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Postmoderne
Post|mo|dẹr|ne 〈f.; -; unz.〉 in den 1960er Jahren eingeführter Begriff der Kulturtheorie für Entwicklungen u. a. in Architektur, Kunst, Literatur u. Musik, eine auf die Moderne folgende Epoche, die durch Subjektivismus, Stilpluralismus u. spielerischen Umgang mit historischen Elementen gekennzeichnet ist [<lat. post „nach“ + Moderne]

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Pọst|mo|der|ne, die; -:
a) Strömung, Stilrichtung der modernen Architektur, die gekennzeichnet ist durch eine Abkehr vom Funktionalismus (1) u. eine Hinwendung zum freieren, spielerischen Umgang mit unterschiedlichen Bauformen auch aus früheren Epochen;
b) der Moderne (1) folgende Zeit, für die Pluralität (1) in Kunst u. Kultur, in Wirtschaft u. Wissenschaft sowie demokratisch mitgestaltende Kontrolle der Machtzentren charakteristisch sind.

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Postmodẹrne
 
[lateinisch post »nach«], zentraler Begriff der Kulturtheorie, der der Annahme Ausdruck verleiht, die als »modern« bezeichnete Periode sei abgelaufen, müsse überwunden werden oder enthalte selber schon Elemente ihrer Aufhebung. Der in der Moderne erreichte Zustand wird von manchen Theoretikern der Postmoderne als Krise verstanden, andere sehen die Postmoderne als Verwirklichung uneingelöster Chancen der Moderne. Phänomene und Erfahrungen, die von modernem Denken negativ bewertet werden (wie »Unbestimmtheit«, »Pluralität«, »Spontaneität«, »Beliebigkeit«, »Synkretismus«, »Trivialität«), erfahren in der Theorie der Postmoderne Anerkennung als menschliche Schlüsselerfahrungen und soziale wie ästhetische Grundphänomene. In den kulturwissenschaftlichen Einzeldisziplinen wird der Terminus extrem variantenreich und auch widersprüchlich benutzt. Seine modisch-inflationäre Verwendung droht, ihn zum sinnentleerten »Passepartoutbegriff« (U. Eco) zu machen. Der Ausdruck »Postmodernismus« wird indifferent auf unterschiedliche Bewegungen v. a. der angelsächsisch-lateinamerikanischen Kultur bezogen, die Einzelaspekten der Postmoderne Ausdruck verleihen.
 
 Begriff und Geschichte
 
Der bisher früheste Nachweis des Wortes »postmodern« findet sich bei R. Pannwitz (»Die Krisis der europäischen Kultur«, 1917). Er sprach vom »postmodernen Menschen« mit Bezug auf Nietzsches Diagnose der Moderne unter dem Eindruck von Décadence und Nihilismus sowie auf sein Programm der Überwindung dieser Moderne im Zeichen des »Übermenschen«. Nietzsche, der immer wieder als Vater der Postmoderne ausgerufen und kritisiert wird, hat also mittelbar diese Wortschöpfung inspiriert. Sie blieb allerdings in ihrer pannwitzschen Prägung unbeachtet und folgenlos. Die Wortbildung »Postmodernismo« ist in der lateinamerikanischen Literaturgeschichte seit 1934 nachweisbar; sie steht dort für eine kurze, 1905 einsetzende Phase der Kritik am hispanischen »Modernismo«. In den USA taucht der Begriff »Postmodernism« seit den frühen 40er-Jahren in literaturtheoretischem Zusammenhang auf. Der britische Historiker A. Toynbee bezeichnet in seinem universalhistorischen Hauptwerk »A study of history« in der Fassung von 1947 als »post-modern« die zeitgenössische Epoche der abendländischen Kultur seit dem Übergang von der nationalstaatlichen zur globalen Politik, dessen Beginn er in den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts ansetzt. Nach Toynbee löst die Postmoderne die mit der Moderne gleichgesetzte Neuzeit, die mit der Renaissance beginnende abendländische Ära, ab.
 
