Wịrt|schafts|ethik, die <o. Pl.>:
Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft u. der Philosophie, das sich mit den moralischen Aspekten wirtschaftlichen Handelns befasst.
* * *
Wirtschafts|ethik,
theoretische Reflexion über die moralischen Aspekte wirtschaftlichen Handelns und seine institutionellen Bedingungen, ein interdisziplinäres Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft und der praktischen Philosophie. Wenngleich Ökonomie und Ethik heute vielfach eher als Gegensätze denn als Ergänzung angesehen werden, gehören ethische Überlegungen seit jeher zu den Grundlagen der Wirtschaftstheorie. Wirtschaftsethik soll 1) klären, in welcher Weise das wirtschaftliche Handeln und die institutionelle Ordnung der Wirtschaft einer moralischen Beurteilung unterliegen, 2) diejenigen Prinzipien und Normen der Moral aufstellen und rechtfertigen, denen das wirtschaftliche Handeln unterworfen werden soll, 3) in moralrelevanten unternehmerischen und wirtschaftspolitischen Entscheidungssituationen konkrete Handlungsempfehlungen aussprechen.
Seit den 1970/80er-Jahren finden Wirtschaftsethik und Unternehmensethik zunehmend Verbreitung. Grundlage für das Interesse an ethischen Fragestellungen bildet eine Sensibilisierung des öffentlichen Bewusstseins für die augenscheinlich nicht allein auf ökonomischer Basis zu lösenden weltweiten wirtschaftlichen Probleme. So stehen einem hohen materiellen Wohlstand in den Industriegesellschaften und wirtschaftlicher und technischer Fortschritt zugleich Hunger und Armut v. a. in den Entwicklungsländern, Umweltzerstörung, Wirtschaftskriminalität und organisierte Kriminalität gegenüber. Im Mittelpunkt der von sozialen Gruppen wie Verbraucherinitiativen, Gewerkschaften, Friedens- und ökologischen Gruppen, aber auch von den Massenmedien getragenen Diskussion standen in den 1970er-Jahren in der Bundesrepublik Deutschland v. a. die Humanisierung der Arbeit und die Demokratisierung der Wirtschaft, in den 80er-Jahren traten die Forderung nach Recht auf Arbeit sowie die Fragestellung hinzu, was eine Wirtschaftsethik zur Lösung der ökologischen Probleme beitragen könne; in einem weiteren Rahmen werden Aspekte wie die Folgen des einseitig quantitativen Fortschritts- und Wachstumsdenkens, der Verschwendung von Energie und Rohstoffen und der technologischen Entwicklungen diskutiert.
Darüber hinausgehend hat die Marktwirtschaft mit ihrer Wettbewerbs-, Leistungs-, Konsum- und Gewinnorientierung die Industriegesellschaften tief greifend im Sinne einer Ökonomisierung der Lebensverhältnisse geprägt. Ökonomisierung meint dabei nicht nur, dass materieller Wohlstand zum vorherrschenden Bedürfnis geworden ist, sondern dass immer weitere Bereiche des Denkens und Handelns in ökonomischen Kategorien, besonders in solchen der Kosten-Nutzen-Abschätzung, erfasst und geprägt werden (z. B. Bildung, Kultur, Wissenschaft). Weiterhin ist die Ökonomisierung mit einer verengten Zweckrationalität verbunden, d. h. einer Konzentration des ökonomischen wie überhaupt des auf Effizienz ausgerichteten Denkens nur auf den unmittelbar erwünschten Erfolg. Damit werden die möglichen Fern- und Tiefenwirkungen des Handelns auf die natürliche und soziale Umwelt und die sich daraus ergebenden fundamentalen Veränderungen der Erde (z. B. durch eine immer stärkere Umweltbelastung und technologische Prägung) noch wenig in die Wirtschaftsplanung einbezogen, allenfalls im politischen und gesellschaftlichen Diskurs thematisiert. Auch die modernen Wirtschaftstheorien bauen weitgehend darauf auf, dass die Akteure im Wirtschaftsgeschehen ausschließlich dem eigenen Nutzen und ökonomisch rationalen Kalkulationen folgen (Homo oeconomicus). Damit werden andere Wertvorstellungen, Interaktionsformen und Seiten der menschlichen Existenz ausgeblendet. Das Ideal rationaler Lebensführung wird gestützt durch die Tradition der protestantischen Arbeitsethik, die mit ihrem Gebot eines Zeit sparenden und pflichtbewussten Arbeitens, wie M. Weber aufzuzeigen versuchte, zur Ausbildung des Kapitalismus und zur Entstehung der Industrienationen erheblich beigetragen hat. Schließlich hat die Wirtschaft selbst Lebensformen geschaffen, die nur noch mit den Produkten der Industriegesellschaft - vom Auto bis zum elektronischen Arbeitsgerät - verwirklicht werden können, und damit eine an technologischem und quantitativem Wachstum orientierte Bedürfnisstruktur verfestigt.
