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öffentliche Schulden
öffentliche Schulden,
 
öffentliche Verschuldung, die Verbindlichkeiten des öffentlichen Sektors (Gebietskörperschaften und Sozialversicherung) aus der Kreditaufnahme zur Finanzierung von Defiziten im öffentlichen Haushalt. Ö. S. sind in dieser Abgrenzung identisch mit Staatsschulden (Staatsverschuldung) im weiteren Sinn; Staatsschulden im engeren Sinn umfassen die Schulden von Bund, Ländern und Gemeinden. Die Differenz zwischen der Aufnahme von Krediten (Bruttokreditaufnahme, Bruttoneuverschuldung) und den Schuldentilgungen einer Periode wird als Nettokreditaufnahme (Nettoneuverschuldung) bezeichnet; um diesen Betrag wächst der Stand der öffentlichen Schulden während der Periode.
 
 Arten und Formen
 
Man unterscheidet nach dem Anlass der Kreditaufnahme zwischen Finanzierungskredit (Haushalts-, Deckungskredit) zur Finanzierung von öffentlichen Ausgaben und Kassenverstärkungskredit zur kurzfristigen Überbrückung von Liquiditätsengpässen, nach der Art der Mittelbeschaffung zwischen (freiwilligen) Marktanleihen und Zwangsanleihen, nach der Herkunft des Kapitals zwischen öffentlichen Inlandsschulden und öffentlichen Auslandsschulden (Schuldenkrise) sowie nach der Beurkundung zwischen durch besondere Schuldurkunden dokumentierten Briefschulden und in einem Schuldbuch eingetragenen Buchschulden (Bundeswertpapierverwaltung); in der Realität ist diese traditionelle Unterscheidung durch die wertpapierrechtliche Entwicklung jedoch verwischt worden. Eine ältere Einteilung geht von fundierten Schulden und schwebenden Schulden aus. Als fundiert galten solche Schulden (v. a. Anleihen), von denen man annahm, dass sie einen endgültigen (langfristig anlagewilligen) Kreditgeber gefunden hätten. Dagegen verstand man unter schwebenden Schulden eine fließende Art der Verschuldung, die noch nicht endgültig platziert ist (z. B. kurzfristige Schatzanweisungen, Schatzwechsel). Die moderne Schuldenstatistik untergliedert stattdessen nach den Schuldformen beziehungsweise in Schulden aus Kreditmarktmitteln im engeren Sinn (Wertpapierschulden und Schuldscheindarlehen), Ausgleichsforderungen, Schulden bei öffentlichen Haushalten und Kassenverstärkungskredite; zuweilen werden auch Bundesbürgschaften, Bundesgarantien und sonstige Gewährleistungen als Schulden ausgewiesen.
 
Unter den Verschuldungsformen dominieren bei den Ländern und den Gemeinden mittel- und langfristige Schuldscheindarlehen (Direktausleihungen) der Kreditinstitute mit Laufzeiten von meist bis zu zehn Jahren. Beim Bund hat die bis dahin bevorzugte Kreditaufnahme in Form von Wertpapierschulden seit 1994 ihre dominierende Stellung eingebüßt, sie macht nur noch rd. die Hälfte der Nettokreditaufnahme aus. Im Vordergrund stehen börsenfähige Anleihen. Demgegenüber sind Bundesschatzbriefe nicht börsenfähige Wertrechte, die auf die spezifischen Anlagewünsche privater Haushalte zugeschnitten sind; Kreditinstitute sind vom Erwerb ausgeschlossen. Bei den Bundesobligationen ist der Ersterwerb nur durch Privatpersonen und gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Einrichtungen möglich. Die festverzinslichen Kassenobligationen (verzinsliche Schatzanweisungen) bilden das mittelfristige Bindeglied zwischen den genannten überwiegend langfristigen Kapitalmarkttiteln und den nicht börsenfähigen kurzfristigen Geldmarkttiteln; als Gläubiger kommen v. a. Banken infrage. Der kurzfristigen Verschuldung am Geldmarkt dienen unverzinsliche Schatzanweisungen und Finanzierungsschätze des Bundes; sie werden je nach Restlaufzeit am Ende des Haushaltsjahres den Kassenverstärkungs- oder den Finanzierungskrediten zugerechnet. Schatzwechsel (Schatzanweisungen) wurden vom Bund zuletzt 1969 begeben. Nach der Form der Emission unterscheidet man zwischen Daueremission als einer Art laufender Kreditaufnahme (so bei Bundesschatzbriefen, Bundesobligationen und Finanzierungsschätzen) und Einmalemission zu bestimmten Terminen (so bei Anleihen über ein Konsortium, ferner bei Kassenobligationen, Schuldscheindarlehen und unverzinslichen Schatzanweisungen).
 