Durch die amerikanischen Kritiker Irving Howe (* 1920, ✝ 1993) und Harry Levin (* 1912) wurde der Begriff »Postmodernism« Ende der 50er-Jahre ganz auf die Literatur dieser Zeit bezogen, hier jedoch, im Rückblick auf die innovatorischen Meisterwerke der ästhetischen Moderne (z. B. von T. S. Eliot, E. Pound, J. Joyce), als lediglich negative Bestimmung. Es wurde ein Erschöpfungszustand diagnostiziert, der nur noch ein imitatorisches Spiel mit den überlieferten Formen zulasse (J. Barth). Die allmähliche Umwertung des Begriffs folgte der von dem Kunsthistoriker E. Gombrich aufgestellten Regel, dass neue Kunstbegriffe, die sich auf Erscheinungen beziehen, die den bisherigen ästhetischen Horizont durchbrechen, oft aus abfälligen Etiketten entstehen, die dann zu deskriptiven Kategorien weiterentwickelt werden. Demgemäß zeichnete sich in den späten 60er-Jahren eine positive Tendenzwende in der Bewertung des »Postmodernism« ab, die mit den Namen L. Fiedler, Susan Sontag und Ihab Habib Hassan (* 1925) verbunden ist. Das Gefühl der Erschöpfung der innovatorischen Potenz, das sich im literaturkritischen Gebrauch des Wortes ausdrückte, wurde nun verdrängt durch eine neue Aufbruchsstimmung, eine »futuristische Revolte« (Fiedler).
 
Diese antizipatorische Postmoderne steht zu der in den 70er-Jahren besonders in der Architektur um sich greifenden rekursiven, historisierend-eklektizistischen Postmoderne in größtem Gegensatz. Was das antizipatorische und das rekursive Konzept der Postmoderne jedoch verbindet, ist die selbstbewusste Stellung gegenüber der in den Anfängen der Postmodernediskussion noch verklärten Moderne, hinter die nun zurück- oder über die hinausgegriffen wird, und die positive Bestimmung dessen, was von den ersten Kritikern der Postmoderne noch als Erschöpfungszustand angesehen wurde. Die Postmoderne wendet das pessimistische Fazit in ein optimistisches; sie ist eine »Moderne ohne Trauer« (A. Wellmer, 1985).
 
Die futuristische Postmoderne, wie sie von Fiedler propagiert wird, nimmt vielfach die ikonoklastischen Elemente der historischen Avantgarde in sich auf. Sie richtet sich gegen die werkzentrierte und elitäre klassische Moderne, die auf der Kunstautonomie insistiert. Fiedlers Essay »Cross the border - close the gap« (1969) enthält den zentralen Appell der postmodern-populistischen Ästhetik: Die Grenze, die überschritten werden soll, ist die, die den Künstler von der Massengesellschaft trennt; die zu schließende Kluft ist diejenige zwischen Elite- und Massenkultur. Pop-Art, Happening, Performance u. a. Formen der Aktionskunst, die die Grenze zwischen Kunst und Leben aufheben wollen und das dauerhafte, hermetisch-geschlossene Kunstwerk negieren, sind die maßgebenden ästhetischen Phänomene dieser Richtung der Postmoderne.
 
 Postmoderne Architektur und Kunst
 
Im Unterschied zur literarisch-philosophischen Postmoderne hat der Begriff in der Architektur die Bedeutung eines Epochenbegriffs angenommen. Die Architekturdiskussion griff bald auf die anderen Künste, aber auch auf andere Kulturbereiche über und wurde zu einem allgemein kritischen Begriff der Kulturanalyse der 1970er- und 80er-Jahre.
 
Die Wurzeln der Architektur-Postmoderne reichen zurück bis in die 1960er-Jahre. Die Schriften des Amerikaners R. C. Venturi »Complexity and Contradiction« (1966; deutsch Komplexität und Widerspruch) und des Italieners A. Rossi »L'architettura della città« (1966; deutsch Architektur der Stadt) sind die ersten Programmerklärungen der neuen Tendenzen (»nuove tendenze«), die sich gegen einen »Vulgär-Funktionalismus« (Adolf Max Vogt) richteten. Die erste Publikation zur Architektur der amerikanischen Postmoderne waren die Architekteninterviews: »Conversations with Architects« (1973; deutsch Architektur im Widerspruch) von Heinrich Klotz und John Cook. Früheste öffentliche Bekundungen der Postmodernediskussion waren die Symposien des Internationalen Design-Zentrums Berlin »Das Pathos des Funktionalismus« (1975) mit Venturi, Rossi und Denise Scott Brown. Im Zusammenhang mit diesen Symposien wurden zum ersten Mal die Begriffe »klassische Moderne« in Unterscheidung zu einem Kontinuitätsanspruch der Moderne gebraucht wie auch der Begriff des »Nachfunktionalismus« (Klotz). Das Denkmalschutzjahr 1975 erbrachte entgegen den Vorstellungen einer »autonomen Moderne« die Programmatik des »integrierenden Bauens«, womit auch die historischen Bezüge der Architektur wieder in den Blick kamen (Begründung des Programms der IBA, Internationale Bauausstellung Berlin). Mit der Schrift »The rise of post-modern architecture« (1977; deutsch Die Sprache der postmodernen Architektur) führte Charles Jencks (* 1939) den zuvor in der literarisch-philosophischen Diskussion vorgeprägten Begriff in die Architekturtheorie ein. Wie schon bei Venturi und Rossi wendet sich die von Jencks unter dem Begriff Postmoderne vorgetragene Kritik gegen die Entwicklungen einer kommerzialisierten, modernen Architektur (»Spätmoderne«).
 