Zur historischen Entwicklung
Die moderne ökonomische Theorie entstand als politische beziehungsweise Nationalökonomie im Zuge der Ausformung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Sie basiert auf der methodologischen Voraussetzung, dass die Wirtschaft ihre eigene Gesetzlichkeit besitzt, die die Beziehungen und den Zusammenhalt innerhalb der Wirtschaftsgesellschaft in Analogie zum Wirken der Naturgesetze reguliert. Ihre theoretischen Wurzeln hat die moderne Ökonomie im mechanistischen Denken der Human- und Sozialwissenschaften des 17. Jahrhunderts. Sie setzt eine Gesellschaft voraus, die auf der formalen Gleichheit ihrer Mitglieder beruht, in der menschliches Zusammenwirken ohne herrschaftlichen Moment, d. h. ohne persönliches Abhängigkeitsverhältnis, möglich wurde. Die Grundbegriffe ökonomischen Denkens wurden fortan an Markt, Handel und Tausch orientiert gebildet. War seit der Antike das wirtschaftliche Leben als ein Tätigsein aufgefasst worden, das in eine zweckvolle Seinsordnung eingebunden ist, so begann mit der Loslösung wirtschaftlichen Handelns von staatlich-moralischen Vorgaben die allmähliche Entwicklung einer »wissenschaftlichen« Ökonomie. Dabei wurde die Wirtschaft zunächst als ein nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten funktionierender natürlicher Kreislauf analysiert. In der »moralischen« Ökonomie seit Aristoteles hatte die dem »Sinn der Welt, den Aufgaben der Menschheit, den Lebensbedingungen der Gesellschaft adäquate Wirtschaft« die Aufgabe, das hauswirtschaftliche Auskommen und die materielle Basis für die Entfaltung der »höheren« kulturellen Zwecke des Menschen zu sichern (Joseph Meran). Das Erwerbsstreben sollte der Lebenserhaltung dienen, ein um des Gewinns willen erstrebtes Handeln (z. B. zinsträchtige Geldgeschäfte) wurde abgelehnt. Demgegenüber lässt die moderne Ökonomie ethische Wertüberzeugungen außer Acht, weil sie als eine den Gesetzen des Marktes und der Freiheit der Individuen gemäße natürliche Ordnung funktionieren soll.
Die Erkenntnis der strukturellen Differenz von individuellen Handlungsintentionen sowie institutionellen sowie kollektiven Wirkungen führte in der modernen Volkswirtschaftslehre dazu, die Trennung ökonomischer und moralischer Aspekte zu einem Prinzip zu erheben. Ihr Begründer A. Smith denkt zunächst als Moralphilosoph, wenn er in dem auf der natürlichen Eigenliebe gegründeten Selbstinteresse die entscheidende Triebkraft individuellen Handelns sieht. Zu einem moralischen Motiv wird dieses Selbstinteresse, insofern es sich auf natürliches Mitgefühl stützt und der Gerechtigkeit unterwirft; den Mechanismus des Marktes denkt Smith noch gelenkt durch die »unsichtbare Hand« des »Großen Architekten der Natur«. Wenn Smith auch eine ethische Regulierung des Selbstinteresses durchaus für notwendig hält, gründet der allgemeine Wohlstand als Ergebnis wirtschaftlichen Handelns aber nicht auf den moralischen Motiven der Handelnden, sondern auf dem durch Arbeitsteilung, den freien Markt und Wettbewerb hervorgebrachten ökonomischen Wachstum. Eine Trennung von Ethik und Ökonomie vollzieht auch K. Marx in seiner Analyse und Kritik der bürgerlichen Ökonomie. Unter den Bedingungen der Trennung von Arbeitskraft und Privateigentum ist der im Zirkulationsprozess stattfindende Tausch von Arbeitskraft und marktgerechtem Lohn durchaus »gerecht« und »rechtmäßig«, da Äquivalente ausgetauscht werden. Gerecht ist dabei das, was den »Gesetzen des Warenaustauschs« entspricht. Zugleich basiert dieser Austausch auf der Voraussetzung der Eigentumslosigkeit der Produzenten, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, statt sie als freie Produzenten entfalten zu können. Gemessen an einem Verständnis der Arbeit als freier Entfaltung menschlicher Wesenskräfte ist der Vorgang des Tauschs nur scheinbar gerecht und deshalb moralisch zu verurteilen. Die Aufhebung der Entfremdung erfolgt in einem Akt der Konstitution einer auf gesellschaftlichen Eigentum beruhenden Produktion. - In umfassenden moralphilosophischen und ideengeschichtlichen Untersuchungen haben sich dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts etwa G. Simmel, O. Spann, W. Sombart und M. Weber mit der Wirtschaftsethik befasst.