 Entwicklung der öffentlichen Schulden in Deutschland seit der Wiedervereinigung
 
In den 80er-Jahren hatte sich in der Bundesrepublik Deutschland auf allen Haushaltsebenen das Wachstum der öffentlichen Schulden im Zuge eines mit Nachdruck betriebenen Konsolidierungskurses deutlich verlangsamt. Während die jährliche Neuverschuldung 1981 noch 70 Mrd. DM oder 4,5 % des Inlandsproduktes erreichte, lag sie 1985-88 zwischen 40 und 56 Mrd. DM und ging 1989 sogar bis auf 34 Mrd. DM oder rd. 1,5 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zurück. Die deutsche Vereinigung einschließlich der Übernahme von Verbindlichkeiten des Staates und der Wirtschaft der DDR führte zu einem sprunghaften Anstieg der öffentlichen Schulden. Hatte die Verschuldung der öffentlichen Haushalte im früheren Bundesgebiet Ende 1989 mit 929 Mrd. DM knapp unter der Billionengrenze gelegen, so erreichte der Schuldenstand Ende 2001 2,39 Billionen DM (1,22 Billionen ). Die Staatsschuldenquote, das rechnerische Verhältnis von öffentlichen Schulden und BIP, wuchs von (1989) knapp 42 % auf (2001) rd. 62 %. Während die Staatsschuldenquote 1995-2001 in den EU-Ländern insgesamt um 6 % zurückging, stieg sie in Deutschland um 8,4 %. Besonders stark stieg im Zeitraum 1989-2001 die Verschuldung des Bundes und seiner Sondervermögen (+ 195 %), deutlich geringer die der westdeutschen Länder (+ 88 %) und Gemeinden (+ 45 %); der Schuldenstand der ostdeutschen Länder und Gemeinden betrug 2001 jeweils rd. 20 % des westdeutschen Niveaus. Der Anteil der Zinsausgaben an den Gesamtausgaben (Zinsausgabenquote) erhöhte sich beim Bund von (1989) 11 % auf (2000) 14,8 %, während die Quote bei den westdeutschen Ländern mit 7,5 % und bei Gemeinden mit 3,6 % nahezu unverändert blieb. Im Rahmen der Bemühungen der Schuldenstrukturpolitik (Debt-Management), durch gezieltes Ausnutzen von Zinsunterschieden die Zinsbelastung zu minimieren, sind bei den öffentlichen Schulden eine steigende »Umschlagshäufigkeit« und seit 1994 eine zunehmende Hinwendung zu kürzerfristigen Laufzeiten zu beobachten. 1996 emittierte der Bund zur Haushaltsfinanzierung erstmals unterjährige unverzinsliche Schatzanweisungen (»Bubills«) mit einer Laufzeit von 6 Monaten, und seit 1997 ist für 10- und 30-jährige Bundesanleihen der getrennte Handel von Kapital- und Zinsansprüchen (»Stripping«) zugelassen, sodass individuelle Laufzeitansprüche der Anleger befriedigt werden können. Ende 1999 wurde eine neue Inhaberschuldverschreibung in Form eines Diskontpapiers mit Laufzeiten zwischen sieben Tagen und einem Jahr und Mindestbeträgen ab 5 Mio. eingeführt (Bundeskassenschein oder Cashbill). Nach wie vor wichtigste Gläubiger sind bei der Nettokreditaufnahme die inländischen Banken (2001 rd. 46 %), stark zugenommen hat der Erwerb staatlicher Schuldtitel durch ausländische Anleger (rd. 36 %), während inländische Nichtbanken geringer beteiligt sind.
 