Mit den großen Architekturausstellungen »Die Zukunft der Vergangenheit« in Venedig (P. Portoghesi) 1980 und der Eröffnungsausstellung des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt am Main »Revision der Moderne« (1984) wurden die Architekturprojekte der Postmoderne der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums entfaltete als Wanderausstellung internationale Wirkung: Paris 1985, Tokio 1986, New York 1986, Rotterdam 1988.
 
Die postmoderne Architektur, als deren Hauptvertreter u. a. H. Hollein, Isozaki Arata, C. W. Moore, Rossi, R. Stern, J. Stirling, Venturi und O. M. Ungers gelten, wendet sich gegen die Folgen der modernen Architektur, wie sie von Le Corbusier, W. Gropius, L. Mies van der Rohe, F. L. Wright u. a. begründet wurde. Sie wendet sich gegen Purismus und Monofunktionalisierung, gegen die Abwendung von der Geschichte, gegen den Internationalismus (internationaler Stil) und die Vernachlässigung lokaler und regionaler Identität.
 
Gegenüber dem funktionalistischen Purismus kehrt die Architektur der Postmoderne äußerlich zum historischen Eklektizismus zurück und kann insofern als rekursive Postmoderne bezeichnet werden. Anders als im 19. Jahrhundert vollzieht sich die Verwendung eines historischen Formenvokabulars und des von der Ästhetik des Neuen Bauens disqualifizierten Ornaments freilich in ironisch-parodistischer oder schockierender Weise, als Collage verschiedener Stile. Ziel der postmodernen Architekten ist ein »kontextuelles« Bauen, das einen Bezug zur regionalen Umgebung, zum gewachsenen urbanen Gefüge hat und mit den divergierenden Geschmackskulturen seiner Bewohner vermittelt ist. Jencks spricht in seinen Schriften von einer »Mehrfachkodierung«, die es der Architektur in einer pluralistischen Gesellschaft, die kein allgemein gültiges Signifikationssystem mehr kennt, ermöglichen soll sowohl mit der »Öffentlichkeit und andererseits mit einer engagierten Minderheit, meist Architekten, zu kommunizieren«.
 
Wurde durch das Neue Bauen (mit der Ablehnung der afunktionalen Würde und Schmuckformen) die Architektur entsemantisiert, d. h. funktional und ohne historischem Sinnzusammenhang gesehen, zielt die Postmoderne auf eine neue Rhetorik und Semantik (»Fiktionalität«) der Bauformen. Die postmodernen Architekten entwickeln für Fassaden und Innenräume ihrer Bauten buchstäblich erzählerische Programme - entsprechend dem Spiel mit narrativen Strukturen in der postmodernen Erzählprosa.
 
Eine unterschiedliche Deutung erfuhr die postmoderne Architektur durch Klotz, der nicht, wie Jencks, ein »Ende der Moderne« voraussetzte, sondern die Postmoderne als eine »Revision der Moderne« verstand und damit die Anregungen von Christian Norberg-Schulz (»Intentions in architecture« [1963; deutsch Logik der Baukunst]) weiterentwickelte. Dieser hatte bereits im Gegensatz zum internationalen Stil die Identität des Ortes, d. h. regionalistische Charakteristika hervorgehoben, Kriterien, die auch Jencks in seinen Schriften aufgriff. Für Klotz wurde der Begriff »Fiktionalität« bedeutsam, womit gesagt war, dass ein Bau sich nicht in der bloßen Darstellung seiner konstruktiven Bedingungen erschöpfte, sondern dass er auch als Medium für die Darstellung anderer Inhalte dienen konnte (»nicht nur Funktion, sondern auch Fiktion«). Von hier ließ sich eine Verbindung zu den bildenden Künsten herstellen. Darstellung und Fiktionalität in der Malerei bedeutet Erhaltung des Scheincharakters des Kunstwerks im Gegensatz zur Avantgarde (»klassische Moderne«), die die Entgrenzung des Kunstwerks in das Leben hinein angestrebt hatte: Kunst ist Leben, Leben ist Kunst (Happening).
 