Während die Wirtschaftsethik in der Philosophie erst in den letzten Jahrzehnten wieder aufgegriffen wurde, haben in der christlichen Sozialethik wirtschaftsethische Fragen eine seit Mitte des 19. Jahrhunderts fortwirkende Tradition. Während die katholische Soziallehre dabei bestrebt ist, die seit alters formulierten überhistorischen »Baugesetze der Gesellschaft« (O. von Nell-Breuning) herauszuarbeiten und die sich daraus ergebenden Normen und Aufgaben auf die konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse zu beziehen, sucht die evangelische Sozialethik (z. B. Georg Wünsch, * 1887, ✝ 1964) etwa in Bezug auf Armut und Reichtum eine biblisch-theologische Antwort auf die konkreten Fragestellungen zu geben. Katholische Sozialethiker stützen sich vielfach auf den von Nell-Breuning begründeten Solidarismus und seine drei Ordnungsprinzipien der Gesellschaft; mit dem Gemeinwohlprinzip werden in einer Analogie zwischen biologischen Organismus und Gesellschaft die unaufhebbaren Rechte des Individuums hervorgehoben; das Solidaritätsprinzip sieht Einzelwohl und Gemeinwohl als wechselseitig aufeinander angewiesen an; das Subsidiaritätsprinzip tritt für die Eigenverantwortlichkeit und Eigenständigkeit der kleineren Sozialgebilde ein.
Zur Frage der Begründung einer Wirtschaftsethik
Für die Wirtschaftsethik sind v. a. zwei ethische Ansätze wichtig geworden, die Weber mit der Unterscheidung einer Gesinnungsethik, bei der die moralische Qualität einer Handlung auf der Gesinnung des Handelnden beruht, und einer Verantwortungsethik, die die moralische Qualität einer Handlung an deren Folgen bemisst, bezeichnet. In der klassischen Ethik entspricht dem etwa die Unterscheidung zwischen deontoligischer und teleologischer Ethik. Die deontoligische Ethik stellt Normen von allgemeiner Gültigkeit auf, deren Befolgung für moralisches Handeln maßgeblich ist. Beispiel einer deontoligischen Ethik ist die Ethik I. Kants. Durch das ethische Grundgesetz (kategorischer Imperativ) ist ein höchstes Kriterium für moralisches Handeln benannt, auf dessen Grundlage die individuellen Maximen des Handelns beurteilt werden können. Mit diesem Universalisierungsprinzip können subjektive Absichten des Handelns, wie das Selbstinteresse, ausgeschaltet werden, es lässt jedoch die Folgen des Handelns außer Acht. Eine Handlung trägt ihre ethische Qualität allein in sich selbst. - In der teleologischen Ethik wird die moralische Qualität einer Handlung nach ihrem Nutzen beurteilt, ein Ziel zu befördern; dieses Ziel bleibt offen. Beispiel einer teleologischen Ethik ist der Utilitarismus, dem zufolge das letzte Ziel allen Handelns im allgemeinen Wohl besteht. Das Wohl kann dabei als Lust (Hedonismus), Glück oder Verwirklichung einer bestimmten Wertordnung bestimmt werden.