Kennzeichnend für die Entwicklung der Verschuldung seit der deutschen Vereinigung ist die institutionelle Auffächerung durch Ausgliederung eines großen Teils der vereinigungsbedingten öffentlichen Schulden in neu eingerichtete Nebenhaushalte (Fonds »Deutsche Einheit«, Kreditabwicklungsfonds, Treuhandanstalt, Erblastentilgungsfonds, Entschädigungsfonds). Hinzu kommen seit 1994 die zuvor separat verbuchten Schulden der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn in dem neu eingerichteten Tilgungsfonds Bundeseisenbahnvermögen und seit dem Wegfall des Kohlepfennigs die Schulden des Ausgleichsfonds Steinkohleeinsatz. Auch der Schuldenstand des ERP-Sondervermögens (ERP) stieg in den letzten Jahren beträchtlich, seitdem der Fonds seine Leistungen zu einem wesentlichen Teil durch Kreditaufnahme refinanziert. Mit dem Schuldeneingliederungsgesetz vom 1. 6. 1999 hat der Bund als Mitschuldner rückwirkend zum 1. 1. 1999 die Schulden von Erblastentilgungsfonds, Ausgleichsfonds Steinkohle und Bundeseisenbahnvermögen übernommen.
 
Besondere Probleme bereitete die Übernahme der Altschulden aus DDR-Zeiten. Nach längeren Verhandlungen zwischen Bund und Ländern sowie anhaltendem Widerstand Berlins kam es im Frühjahr 1997 zu einer gesetzlichen Regelung. Danach wurden die kommunalen Altschulden (1997: 8,4 Mrd. DM) zunächst vom Erblastentilgungsfonds und seit 1999 voll vom Bund übernommen. Die Altschulden der ostdeutschen Agrarbetriebe wurden nicht gestrichen, sondern müssen von den Betrieben zurückgezahlt werden.
 
 Probleme öffentlicher Kreditfinanzierung
 
Öffentliche Kredite zur Bestreitung heutiger Ausgaben sind Finanzierungsinstrumente, die Ansprüche auf wirtschaftliche Ressourcen zeitlich vorziehen und Steuerzahllasten aufschieben. Für den Politiker kann die Schuldenaufnahme die »bequemere« Form der Finanzierung von Staatsausgaben darstellen, weil sie beim Wähler möglicherweise auf geringeren Widerstand stößt als die Einführung neuer oder die Erhöhung bestehender Steuern; die Belastung wird zunächst nicht so spürbar (»Schuldenillusion«). Öffentliche Verschuldung begünstigt insofern eine Tendenz zur Ausweitung der Staatstätigkeit, und Beschränkung der Schuldenaufnahme ist deshalb auch Instrument und Voraussetzung einer Politik der Begrenzung des Anstiegs der Staatsquote. Neben der Gefahr, private Nachfrage durch Crowding-out zu verdrängen und zukünftige finanzpolitische Handlungsspielräume durch wachsende Zins- und Tilgungslasten einzuschränken, wird in der Wirtschaftswissenschaft v. a. diskutiert, inwieweit die Entscheidung für öffentliche Schulden eine Belastung für zukünftige Generationen erzeugt. Die Stellungnahme zu dieser »Lastenverschiebungsthese« hängt (bei unterstellter reiner Inlandsverschuldung) maßgeblich davon ab, was unter »Last« zu verstehen ist: Eine reale Belastung im Sinne einer erhöhten Inanspruchnahme volkswirtschaftlicher Ressourcen durch den Staat zulasten des privaten Sektors fällt in einer vollbeschäftigten Wirtschaft unabhängig von der Art der Finanzierung der öffentlichen Ausgaben (Kredite oder Steuern) stets in der Gegenwart an: sie kann nicht in die Zukunft verschoben werden. Spätere Generationen haben (als Ganzes) zwar durch erhöhte Steuern den Schuldendienst zu finanzieren, sind aber zugleich Empfänger der Zins- und Tilgungszahlungen; freilich kann es dabei zu (unerwünschten) interpersonellen Umverteilungseffekten zwischen Steuerzahlern und Gläubigern der Staatsschuld kommen.
 