Demzufolge wurden bestimmte Tendenzen in der bildenden Kunst der 1980er-Jahre, die über die Feststellung eines Endes der Avantgarde (vergleiche Peter Bürger: Theorie der Avantgarde, 1974) hinausgingen und mit einer so genannten Refiguration eine neue Fiktionalität behaupteten, mit dem Begriff der P. verbunden. Als ein ästhetisches »Trotzdem« wurde der Scheincharakter des Kunstwerks gegen die Gleichsetzung von Kunst und Leben erneut behauptet (Neue Wilde, Arte cifra, auch das Werk u. a. von J. Koons, A. Kiefer und [partiell] das Werk von M. Lüpertz).
 
 Postmodernes Denken
 
Neuer Pluralismus:
 
Im Vergleich zur Architekturtheorie bleibt die Anwendung des Terminus Postmoderne auf die anderen Disziplinen unverbindlicher, da der Begriff des Modernen in ihnen viel offener ist. Als allgemeinste postmoderne Tendenz kann man die »Repluralisierung« der Gestaltungsmittel bezeichnen, wobei die Vorsilbe »re« zum Ausdruck bringt, dass die ästhetische Moderne um die Jahrhundertwende bereits den Stilpluralismus praktiziert hatte. Der restriktive Modernismus der letzten Jahrzehnte, das Dogma vom irreversiblen Fortschritt der künstlerischen Mittel führten jedoch zu deren immer rigoroser werdender Reduzierung und Minimalisierung in den 50er- und frühen 60er-Jahren. Der aus dem Fortschritt des ästhetischen »Materials« resultierende »Kanon des Verbotenen«, den T. W. Adorno etwa in seiner »Philosophie der neuen Musik« (1949) aufgestellt hat, wurde zunehmend erweitert: Verbot der Gegenständlichkeit in der Malerei, der Tonalität in der Musik, des unbefangenen Erzählens in der Literatur. Die »avantgardistische« Forderung nach beständiger Transgression und die dadurch bedingte Einschränkung der Möglichkeiten brachte die entsprechende Literatur an den Rand des Verstummens. Dabei werden unter dem Begriff der Postmoderne ganz unterschiedliche, teilweise spielerische, teilweise bewusst naive, teilweise reflexiv-konstruktivistische Texte und Schreibweisen gefasst. Zu ihnen mag bereits die verzwickte Zitations- und Konstruktionstechnik der Essays G. Benns gehören; ebenso die Mischung aus Reflexion und Erzählung in R. Musils »Mann ohne Eigenschaften« (1930-43). Für die neuere deutsche Gegenwartsliteratur spielen Remythisierungstendenzen in den dramatischen Werken P. Handkes und B. Strauss' eine wichtige Rolle; es wird versucht, durch gleichsam künstliche Naivität der Literatur erneut Aura und Geltung zu verleihen. Bedeutung haben ferner der bewusste Ausgriff auf triviale Strukturen, z. B. in einigen Texten R. D. Brinkmanns, und das Spiel mit Anachronismen in C. Ransmayrs Roman »Die letzte Welt« (1988) sowie die Vertauschung von Roman und historischer Biographie in W. Hildesheimers »Marbot« (1981). Die amerikanische Literaturkritik bezieht die Bezeichnung »Postmodernism« insbesondere auf eine Gruppe von Autoren, die im Realität und Fantasie verwischenden, innovativen Vexierspiel mit dem formalen und motivischen Inventar die Hinwendung zu einer das Subjekt dekonstruierenden, Handlungslogik negierenden Kulturauffassung vollziehen (u. a. J. Barth, D. Barthelme, R. Coover, W. Gaddis, J. Hawkes, T. Pynchon). In Lateinamerika steht J. L. Borges mit intertextuell-dekonstruierenden Erzählungen (u. a. »Ficciones«, 1944) am Beginn einer als postmodern einzuschätzenden Richtung. Für diese charakteristisch ist eine Mischung aus Kalkül und Fantastik, Eklektizismus und historisch-psychologische Reflexion, wie sie u. a. in J. Cortázars Roman »Rayuela« (1963) herrscht. Als weitere Erscheinungsformen der Postmoderne im lateinamerikanischen Gegenwartsroman gelten der Verzicht auf Teleologie in der Geschichtsfiktion (A. Roa Bastos, M. Vargas Llosa, G. García Márquez) und die Verwendung von Elementen der Massenkultur, besonders der visuellen Medien Kino und Fernsehen (M. Puig, Vargas Llosa). Im Theater ist eine Hinwendung zum Rituellen, Gestischen und Mythischen zu beobachten.
 