Der Verlust einer einheitlichen, sinnstiftenden Basis der traditionalen Gesellschaft wie auch die Einsicht in die geschichtliche Vielgestaltigkeit menschlicher Wertorientierungen und der für die posttraditionale Gesellschaft charakteristischer Pluralismus von Wertsystemen und -orientierungen der gesellschaftlichen Gruppen hat dazu geführt, dass sich auch die Wirtschaftsethiker meist nicht auf einen allgemein verbindlichen letzten Maßstab berufen. Vielmehr soll einheitsstiftendes moralisches Handeln in einem Verständigungsprozess der Betroffenen durch vernünftige Argumente und Einsicht in die Richtigkeit bestimmter Lösungsvorschläge begründet werden. In einem weiteren Sinne geht es im Rahmen einer Diskursethik darum, geeignete Leitwerte für eine friedliche Lösung von Konflikten zu finden. Dabei sollen, ausgehend von verfügbaren Erfahrungen, ethisch relevante Unterscheidungen aufgegriffen und argumentativ gerechtfertigt werden. Die normative Leitfunktion eines ethisch relevanten Arguments beruht dann auf seiner vernünftigen Überzeugungskraft und einem damit zusammenhängenden potenziellen Konsens aller Betroffenen. Der Komplexität wirtschaftlicher und technischer Zusammenhänge kann weitgehend nur durch eine differenzierte, auf eingehende Sachanalyse gestützte Begründung von Normen entsprochen werden. In diesem Sinne besteht über eine Reihe von ethischen Grundansätzen ein gesellschaftliches Konsens (z. B. Fairness, Gerechtigkeit, Menschenwürde, Solidarität).
Problemfelder der Wirtschaftsethik
In der Antike wurde noch vorausgesetzt, dass das Wirtschaften in den überschaubaren Bereich der Hauswirtschaft eingebunden war und die Intentionen des wirtschaftlich Handelnden im Großen und Ganzen auch die Wirkungen des Handelns bestimmten. Demgegenüber ist die moderne Wirtschaft gekennzeichnet durch Arbeitsteilung, anonyme Austauschprozesse, lange Produktionswege unter Beteiligung vieler Akteure sowie eine weltweite Interdependenz und hohe Komplexität in den Handlungszusammenhängen. Das bedeutet, dass individuelles Handeln Teil von komplexen Funktionszusammenhängen geworden ist und die Wirkungen des Handelns nicht mehr vom Einzelnen gesteuert werden können. Diese Form der Wirtschaftsgestaltung entspricht der von Weber beschriebenen Herausbildung der Wirtschaft (wie auch z. B. des Rechtes, der Wissenschaft) zu einem eigenen Subsystem der Gesellschaft. Das Wirtschaftssystem ist bestimmt von eigenen Regelungen und Gesetzen, der wirtschaftlichen Rahmenordnung, in deren Zusammenhang das nicht von moralischen Motiven, sondern von einer Befolgung der Marktgesetze abhängige individuelle Handeln erfolgt. Die für das wirtschaftliche Handeln maßgeblichen Entscheidungen sind somit Bestandteil der Rahmenordnung (Wirtschafts-, Eigentumsordnung u. a.), auf die sich die Wirtschaftsethik daher schwerpunktmäßig konzentriert.
Die Geschichte sowohl der kapitalistischen als auch der sozialistischen Wirtschaftssysteme hat deutlich werden lassen, dass sie ihre wirtschaftlichen Ziele entgegen den Modellvorstellungen der klassischen Nationalökonomie und des Marxismus nicht erfüllen konnten. Die Marktwirtschaft im Sinne des Wirtschaftsliberalismus sichert nicht die Verwandlung von jedermanns Eigennutz in allgemeinen Wohlstand; die Sozialisierung der Produktionsmittel in einer sozialistischen Planwirtschaft hat weder Gerechtigkeit in höherem Sinne verwirklicht noch zu wirtschaftlichem Erfolg geführt.