Intertemporale Lastenverschiebungen können sich durch die Wirkung der öffentlichen Schulden auf die Kapitalbildung ergeben: Eine heutige Kreditaufnahme von 100, die in der Zukunft (bei einem Zinssatz von 10 %) zu einer Zins- und Tilgungsverpflichtung von 110 führt (zu deren Finanzierung dann künftig Steuern in Höhe von 110 erhoben werden müssen), ist aus heutiger Sicht gleichbedeutend mit der Alternative einer sofortigen Steuererhebung in Höhe von 100 (»Äquivalenztheorem«, D. Ricardo 1817, Robert Joseph Barro 1974). Beide Finanzierungsalternativen müssten also bei »rationalen« Steuerzahlern die gleiche Wirkung auf das Konsum- und Sparverhalten in der Gegenwart haben. Soweit jedoch die gegenwärtige Generation der »Schuldenillusion« unterliegt und die zwangsläufigen zukünftigen Belastungen unterschätzt beziehungsweise nicht antizipiert oder gar hofft, Zahllasten auf andere Generationen überwälzen zu können, kommt es bei Kreditfinanzierung zu höheren Konsumausgaben und geringerem Sparvolumen als bei Steuerfinanzierung. Dadurch wird der nächsten Generation ein geringerer Kapitalbestand »übergeben«; es kommt zu Wachstumseinbußen sowie zu Ausfällen an sonst möglichem Realeinkommen und somit zu einer Belastung künftiger Generationen durch die Finanzierungsentscheidung der heutigen Generation.
 
Die Sorge, öffentliche Schulden begünstigten eine Ausdehnung des Staatssektors und die Verdrängung privater Nachfrage, führte schon frühzeitig zur haushaltsrechtlichen Einschränkung der Möglichkeiten der Kreditaufnahme und eines Haushaltsdefizits (Deckungsgrundsätze). Nur in Kriegs- und Katastrophenzeiten sowie dann, wenn es darum ging, langlebige Einrichtungen der Infrastruktur zu erstellen und auch spätere Nutznießergenerationen an den Finanzierungslasten zu beteiligen (Pay-as-you-use-Prinzip), sollte Kreditfinanzierung zulässig sein. Die auf der keynesianischen Wirtschaftstheorie basierende Idee einer gezielten Konjunkturstabilisierung durch den Staat mithilfe einer antizyklischen Fiskalpolitik führte in Deutschland 1969 zu einer Neuformulierung und Lockerung dieser Grenzen. Seither ist in konjunkturellen Normalphasen die jährliche Nettoneuverschuldung nur betragsmäßig begrenzt durch die Höhe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für öffentliche Investitionen (Art. 115 GG); in Rezessionsphasen dagegen sind darüber hinausgehende konjunkturelle Defizite zulässig (Defizitfinanzierung). Unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die rechtliche Einschränkung nur für den Zeitpunkt der Veranschlagung der Ausgaben, nicht aber für den späteren Haushaltsvollzug gelte, ob überhaupt eine behauptete Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliege und wieweit eine solche Störung auch auf Landesebene eine höhere Nettoneuverschuldung rechtfertige, haben in jüngster Zeit wiederholt zu verfassungsrechtlichen Klagen der jeweiligen parlamentarischen Opposition geführt.
 