Die moderne Ästhetik hat sich selbst immer wieder unter einen revolutionären Innovationszwang gesetzt. Von diesem, von der »Ideologie der Dauerüberholung« (W. Welsch), sucht sich die postmoderne Ästhetik zu befreien. Sie will deshalb auch nicht ihrerseits gegenüber der Moderne »innovatorisch« auftreten, die Selbstüberbietungsrituale der Avantgarden also nicht durch ein neues Ritual fortsetzen. »Unsere postmoderne Moderne« heißt bezeichnenderweise ein Buch des Philosophen Welsch (1987), das sich auf eine strikte Opposition von Moderne und Postmoderne nicht einlassen will. Damit wird die zumal von J. Habermas vorgetragene Kritik der Postmoderne unterlaufen, die ihr Verrat am »Projekt der Moderne« und dessen aufklärerische Implikationen vorwirft. Mit Habermas sehen die Kritiker im postmodernen Denken einen totalen, vergangenheitsbezogenen oder selektiven Antimodernismus, der die Position des gesellschaftlichen Aussteigers, die Rückkehr zu bereits vor der Moderne vertretenen Denkrichtungen (etwa auf Ganzheitlichkeit gerichtetes Denken, z. B. in der New-Age-Bewegung) oder eine neokonservative Grundhaltung mit den Forderungen Fortschritt ohne Preis, Chance ohne Risiko u. Ä. stützt. Den neuen Pluralismus bewerten Vertreter der Postmoderne als den der gesellschaftlichen Grundverfassung (die von P. Feyerabend mit »anything goes« charakterisiert wird) entsprechenden Zustand der Beliebigkeit. Kritiker verweisen auf den mit der radikalen Pluralität verbundenen Verlust der Werteskala, indem das vielfältige Neue seine Verbindlichkeit verloren hat. Dagegen betont Welsch, Postmoderne sei keine Anti-Moderne, sondern löse nur die Versprechen der Moderne radikal ein. In diesem Sinne sind also die mit der Bezeichnung Postmoderne belegten Kulturphänomene ihrerseits Teil der Moderne. »Die Postmoderne situiert sich weder nach der Moderne noch gegen sie. Sie war in ihr schon eingeschlossen, nur verborgen« (J.-F. Lyotard, 1986). Die Kritik der postmodernen Architekturtheorie am technokratischen Modernismus kann danach auch »im Sinne einer immanenten Kritik an einer hinter ihren eigenen Begriff zurückgefallenen Moderne verstanden werden« (A. Wellmer) - als Korrektiv innerhalb der aufklärerischen Tradition. Obwohl neokonservative Tendenzen in verschiedene Richtungen der Postmoderne nicht zu verkennen sind, lässt sich ihr pluralistischer Tenor, ihre Ablehnung von Einheitsimaginationen und monistischen Utopien auch als Forderung eines radikalen Demokratismus verstehen, der sich dann nicht pauschal als ideologisches oder ästhetisches »Roll-back« (Rückwende) interpretieren lässt.
 
In einer spezifischen Weise bestimmt Jencks die Beziehung der Postmoderne zur Moderne. In Opposition gegen die Vorstellung von einem irreversiblen Fortschritt der Geschichte bezeichnet er die westliche Kultur der Gegenwart als »reversibles historisches Kontinuum«, in dem »die Vergangenheit ihre Forderungen an die Gegenwart stellt«. Er spricht von der »Revolution« der Postmoderne, die sowohl eine Rückkehr zum Vergangenen als auch eine Vorwärtsbewegung ist.
 