Die Marktwirtschaft zeichnet sich demgegenüber durch hohe Effizienz und einen hohen technologischen Standard aus. Dem stehen die Forderungen an die soziale Marktwirtschaft gegenüber, eine Reihe tief greifender Konflikte zu lösen. Zu diesen gehören etwa die ungleiche beziehungsweise als ungerecht empfundene Verteilung von Einkommen und Vermögen, trotz durchschnittlich hohen Lebensstandards steigende Armut verschiedener Bevölkerungsgruppen in den westlichen Ländern. Es geht um Verbesserungen in der Erwerbsarbeit durch Realisierung einer angemessenen Bezahlung und einer Arbeitsgestaltung, in der biologische Rhythmen und kulturelle Traditionen stärker berücksichtigt werden, um Mitbestimmung, Kündigungsschutz, Gleichstellung der Frauen, eine verbesserte Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, weiterhin um eine Umstellung der Produktion von gefährlichen auf weniger gefährliche Stoffe und einen Abbau der Verschwendung an Rohstoffen, Arbeitskraft und Kapital. Die Forderung nach einer Wirtschaftsethik verbindet sich mit einer wachsenden Einsicht in menschliche Verantwortung für eigene Zielsetzungen und Verfahrensweisen sowie deren Folgen, wobei zugleich ein Verzicht auf bestimmte technische Möglichkeiten (Selbstbeschränkung und Maßhalten) wie auch eine Umgestaltung des technisch Machbaren geboten sein kann.
Als eigene Disziplin ist die Wirtschaftsethik eine neuere Entwicklung, die noch nicht auf einen etablierten Kanon von Konzeptionen und Themen zurückgreifen kann. Jedoch lassen sich drei eng miteinander verzahnte und zusammenhängende Betrachtungsebenen unterscheiden: Die Mikroebene betrifft Probleme individuellen Handelns (z. B. Verbraucher-, Manager- beziehungsweise Führungsethik). Auf der Mesoebene findet eine Auseinandersetzung mit den ethischen Aspekten der Institutionen statt (Unternehmen, Märkte, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände; Unternehmensethik, Marketingethik). Auf der Makroebene geht es um die Frage nach der »richtigen« Wirtschaftsordnung (sowie Eigentumsordnung, Recht, Steuer- und Sozialpolitik u. a.). Das Aufgabenspektrum der Wirtschaftsethik erstreckt sich somit von der im engeren Sinn moralische Dimension wirtschaftlichen Handelns bis zu den grundsätzlichen gesellschaftlichen Wert- und Zielorientierungen, in die das wirtschaftliche Handeln eingebunden ist. Drei Aufgabenfelder werden unterschieden: 1) die Untersuchung wirtschaftlichen Handelns im Hinblick auf faktisch geltende Moralvorstellungen (deskriptive Wirtschaftsethik); 2) die Begründung der Normen richtigen Handelns, die auch auf konkrete Situationen, etwa im Zusammenhang einzelner Fallanalysen, bezogen werden (normative Wirtschaftsethik); 3) die Untersuchung der Sprache vorliegender Morallehren und deren Begründungsverfahren (Metaethik).
Die Moralfragen im Unternehmensbereich konzentrieren sich auf die Konfliktmöglichkeiten, die zwischen den Interessen und Maximen eines gewinnorientierten unternehmerischen Handelns und den allgemeinen gesellschaftlichen Gerechtigkeitsvorstellungen auftreten. Die Unternehmensethik stellt das Gewinnprinzip als Leitziel unternehmerischen Handelns, das Bestandteil der wirtschaftlichen Rahmenordnung ist, nicht infrage. Gängige Fälle ethisch bedenklichen Handelns wie Zahlung von Bestechungsgeldern, um Aufträge zu erhalten, Unterlassen von Emissionsschutzinvestitionen, obgleich die erforderlichen Technologien verfügbar sind, machen jedoch deutlich, dass die Tendenz zur Vernachlässigung moralischer Aspekte zum Erzielen von Wettbewerbsvorteilen der Marktwirtschaft inhärent ist.