 Strukturelle Defizite und Haushaltskonsolidierung
 
Versuche, den Anstieg der öffentlichen Schulden zu bremsen oder die Schuldenquote zurückzuführen, waren in den vergangenen Jahren bestimmendes Element der Finanzpolitik nicht nur der Mitgliedstaaten der EU, sondern fast aller Industriestaaten. Im längerfristigen Vergleich (1985/2001) vermochten allerdings nur Belgien, Dänemark, Großbritannien, Irland, Luxemburg, die Niederland, Portugal und Schweden die Staatsschuldenquote zu senken oder zu stabilisieren. Denkbar sind verschiedene Strategien zur Reduzierung der Nettokreditaufnahme: 1) Übergang zur Steuerfinanzierung, d. h. Steuererhöhungen bei unverändertem Ausgabenvolumen. 2) Versuche einer Begrenzung des Ausgabenwachstums oder gar diskretionärer Ausgabensenkungen zielen auf den Abbau des überkonjunkturellen »strukturellen« Defizits im Staatshaushalt, das sich nicht dadurch gleichsam automatisch auflöst, weil im Aufschwung Einnahmeüberschüsse zum Abbau der Defizite der vorangegangenen Rezessionsphase zur Verfügung stehen. Die Höhe der öffentlichen Schulden ist dann ein (möglicherweise weiteres) entscheidendes Argument für eine Rückführung der Staatsquote zugunsten privater Initiative durch Abbau staatlicher (Transfer-)Leistungen, Privatisierung öffentlicher Tätigkeiten (z. B. private Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen), Straffung der öffentlichen Verwaltungen (»Lean Administration«) u. a. Eine Konsolidierung öffentlicher Haushalte auf diesem Weg ist freilich nach den Erfahrungen zahlreicher Länder in den letzten Jahren schwierig und politisch wenig Erfolg versprechend, solange der Staatshaushalt in der Öffentlichkeit in erster Linie unter kurzfristigen Verteilungsgesichtspunkten beurteilt wird, nicht dagegen unter dem Aspekt etwaiger langfristiger negativer Wirkungen auf die volkswirtschaftliche Effizienz. Die Wähler haben zwar regelmäßig Vorbehalte gegen eine Verlagerung der Finanzierung auf höhere Steuern; sie klagen zugleich aber auch über zu geringe oder ungerecht verteilte staatliche Leistungen und verurteilen eine Kürzung staatlicher Ausgaben, soweit sie selbst betroffen sind. Das Bewusstsein des Zusammenhanges zwischen Ausgaben- und Einnahmenseite geht umso mehr verloren, je komplexer und je weniger transparent der öffentliche Haushalt ist. Als möglicher Ausweg aus dieser Problematik wird verschiedentlich eine verstärkte Anwendung des Äquivalenzprinzips durch Zweckbindung von Einnahmen für bestimmte Ausgaben vorgeschlagen. 3) Im Vorfeld der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) versuchten viele Staaten, Einnahmespielräume durch Erlöse aus einer beschleunigten Privatisierung öffentlicher Unternehmen zu gewinnen. Wird aus allgemeinen ordnungspolitischen Überlegungen eine Politik der Privatisierung betrieben, so kann die Höhe der öffentlichen Schulden ein zusätzliches Motiv und eine argumentative Hilfe bei der Durchsetzung der Privatisierungspläne bilden. Die meist beträchtlichen Verkaufserlöse erlauben zumindest eine zeitweilige Reduktion des Finanzierungsdefizits und der Neuverschuldung. Auf längere Sicht jedoch bleibt eine Wirkung aus, wenn nicht gleichzeitig eine dauerhafte Ausgabenkonsolidierung im Sinne des Abbaus struktureller Defizite betrieben wird. 4) Die Strategie der Begrenzung der öffentlichen Schulden durch Gesetze setzt auf die Festlegung von Grenzen der Kreditaufnahme in der Verfassung oder in besonderen Gesetzen und auf den daraus entstehenden Ausgabenkonsolidierungszwang. Die Varianten reichen von der Verschärfung der Regelung des Art. 115 GG (Bindung des Umfangs öffentlicher Schulden an das Volumen öffentlicher Investitionen) über eine Orientierung an der Höhe des BIP bis zu einem Verbot der Kreditaufnahme in konjunkturellen Normallagen beziehungsweise bis zu der vorherigen Festlegung von automatischen Kürzungsregeln für den Fall eines Ungleichgewichts zwischen Ausgaben und Einnahmen. Versuche mit derartigen Regeln wurden in den letzten Jahren v. a. in den USA unternommen (Gramm-Rudman-Hollingsgesetz von 1985), blieben aber längerfristig wirkungslos.
 