Die Zustimmung zur Pluralität und die Verabschiedung restriktiver Einheitsperspektiven - Inklusivität statt Exklusivität - ist weit über den ästhetischen Bereich hinaus zu einer Grundtendenz zeitgenössischer Philosophie geworden. Lyotard, der prominenteste Vertreter einer sich postmodern nennenden Philosophie, hat diese als Absage an die »Meta-Erzählungen«, an die einheitsstiftenden Leitideen oder allgemein an Glaubensüberzeugungen definiert, durch die sich das Denken der Neuzeit auszeichnete. J. Derrida hat in diesem Sinne der Erzählung vom Turmbau zu Babel einen neuen Sinn unterlegt: Im Turmbau will die Moderne sich im Geiste einer alles beherrschenden Einheitssprache verewigen. Doch der Bau ist an seiner Vermessenheit und Überspitzung gescheitert. Die Einheitssprache zerfällt in eine Fülle von Sprachen, die alle das gleiche Recht beanspruchen dürfen. Das ist die »polyglotte« Signatur der Postmoderne.
 
Simultaneität und Simulation:
 
Die simultane Verfügbarkeit der Traditionsbestände in der Kunst der Postmoderne führt zur Wiederkehr des Gegenstandes, zur Neubewertung des Sinnlich-Gestischen, des Interesses am Mythos in der Malerei, zur Wiederaufnahme der Schmuck- und Redeformen in der Architektur, tonaler Mittel in der Musik, des auf Spannung bedachten Erzählens, der Lust am Narrativen in der Literatur (und sogar in der Architektur). Hat die Avantgarde lange die Tradition diskreditiert, so wird nun »die Tradition zur Avantgarde« (C. Newman). Jencks spricht sogar von einem »Schock des Alten«, der an die Stelle des von der Avantgarde ritualisierten Schocks des Neuen getreten sei.
 
Längst für überlebt gehaltene Formen und ästhetische Kategorien erfahren durch die Postmoderne ihre Wiederbelebung. Das gilt etwa für die Allegorie und die Ästhetik des Erhabenen. Beide werden (namentlich von Lyotard) als spezifisch postmoderne Kategorien restauriert, da sie im Unterschied zum Symbol und zum Schönen Sinnliches und Bedeutung nicht als Einheit, sondern distinkt setzen. Nach P. Bürger wird die Postmoderne freilich zu einer »Allegorie ohne Verweisung« - andere sprechen von »Mimikry ohne Original« - entsprechend der zentralen postmodernen These von der Dominanz des »Simulacrums«, der Vernichtung der Wirklichkeit durch die Simulation der Zeichen (u. a. in J. Baudrillards »La précision des simulacres«, 1978). Die Signatur unserer Gesellschaft besteht nach Bürger darin, dass »die Zeichen nicht mehr auf ein Bezeichnetes verweisen, sondern immer nur auf andere Zeichen, dass wir mit unserer Rede so etwas wie Bedeutung gar nicht mehr treffen, sondern uns nur in einer endlosen Signifikantenkette bewegen«. Dem entsprechen in der der Postmoderne zugeordneten literarischen Produktion die Befunde der Intertextualität (die in der fast durchgängigen Thematisierung des Schreibaktes ihren Ausdruck findet) und der Verweigerung historischer Teleologie wie politische Stellungnahme (wodurch ein scharfer Gegensatz zum literarischen Engagement entsteht).
 
Hier wie an der Kommerzialisierungstendenz der auf das Autonomiepostulat verzichtenden postmodernen Kunst setzen v. a. die aufklärerisch und die marxistisch orientierte Kritik an der Postmoderne an, indem sie sie eine Philosophie des »Subjekts ohne Objekt« (G. Irrlitz) nennen, die den Menschen an die totale Simulierung seiner selbst ausliefere und ihn aus dem Spiegelkabinett einer von den Massenmedien beherrschten Wirklichkeit nicht mehr herauskommen lasse. In dieser Sicht könnte auf die Postmoderne trotz ihrer affirmativen Bekundung von Heiterkeit, ihrer Überzeugung, dass sie die Trauerarbeit der Moderne abgeschlossen hat, der melancholische Schatten eines neuen Fatalismus fallen.
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Dekonstruktion · Interpretation · Lyrik · Moderne · moderne Architektur · moderne Kunst · Mythos · New Age · Strukturalismus
 
Literatur:
 