Grundsätzlich wird in der Wirtschaftsethik davon ausgegangen, dass die Unternehmen nicht nur den ökonomischen Sachzwängen des Marktes unterliegen, sondern ihnen Handlungsspielräume offen stehen, die eine Berücksichtigung ethischer Aspekte zulassen. Die Unternehmensethik wird aber auch als Ergänzung zu den Steuerungs- und Koordinationsmechanismen des Rechts und der Sozialpolitik gesehen. Weder ist es dem Gesetzgeber möglich, die Vielfalt möglicher Einzelhandlungen und Konflikte im Rahmen komplexer wirtschaftlicher Zusammenhänge in gesetzlichen Regelungen zu transformieren, noch lässt sich etwa unter den Bedingungen eines Großunternehmens, das durch Arbeitsteilung, Anonymisierung der Beziehungen und Diffusion von Entscheidungen in der Unternehmenshierarchie gekennzeichnet ist, die Einhaltung komplexer gesetzlicher Regelungen durchgängig überprüfen und personelle Verantwortlichkeit etwa bei Verstößen zuweisen. Zudem unterliegt die Rechtsentwicklung, bezogen auf neuartige Sachverhalte (z. B. Gentechnologie, Informationstechnologie), immer einer Verzögerung.
In der Unternehmensethik lassen sich zwei Argumentationsrichtungen unterscheiden: Individualethische Konzepte versuchen über Appelle an das Gewissen eines Unternehmers oder Managers und eine Sensibilisierung für ethische Fragen moralischer Intentionen im Unternehmensprozess durchzusetzen. Häufig verweisen diese Ansätze auf Studien, in denen eine vorwiegend ökonomisch-erfolgsorientierte Grundeinstellung bei jungen Führungskräften aufgezeigt wird. Eine Institutionenethik richtet sich auf die institutionellen Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns. Die wirtschaftliche Rahmenordnung wie auch unternehmensspezifische Strukturen, Hierarchien, Anreiz- und Belohnungssysteme, Führungsgrundsätze und Unternehmensleitlinien setzen hier die Maßstäbe und den Spielraum, innerhalb deren ethische Reflexion wirksam werden kann.
Unternehmensethik richtet sich sowohl nach innen (»Unternehmenskultur«, Führungsstil, Mitbestimmung, Leistungsbewertung) als auch nach außen (gegenüber Kunden u. a. Bezugsgruppen sowie der Öffentlichkeit). Die Durchsetzung ethischer Regelungen und Fragestellungen in der Praxis ist v. a. angewiesen auf Selbstbindung der einzelnen Unternehmen, etwa durch Kodizes, in denen ein Verhalten und bestimmte Grundsätze festgeschrieben werden, oder durch Kommissionen, die im Vorfeld von Entscheidungen mitwirken und später die Einhaltung festgelegter Grundsätze überwachen können (z. B. Beauftragte oder Abteilungen für Verbraucherschutz, Umwelt- und Sicherheitsfragen, neutrale Ethikkommissionen).
In den USA ist die Unternehmensethik (Business Ethics) seit Jahrzehnten fest etabliert (seit 1985 akademische Disziplin). In Europa bestehen Lehrstühle in Sankt Gallen (seit 1987) und Ingolstadt-Eichstätt (seit 1990). Eine internationale Vereinigung von Wissenschaftlern und Praktikern verfolgt im Rahmen des European Ethics Network das Ziel, die Diskussion und praktische Verwirklichung einer Unternehmensethik zu fördern.
Ethik in der Volkswirtschaft
Im volkswirtschaftlichen Bereich geht es um ethische Fragen, die über die Grenzen unternehmerischen Handelns hinausreichen, wie die Probleme von Armut und Arbeitslosigkeit, von Ressourcenabbau und Umweltzerstörung, um eine Sicherung oder Erhöhung des allgemeinen Wohlstands. Bei diesen Problemen zeigt sich besonders deutlich, dass die komplexe Vernetzung von Wirkzusammenhängen eine unmittelbare ethische Steuerung (z. B. durch ökonomische oder gesetzliche Regelungen wie Arbeitsgarantie, Preisbegrenzung u. a.) kaum zulässt. Neben einer Sensibilisierung des öffentlichen Bewusstseins für die ethischen Aspekte wirtschaftlichen Handelns durch Aufklärungs- und Erziehungsarbeit besteht somit eine Hauptaufgabe der Wirtschaftsethik darin, den institutionellen Rahmen des wirtschaftlichen Handelns in seinem motivierenden Einfluss auf die Handelnden und in seinen Steuereffekten auf die Handlungswirkungen zu analysieren und zur besseren Erreichung ethischer Ziele mitzugestalten. Beide Aufgaben können nur gemeinsam mit den Wirtschaftswissenschaften und der Wirtschaftspolitik angegangen werden. Die Wirtschaftsethik ist daher Teil des wirtschaftswissenschaftlichen und politischen Denkens, das sie um die ethische Dimension erweitert. Dies kann z. B. zu einer quantitativen Umsetzung qualitativer Faktoren wie des Wertes der Natur und des Umweltschutzes in Formen der Besteuerung des Ressourcenverbrauchs oder entsprechender Steuerentlastung führen.