 Öffentliche Schulden und Europäische Währungsunion
 
Der 1993 in Kraft getretene Maastrichter Vertrag sah die stufenweise Einführung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) vor und bestimmte, dass Teilnehmer an der Europ. Währungsunion (EWU) neben anderen Konvergenzkriterien zwei die Verschuldung betreffende Referenzwerte erfüllen müssen: Das staatliche Finanzierungsdefizit sollte 3 % des BIP nicht überschreiten und die öffentliche Verschuldung bezogen auf das BIP nicht mehr als 60 % betragen. Allerdings lässt der Maastrichter Vertrag bei der Beurteilung der Haushaltsdisziplin Ausnahmen zu. Ein Defizit gilt als nicht übermäßig, wenn die Defizitquote laufend zurückgegangen ist und einen Wert in der Nähe des Referenzwertes erreicht hat oder wenn der Referenzwert nur ausnahmsweise und vorübergehend überschritten wird und die Defizitquote in der Nähe des Referenzwertes bleibt. Ebenso gilt die Haushaltsdisziplin nicht als verletzt, wenn die Schuldenstandsquote deutlich rückläufig ist und sich rasch genug dem Referenzwert nähert. Angesichts der Schwierigkeiten, die Schuldenkriterien durch Ausgabenkürzungen zu erfüllen, ergriffen oder erwogen etliche Teilnahmekandidaten im Vorfeld des In-Kraft-Tretens der EWU besondere Schritte zur »Einnahmenverbesserung« (z. B. Sondersteuern, Vorziehen von Privatisierungsvorhaben, technische Umbuchungen zw. Staat und öffentlichen Unternehmen, Auflösung und Ausschüttung stiller Reserven beim Devisenbestand der Zentralbank durch Goldverkäufe). Die seitherigen Zahlen zeigen, dass die Schuldenquote der 12 Länder der Euro-Zone insgesamt zwar gegenüber 1995 zurückgegangen ist, aber mit (2001) 69,7 % immer noch deutlich über dem Maastrichter Referenzwert liegt und auch höher ist als die Schuldenquote aller 15 EU-Länder insgesamt (2001: 65,3 %). Für die Zeit nach dem Beginn der EWU soll der Stabilitäts- und Wachstumspakt in Ergänzung der bereits im EG-Vertrag angelegten Überwachungs- und Sanktionsmechanismen für eine dauerhafte Begrenzung der Defizite der EWU-Staaten sorgen. Laut Stabilitätspakt soll die jährliche Nettoneuverschuldung der Teilnehmerländer nicht mehr als 3 % des nominalen BIP betragen; Ausnahmen gelten für den Fall einer schweren Rezession, d. h. wenn sich das BIP innerhalb eines Jahres real um mindestens 0,75 % verringert hat. Der Pakt regelt auch ein entsprechendes Frühwarnsystem sowie einen Sanktionsmechanismus: Ein EWU-Teilnehmerland, dass ein übermäßiges Defizit aufweist, wird vom Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (ECOFIN) in einem »blauen Brief« aufgefordert, innerhalb von vier Monaten geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen; geschieht dies nicht, so können Bußgelder in Höhe von bis zu 0,5 % des jährlichen BIP verhängt werden. Im Frühjahr 2002 konnte Deutschland ein solches Frühwarnverfahren nur dadurch abwehren, dass die Bundesregierung versprach, bis 2004 einen nahezu ausgeglichenen Gesamthaushalt zu erreichen. Da 2001 v. a. der Finanzierungssaldo der Bundesländer beträchtlich zugenommen hatte und sogar über dem des Bundes lag, brach im Anschluss an den gerade noch vermiedenen »blauen Brief« eine Debatte über die Frage auf, in welcher Weise die Bundesländer bei ihrer Kreditaufnahme zur Einhaltung der deutschen Stabilitätsverpflichtung beizutragen haben. Die Idee eines »nationalen Stabilitätspaktes«, der die Aufteilung des nach EWU-Regeln höchstzulässigenjährlichen Defizits (und etwaiger Sanktionen) nach bestimmten Schlüsselgrößen (Aufteilung zu je 50 % auf Bund und Ländern sowie Berechnung des jeweiligen Länderanteils nach der Bevölkerungszahl) vorsah, war bereits 1996/97 bei den Ländern auf Widerspruch gestoßen. Ein Alternativvorschlag des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen sah damals die Aufteilung der jährlich insgesamt zulässigen Verschuldung auf die Gebietskörperschaften über ein Versteigerungsverfahren vor.
 
Bei allen Diskussionen über die Notwendigkeit einer »Punktlandung« in Bezug auf die Verschuldungskriterien respektive über den Vorwurf eines »Dezimal-Fetischismus« droht freilich aus dem Blickfeld zu geraten, dass für das zentrale Ziel der Geldwertstabilität in der EWU ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Höhe der staatlichen Budgetdefizite und der Inflationsrate nur dann bestünde, wenn der öffentliche Sektor sich direkt bei der Notenbank finanzieren könnte. Dies ist seit der zweiten Stufe der Währungsunion (1. 1. 1994) nicht zulässig. Für die künftige Geldwertstabilität in der EWU kommt es daher in erster Linie auf das geldpolitische Verhalten der Europäischen Zentralbank an.
 
Literatur:
 
D. Duwendag: Staatsverschuldung - Notwendigkeit u. Gefahren (1983);
 D. Dickertmann u. K.-H. Hansmeyer: Der öffentl. Kredit, 2 Bde. (1-31984-87);
 R. Lappin: Kreditäre Finanzierung des Staates unter dem Grundgesetz (1994);
 
Zur Bedeutung der Maastricht-Kriterien für die Verschuldungsgrenzen von Bund u. Ländern. Gutachten, hg. vom Bundesministerium der Finanzen (1994);
 M. Sutter: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt in der Europ. Währungsunion (2000).

Universal-Lexikon. 2012.