based Economy, hg. v. der OECD als Arbeitspapier Nr. OECD/GD (96) 102 (Paris 1996);
 N. Negroponte: Total digital. Die Welt zwischen O u. 1 oder Die Zukunft der Kommunikation (a. d. Amerikan., 1997);
 
Innovationen für die W., hg. v. Bundesministerium für Bildung u. Forschung (1998);
 
Technik u. Sozialtheorie, hg. v. W. Rammert (1998);
 M. Wingens: W. u. Industrialisierung der Wiss. (1998);
 
Wissen u. Arbeit. Neue Konturen von Wissensarbeit, hg. v. W. Konrad u. W. Schumm (1999);
 
Spiel ohne Grenzen? Ambivalenzen der Globalisierung, hg. v. C. Rademacher u. a. (1999);
 J. Rüttgers: Zeitenwende - Wendezeiten. Das Jahr-2000-Projekt: Die W. (1999);
 M. Heidenreich: Die Debatte um die W. (Ms., Univ. Bamberg 2000);
 
Die Erwerbsgesellschaft. Neue Ungleichheiten u. Unsicherheiten, hg. v. P. A. Berger u. D. Konietzka (2001);
 M. Miegel: Von der Arbeitskraft zum Wissen. Merkmale einer gesellschaftl. Revolution, in: Merkur, Jg. 55 (2001); N. Stehr: Moderne Wissensgesellschaften, in: Aus Politik u. Zeitgesch., Jg. 51 (2001); H. Willke: Systemisches Wissensmanagement (22001).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Arbeit: Die Arbeitswelt von morgen
 
Bildung für die Welt von morgen
 
Arbeit: Denkmodelle für eine neue Arbeitswelt
 

Universal-Lexikon. 2012.