Ethik in der Weltwirtschaft
Ethische Überlegungen im Rahmen der Weltwirtschaft befassen sich mit Problemen wie dem wirtschaftlichen Gefälle zwischen Industrie- und Entwicklungsländern (z. B. gemessen am Pro-Kopf-Einkommen) und der Frage nach der Gerechtigkeit einer Weltwirtschaftsordnung, der internationalen Verschuldung und Abhängigkeit bestimmter Länder und Regionen von den Industrieländern, dem ethischen Status von Institutionen wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds, den Strukturen und Verfahren von internationalen Organisationen und multinationale Unternehmen. Auf der Ebene wirtschaftspolitischen Handelns entstehen ethische Fragen im Zusammenhang mit Ausmaß und Gestaltung von Entwicklungshilfe, von Handelshemmnissen sowie um die Zusammenhänge zwischen Wachstum und Entwicklung einerseits, Umweltschutz, Frieden und Freiheit andererseits. Dabei geht es grundsätzlich darum zu fragen, ob es bestimmte, in allen Ländern anerkannte ethische Werte gibt, die für die Weltwirtschaft leitend sein können; und wenn dies nicht der Fall ist, nach welchen ethischen Kriterien wirtschaftliche Entscheidungen, Erwartungen und die Gestaltung von Geschäftsbeziehungen beurteilt und ausgerichtet werden können. Nicht nur ökonomische Aspekte spielen in der Weltwirtschaft, für die eine einheitliche Wirtschaftsordnung noch weitgehend fehlt, eine Rolle, sondern auch die politischen und kulturellen Differenzen zwischen den verschiedenen Staaten, Staatengemeinschaften und Volkswirtschaften. Daher treten hier besondere Anforderungen an eine zu entwickelnde Wirtschaftsethik auf, die auch kritische Verständnisbildung zur interkulturellen und internationalen Situation einschließen muss.
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
Arbeit · Armut · Einkommensverteilung · Energiepolitik · Ethik · Gerechtigkeit · Grundwerte · Konsum · Leistungsgesellschaft · Macht · Management · Natur · Nord-Süd-Konflikt · Rationalisierung · Solidarität · Sozialpolitik · Umweltschutz · Verantwortung · Werbung · Wettbewerb · Wohlstand
Wirtschaftswiss. u. Ethik, hg. v. H. Hesse (21989);
Unternehmensethik, hg. v. H. Steinmann u. a. (21991);
Wirtschaft u. Ethik, hg. v. H. Lenk u. a. (1992, Nachdr. 1998);
Lex. der W., hg. v. G. Enderle u. a. (1993);
Weltwirtschaftsethos. Globalisierung u. W., hg. v. P. Koslowski (Wien 1997);
Ökonomie u. Moral. Beitrr. zur Theorie ökonom. Rationalität, hg. v. K. R. Lohmann u. B. P. Priddat (1997);
G. Meckenstock: W. (1997);
Technikethik u. W. Fragen der prakt. Philosophie, hg. v. H. Lenk u. a. (1998);
P. Ulrich: Integrative W. (21998);
* * *
Wịrt|schafts|ethik, die <o. Pl.>: Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft u. der Philosophie, das sich mit den moralischen Aspekten wirtschaftlichen Handelns befasst: Die Sache selbst ..., das Wirtschaften also durch Menschen für Menschen, enthält immer beides in enger Verquickung: Sachfragen und ethische Aufgaben. W. ist also mehr als ein ... Bestandteil des Wirtschaftshandelns (Höhler, Sieger 373/74); Lehrstühle für W. werden gegründet und finanziert, was ... bei der Unbeweglichkeit ... unseres Universitätssystems schon auf ein intensives Interesse an diesem Thema schließen lässt (SZ 20./21. 11. 93, Beil. Management I).
Universal-Lexikon. 2012.