A. Rossi: Architektur der Stadt (a. d. Ital., 1973);
 M. Köhler: »Postmodernismus«: Ein begriffsgeschichtl. Überblick, in: Amerikastudien, Jg. 22 (1977); J. Baudrillard: Agonie des Realen (a. d. Frz., 1978);
 R. Venturi: Komplexität u. Widerspruch in der Architektur (a. d. Amerikan., 1978, Nachdr. 1993);
 C. Norberg-Schulz: Logik der Baukunst (Neudr. 1980);
 H. Klotz u. J. Cook: Architektur im Widerspruch (a. d. Engl., Zürich 21981);
 J. Barth: The literature of exhaustion and the literature of replenishment (Northridge, Calif., 1982);
 I. H. Hassan: The dismemberment of Orpheus. Toward a postmodern literature (Madison, Wis., 21982);
 I. H. Hassan: The postmodern turn. Essays in postmodern theory and culture (Columbus, Oh., 1987);
 
Revision der Moderne. Postmoderne Architektur 1960-1980, hg. v. H. Klotz (1984);
 H. Klotz: Moderne u. P. Architektur der Gegenwart 1960-1980 (31987);
 
Moderne oder P.? Zur Signatur des gegenwärtigen Zeitalters, hg. v. P. Koslowski u. a. (1986);
 P. Koslowski: Die Prüfungen der Neuzeit. Über Postmodernität, Philosophie der Gesch., Metaphysik, Gnosis (Wien 1989);
 U. Eco: Nachschrift zum »Namen der Rose« (a. d. Ital., 81987);
 C. Jencks: Die P. Der neue Klassizismus in Kunst u. Architektur (a. d. Engl., 21988);
 C. Jencks: Die Sprache der postmodernen Architektur (a. d. Engl., 31988);
 
Postmodern fiction in Europe and the Americas, hg. v. T. D'Haen u. a. (Amsterdam 1988);
 D. Borchmeyer: Die P. - Realität oder Chimäre?, in: Lit. u. Gesch. 1788-1988, hg. v. Gerhard Schulz u. a. (1990);
 F. Fechner: Politik u. P. Postmodernisierung als Demokratisierung? (Wien 1990);
 G. Irrlitz: Subjekt ohne Objekt. Philosophie postmodernen Bewußtseins, in: Sinn u. Form, Jg. 42 (1990); »P.« oder der Kampf um die Zukunft, hg. v. P. Kemper (Neuausg. 8.-9. Tsd. 1991);
 
Technolog. Zeitalter oder P.?, hg. v. W. C. Zimmerli (21991);
 
P.: Alltag, Allegorie u. Avantgarde, hg. v. C. u. P. Bürger (41992);
 A. Wellmer: Zur Dialektik von Moderne u. P. Vernunftkritik nach Adorno (51993);
 J.-F. Lyotard: Das postmoderne Wissen (a. d. Frz., Wien 31994);
 Burghart Schmidt: P. - Strategien des Vergessens (41994);
 
Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der P.-Diskussion, hg. v. W. Welsch (21994);
 W. Welsch: Unsere postmoderne Moderne (51997);
 J. Habermas: Die neue Unübersichtlichkeit (Neuausg. 1996);
 J. Habermas: Der philosoph. Diskurs der Moderne (Neuausg. 51996);
 B. McHale: Postmodernist fiction (Neudr. New York 1996);
 P. K. Feyerabend: Wider den Methodenzwang (a. d. Engl., (Neuausg. 61997);
 
P. Zeichen eines kulturellen Wandels, hg. v. A. Huyssen u. a. (51997).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Postmoderne-Diskussion
 
postmoderne Philosophien der Differenz: Radikale Fortschrittskritik
 

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Pọst|mo|der|ne, die; -: a) Strömung, Stilrichtung der modernen Architektur, die gekennzeichnet ist durch eine Abkehr vom ↑Funktionalismus (1) und eine Hinwendung zum freieren, spielerischen Umgang mit unterschiedlichen Bauformen auch aus früheren Epochen; b) der ↑Moderne (1) folgende Zeit, für die ↑Pluralität (1) in Kunst u. Kultur, in Wirtschaft u. Wissenschaft sowie demokratisch mitgestaltende Kontrolle der Machtzentren charakteristisch sind: P. mit ihrer Fortschrittsfeindlichkeit, mit ihrem Nippen an altbewährt Verständlichem ist ja derzeit der letzte Schrei (Salzburger Nachr. 30. 3. 84, 9); Krankheit, ein weiteres Tabu der P. (Frings, Liebesdinge 267).

Universal-Lexikon. 2012.